Die Brüder

In den Tälern wohnten zwei Brüder, Thord und Andreas, die Söhne Andreas’, die, wie es den Leuten schien, beide ein hitziges Gemüt hatten. Im Winter 1820 begaben sie sich nach Hjallasand, um dort Fische zu fangen. Sie waren damals in die Zeit des Mannesalters gelangt, waren aber immer noch unverheiratet. Beide waren in Liebe zu demselben Mädchen entbrannt, und dieser Umstand zerstörte das brüderliche Verhältnis zwischen ihnen.

Früh im Winter litt das Boot, in dem sich Andreas befand, Schiffbruch, und er ging mit ihm unter. Nun bekam sein Bruder freiere Hand für seine Werbung, worüber er sehr froh war, und er besuchte das Mädchen offener, als er es bisher getan hatte.


Es verging einige Zeit, ohne dass etwas geschah. Aber eines Abends ging Thord in der Dunkelheit allein den Weg von Ingjaldshol entlang, und als er nach Hjallasand, nicht weit von seiner Bude, Storedumpa, gekommen war und gerade auf die Tür der Bude zugehen wollte, sah er, dass ein Mann vom Boot heraufkam, der ihm in den Weg treten wollte. Thord eilte zur Tür, und da war ihm der andere gerade auf den Fersen. Thord sah sich den Mann an und erkannte in ihm seinen Bruder Andreas: er war entsetzt, stürmte in die Bude hinein und auf den Boden hinauf, vergaß aber, die Tür hinter sich zu schließen. Auf dem Boden der Bude waren die Betten derart aufgestellt, dass an dem einen Ende das Bett des Bauers Thomas stand, an dem gegenüberliegenden Ende ein Bett für drei Fischer, während Thords Bett mitten an der Seitenwand gegenüber dem Aufgang stand. Als Thord auf den Boden kam, war es dunkel, und die Leute schliefen in der Finsternis. Der Bauer Thomas erwachte von ihren Schritten. Thord setzte sich auf sein Bett, und gerade, als er sich gesetzt hatte, hörte Thomas ihn sagen: „Glaubst du, dass ich Furcht habe, dir in die Augen zu sehen?“ In demselben Augenblick aber entstand ein furchtbarer Tumult, und Thord flog wie eine abgeschossene Kugel nach dem Bett der Fischer hinüber, über sie hinweg und an der Wand empor, und sie erwachten von einem bösen Traum. Im Handumdrehen aber riss das Gespenst Thord mit sich und zerrte ihn am Fußboden entlang und die Leiter hinunter. Der Bauer Thomas zündete Licht an und bat die Fischer, Thord, dem es so schlecht erging, zu helfen, und sie liefen alle mit ihm vom Boden hinunter. Da floh das Gespenst, Thord aber lag wie tot unten im Gang und schwamm in seinem Blut. Sie hoben ihn auf und trugen ihn auf sein Bett, wachten die ganze Nacht bei ihm und pflegten ihn mit großer Sorgfalt. Sein Körper war schlimm zugerichtet, blau und geschwollen, und er kam vor der Dämmerung des nächsten Morgens nicht zur Besinnung. Er lag lange krank, erholte sich jedoch schließlich, im Winter aber musste jede Nacht Licht bei ihm brennen, damit das Gespenst nicht wiederkommen sollte.

Im nächsten Winter nahmen ein paar Fischer in der Bude bei Thomas in Dumpa Dienste. Einer von ihnen hieß Sigurd Sigurdsson und stammte aus Bredevig im Kreis Barderstran. Er war 21 Jahre alt und für einen so jungen Mann groß von Wuchs und im Besitz guter Kräfte. Er erhielt das Bett, das an dem einen Ende des Bodens stand, und darin wurde noch einem Fischer ein Platz angewiesen.

Etwas später kam Thord Andreasson, und Thomas bat dann Sigurd, ihn als Bettgenossen für den Winter anzunehmen. Sigurd, der nicht wusste, was im vorigen Winter geschehen war, erfüllte das Verlangen des Bauern gern, und als sie zu Bett gingen, lag Sigurd außen, Thord aber an der Wand. Als sie aber eingeschlafen waren, träumte Sigurd, dass ein Mann mit erschreckendem Äußeren zu ihm käme und sagte: „Ich werde dich dafür belohnen, dass du vor meinem Bruder liegst, so dass ich ihm nicht nahekommen kann.“ „Was willst du von ihm?“ fragte Sigurd. „Ich will ihn ermorden,“ sagte der andere, „Ach so,“ sagte Sigurd, „weiter willst du nichts von ihm?“ Da schien es Sigurd, als greife der andere ihn an; sie packten einander, und das Ende war, dass der Angreifer fiel. Sigurd erwachte und kroch dann auf allen Vieren auf dem Fußboden vor dem Bett entlang.

Die nächste Nacht träumte Sigurd genau dasselbe; jedoch schien es ihm diesmal schwieriger als gestern zu sein, das Gespenst zu überwältigen, und dieser Kampf endete so, dass Sigurd davon erwachte, dass seine Bettgenossen ihn dicht an der Bodenluke festhielten. Sie hatten geglaubt, dass er im Schlaf wandle und wollten ihn daran verhindern.

Die dritte Nacht träumte Sigurd, dass er am Boot unten am Wasser stände, und dass derselbe Mann käme und ihn mit großer Erbitterung überfiele; und lange rangen sie miteinander, Sigurd aber trug doch schließlich den Sieg davon; ihm träumte, dass er das Gespenst erlegte, worauf er ein Schwert in die Hand nahm und seinen Gegner damit in Stücke hieb. Und so hörte das Gespenst mit seinen Angriffen auf.

Sigurd blieb den Winter über in Dumpa und schlief neben Thord, und nie träumte ihm nach dieser Zeit von seinem Kampfgegner, der den ganzen Winter hindurch seinem Bruder Thord keinerlei Schaden durch sein Spuken zufügte.

Viele Jahre später begegneten sich einmal Thord und Sigurd und sprachen von dem Gespenst. Es hatte Thord niemals mehr überfallen, seitdem Sigurd es besiegt hatte. Thord überlebte seinen Bruder Andreas um ungefähr 20 Jahre, nie aber gelangte er nach ihrer Begegnung in der Bude wieder zu seinen alten Kräften. Er ist später durch das Eis auf Hvidaa im Borgarfjord eingebrochen und ertrunken. Er befand sich damals auf einer Reise nach dem Südland, wohin er zum Fischen zog, und führte drei Pferde mit Packung mit sich, die alle mit ihm ertranken.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen