Die Schuhe aus Menschenhaut

Auf einem Hof wohnte einmal ein Bauer, über den allerlei Gerüchte im Umlauf waren. Er hatte einen schlechten Ruf wegen der Behandlung seines Gesindes, und lange blieb kein Knecht bei ihm, ob es nun von der schlechten Kost oder der schlechten Behandlung kam, oder davon, dass zu viel Arbeit von ihnen verlangt wurde. Schließlich ging es so weit, dass sich niemand als Knecht bei dem Bauern verdingen wollte, und bei einem Haar musste er die ganze Knechtearbeit allein ausführen.

Einmal geschah es, dass ein junger Mann im Ort, der keinen festen Dienst hatte, obgleich er ein tüchtiger Mensch war, den Bauern besuchte. Der empfing ihn mit offenen Armen, lud ihn in seine Stube ein und ließ sich mit ihm in einen Schwatz über die verschiedensten Dinge ein. Da kamen sie auch auf Gesindeverhältnisse zu sprechen, und schließlich schlug ihm der Bauer vor, das nächste Jahr als Knecht bei ihm zu bleiben. Der Mann aber wollte nur ungern darauf eingehen, des schlechten Rufes wegen, der an dem Bauern haftete. Der Bauer bat ihn jedoch, den Dienst anzunehmen, und wenn es nicht für länger wäre, als bis er ein Paar Schuhe abgenutzt hätte. Der Mann dachte bei sich, dass die Schuhe immerhin vergänglich seien, und dass sie sich schließlich abnutzen müssten, und dass er also nur für kurze Zeit und nicht fürs ganze Leben bei dem Bauern bliebe, und das Ende vom Liede war, dass er dem Bauern sein Wort gab.


Im nächsten Frühjahr zur Kreuzmesse kam der Knecht, und der Bauer gab ihm ein Paar neue, nicht sehr feste Schuhe, indem er ihm sagte, wenn er die Schuhe abgetragen habe, dann solle seine Dienstzeit aus sein, falls er es wünsche; das aber machte der Bauer zur Bedingung, dass der Knecht jedes Mal ein Paar andere Schuhe anzöge, wenn er zur Kirche ginge, und darauf ging der Knecht willig ein.

Nun verging eine lange Zeit, und nach Verlauf eines Jahres war noch nicht mehr Abnutzung an den Schuhen zu sehen, als wenn er sie gestern angezogen hätte. Da wurde er sehr bedrückt, sein Versprechen gegeben zu haben, hielt es jedoch für eine Schande, es zu brechen und fortzugehen, obwohl das Leben bei dem Bauern leidig und unangenehm war. Er blieb deshalb noch das nächste Jahr bei ihm, aber auch jetzt war keine besondere Abnutzung an den Schuhen zu bemerken, obgleich er während dieser beiden Jahre keine anderen angezogen hatte, außer wenn er zur Kirche ging. Der Knecht wunderte sich darüber sehr und konnte sich schon denken, dass dies nicht mit rechten Dingen zuging, wusste jedoch nicht, was für ein Zauberkniff gegen ihn angewendet würde.

Eines Sonntags, als er das dritte Jahr begonnen hatte, blieb er zu Hause und ging nicht in die Kirche; darum erhielt er auch keine Kirchenschuhe, wie es sonst der Fall war, wenn er in das Gotteshaus ging. Als sämtliche Leute, und der Bauer auch, zur Kirche gegangen waren, begann der Knecht über seine Lage nachzudenken, und wann wohl diese Sklaverei bei dem Bauern aufhören würde. Während er in solchen Gedanken dasaß, kam ein fremder Mann zu ihm herein. Dem Fremden fiel es gleich auf, dass der Knecht sehr kummervoll war, und er fragte ihn deshalb, was ihm denn fehle, und weshalb er heute nicht mit den übrigen Leuten des Hofes zur Kirche gegangen sei. Der Knecht erwiderte, dass er keine rechte Lust dazu gehabt hätte, er säße nun hier und dächte an seine Widerwärtigkeiten. Der Fremde sagte, dass es keine Entschuldigung für ihn sei, von der Kirche fortzubleiben, wenn er sich für einen schwergeprüften Mann hielte; denn jeder Mensch habe sein Kreuz zu tragen, und seine Widerwärtigkeiten würden ihm wohl dadurch nicht leichter werden, dass er es unterließe, zur Kirche zu gehen; er sollte deshalb gleich dorthin wandern, denn noch wäre der Tag nicht so weit verstrichen, dass er nicht früh genug zum Gottesdienst kommen könnte; außerdem wäre heute etwas später angefangen worden, da sich der Gottesdienst durch eine Beerdigung, die vorher stattgefunden hätte, etwas verspätet habe. Der Knecht sagte, dass er nicht gehen könnte, da ihm die Kirchenschuhe fehlten. Der Fremde antwortete, dass er ja mit den Schuhen gehen könnte, die er an den Füßen hätte. „Nein,“ erwiderte der Knecht, „ich habe versprochen, nie mit ihnen zur Kirche zu gehen, wie lange ich auch in diesem ausgezeichneten Dienst bleibe, und für jeden Kirchgang habe ich immer andere Schuhe bekommen; aber heute früh wollte ich keine haben, da ich nicht mitgehen wollte.“ Der Fremde fragte ihn, wie lange er denn schon in diesem Dienst sei. „Viel zu lange,“ erwiderte der Knecht mit einem Seufzer, „das dritte Jahr hat schon angefangen.“ „Gefällt dir der Dienst nicht?“ fragte der Fremde. „Nein, gar nicht,“ antwortete der Knecht, »es ist mein größtes Unglück, dass ich schon so lange hier bin.“ „Was hält dich denn hier?“ fragte der Fremde. „Mein Versprechen,“ erwiderte der Knecht, und dann erzählte er, wie alles gekommen war. Als der Fremde seine Erzählung mit angehört hatte, sagte er, dass er sofort zur Kirche und zwar gerade in den Schuhen, die er anhätte, wandern und schnurstracks nach dem Grabe gehen sollte, das heute ausgeworfen worden sei; dann solle er die Schuhe in die geweihte Erde stecken und abwarten, wie es gehen würde, denn die Schuhe, die er nun das dritte Jahr an den Füßen trüge, wären aus dem Rückenstreifen der Haut eines alten Weibes, und die würden halten, auch wenn er sie bis in alle Ewigkeit hätte, wenn es sein Los sei, so alt zu werden. Der Knecht dankte dem Fremden für seinen guten Rat, bot ihm Lebewohl und lief fort zur Kirche. Als er auf den Kirchhof kam, merkte er, dass die Schuhe an den Nähten aufplatzten; sobald er aber mit ihnen in die Erde getreten war, lösten sie sich an seinen Füßen auf, so dass nichts weiter übrigblieb als die Einfassung und die Spannbänder. Mit diesen übriggebliebenen Fetzen auf dem Spann ging er in die Kirche hinein, wo der Pfarrer gerade auf die Kanzel getreten war. Als der Gottesdienst vorbei war, ging der Knecht zu dem Bauern und zeigte ihm, in was für einem Zustande sich die Schuhe nun befänden, dass nichts von ihnen übrig wäre als die bloße Einfassung, und gleichzeitig damit kündigte er ihm den Dienst.

Der Mann sagte dazu weiter nichts als die Worte: „Also bist du heute nicht umsonst von der Kirche fortgeblieben!“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen