Der Ernteknecht

Einmal zog ein junger Mann von den Südlandsgegenden nach dem Nordland, um Erntearbeit zu verrichten. Als er nordwärts nach den Heiden gekommen war, überfiel ihn ein dichter Nebel, und er verlor den Weg. Es kam Schneetreiben und Kälte. Der Mann machte daher Halt und schlug sich ein Zelt auf. Als er dann seine Wegzehrung hervorholte und zu essen begann, kam ein sehr verwahrloster und verhungerter, roter Hund in das Zelt hinein. Der Südländer wunderte sich, dass ein Hund an einem Ort zu ihm kam, an dem er nicht erwartet hatte, ein Tier zu sehen. Der Hund war so hässlich und sonderbar, dass ihm ganz angst wurde; nicht desto weniger gab er ihm so viel zu fressen, wie er wollte. Der Hund fraß gierig, lief dann fort und verschwand draußen im Nebel. Der Mann kümmerte sich nicht weiter um ihn, und als er seine Mahlzeit beendet hatte, legte er sich schlafen, den Sattel unter dem Kopf.

Er schlief nun ein und träumte, dass eine Frau zu ihm in das Zelt träte. Sie war hochgewachsen und ziemlich bejahrt. Sie sagte: „Ich danke dir, junger Mann, meiner Tochter wegen, aber dich zu belohnen, wie du es verdient hast, steht nicht in meiner Macht: jedoch will ich, dass du diese alte Sense annimmst, die ich hier unter deinen Sattel lege. Ich hoffe, dass sie dir von Nutzen sein wird, und sie wird stets gleich gut schneiden, wohin sie auch trifft. Nie darfst du sie im Feuer glühen; denn dann taugt sie nichts mehr; sollte es dir aber nötig erscheinen, so darfst du sie gern an einem Stein wetzen.“ Darauf verschwand die Frau.


Der Ernteknecht erwachte aus seinem Schlaf und sah, dass sich der Nebel gelichtet hatte, und dass es heller Tag war. Die Sonne stand hoch am Himmel. Das erste, was der Mann zu tun hatte, war, seine Pferde zu sammeln und sich zum Aufbruch zu rüsten. Darauf band er das Zelt zusammen und packte es auf die Pferde; als er aber seinen Sattel von der Erde aufhob, fand er darunter eine halb abgenutzte Sense mit Rostflecken. Da erinnerte er sich des Traumes und verbarg die Sense, zog weiter, und alles ging gut. Den Weg fand er bald, und nun ging es, so schnell er nur konnte, den bewohnten Gegenden zu. Als er aber nach dem Nordland kam, wollte ihn niemand in Dienst nehmen: denn alle hatten die Ernteleute, die sie brauchten, schon gedungen, und es war bereits eine Woche von der Heuernte verstrichen. Da hörte er, dass in der Gegend eine Frau wohne, die noch keinen Ernteknecht angenommen hätte. Sie war reich an Gut, und man glaubte, sie könne mehr als Brot essen. Sie pflegte keine Ernteleute zu dingen, und nie begann sie das Heu früher zu mähen als eine Woche oder vierzehn Tage nach den anderen; und doch wurde sie meist ebenso schnell auf ihrem Heimacker fertig wie die übrigen. Wenn sie dann wirklich ab und zu einen Knecht in Dienst genommen hatte, behielt sie ihn nicht länger als eine Woche und gab ihm keinen Lohn. Zu ihr wies man den Südländer, nachdem man ihm gesagt hatte, wie sie wäre, und da er nirgends Arbeit finden konnte, ging er dorthin und bot sich an, ihr das Heu zu mähen. Sie nahm ihn gut auf und sagte, dass sie ihm erlauben wolle, eine Woche dazubleiben. „Aber Lohn gebe ich dir nicht,“ sagte sie, außer, wenn du so viel Heu in einer Woche mähst, dass ich am Sonnabend nicht alles, was du gemäht hast, zusammenharken kann.“ Das schien ihm eine gute Bedingung zu sein, und er begann also zu mähen.

Er nahm nun seine Sense, das Geschenk der Huldrefrau, und sie schnitt gut, fand er. Nie brauchte er sie zu schärfen, und so mähte er ununterbrochen fünf Tage lang. Es gefiel ihm dort sehr gut, und die Frau war sehr freundlich gegen ihn. Einmal kam er in die Schmiede; dort sah er eine ungezählte Menge Sensenschäfte und Harken und einen großen Haufen Sensen. Er wunderte sich darüber und fand, die Frau hätte nicht gerade Mangel an Erntegerät.

Am Freitag Abend ging er zu Bett, wie immer. Nachts träumte ihm, dass die Huldrefrau, die ihm die Sense geschenkt hatte, zu ihm käme und sagte: „Viel Heu hast du schon gemäht, aber deine Herrin wird nicht viel Zeit brauchen, um es zusammenzuharken, und dann jagt sie dich fort, wenn sie dich morgen überholt. Geh darum in die Schmiede, wenn du glaubst, dass das Heu, das du gemäht hast, nicht ausreicht, und nimm so viele Sensenschäfte wie du für gut hältst, befestige Sensen daran und trage sie aufs Feld hinaus und sieh zu, wie es dann geht.“ Nachdem die Huldrefrau das gesagt hatte, ging sie fort, der Ernteknecht aber erwachte, stand auf und begann zu mähen. Morgens kam seine Herrin hinaus und trug fünf Harken in der Hand. Sie sagte: „Viel Heu hast du gemäht, viel mehr, als ich geglaubt hätte.“ Darauf legte sie die Harken hier und dort auf die Wiese und begann zu harken, und da sah der Ernteknecht, dass sie viel Heu zusammenharken könnte, die anderen Harken jedoch nicht weniger, obgleich er keinen Menschen bei ihnen sah. Als die Mittagszeit näher rückte und er sah, dass das gemähte Heu nicht ausreichen würde, ging er in die Schmiede und holte einige Sensenschäfte und befestigte Sensen daran. Dann ging er wieder hinaus und verteilte diese Sensen auf der ungemähten Wiese, und alle fingen an zu mähen, und augenblicklich wurde der Fleck größer. Das ging nun den ganzen Tag so, bis zum Abend, und das gemähte Heu reichte aus. Abends aber ging die Frau nach Hause und nahm ihre Harken mit. Den Ernteknecht bat sie, ihr zu folgen. Sie sagte, er verstände mehr, als sie gedacht hätte, und davon würde er Gutes haben, und solange er selbst wolle, könne er nun bei ihr bleiben. Er blieb den Sommer über bei ihr, und sie wurden gut miteinander fertig. Sie ernteten viel Heu, ließen sich aber doch gute Zeit. Nach der Ernte gab sie ihm einen sehr großen Lohn, und damit zog er nach dem Südlande. Im nächsten Sommer und allen folgenden, die er auf Erntearbeit zog, nahm er Dienst bei ihr. Dann übernahm er selbst einen Hof auf dem Südlande und wurde immer für einen tüchtigen Mann gehalten. Er war ein flinker Seemann und geschickt zu allem, was er in Angriff nahm; immer mähte er sein Heu allein und nahm dazu nie eine andere Sense als die, welche ihm die Huldrefrau geschenkt hatte, und trotzdem wurde er ebenso schnell mit seinem Heimacker fertig wie andere Leute.

Da geschah es eines Sommers, dass er zum Fischen hinausruderte; da kam sein Nachbar zu seiner Frau und bat sie um eine Sense; denn er hätte seine Sense zerbrochen und wüsste nicht, wie er sich sonst helfen sollte. Da begann die Frau unter den Gerätschaften ihres Mannes zu suchen und fand die gute, alte Sense, aber keine andere. Sie lieh dem Bauern die Sense, warnte ihn aber davor, sie im Feuer zu glühen; denn das tue ihr Mann nie, sagte sie. Er versprach es und ging nach Hause. Er befestigte die Sense an dem Schaft, begann zu mähen, konnte aber keinen einzigen Strohhalm mit ihr schneiden; darüber wurde er zornig und begann die Sense zu wetzen; aber das half nicht. Da ging er in die Schmiede, um die Sense zu hämmern; und er dachte, es wäre keine Gefahr dabei, wenn er die Sense auch im Feuer glühen würde. Sobald sie aber ins Feuer gekommen war, schmolz sie wie Wachs und wurde zu lauter Eisenschlacke. Er ging zu der Frau und erzählte ihr, wie die Dinge lägen; sie fürchtete sich nun sehr, denn sie wusste, dass ihr Hausherr sehr erbost sein würde, wenn er es erführe, und das war denn auch der Fall; jedoch hörte man nicht, dass er sich lange darüber ärgerte, nur gab er seiner Frau einen Backenstreich, und das war das erste und das letzte Mal, dass sie einen bekam.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isländische Märchen und Volkssagen