Guldbraa und Skegge

Hvam in den Tälern, der alte Hauptsitz der Sturlunger, liegt in einem nicht sehr breiten Tal. Ein Bach fließt durch das Tal, und gerade gegenüber Hvam, jenseits des Baches, liegt ein Hof, der Akur heißt; andere Höfe gibt es nicht in dem Tal. Akur ist früher bewohnt gewesen, auch wenn es so aussieht, als gehöre er eigentlich zum Besitztum von Hvam; denn schon in der Sturlungersage wird von Akur an der Stelle berichtet, wo Sturla seinen Traum erzählt und sagt, es schiene ihm, als wäre er am Abhang „gegenüber Akur“. Nach Guldbraa, die zuerst auf Akur gewohnt haben soll, sind mehrere Orte im Tal benannt worden, und über sie ist folgende Erzählung im Wests lande allgemein bekannt.

Audur, die Bodenreiche, nahm alles Land am Hvamsford in Besitz und wohnte später auf Hvam. Dort lebte sie, von großer Pracht und vielem Reichtum umgeben. Auf der östlichen Seite des Baches graste das Vieh, die Felder aber lagen gegen Westen im Tal und reichten bis zum Abhang hinauf. Diese Felder waren sehr fruchtbar, jedoch ließ Audur ein Stück der Erde brachliegen, wenngleich dies genau so fruchtbar wie der übrige Boden zu sein schien, und mit Strenge verbot sie ihren Knechten, je den ganzen südlichen Acker zu bebauen oder das Vieh dort weiden zu lassen, und wenn das einmal geschah, so durfte das Vieh beim nächsten Melken nicht benutzt werden.


Es geschah, als Audur, die Bodenreiche, sehr alt geworden war, dass einmal ein wunderschönes, junges Weib nach Hvam kam. Sie nannte sich Guldbraa, niemand aber wusste, wo sie herkam, oder aus welchem Geschlecht sie war. Sie traf die Hausfrau nicht selbst an, sondern nur ihren Hausmeister. Sie fragte ihn, weshalb die Felder südwärts des Baches nicht bebauet wären; er aber antwortete ihr, dass Audur verboten hätte, sie je zu bebauen. Da lachte sie laut und wollte dieses Land kaufen. „Ich will lieber den kleinsten Hügel davon haben als den ganzen Boden von Hvam; denn es ahnt mir, dass die Sitte hier allgemein, und das Haus gebaut werden wird, dass ich am meisten von allen hasse; gib mir deshalb sofort das Kaufrecht für das Land, ohne erst Audur zu fragen,“ sagte sie und reichte ihm einen Beutel, der mit Gold gefüllt war; da ihm aber das Gold gut gefiel und Audur das Regiment über den Hof außerdem aus der Hand gegeben hatte, nahm er das Gold und gab ihr das Kaufrecht.

Audur erhielt bald Kenntnis davon und verjagte ihren Hausmeister; sie sagte, dass er keinen Segen durch dieses Gold haben würde; denn es ahnte ihr, dass diese Guldbraa eine Hexe und ein schlimmer Gast sei; nun aber waren ihre Ahnungen von dem Lande südwärts des Baches in Erfüllung gegangen. „Jedoch wird das Glück dem Boden Hvams anhaften,“ sagte sie, „so dass das nichts schaden wird.“ Da kam der Hausmeister mit dem Beutel nach Hause und wollte ihn Audur geben, um sie zu besänftigen. Er band ihn auf, aber es wälzte sich ein großes Bündel Schlangen unter furchtbarem Gestank aus dem Beutel, und er verlor den Verstand und starb kurz darauf. Er wurde nebst dem Beutel in eine Spalte des Felsens gelegt, der auf dem Grund und Boden stand, den Guldbraa gekauft hatte, und seitdem heißt dieser Ort die Schlangenschlucht.

Audur ließ den Kauf zu Recht bestehen; aber alle Felder südwärts des Baches, unten vom See hinauf bis an eine tiefe Felsenkluft im Tal, ließ sie brachlegen; sie ließ drei Kreuze auf den Rand des Felsens setzen, weshalb diese Stelle später die Kreuzkluft genannt wurde, und sie sagte, dass Guldbraas Zauberkünste keine Macht über diese Kreuze haben würde, solange sie lebte. Guldbraa ließ auch niemanden diese Kreuze anrühren und hütete sich, ihr Vieh dort in die Nähe kommen zu lassen. Sie baute einen großen Hof auf ihrem Stück Land; da errichtete sie ein Opferhaus und nahm große Opferungen vor und übte viel Zauberei aus. Immer aber misslangen ihre Zauberkünste, wenn sie während derselben die Augen nach Hvam wendete; sie sagte, dass sie stets irgendwo auf dem Heimacker von Hvam ein großes Licht sehe, dessen hellen Schein sie nicht vertragen könnte; davon werde sie zerstreut und mache Fehler in ihrer Wissenschaft. Ein ähnlicher Glanz leuchtete ihr aus Audurs Kreuzen am Felsrand entgegen, jedoch glaubte sie nicht, dass diese ihr so gefährlich werden würden wie das Licht vom Heimacker. Nie begegneten sich Audur und Guldbraa, auch erlaubten sie nicht, dass sich ihr Gesinde über den Bach hinweg besuchte, und nie kam ihr Vieh zusammen. Audur war Christin, hatte aber keine Kapelle auf ihrem Hof; sie verrichtete ihre Ges bete auf Kroßholar; denn von dort aus konnte man das Opferhaus auf Akur nicht sehen. Bevor sie starb, bestimmte Audur, dass sie nicht in ungeweihter Erde liegen wolle; sie sagte aber, dass sie sich vor den Gewalttätigkeiten der Heiden fürchte und bat darum, neben dem Flutmesser bestattet zu werden. Jetzt heißt der Ort, an dem sie liegt, der Audurstein, und er ist noch heutigen Tages ein Strandzeichen im Hvamsfjord; da sagt man nämlich bei starker Strömung, die See sei entweder halb gestiegen oder gefallen, wenn sie sich am Audurstein bricht.

Guldbraa wohnte nicht lange auf Akur nach dem Tode Audurs; denn obgleich ihre Macht dadurch zu: nahm, dass das Heidentum allgemein wurde und die Hvamsleute heidnischen Gottesdienst und Opferuns gen auf Kroßholar abzuhalten begannen, konnte sie doch keine Ruhe finden, da Audurs Grab am Flut: messer unterhalb ihres Besitztums lag und sich ihre Kreuze über ihr, an der Kluft auf dem Felsenrand bes fanden. Da war sie schlimm daran, und darum überließ sie den Hvamsleuten das Akurland, nahm aber selbst den innersten Teil des Tales in Besitz. Da war es sehr finster, und die Sonne steht im Sommer dort tief, den größten Teil des Winters aber kommt die Sonne an der Südseite des Tales überhaupt nicht zum Vorschein. Sie wählte ihren Aufenthaltsort so weit wie möglich im Tal drin, wo es am schmalsten und dunkelsten war, und diese Stelle wird von jener Zeit an Guldbraas Hügel genannt.

Guldbraa wagte nicht, an den Kreuzen Audurs vorbei in das Tal hineinzuziehen, ehe sie sich mit ihrer Zauberei gestärkt hatte. Sie ging zu ihrem Opferhaus, und dort verweilte sie lange, unter seltsamem Gebahren; als sie herauskam, ließ sie sich die Augen verbinden. Eine Truhe, mit Gold gefüllt, nahm sie aus dem Opferhaus mit, und an ihrem Deckel ließ sie einen großen Ring anbringen, der in der Tür des Opferhauses befestigt gewesen war, stieg darauf zu Pferd und ritt mit der Truhe vor sich davon, indem sie den Ring festhielt, während ihr Hofknecht das Pferd am Zaum führte. Sie verbot ihren Leuten, je nach den Kreuzen am Abhang zu blicken. Aber als derjenige, der ihr Pferd am Zügel durch die Kreuzkluft führte, unversehens den Abhang hinaufblickte, blieb er ein Weilchen stehen, und da es schwer war, durch die Kluft zu kommen und Guldbraa das Pferd eifrig antrieb, stolperte es. Dabei fiel die Truhe vor ihr herunter, während Guldbraa nur den Ring in der Hand behielt. Darüber erschrak sie so, dass sie die Binde von den Augen riss, um zu sehen, was aus der Truhe geworden war; da aber fielen ihr die Kreuze am Felsenrand gerade in die Augen. Da schrie sie laut auf und sagte, dass sie ein unerträgliches Licht blende; sie gebot ihrem Hofknecht, ihr die Truhe zu reichen und mit aller Kraft vorwärts zu reiten. Aber den Ring, den sie zurückbehalten hatte, schleuderte sie weit von sich und sagte, dass sie es lange bereuen würde, ihn mitgenommen zu haben. „Das sehe ich nun hinterher,“ sagte sie, „dass der Ring für die Dinge bestimmt ist, die meinen Gedanken am meisten zuwider sind.“

Guldbraa setzte nun ihren Ritt fort. Aber als sie ein kleines Stück Weges von der Kluft fortgeritten war, bekam sie so heftige Augenschmerzen, dass sie, als sie Guldbraas Hügel erreichte, das Augenlicht verloren hatte. Dort verweilte sie nun eine kurze Zeit, blind und unter vielen Verdrießlichkeiten, bis sie in eine schwere Krankheit verfiel. Da rief sie ihre Hofknechte zu sich und befahl ihnen, sie an eine Schlucht zu bringen, in die sie sich hineingleiten lassen wollte. Sie sagte, dass sie liegen wolle, wo die Sonne nie zusehen und das Läuten der Glocken nie zu hören wäre. In diese Schlucht aber stürzt gegen Nord ein Wasserfall, und unter ihm befindet sich eine Höhle. Die Schlucht ist schwindelnd tief, und der Wasserfall lärmt und braust dort unten.

Guldbraa ging in die Höhle hinein und legte sich auf das Gold. Als sie in dem Wasserfall ein Spukgeist geworden war, vernichtete sie einen Hof auf Guldbraas Hügel; als es zu dunkeln begann, konnten weder Menschen, noch Tiere ihr Leben dort auf dem Hügel oder auf dem Abhang behalten, und die Schafhirten glaubten später, dort Spuk zu bemerken. Aber alles Gespensterunwesen hörte auf, sobald eine Kirche in Hvam gebaut worden war. Jetzt wird der Ort, an den Guldbraa sich hinbringen ließ, Guldbraas Schlucht und Guldbraas Fall genannt.

Der Ring von der Tür des Opferhauses befindet sich noch an der Kirchentür zu Hvam. Es ist ein großer Bronzering, dessen Handgriff stark abgenutzt ist; unter der Kramme befindet sich eine uralte Kupferplatte, auf der in erhöhter Arbeit zwei Männer in Waffenkleidung mit dem Helm auf dem Kopf und dem Schwert an der Seite und mit kurzem Panzer bekleidet zu sehen sind. Der eine jagt dem andern einen Speer in die Brust, der am Rücken wieder heraustritt.

Es wird in der Sage vom Christentum und an mehreren Orten erzählt, dass der Priester Thangbrand, als er in den Westfjorden umherzog, auch nach Hvam kam. Seine Predigt fand dort nur widerwillige Ohren. Die Hausfrau kam nicht heraus, sondern blieb drin und opferte, während ihr Sohn Skegge unterdessen Thangbrand und seine Männer verhöhnte.

Von diesem Skegge wird erzählt, dass er lange in Hvam gewohnt und den heidnischen Glauben sehr gestärkt habe. Er war selbst ein Zauberer und ein Heide von Kopf bis zu Fuß, genau wie seine Mutter. Aber trotzdem war er kein so großer Zauberer, dass er Guldbraas Spuken bewältigen konnte. Oft tötete sie ihm die Hirten und das Vieh, wenn sie nach Guldbraas Hügel kamen. Das gefiel Skegge nicht, um so weniger, als er immer Lust gehabt hatte, Guldbraas Truhe aus dem Wasserfall heraufzuholen. Er sagte, was ja auch wahr war, dass sie besser bei ihm als bei ihr, dem toten Geist, aufgehoben sei.

Eines Tages zog er bei schönem Wetter ausgerüstet hinaus, um im Guldbraas Fall hineinzusteigen. Der Weg durch das Tal war weit, und es begann zu dunkeln, ehe er den Wasserfall erreichte. Zwei Hofknechte, die die Stricke halten sollten, begleiteten ihn. Skegge glitt in den Fall hinein, und es dauerte nicht lange, bis die Knechte ein starkes Gepolter, Donnern und anderen Lärm hörten; es hörte sich an, als wenn ein schwerer Kampf unter dem Wasserfall stattfände; es wurde ihnen Todesangst, und es hätte nicht viel gefehlt, dass sie fortgelaufen wären; da aber gab ihnen Skegge ein Zeichen, dass sie die Stricke hochziehen sollten. Das taten sie; aber als Guldbraas Truhe bis an den hervorspringenden Rand der Schlucht gekommen war, sahen sie sich unwillkürlich um, und es schien ihnen, als stände das ganze Tal bis nach Hvam hinunter in hellen Flammen, so dass die Flammen sich von Fels zu Fels verbreiteten. Da entsetzten sie sich so, dass sie von den Stricken fortliefen, und die Truhe fiel zurück in den Fall. Als sie von dem Hügel herabgestiegen waren, sahen sie nichts Außergewöhnliches, trotzdem aber hielten sie erst im Laufen inne, als sie das Haus erreicht hatten. Skegge kam erst viel später, übel zugerichtet; denn er war blau und blutig. Er trug einen großen, mit Gold gefüllten Kessel auf dem Arm; den hatte er mit Gold aus Guldbraas Truhe gefüllt, und er hatte sich mit den Händen aus der Schlucht emporgeschwungen. Der Kampf zwischen Guldbraa und Skegge war hart und lang gewesen, aber Guldbraas Gespensterwesen hatte er nicht zu vernichten vermocht; denn nie war es so schlimm gewesen wie nach dieser Zeit. Sie tötete Skegge einen Hirten nach dem andern, und schließlich konnte er niemanden mehr als Viehhirten bekommen: denn alle, die es wurden, starben.

Skegge war nach seinem Besuch in der Schlucht nicht mehr der Alte; sowohl die Folgen des Kampfes, wie der Tod seiner Hirten packten ihn so schwer, dass er sich zu Bett legen musste. Aber als es so weit gekommen war, dass sich niemand mehr bewegen ließ, das Vieh zu hüten, stand Skegge eines Tages auf und ging zu seinen Schafen. Tag und Nacht vergingen, ohne dass Skegge wiederkam, aber spät am nächsten Tage kam er nach Hause, mehr tot als lebendig; denn niemand hatte gewagt, nach ihm zu sehen. Da trug er Guldbraas Truhe auf dem Rücken. Er sagte, dass ihr Spuk jetzt keinen Schaden mehr anrichten würde, dass er selbst ihr aber wohl folgen müsse. Er ging darauf wieder zu Bett und stand nicht mehr auf. Er wünschte vor seinem Iod, dass das Gold, das im Kessel war, zum Ankauf von Kirchenbaumaterial verwendet wer: den möge, so dass eine Kirche in Hvam erbaut werden könnte. Er sagte, dass er, als er das erste Mal in den Wasserfall gestiegen wäre und mit Guldbraa gerungen hätte, seinem Freund Thor ein Versprechen gegeben habe; der habe ihn jedoch getäuscht; das letzte Mal aber hätte er, als er sich in noch größerer Gefahr befand, das Versprechen gegeben, Geld zu stiften, um eine Kirche in Hvam zu bauen, wenn er aus Guldbraas Krallen errettet würde. Da aber hätte eine starke Flamme in ihren Augen aufgeleuchtet, und ehe er das Wort gewusst habe, sei sie da unten in der Schlucht zu Stein geworden. Und heute noch ist der Geist in Guldbraas Fall zu sehen.

Trotzdem aber wollte Skegge sich nicht bekehren oder sich neben der Kirche zu Hvam begraben lassen; dagegen gebot er, dass man ihn in einen Hügel auf der nördlichen Seite des Heimackers legen sollte. Das wurde getan, und Guldbraas Truhe wurde ihm unter den Kopf gelegt. Dort steht noch jetzt ein großer Stein, der der Skeggestein heißt. Das Tal, nach dem er gerichtet ist, heißt das Skeggetal, und Guldbraas Hügel liegt gegen Süden in diesem Tal.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen