Der dankbare Rabe

Es wird erzählt, dass einmal einige Höfe in Vatnsdal auf dem Nordland durch einen Bergsturz, der vom Vatnsdalberg kam, vernichtet wurden. Unter diesen Höfen war einer, der Guldberastad hieß. Die Tochter des Bauern auf Guldberastad hatte die Gewohnheit, immer, wenn sie aß, ihre Speise mit dem Hofraben zu teilen. Als sie ihm einmal, wie sie es zu tun pflegte, die Speise, die sie ihm geben wollte, zum Fenster hinausreichte, wollte sie der Rabe nicht nehmen. Das Mädchen wunderte sich darüber, und dann ging sie hinaus mit ihr. Der Rabe kam dicht an sie heran, wollte aber trotzdem die Speise nicht nehmen, obgleich er die ganze Zeit über zeigte, dass er Appetit hatte, so dass das Mädchen ihn bis auf den Heimacker verfolgte, ein kurzes Stück Weges vom Hof. Kaum aber waren sie dort hingelangt, als das Mädchen starkes Getöse oben vom Berge hörte, und plötzlich kam ein Bergsturz von dort herab; er lief zu beiden Seiten des Raben und der Bauerntochter vorbei und berührte die Stelle, auf der sie standen, nicht. Dagegen ging die Lawine über den Hof hinweg und vernichtete ihn mit allem, was da war, Lebendigem und Totem. So belohnte der Rabe die Bauerntochter für die Speise, die sie ihm gegeben hatte.

Die Ursache aber, dass der Bergsturz nicht über die Stelle hinwegrollte, wo der Rabe und das Mädchen standen, war die, dass Bischof Gudmund der Heilige einmal auf seiner Durchreise sein Zelt an diesem Ort aufgeschlagen hatte. Ehe er aber von dort aufbrach, weihte er den Zeltplatz, wie er es oft zu tun pflegte, und deshalb konnte an dieser Stelle niemand von einem Unglück betroffen werden.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen