Gilitrutt

Unter den Inselfelsen im Ostland wohnte einmal ein junger Bauer. Er war ein fleißiger und strebsamer Mann. Gute Weideplätze lagen um sein Haus herum, und er hatte viele Schafe. Zur Zeit dieser Erzählung hatte er sich eben verheiratet. Seine Frau war jung, aber untauglich und faul. Nichts mochte sie tun, und sie kümmerte sich nur wenig um die Wirtschaft. Dem Manne gefiel das gar nicht, er konnte aber nichts daran ändern.

Im Herbst gab er ihr eine Menge Wolle und bat sie, während des Winters Stoff daraus zu weben, die Frau aber gab ihm keine gerade, freundliche Antwort darauf; und es ging zum Winter, ohne dass sie die Wolle anrührte, obwohl der Mann sie häufig daran erinnerte.


Einmal kam ein ziemlich hochgewachsenes, altes Weib zu der Frau und bat um eine kleine Gabe. „Kannst du als Entgelt etwas für mich arbeiten?“ fragte die Frau. „Das könnte ich schon tun,“ sagte das Weib, „was aber sollte das wohl sein?“ „Wolle zu Stoff weben,“ sagte die Frau. „Gib sie her,“ sagte die Alte, worauf die Frau einen ungeheuer großen Wollsack holte und ihn ihr gab. Die Alte nahm den Sack, warf ihn sich auf den Rücken und sagte: „Das Zeug werde ich dir am ersten Sommertag bringen.“ „Was für eine Bezahlung willst du dafür haben?“ fragte die Frau. „Nicht viel,“ sagte die Alte, „du sollst mir meinen Namen beim drittenmal Raten nennen, dann sind wir quitt.“ Das versprach die Frau zu tun, und die Alte ging ihres Weges.

Der Winter schwand, und der Bauer fragte seine Frau häufig, was denn aus der Wolle geworden wäre. Sie erwiderte, das ginge ihn nichts an, er würde es aber am ersten Sommertag erfahren. Der Mann sprach dann nicht weiter davon, und man gelangte in die letzten Winterwochen hinein. Da begann die Frau, über den Namen der Alten nachzudenken, sah aber nicht den geringsten Ausweg, ihn erfahren zu können. Darüber wurde sie traurig und schwermütig. Der Mann sah, dass eine Veränderung mit ihr vorgegangen war und wollte wissen, was ihr fehlte, und sie erzählte ihm alles. Da wurde ihm Angst, und er sagte, dass sie übel gehandelt habe; denn das wäre gewiss eine Hexe, die vor hätte, sie zu holen.

Einmal, als der Bauer oben unter den Felsen wanderte, stieß er auf einen großen Kieshügel. Er war gerade mit seinen Sorgen beschäftigt und wusste kaum, was er anfangen sollte, da hörte er ein paar Schläge unten in dem Hügel. Er ging dem Geräusch nach und kam an eine Spalte und sah dort, dass da unten ein übermenschlich großes Weib saß und webte. Sie hatte das Zeug zwischen den Beinen und schlug ohne Unterlass darauf. Sie summte vor sich hin: „Hi, hi und ho, ho! Die Hausfrau weiß nicht, wie ich heiße: hi, hi und ho, ho! Gilitrutt heiße ich, ho, ho! Gilitrutt heiße ich, hi, hi und ho!“ Damit fuhr sie bis ins Unendliche fort und schlug eifrig auf das Zeug. Der Bauer war froh, denn er dachte, dass das die Alte sein müsste, die seine Frau im Herbst besucht hatte. Er kehrte heim und schrieb den Namen „Gilitrutt“ auf einen Zettel. Seine Frau aber ließ er nichts davon wissen, und so kam der letzte Wintertag. Die Hausfrau war sehr kummervoll und zog sich den Tag über nicht an. Da ging der Bauer zu ihr und fragte sie, ob sie den Namen ihres Arbeitsweibes wüsste; sie aber antwortete: „Nein,“ und sagte, dass sie sich nun zu Tode grämen müsste. Der Bauer sagte, dass sie das nicht brauchte; er gab ihr den Zettel mit dem Namen und erzählte ihr, wie alles zugegangen war. Sie nahm den Zettel, zitterte aber vor Furcht: denn sie hatte Angst, dass der Name vielleicht falsch sein könnte. Sie bat ihren Mann, bei ihr zu bleiben, wenn die Alte käme, er aber sagte: „Nein, da du ihr allein die Wolle gegeben hast, so ist es auch am besten, dass du allein ihr den Lohn gibst,“ und darauf verließ er sie.

Nun kam der erste Sommertag. Die Frau lag in ihrem Bett, sonst aber war kein Mensch auf dem Hof. Da hörte sie heftiges Poltern und dröhnende Schritte unter der Erde. Die Alte erschien, und sie sah nicht gerade sehr anmutig aus. Sie warf einen großen Ballen Wollstoff auf den Fußboden und sagte: „Wie heiße ich also, wie heiße ich also?“ Die Frau, die vor Angst mehr tot als lebendig war, sagte: „Signy.“ „So heiße ich, so heiße ich, rate noch einmal, Hausfrau!“ sagte die Alte. „Asa,“ erwiderte die Frau. „So heiße ich,“ sagte die Alte, „so heiße ich, rate noch einmal, Hausfrau!“

„Du heißt doch nicht Gilitrutt?“ fragte da die Frau. Als die Alte das hörte, erschrak sie so sehr, dass sie der Länge nach zu Boden fiel und ein furchtbares Gepolter machte. Dann erhob sie sich wieder, ging fort und wurde nie wiedergesehen. Die Frau freute sich nun über alle Maßen, von diesem Ungeheuer so billigen Kaufes losgekommen zu sein, und wurde nun ein ganz anderer Mensch. Sie wurde fleißig und pünktlich und wirkte später ihre Wolle immer selbst.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen