Sagen vom Pfarrer Erik in Vogsosar

Eines Sommers waren einige Leute, wie sie zu tun pflegten, zum Fischen auf Selö im Reydarfjord. Und es traf sich, als der getrocknete Fisch ans Land gebracht wurde, dass ein großer Teil der Fische des Pfarrers von Holme in der Fischbude zurückblieb. Das Wetter verschlechterte sich in dem Maße, dass man an die Fische nicht herankonnte, bis im Herbst wieder gutes Seewetter wurde. Da zogen sie hinaus, um sie zu holen und begannen sofort, die Fische aus der Hütte ins Boot zu tragen. Die Bootsleute sagten, sie würden gern nach der anderen Seite der Insel gehen, um nachzusehen, ob etwas ans Land getrieben sei. Einer von ihnen erklärte sich bereit zu gehen, während die anderen die Fische hinuntertrugen. Er ging also, und die anderen trugen die Beute in das Boot. Plötzlich stieg das Wasser so gewaltig, dass es ihnen nur mit knapper Not gelang, die Fische in das Boot zu schleppen. Sie schifften sich alle ein und warteten eine Weile auf den Abwesenden; als er aber kam, war es der Brandung wegen unmöglich, ihn ins Boot zu ziehen; da riefen sie ihm zu, dass er nun dableiben müsste, sie würden ihn aber am nächsten Tag holen, wenn Seewetter wäre. Sie glaubten wohl, dass es am besten sei, an ihr eigenes Leben zu denken, und steuerten dem Lande zu; er aber blieb hilflos zurück.

Es stellten sich Tauschnee und Windstille ein, und der Mann ging deshalb nach der Fischerhütte, ohne einen Ausweg zu wissen, und dort blieb er bis zum Abend. Da begann er zu verzweifeln und dachte, es läge ihm näher, sich das Leben zu nehmen, als dort Hungers zu sterben, und er lief aus der Hütte hinaus. Da entdeckte er einen freundlichen Stern; er glaubte aber, dass es in dieser wolkenschwarzen Nacht kein Himmelsstern sein könnte, und als er anf?ng, genauer hinzusehen, schien er ihm einem Licht in einem Fenster zu ähneln. Er lief eine kleine Weile, bis er an ein Haus kam, dass so prächtig war, dass es einer Königshalle glich. Er hörte, wie drinnen gesagt wurde:


„Ja, Mädchen, kein andrer als der unglückliche Mensch, der heute auf der Insel zurückgelassen worden ist, ist an das Haus gekommen; gehe hinaus und hole ihn; denn ich will nicht, dass er vor meiner Tür stirbt.“

In demselben Augenblick trat ein junges Mädchen zu ihm; sie führte ihn hinein und sagte ihm, dass er seine Schneekleider ablegen solle. Dann führte sie ihn eine sehr hohe Treppe hinauf, in einen sehr schönen Saal, der mit Gold und Edelgestein geschmückt war. Da sah er viele Frauen, und eine unter ihnen war die schönste von allen. Er begrüßte sie mit Anstand, und sie erwiderten seinen Gruß. Da erhob sich die schöne Jungfrau und geleitete ihn in eine kleine, aber hübsche Kammer, setzte ihm Wein und Nahrung vor und ging dann wieder fort. Es wird nicht erzählt, wo ihm abends sein Schlaflager angewiesen wurde. Die Nacht verging also; aber am nächsten Morgen kam die Jungfrau zu ihm und sagte, dass sie nicht zu seinem Vergnügen dort bleiben dürfe, gab ihm aber sonst alles, was zu seinem Zeitvertreib dienen konnte.

So verging der Winter bis Weihnachten. Am Heiligabend kam die schöne Jungfrau zu ihm und sagte, wenn er glaube, dass sie ihm etwas Gutes erwiesen hätte, dann müsste er ihr eine Bitte gewähren und sie ihr nicht abschlagen, nämlich dass er, wenn am nächsten Tage eine Tanzbelustigung abgehalten würde und ihr Vater sie rufen ließe, um sich das Spiel anzusehen, nicht neugierig sein und zum Fenster hinaussehen dürfe; denn sie würde ihm genug bringen, damit er sich hier drin zerstreuen könne. Er versprach ihr, dass er nicht neugierig sein würde. Am ersten Feiertag morgens brachte sie ihm Wein und was sonst zu seiner Nahrung dienen konnte, bot ihm Lebewohl und ging ihres Weges.

Aber gleich darauf hörte er Gesang und Saitenspiel. Da dachte er bei sich, was für eine große Freude dort wohl herrsche, und dass es gewiss nichts schaden könnte, wenn er einen Augenblick hinauslugte; es brauchte ja niemand zu sehen.

Da kletterte er in die Höhe, um den Tanz sehen zu können, und als er hinausblickte, sah er eine große Menge Menschen; einige tanzten, andere führten allerlei Saitenspiel aus, und mitten im Gedränge sah er einen königlichen Mann sitzen, eine Krone auf dem Haupt und eine Frau zu jeder Seite. Er dachte, das müssten die Königin und die Tochter des Königs sein; diese aber erkannte er wieder. Er wagte nun nicht länger hinauszusehen und ging vom Fenster fort. Der Tanz dauerte bis zum Abend.

Als die Jungfrau aber dann zu ihm hereinkam, war sie wider ihre Gewohnheit schweigsam; jedoch sagte sie ihm, dass er sein Versprechen, nicht hinauszusehen, schlecht gehalten habe, obgleich sie es so habe einrichten können, dass ihr Vater es diesmal nicht gemerkt habe. Es ging nun auf Neujahr, ohne dass etwas geschah. In der Silvesternacht kam die Jungfrau zu ihm und sagte, dass sie am nächsten Tage mit ihrem Vater hinginge, um sich den Tanz anzusehen, und dass er ihr gegenüber sein Wort besser halten müsste, als er es zu Weihnachten getan habe, und nicht neugierig sein dürfe. Er versprach nun bei allem, was ihm heilig war, dass er diesmal nicht hinausblicken würde. Sie brachte ihm wieder Wein und Nahrung und allerlei Zeitvertreib und ging fort.

Als es aber Morgen geworden war, hörte er noch mehr Lärm und Freude draußen als zu Weihnachten. Da sagte er sich, dass er jetzt nicht hinaussehen wolle, denn es wäre ja dasselbe wie zu Weihnachten, und viel verstrich vom Tage, während er ruhig dasaß. Da begann ihn aber die Neugierde zu quälen — so gar nichts von der großen Freude zu erfahren, — und er spähte hinaus und sah, dass der Tanz viel reizvoller als das vorige Mal war, denn es tanzten viele strahlende Ritter vor der Königin und dem König. Da zog er sich eiligst vom Fenster zurück, sah aber, dass niemand das Auge nach seinem Fenster wandte, und so ging es bis zum Abend. Als die Jungfrau aber am Abend zu ihm kam, war sie aufgebracht und machte ihm Vorwürfe, dass er sie abermals getäuscht hätte. Trotzdem trübte dies das Verhältnis zwischen ihnen nicht; denn sie war ihm genau so gut wie vordem.

Der Winter verstrich, und so ging es auf Ostern. Am Osterheiligabend kam die Jungfrau zu ihm, sprach ihn freundlich an und bat ihn, am nächsten Tag ja nicht neugierig zu sein, auch wenn er hören sollte, dass die Freude groß wäre; denn wenn ihr Vater merke, dass sie ein männliches Wesen bei sich hätte, dann würde es sie das Leben kosten. Am Ostermorgen kam sie zu ihm und brachte ihm alles, was er sich nur hätte wünschen können, bot ihm Lebewohl und verließ ihn dann. Die Belustigung begann wieder wie zuvor. Aber als der Tag verging, begann die Einsamkeit ihn zu langweilen, und er ging aus seiner Kammer in die ‚danebenliegende hinein; denn er dachte, die Jungfrau würde es nicht merken, wenn er von dort aus hinauslugte. Einen Augenblick spähte er hinaus und sah dasselbe wie zu Neujahr. Dann ging er in seine Kammer und blieb dort, bis die Jungfrau abends hereinkam. Da war sie unwillig gegen ihn und sagte, dass er sie heute im Stich gelassen hätte wie das vorige Mal; sie wüsste nicht, ob ihr Vater Wind von seinem Aufenthalt bekommen hätte, aber kühler wäre er gegen sie gewesen, als er zu sein pflegte; sie hätte nicht er; wartet, dass er ihr so untreu sein würde, und er werde es wohl später in anderen Dingen auch sein.

Der Frühling näherte sich, und am letzten Winterabend kam die Jungfrau zu ihm und sagte, dass morgen der erste Sommertag wäre, und dass dann Leute vom Festland kämen, um ihn zu holen, weshalb er in der Frühe nach der Fischerhütte gehen sollte; aber um eins wollte sie ihn bitten, wenn er Wert darauf lege, dass sie ihm das Leben während des Winters erhalten hätte; und das sei, dass er das Kind anerkennen solle, das sie jetzt durch ihn erwarte; denn es gälte ihr Leben, und wenn sie den Vater nicht angeben könne, dann würde ihr Vater sie töten. Aber wenn sie den Vater nennen könne, dann würde er sie nicht töten, und sie bitte ihn nun um weiter nichts, als dass er sich ihr gegenüber in dieser Angelegenheit treu erweisen solle. Das versprach er ihr, und er sagte, es werde nie geschehen, dass er leugne, der Vater des Kindes zu sein. Es koste ihn ja nichts, da er keine Ungelegenheit davon hätte.

Er sagte ihr dann Lebewohl und dankte ihr für alle ihre Wohltaten gegen ihn während des Winters, und früh am nächsten Morgen machte er sich auf den Weg, und als er ein kleines Stück gegangen war, wollte er sich nach der Halle umsehen, aber er sah weiter nichts als steinige Hügel und Felsen am südlichen Teil der Insel; dann ging er nach der Fischerhütte.

An diesem Tage war mildes Wetter und die See ruhig, und als der Tag etwas verstrichen war, sah er ein Boot vom Lande herkommen; als die Bootsleute aber an die Insel gekommen waren, ging er ihnen entgegen. Als sie ihn erblickten, fürchteten sie sich, denn er war sehr dick und fett, und sie glaubten deshalb, dass es sein Geist sei; denn sie dachten nicht anders, als dass er im Winter gestorben wäre; und niemand wagte; ihn anzusprechen, viel weniger, zu ihm ans Land zu kommen. Schließlich aber stieg der Bootsführer doch ans Land und fragte ihn, ob er ein lebendiger Mensch sei oder ein Geist, oder ob er derselbe sei, der im Herbst auf der Insel zurückgeblieben wäre. Er sagte, dass er derselbe Mann wie im Herbst sei, als sie ihn dort zurückgelassen hätten. Der andere aber sagte, dass er nicht verstehen könne, wie er so lange ohne Nahrung hätte leben können. Der Inselmann sagte, dass der Seetang auf Selö keine schlechtere Nahrung sei als die Wassergrütze auf Holme. Mehr wollte er ihnen nicht erzählen; er stieg aber zu ihnen in das Boot, und sie ruderten ihn zurück nach Holme. Die meisten wunderten sich, ihn lebendig zurückkommen zu sehen, und viele Fragen wurden ihm gestellt, wie er den Winter über hätte leben können, niemand aber bekam mehr von ihm zu wissen, als jene auf der Insel von ihm erfahren hatten.

Spät im Sommer war es eines Sonntags schönes Wetter, und es kamen viele Leute zur Kirche, und an diesem Tage wollte auch der Knecht dorthin. Als aber der Pfarrer und die ganze Gemeinde in die Kirche gekommen waren, stand eine Kinderwiege neben dem Altar, ehe man es sich versah, und eine golddurchwirkte Decke war über das Kind gebreitet, aber kein Mensch war zu sehen, nur sah man, dass eine schöne Frauenhand auf dem Rand der Wiege ruhte; alle wunderten sich hierüber und sahen sich an; der Pfarrer aber nahm das Wort und sagte, dass dies Kind getauft werden wolle, und dass es wohl nicht irrig wäre, dass irgend jemand in der Kirche in Beziehung zu ihm stehe, und am ehesten glaube er von seinem Knecht, dass er es im Frühjahr auf Selö zurückgelassen habe; der Knecht aber bestritt, etwas davon zu wissen. Da sagte der Pfarrer, er wolle es mit dem Namen des Knechts taufen, der aber leugnete wieder und sagte, dass er nichts mit der Sache zu tun hätte. Der Pfarrer erwiderte, dass er doch nicht ohne Menschenhilfe auf der Insel hätte leben können; der Knecht aber sagte, dass er das Kind nie anerkennen würde und verbot dem Pfarrer, es mit seinem Namen zu taufen.

Da wurde die Wiege fortgerissen und verschwand in demselben Augenblick, und zugleich ertönte heftiges Weinen, das sich allmählich aus der Kirche verlor. Der Pfarrer und die anderen gingen ihm aus der Kirche nach. Da hörten sie das Weinen und das Schluchzen in der Richtung nach dem See verschwinden, die Decke aber lag auf dem Boden der Kirche und wurde auf Holme noch lange nach dieser Zeit benutzt.

Alle wunderten sich über das Geschehene, am tiefsten jedoch war der Pfarrer davon ergriffen. Der Knecht aber verfiel später in Tiefsinn. Der Pfarrer fragte ihn, wie das denn käme, und dann erzählte er ihm alles, dass er den Winter über bei einem König und seiner Tochter gewohnt hätte, und dass es ihn sein Leben lang gereuen würde, dass er das Kind nicht anerkannt habe.

Der Knecht war von diesem Tage an nicht mehr derselbe, und hiermit endet die Erzählung von dem Huldrekönig auf Selö.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen