Der Lindwurm im Lagarfluss

Es geschah einmal in alten Tagen, dass eine Frau auf einem Hof in der Nähe des Lagarflusses wohnte. Sie hatte eine erwachsene Tochter, der sie einmal einen goldenen Reif schenkte. Da fragte das Mädchen: „Wie kann ich den größten Nutzen von diesem Gold haben, Mutter?“ „Lege es unter einen Lindwurm,“ erwiderte die Mutter. Da nahm das Mädchen einen Lindwurm, legte das Gold unter ihn und tat dann alles in ihre Wäschelade. Dort lag der Wurm ein paar Tage. Als das Mädchen aber nach der Lade sehen wollte, war der Wurm so groß geworden, dass die Lade angefangen hatte, aus den Fugen zu gehen. Da erschrak das Mädchen, nahm die Lade und warf sie samt ihrem Inhalt in den Fluss.

Es verrann nun eine lange Zeit, und man begann, den Wurm in dem Fluss zu merken. Er fügte Menschen und Tieren, die über den Fluss wollten, Schaden zu. Zeitweise reckte er sich bis auf die Flusshügel hinauf und spie auf entsetzliche Weise Gift. Das schien zu einem großen Unglück zu führen, von dem niemand wusste, wie man ihm begegnen sollte.


Da nahm man Zuflucht zu zwei Finnländern. Sie sollten den Wurm töten und das Gold bergen. Sie warfen sich in den Fluss, kamen aber bald wieder in die Höhe. Sie sagten, dass sie hier mit einer großen Übermacht zu tun hätten, und dass es keine leichte Sache sei, den Wurm zu töten und das Gold zu bergen. Sie erzählten, dass unter dem Golde noch ein Wurm läge, und dass dieser viel schlimmer sei als der erste. Sie fesselten den Wurm mit zwei Stricken, von denen der eine um den Bauch, der andere aber um den Schwanz befestigt wurde.

Deshalb kann der Wurm seitdem weder Menschen noch Tieren schaden; es geschieht aber zeitweilig, dass er einen Buckel auf dem Rücken macht, und wenn dieser zu sehen ist, glaubt man gern, dass das ein Vorbote schlimmer Geschehnisse sei, zum Beispiel Hungersnot und Grasmangel. Diejenigen, die an diesen Wurm nicht glauben, sagen, dass vor gar nicht zu langer Zeit ein Pfarrer gerade an der Stelle, an welcher der Wurm zu liegen schiene, den Fluss durchquerte. Das sagen sie aber, um damit zu beweisen, dass er gar nicht da ist.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen