Jon und die Riesin

Auf dem Nordland lebte einmal ein Bauer, der fuhr jeden Herbst und Winter nach den Westmändinseln zum Fischen. Er hatte einen Sohn, der zur Zeit dieser Erzählung erwachsen war. Der Sohn hieß Jon und war ein hoffnungsvoller Jüngling.

Einmal nahm der Bauer Jon mit auf seine Fischfahrt nach den Inseln. Sie zogen den geraden Weg, und es wird nichts von ihrer Fahrt oder von der Ausbeute ihres Fischens erwähnt. Im nächsten Herbst ließ der Bauer Jon allein südwärts nach dem Fischplatz ziehen; denn nun war er selbst alt geworden und traute sich nicht mehr Kraft genug zu, um hinauszurudern. Ehe aber Jon das Haus verließ, bat ihn der Vater vor allen Dingen, nicht unter einigen hohen Felsen zu rasten, die an dem Bergabhang lagen, und an denen entlang der Weg führte. Er legte ihm das so ernstlich ans Herz, dass Jon versprach, dort nicht Halt zu machen, was auch geschehen würde, und wie das Wetter auch wäre.


Dann zog Jon mit zwei Packpferden und einem Reitpferd fort. Die Pferde wollte er während des Winters zum Durchfüttern auf den Landinseln einstellen, wie sein Vater es getan hatte. Von seiner Fahrt wird weiter nichts erzählt, als dass alles nach Wunsch ging. Er kam an den Bergabhang, wie er sollte, und zog eine Zeitlang an ihm entlang. Der Tag war größtenteils schon verstrichen, und Jon bemühte sich, am Abhang vorbeizukommen, wie ihn sein Vater gebeten hatte. Aber als er in die Nähe der Felsen gekommen war, von denen ihm sein Vater erzählt hatte, überfiel ihn ein furchtbares Gewitter mit Sturm und Regen. Da kam er gerade an einige hohe Felsen und sah einen so schönen Halteplatz, wie er ihn sich nur wünschen konnte, auf einer Anhöhe unter den Felsen. Da war reichliches Gras und Schutz gegen den Regen. Er begann zu überlegen, was nun zu tun sei. Es gefiel ihm hier, und er konnte nicht verstehen, was denn Schlimmes dabei sein könnte, an dieser Stelle auszuruhen, und der Schluss seiner Überlegungen war, dass er sich zu bleiben entschloss. Er zäumte darauf die Pferde ab und band ihnen die Vorderfüße zusammen. In kurzer Entfernung sah er den Eingang zu einer Höhle oben in dem Felsen. Dorthin trug er seine Sachen, legte sie an die eine Seite der Höhle, unweit des Eingangs, machte es sich darauf zwischen seinem Gepäck behaglich und begann zu essen.

Es war dunkel in der Höhle. Als aber Jon im besten Zuge mit seiner Mahlzeit war, hörte er mehrfaches Geheul aus der inneren Höhle. Er erschrak etwas darüber, ermannte sich aber bald wieder. Er suchte einen riesigen Fisch aus seinem Reisevorrat heraus, riss ihm die Haut herunter, so dass sie unbeschädigt blieb, strich dick Butter über den ganzen Fisch und breitete die Haut wieder darüber. Als er damit fertig war, schleuderte er den Fisch, soweit er konnte, in die Höhle hinein und sagte, dass diejenigen, die da hinten wären, sich vor dem in Acht nehmen sollten, was er ihnen schicke, wenn sie aber Lust dazu hätten, so könnten sie es gern behalten. Jon hörte bald, dass das Geheul aufhörte, und dass jemand begann, den Fisch zu zerreißen.

Als Jon mit seiner Mahlzeit fertig war, legte er sich zur Ruhe nieder und wollte nun schlafen. Da hörte er, wie es im Kies außerhalb der Höhle raschelte, und dass jemand mit schweren Tritten auf den Eingang zukam. Bald sah er, dass es eine große und dicke Riesin war, und es schien ihm, als leuchte ihre ganze Gestalt im Dunkel. Jon wurde bei diesem Anblick ungemütlich zumute. Als aber die Riesin durch die Tür der Höhle trat, sagte sie: „Er riecht nach Menschen in meiner Höhle.“ Darauf ging sie mit langen Schritten in die Höhle hinein und warf ihre Last auf den Boden. Es dröhnte so heftig, dass) die Höhle erzitterte. Da hörte Jon, dass die Alte mit jemand drin zu sprechen begann. Er hörte, dass sie sagte: „Das ist besser getan als ungetan, und es wäre schlimm, wenn es unbelohnt bliebe.“ Und er sah dann, dass sie sich mit einer Kerze näherte. Sie begrüßte Jon bei seinem Namen, dankte ihm im Namen ihrer Kinder und lud ihn zu sich in die Höhle. Er nahm die Einladung an; die Alte aber steckte ihre beiden kleinen Finger in die Ösen der Stricke, mit denen sein Gepäck zusammengebunden war, und trug es ebenfalls hinein. Als sie weiter nach hinten gekommen waren, sah Jon zwei Betten; in dem einen lagen zwei Kinder; dass waren die Kinder der Riesin, deren Geheul er kurz zuvor gehört hatte, und die den Fisch gegessen hatten. Auf dem Boden aber lag ein Haufen Forellen, die die Alte abends geangelt und auf dem Rücken nach Hause getragen hatte, und davon kam es, dass ihr Äußeres im Dunkel gefunkelt hatte. Die Alte fragte Jon, wo er lieber schlafen wollte, in ihrem Bett oder in dem der Kinder. Er zog es vor, in dem Bett der Kinder zu schlafen. Die Riesin bereitete dann den Kindern ein Lager auf dem Fußboden, bezog aber das Bett neu und sorgte für seine Schlafstelle. Jon legte sich schlafen, wachte aber davon wieder auf, dass die Alte ihm ein Gericht gekochter Forellen brachte. Er dankte ihr dafür, und während er aß, saß die Alte da und plauderte mit ihm und war ungemein munter. Sie fragte ihn, wo er zu rudern ge: dacht hätte. Das erzählte er ihr. Da fragte sie ihn, ob er schon einen Platz im Boot bei irgend jemand gefunden hätte. Jon erwiderte: „Nein.“ Da erzählte ihm die Alte, dass alle Bootplätze auf der Insel schon besetzt seien, so dass keiner mehr jemanden annehmen könnte, und dass er keine Wohnung finden würde, außer bei einem alten Fischer, der jetzt kaum eine Gräte aus dem Wasser angele, und nur ein fast unbrauchbares Boot besäße, dessen Mannschaft aus untauglichen Burschen bestände, weil er kein ordentliches Stück Mannsleute mehr bekommen könnte. „Ich rate dir,“ sagte sie, „dir einen Platz in dem Boot dieses Fischers zu mieten; er wird sich zwar sträuben, dich zu nehmen, du aber sollst nicht nachgeben, bis er darauf eingeht. Ich kann dich jetzt nicht so belohnen, wie ich müsste, für das, was du an meinen Kindern getan hast,“ fuhr die Riesin fort, „aber hier habe ich zwei Angelhaken, die ich dir schenken will. Den einen sollst du selbst, den andern aber der Alte haben. Immer sollt ihr beide allein beim Angeln sein; die Haken werden sich, wie ich hoffe, als fischtauglich erweisen. Immer sollt ihr als letzte von allen hinausrudern und ständig aufpassen, dass ihr als die ersten abends nach Hause kommt. Ihr sollt nicht weiter rudern als bis an den Felsen, der gerade vor dem Landungsplatz steht. Wenn du nun nach Landösand kommst, wirst du die letzten Boote fahrtbereit finden. Versuche, mit ihnen nach den Inseln zukommen, und binde deine Pferde am Strand zusammen, bitte aber niemanden, für sie zu sorgen und kümmere dich weiter nicht um sie. Ich werde im Winter ein bisschen für sie sorgen. Und wenn das Unwahrscheinliche geschehen würde, dass du im Winter Glück beim Fischen haben solltest, dann wäre es mir lieb, wenn ich deinen Pferden ein Pferd für mich folgen lassen könnte, um mir ein paar Fische zu holen; denn ich bin, wie ich dir verraten will, ein großes Leckermaul nach Dörrfisch. Diese Bitte versprach Jon zu erfüllen und in allen ihrem Rat zu folgen.

Am nächsten Morgen bei Tagesgrauen brach Jon von der Höhle auf und trennte sich in Freundschaft von der Riesin. Über seine Reise wird nichts gemeldet, bis er nach Landösand kam. Dort lagen die letzten Boote, die nach den Inseln hinaus sollten, fahrtbereit. Jon schirrte eiligst die Pferde ab und band sie am Strand zusammen, ohne jemand zu bitten, für sie zu sorgen. Darüber trieben die anderen Spott mit Jon und sagten, dass die Pferde sicher gut imstande sein würden, wenn die Fischzeit vorüber wäre. Jon kümmerte sich aber nicht um ihren Spott und tat, als wenn er nichts hörte und zog mit ihnen nach den Inseln hinaus. Als er dort ankam, suchte er sich einen Bootplatz, konnte aber nirgends einen finden, denn jeder hatte so viel Leute bekommen, wie er Platz hatte. Endlich kam er zu dem alten Fischer, an den die Alte ihn gewiesen hatte. Er bat ihn, ihn anzunehmen. Der Alte aber wollte sich darauf nicht einlassen und sagte, dass er solch einem flinken Mann keinen Schaden antun wolle. „Ich angle nie die kleinste Gräte aus dem Wasser,“ sagte der Alte, „und habe nur untaugliche, junge Burschen, die mein elendes Boot besorgen; ich kann nur bei bestem und ruhigstem Wetter hinausrudern, und es ist nicht verlockend für einen flinken Mann, sich an meine Untüchtigkeit zu binden.“ Jon fand, dass das sein eigener Schaden werden müsste, und er bettelte so lange bei dem Alten, bis er ihn schließlich annahm, und Jon zog bei ihm ein; die Leute aber fanden nicht, dass er Glück dabeigehabt hätte, einen Platz zu finden und verhöhnten ihn sehr.

Nun kam die Fischzeit. Eines Morgens erwachten Jon und der Alte davon, dass alle Fischer auf den Inseln bei schönstem, windstillstem Wetter hinausruderten. Da sagte der Alte: „Ich weiß nicht, ob ich auch versuchen soll, das Boot flott zu machen wie die andern. Ich glaube nicht, dass viel dabei herauskommt.“ Jon fand, dass keine Gefahr dabei wäre, es zu versuchen. Da zogen sie ihre Lederanzüge an und stießen vom Land ab. Als sie aber gerade gegenüber von der eigentlichen Landungsstelle waren, schien es Jon, als ob er den Felsen erkenne, von dem die Riesin gesprochen hatte. Er fragte daher den Alten, ob es nicht klug wäre, es hier zu versuchen. Der Alte war erstaunt und sagte, dass das keinen Sinn hätte. Jon bat ihn, ihm spaßeshalber zu erlauben, nur einmal seine Schnur an dieser Stelle auszuwerfen. Das ließ der Alte zu. Kaum aber hatte Jon die Schnur ausgeworfen, als er einen Fisch heraufzog. Da reichte er dem Alten den andern Angelhaken, das Geschenk der Riesin. In Kürze kann nun erzählt werden, dass sie an diesem Tage dreimal an dieser Stelle das Boot voll hatten, und dass auf jeden von ihnen sechzig Stück vorzügliche Fische kamen. Da ruderten sie ans Land, lange bevor die andern kamen, — und dann waren sie bald damit fertig, die Fische zu reinigen und zuzubereiten. Alle waren erstaunt, wie viele Fische der Alte gefangen hatte. Sie fragten ihn, wo es so viele gäbe, und er erzählte ihnen, wie es war. Tags darauf ruderten die Inselbewohner früh hinaus, angelten am Felsen, merkten aber nichts von Leben an dieser Stelle, weshalb sie wieder fortruderten, dann aber fuhren erst Jon und der Alte hinaus. Es ging ihnen genau wie am vorigen Tag. Es sind nicht viele Worte darüber nötig, dass Jon und der Alte den ganzen Winter nach dem Felsen hinausruderten, und dass jeder zwölfhundert fing, und von allen auf der Insel waren die beiden am meisten vom Glück begünstigt. Am vorletzten Tag ruderten sie zum letzten Mal hinaus, und da geschah es, als sie einmal die Leinen aufzogen, dass beide Angelhaken verschwunden waren, und soweit sie bemerkten, mussten sie losgemacht sein. Sie machten sich aber weiter keine Gedanken über diese Sache, sondern steuerten nach dem Land.

Nun ist zu erzählen, dass Jon mit dem Fisch nach dem Festlande zog und auf demselben Boot übergesetzt wurde, mit dem er im Herbst hinausgefahren war. Unterwegs spottete die Bootsmannschaft darüber, wie gut genährt seine Pferde nun wären, sie würden gewiss seine gedörrten Fische nach dem Nordland tragen können, meinten sie. Als sie sich aber dem Land näherten, sahen sie Jons Pferde am Strand aneinander gebunden stehen, genau wie er sie verlassen hatte. Nun waren die meisten neugierig und wollten sich die Pferde näher ansehen; sie waren aber nicht wenig überrascht, sie so feist zu finden, als wären sie den ganzen Winter über gemästet worden. Aber außer Jons Pferden stand noch ein Pferd da mit einem Saumsattel, braun von Farbe und schwer gebaut. Jons Genossen bekamen fast Angst vor ihm, denn sie hielten ihn für einen großen Zauberer, da er so glücklich geangelt hatte und seine Pferde in so gutem Stande waren, ohne dass jemand, so viel man wusste, für sie gesorgt hatte.

Jon band die gedörrten Fische auf die Pferde und lud ebenso viele auf das braune allein, wie auf seine beiden. Darauf ritt er allein nach Norden.

Nichts wird weiter von seinem Ritt berichtet, bis er an die Höhle der Riesin kam. Sie empfing ihn freundlich, und er blieb ein paar Tage bei ihr. Er gab ihr alle Fische, die der Braune getragen hatte. Sie plauderten über viele Dinge miteinander. Sie erzählte ihm, dass ihre Kinder im Winter gestorben wären, und dass sie sie unter dem Felsen neben ihrem Mann begraben hätte. Sie erzählte ihm auch, dass sie es gewesen sei, die ihnen die Haken von den Angelschnüren genommen hätte, als sie das letzte Mal ruderten, und dass sie gleichzeitig die Pferde an den Strand gebracht habe. Sie fragte Jon, ob er etwas von zu Hause gehört hätte, er aber erwiderte: „Nein.“ Da sagte sie, dass sie ihm berichten könne, dass sein Vater im Winter gestorben sei, und da er das einzige Kind wäre, würde er ja jetzt die Wirtschaft übernehmen. Er würde nun nach dem Hof ziehen und sich im Sommer eine Frau nehmen und ein sehr glücklicher Mann werden. Schließlich sagte sie, dass sie eine Bitte an ihn hätte. Jon fragte, was für eine Bitte das sei. Die Riesin sagte: „Ich habe nun nicht mehr viel Zeit übrig, und ich will dich bitten herzukommen, sobald du von mir träumst; denn ich will dich bitten, mich neben meinem Mann und meinen Kindern zu begraben.“ Dann zeigte sie ihm die Stelle, wo diese begraben waren. Sodann machte sie eine Seitenhöhle auf, in der zwei Truhen standen, die mit Gold und allerlei seltenen Schätzen gefüllt waren. Diese Truhen, sagte sie, sollte er von ihr erben, und das braune Pferd ebenfalls. Sie würde die Truhen schon zusammenbinden und hinaussetzen, ehe sie sterbe, und etwas darunter stellen, so dass er nur das Pferd dazwischen zu steuern und dann die Ösen über die Traghölzer am Saumsattel zu spannen brauche. Sie würde dem Braunen den Saumsattel schon auflegen, und er würde die Truhen mit Leichtigkeit tragen können, ohne dass er selbst nötig hätte, irgendetwas daran zu ändern, bis er nach dem Nordland käme. Dann trennten sich Jon und die Riesin mit großer Liebe voneinander. Von seiner Reise wird nun weiter nichts erzählt, als dass alles gut ging, bis er nach dem Nordland kam. Dort fand er alles, wie es die Riesin gesagt hatte, und alles geschah nach ihrem Wort. Jon übernahm die Wirtschaft seines Vaters und trat die ganze Erbschaft an, und früh im Sommer heiratete er eine Bauerntochter aus dieser Gegend. Nun ging es auf die Zeit, in der die Wiesen gemäht werden sollten, ohne dass etwas Neues geschah. Da träumte Jon eines Nachts von der Riesin. Sofort erinnerte er sich ihrer Bitte und stand aus dem Bett auf. Es war dunkle Nacht; draußen stürmte und regnete es. Jon bat seinen Knecht, seine beiden Reitpferde zu holen. Der Knecht gehorchte sofort, und Jon machte sich eiligst zu dem Ritt bereit. Seine Frau fragte ihm, weshalb er so plötzlich mitten in der Nacht und bei solchem Wetter fortwolle. Er wollte aber nichts darüber erzählen, bat sie jedoch, seinetwegen nicht unruhig zu sein, auch wenn er ein paar Tage fortbleiben würde. Dann zog er fort und ritt so schnell seine Pferde laufen konnten. Alles ging gut, und er kam an die Höhle. Die Riesin stand draußen und konnte nur noch ein paar Worte mit ihm sprechen. Er blieb bei ihr, bis sie ihre Seele ausgehaucht hatte und begrub sie dann an der Stelle, die sie selbst gewählt hatte. Darauf nahm er das braune Pferd, das mit dem Saumsattel dastand.

Vor der Höhle standen zwei Truhen mit Ösen daran. Jon steuerte das Pferd zwischen sie, legte die Stricke über die Sattelhölzer und zog dann mit allem fort. Der Ritt nach dem Nordland verlief glücklich. Jon blieb nun auf seinem Hof und wurde ein sehr reicher Mann. Er wohnte lange und zufrieden auf dem Hof, den er von seinem Vater geerbt hatte, hatte Erfolg in allem und genoss großes Ansehen bei allen Leuten.

Und so weiß ich nichts mehr von dieser Erzählung.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen