Der Wunschaugenblick

Saemund der Weise erzählt, dass es an jedem Tage einen Wunschaugenblick gäbe, der jedoch nicht länger dauere als eine Sekunde, und dass es deshalb für einen Menschen kaum möglich sei, ihn abzupassen. Andere dagegen erzählen, dass nur am Sonnabend der Wunschaugenblick vorkäme.

Einmal saß Saemund in der Badstube, während seine Mägde darin beschäftigt waren. Da sagte er plötzlich: „Passt auf, Dirnen, jetzt ist der Wunschaugenblick gekommen; wünscht euch nun, was ihr am liebsten haben möchtet.“ Da trällerte eine der Mägde und sagte:


„Von allem, was im Weltenrund
Ich wünschen mag vom Schönen?
Am liebsten, dass mich Saemund
Beschenkt mit sieben Söhnen“

„Dass du stirbst, wenn du den letzten gebärst!“ rief Saemund aus; denn er war der Magd des Wunsches wegen gram. Diese Magd hieß Gudrun, und sie wurde Pfarrer Saemunds zweite Frau. Sie bekamen sieben Söhne miteinander, wie sie sich gewünscht hatte, die Frau aber starb im Wochenbett nach dem Letzten.

Saemund hob die Kleider, die Gudrun als Magd getragen hatte, auf und hielt sie ihr oft vor Augen, um ihren Stolz zu dämpfen; denn sie war sehr hochmütig über die Ehre, die sie erworben hatte. Es wird unter anderem als eine Äußerung ihres Hochmuts erzählt, dass sie, als einmal ein armer Mann zu ihr kam und sie um einen Labetrunk bat, ihm also antwortete:

„Bester, sieh, der Bach fließt nah
Trink wie Bischofs Pferd auch da!“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen