Der Südfahrer-Asmund

Ein Mann hieß Asmund. Sein Geschlecht stammte aus dem Skagefjord. Ein flinker Mann war er und tüchtig zu jeder Arbeit, und zur Zeit dieser Erzählung war er ungefähr zwanzig Jahre alt. Jeden Winter zog Asmund südwärts, wie er zu tun pflegte, und seine Genossen folgten ihm. Sie verbrachten die Nacht auf Melar im Hrutafjord, von wo aus sie am nächsten Morgen nach der Heide hinaufzureiten gedachten. In der Nacht aber verfiel Asmund in eine schwere Krankheit, und seine Begleiter warteten den Tag über auf ihn. Asmund sagte, dass sie weiterziehen sollten, er würde schon nachkommen. Da zogen sie fort, Asmund aber blieb zurück.

Am folgendenTage war Asmund wieder vollkommen gesund, und darum bracher auf. Es war schönes Wetter; als er aber nach Süden kam und mitten auf der Heide war, erhob sich ein starkes Schneetreiben, und Asmund sah nicht, wo er ritt. Er verlor den Weg, und als er das merkte, nahm er die Bündel von seinen Pferden und grub sich in eine Schneewehe ein und benutzte seine Bündel als Tür für die Schneehütte. Die Pferde koppelte er zusammen. Dann ging er in die Schneehütte, in die der Leeseite ein Loch gegraben hatte, um nach dem Wetter auslugen zu können. Sodann holte er seine Reisekost hervor und fing an zu essen. Aber gerade als er seine Mahlzeit begonnen hatte, kam ein torfbrauner Hund an das Loch in der Schneehütte und grub sich hindurch. Der Hund sah sehr bissig und wütig aus, wurde aber bei jedem Bissen, den Asmund schluckte, noch grimmiger. Der Hund begann, Asmund zu missfallen, und dieser holte einen Keulenknochen von einem sehr großen Schaf hervor und gab ihn ihm. Der Hund nahm den Knochen und lief sofort hinaus mit ihm. Nach einem Weilchen aber kam ein hochgewachsener, ältlicher Mann an die Tür der Schneehütte. Er sprach Asmund an und dankte ihm für sein Hündchen.


„Oder bist du nicht der Südfahrer-Asmund?“ fragte der Fremde. „So nennt man mich,“ antwortete Asmund. „Ich gebe dir auf, zwischen zwei Dingen zu wählen,“ sagte der Mann, „entweder folgst du mir, oder das Unwetter beruhigt sich nicht, bevor du tot bist. Denn das sollst du wissen, dass ich es bin, der das Unwetter heraufbeschworen hat, und ich bin daran schuld, dass du krank geworden bist, denn ich wollte mit dir sprechen, weil ich keinen tüchtigeren und mutigeren Mann kenne als dich.“ Asmund wurde es heiß um die Ohren, und er begriff, dass hier nur eins zu tun war, ob es ihm recht war oder nicht. Er sagte dann, dass er lieber mit ihm ziehen als sein Leben in der Schneewehe lassen wollte.

„So komm mit,“ sagte der Mann. Asmund brach nun mit ihm auf; das Schneetreiben hatte aufgehört, und es war schönes Wetter geworden. Der Mann ging voraus, Asmund aber folgte ihm mit den Pferden. Welchen Weg er ging, wusste er nicht, so irregeführt worden war er. Als sie eine Zeitlang geradeaus gewandert waren, kamen sie in ein kleines Tal. Ein Bach lief mitten durch das Tal, und Asmund war erstaunt, dass die Erde auf der einen Seite des Baches rot war, während auf der anderen Seite jedes Fleckchen weiß vom Schnee war. Auf jeder Seite des Baches sah er einen Hof. Sie gingen nach dem Haus, das auf der zugeschneiten Seite lag. Der Alte nahm die Pferde, zog sie in den Stall und fütterte sie. Dann führte er Asmund in das Haus und in die Badstube. Hier erblickte Asmund ein altes Weib und ein junges, ziemlich hübsches Mädchen, andere Leute aber sah er nicht. Nachdem er sie begrüßt hatte, wies ihm der Alte einen Sitzplatz an. Als aber eine kleine Weile verstrichen war, gingen sie hinaus, der Alte und das Mädchen, und Asmund und das Weib blieben allein zurück. Die Alte saß die ganze Zeit da und murmelte leise vor sich hin: „Es ist ein rechter Jammer, — ohne Tabak zu sein.“ Asmund holte ein Stück Tabak aus der Tasche und warf es der Alten zu. Sie fing es auf und freute sich über das Geschenk.

Dann kamen sie herein, der Alte und das Mädchen, und sie brachten Asmund etwas zu essen. Asmund aß, und der Alte stand die ganze Zeit bei ihm und war sehr vergnügt. Als Asmund gegessen hatte, ging das Mädchen wieder hinaus, von dem alten Mann gefolgt. Jetzt glaubte Asmund, dass sie beratschlagten, wie sie ihn umbringen könnten. Bald darauf kam der Alte zurück und bat Asmund, sich zur Ruhe zu begeben. Das wollte er gern, und der Alte führte ihn in eine Kammer, in der ein aufgedecktes Bett stand. Der Alte wünschte ihm Gute Nacht und ging, das Mädchen aber zog Asmund die nassen Kleider aus. Als sie seine Strümpfe und Schuhe nahm, um sie wegzutragen, bat er sie, das nicht zu tun, denn er fürchtete, es könnte Verrat dahinterstecken. Das Mädchen sagte, dass keine Gefahr damit verbunden sei, denn es wolle ihm niemand etwas Böses zufügen. Darauf ging sie und bot Asmund mit einem Kuss Gute Nacht.

Asmund erschien die Behandlung, die er im Hause des Friedlosen genoss, sonderbar, und er war nicht ganz frei davon, ein gewisses Gefallen an dem Kusse des Mädchens zu finden. Er schlief bald ein und wachte wieder davon auf, dass der Alte neben ihm stand.

Es war hellichter Tag. Der Alte wünschte ihm Guten Morgen und sagte, er wolle ihn jetzt um die Sache bitten, um derentwegen er ihn hergeholt hätte. „Die Sache verhält sich so,“ sagte der Alte, „dass ich vor zwanzig Jahren unten in der bewohnten Gegend wohnte; dann bekam ich ein Kind mit meiner Schwester, darum musste ich flüchten und hierherziehen. Das alte Weib, dass du gestern gesehen hast, ist meine Schwester, das Kind aber, das wir zusammen bekamen, ist das junge Mädchen, das dir beim Ausziehen behilflich war, als du zu Bett gingst. Als ich hierherkam, waren hier schon Friedlose, die in dem Hause wohnten, das du gestern Abend jenseits des Baches gesehen hast. Es waren dieselben beiden Männer, die noch heute auf dem Hof wohnen. Sie haben mir immer Feindschaft bewiesen, stets aber habe ich mich ihrer erwehren können, bis jetzt. Jetzt kann ich es nicht mehr, und nun muss ich ihrer Übermacht unterliegen, weil sie den ganzen Schnee, der ins Tal fällt, auf meine Seite des Baches fallen lassen. Es ist meine Gewohnheit gewesen, meine Schafe auf ihrem Land, jenseits des Baches, grasen zu lassen, nun aber bin ich nicht mehr Manns genug, das zu tun. Ich will dich darum bitten, heute sogleich mit meinen Schafen über den Bach zu gehen und sie dort zu hüten. Ich weiß, dass du ein mutiger Mann bist, aber das hast du auch nötig, denn meine beiden Feinde werden kommen, in der Vermutung, dass ich bei der Herde bin. Du sollst meinen torfbraunen Hund bei dir haben, und der wird dir eine gute Hilfe sein.“

Asmund verließ das Bett und ging mit den Schafen fort, der Alte aber gab ihm seinen Mantel zum Umhängen und ein Beil, damit er sich seiner Haut wehren könnte. Sobald Asmund über den Bach gekommen war, liefen die Friedlosen auf ihn zu und sagten: „Jetzt ist er des Todes!“ Denn sie glaubten, der Alte sei bei seinen Schafen. Als sie sich aber Asmund näherten, sagten sie: „Es ist ein anderer, als wir dachten,“ worauf sie auf Asmund einsprangen und ihn angriffen. Asmund hetzte den Braunen auf den einen von ihnen, griff aber selber den andern an. Der Braune zerriss seinen Gegner und lief dann gegen den andern an, und so besiegten sie ihn im Verein, Asmund und der Hund. Asmund blieb bis zum Abend bei den Schafen, dann ging er nach Hause und traf dort den Alten an. Der empfing Asmund gut und dankte ihm herzlich für sein Tagewerk. Er hätte ihm zugesehen, als er dabei gewesen wäre, die Friedlosen zu töten, erzählte er.

Am folgenden Tage gingen Asmund und der Alte über den Bach nach dem anderen Hof, der ein guter und geräumiger Ort zum Bewohnen war. Keinen Menschen trafen sie an, nur eine Menge Vieh. Sie untersuchten nun das ganze Haus. Da stießen sie auf eine Tür, die sie nicht zu öffnen vermochten. Asmund warf sich gegen sie und sprengte sie. Sie führte in eine kleine Nebenkammer, in der sie eine anmutige und schöne Magd fanden. Sie war mit den Haaren an einen Balken festgebunden und war sehr blass und mager. Asmund befreite sie und fragte, wo sie her sei. Sie erzählte, dass sie eine Bauerntochter vom Oefjord wäre, und dass die Friedlosen sie geraubt hätten. Sie hätten sie zwingen wollen, einen von ihnen zu heiraten, sagte sie. Da sie das aber nicht wollte, so hätten sie sie hier festgebunden und gemeint, auf diese Weise würden sie sie schon gefügig machen, einen von ihnen zu nehmen. Asmund erzählte ihr dann, wie die Sache nun stände, und dass sie in den Händen guter Menschen sei; sie aber freute sich, alle Gefahr überstanden zu haben.

Sie brachten nun alles von der Hütte des Alten herüber nach diesem Hof und blieben hier den Winter über. Asmund gefielen der Alte und die Mädchen, besonders jedoch die Tochter des Alten. Sie lernte verschiedene Kunstfertigkeiten von dem Mädchen vom Oefjord. Im Frühjahr sagte der Alte zu Asmund, er solle nun nach seiner Heimat ziehen; im Herbst aber solle er in das Tal zurückkehren, denn dann würde er gestorben sein, sagte er. Dann wollte er ihn bitten, sich seiner Tochter und seiner Schwester anzunehmen, wenn sie noch am Leben sei, und auch des Mädchens aus dem Oefjord. Alles, was er hier an Geldeswert finden könne, solle seine Mitgift sein, sagte er. Darauf begab sich Asmund nordwärts nach dem Skagefjord. Die Leute sahen ihn an, als wäre er vom Tode wiederauferstanden; wo er aber den Winter verbracht hatte, das erzählte er niemandem.

Im Herbst zog er wieder aus und kam zu den Mädchen im Tal. Sie freuten sich sehr über sein Kommen, denn die beiden Alten waren entschlafen, und die Mädchen hatten sie unter einem Hügel am Abhang begraben. Asmund blieb den Winter über bei ihnen. Aber im Frühjahr zog er mit der ganzen beweglichen Habe aus der Hütte fort, nach dem Skagefjord. Dort ließ er sich nieder und heiratete die Tochter des Alten, das Oefjordmädchen aber verheiratete er mit einem Manne aus der Umgegend.

Und hier endet die Erzählung vom Südfahrer-Asmund.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen