Der Küster von Door Mörkaa

Es lebte in alten Tagen ein Küster auf Mörkaa im Oefjord; sein Name wird nicht genannt, er war aber gut Freund mit einem Mädchen, das Gudrun hieß und nach der Aussage einiger Leute auf Baegisaa jenseits des Hörgbaches zu Hause war, wo sie bei dem Pfarrer im Dienst war.

Der Küster hatte ein Pferd mit grauer Mähne, das er Faxe nannte, und das er immer ritt. Es geschah einmal kurz vor Weihnachten, dass er nach Baegisaa kam, um Gudrun zum Weihnachtsfest nach Mörkaa einzuladen, und er versprach, sie zu einer bestimmten Zeit abzuholen und sie zu dem Schmaus am Tage vor Heiligabend zu begleiten. In den Tagen, bevor der Küster hinritt, um Gudrun einzuladen, war viel Schnee gefallen, und Eis hatte sich auf dem Wasser gebildet; aber an dem Tage, an dem er nach Baegisaa ritt, war Tauwetter, und im Laufe des Tages wurde der Bach durch Treibeis und starke Strömung unpassierbar. Er zog von zu Hause fort, ohne daran zu denken, was sich tagsüber geändert haben könnte, und glaubte, der Bach wäre noch derselbe wie am Morgen. Über den Öxnedalsbach führte eine Brücke; als er aber an den Hörgbach kam, war dieser gestiegen und hatte das Eis gesprengt. Er ritt daher an dem Bach entlang, bis er gegenüber von Saurbör war, dem nächsten Hof von Mörkaa, wo eine Brücke über den Bach führt. Der Küster ritt auf die Brücke hinunter, kaum aber hatte er ihre Mitte erreicht, als sie zerbrach und er in den Bach fiel.


Als der Bauer auf Tuevold am nächsten Morgen aus seinem Bett stieg, sah er ein gesatteltes Pferd auf seinem Heimacker stehen, und es war ihm, als ob er des Küsters Faxe wiedererkenne. Dabei wurde ihm etwas eigen zumute, denn er hatte den Küster am vorhergehenden Tage dort vorbeireiten sehen, aber nicht bemerkt, dass er zurückgekehrt war, und er ahnte bald, was vorgefallen war. Er ging nun auf den Acker hinaus, und es war richtig Faxe, der da stand, triefend nass und arg mitgenommen. Dann ging er an den Bach hinunter, nach der sogenannten Tuevoldsnaes; dort fand er den Küster gleich vorn an der Landzunge, an die er als Leiche angetrieben war. Der Bauer zog sogleich nach Mörkaa und erzählte diese Neuigkeit. Als man den Küster fand, war sein Hinterkopf sehr von den treibenden Eisschollen beschädigt worden. Er wurde nach Mörkaa gebracht und in der Woche vor Weihnachten beerdigt.

Seitdem der Küster von Baegisaa fortgezogen war und bis zu dem Tage vor Heiligabend war keine Nachricht über das Vorgefallene von Mörkaa gekommen, des ununterbrochenen Tauwetters und der starken Strömung wegen. Aber am Tage vor dem Fest hatte sich das Wetter geändert, und nachts war das Wasser im Bach gesunken, so dass Gudrun Hoffnung hatte, zum Weihnachtsfest nach Mörkaa zu kommen. Gegen Abend begann sie sich zu putzen, und als sie sich fast fertig geschmückt hatte, hörte sie jemand an die Tür klopfen; ein anderes Mädchen, dass bei ihr stand, öffnete, sah aber niemand draußen; draußen war es weder hell noch dunkel; denn der Mond segelte hinter Wolken, die unaufhörlich an ihm vorbeiglitten.

Das Mädchen kam herein und sagte, dass sie nichts gesehen hätte, Gudrun aber meinte: „Dann wird es wohl mir gelten, nun werde ich hinausgehen.“ Sie war inzwischen fertig geworden mit Putzen, und sie brauchte sich nur noch den Mantel anzuziehen. Sie nahm den Mantel und zog den einen Ärmel an, den andern aber warf sie über die Schulter und hielt ihn fest. Draußen sah sie Faxe vor der Tür stehen und daneben einen Mann, den sie für den Küster hielt. Ob sie mit einander sprachen, weiß man nicht, der Mann aber hob Gudrun aufs Pferd, bestieg es dann selbst und setzte sich vor sie.

Sie ritten nun eine Weile, ohne miteinander zu reden und kamen an den Hörgbach, an dessen Ufern hohe Eisblöcke aufgeschichtet lagen; als das Pferd über solch ein Eisstück sprang, wurde der Hut des Küsters hinten aufgehoben, und da erblickte Gudrun den bloßgelegten Schädel. In diesem Augenblick verzogen sich die Wolken vor dem Mond; da sagte er:

Der Mond gleitet,

Der Tod reitet,
Siehst du nicht den weißen Fleck
Im Genick, Garun, Garun?“*)

Sie entsetzte sich darüber, schwieg aber. Andere dagegen sagen, dass Gudrun selbst seinen Hut aufhob und dabei den weißen Schädel entdeckte, und dass sie dann gesagt habe: „Ich weiß nun, woher das kommt.“ Nun wird nichts mehr über ihre Gespräche oder ihren Ritt berichtet, bis sie nach Mörkaa gekommen waren, wo sie vor der Seelenpforte **) vom Pferde stiegen; da sagte er zu Gudrun:

Hier nun warte, Garun, Garun,
Bis geführt ich Faxe, Faxe,
Weiter an die Mauer, Mauer.“

Er ging dann fort mit dem Pferd, sie aber blickte zufällig in den Kirchhof hinein und erschrak, als sie ein offenes Grab entdeckte. Da kam ihr der Gedanke, den Glockenstrang zu ziehen; plötzlich aber packte sie jemand von hinten, und es wurde nun ihr Glück, dass sie keine Zeit gehabt hatte, beide Mantelärmel anzuziehen; denn er zog so stark, dass der Mantel an der Schulternaht des Ärmels, den sie angezogen hatte, entzweiriss. Das letzte aber, was sie von dem Küster sah, war, dass er sich, mit dem Mantelfetzen in der Hand, in das offene Grab warf, worauf die Erde von beiden Seiten über ihn herabgefegt wurde.

*) Garun = Garun. Gespenster können nämlich nicht „Gud“ Gottes Namen, oder ein Wort, das Gottes Namen enthält, aussprechen.
**) Isl. „sàluhlid“ = die Pforte, durch die die Leichen in die Kirche gebracht werden.


Gudrun fuhr fort zu läuten, bis die Hofleute von Mörkaa herauskamen und sie holten, denn ihr war bei alledem so angst geworden, dass sie weder zu gehen, noch mit dem Läuten aufzuhören wagte; sie konnte sich wohl denken, dass sie hier mit dem Geist des Küsters zu tun hatte, obgleich sie vorher keine Kunde von seinem Tode erhalten hatte. Darüber erhielt sie Gewissheit, als sie ins Gespräch mit den Leuten von Mörkaa kam, die ihr die ganze Geschichte von dem Tode des Küsters erzählten, während sie ihnen dagegen von ihrem Ritt berichtete.

In derselben Nacht, als alle zu Bett gegangen und die Lichter gelöscht waren, kam der Küster und stürmte mit solchem Ungestüm auf Gudrun ein, dass die Leute aufstehen mussten, und niemand konnte ein Auge in dieser Nacht zu tun. Noch einen halben Monat danach konnte sie nie allein sein, und jede Nacht musste jemand bei ihr wachen. Ja, einige sagen sogar, dass der Pfarrer selber auf dem Bettrand bei ihr sitzen und im Gesangbuch lesen musste. Schließlich wurde ein Zauberer westlich vom Skagefjord geholt. Als er kam, ließ er einen großen Stein, der oberhalb des Heimackers lag, ausgraben und ihn an den Giebel des Schlafhauses wälzen. Abends, als es zu dunkeln begann, kam der Küster und wollte in das Haus hinein, der Zauberer aber erwischte ihn südlich vom Giebel, zwang ihn dort mit vielen Beschwörungen in die Erde und wälzte dann den Stein über ihn; und dort soll der Küster heute noch liegen.

Nach dieser Zeit hörte der Spuk auf Mörkaa auf, und Gudrun erholte sich wieder. Etwas später zog sie wieder heim nach Baegisaa, aber man sagt, dass sie nie wieder dieselbe wurde, die sie früher gewesen war.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen