19. - Wohl gehörte auch Bella zu einem Geschlechte der Zugvögel, die trotz aller zärtlichen Pflege und Liebe ...

Wohl gehörte auch Bella zu einem Geschlechte der Zugvögel, die trotz aller zärtlichen Pflege und Liebe durch den Menschen, wenn sie die Stimme ihrer Brüder aus den Lüften vernehmen, nicht widerstehen können. Gibt es doch arme Völker am Eispol, denen die Freuden und Erfindungen unserer Zone kein Gefallen abgewinnen, und die beim Anblick eines Schwanes sich ins Wasser stürzen und mit ihm nach ihrer Heimat zu schwimmen wähnen; wieviel mächtiger wirkt die eigentümlich überlegene Natur in dem stolzen Herrschersinne nach, aus welchem Bella hervorgegangen. Sie war doch in Europa wie die fremde Blume, die sich nächtlich nur erschließt, weil dann in ihrer Heimat der Tag aufgeht. Ihre Sehnsucht, ihre Wehmut überströmten sie grenzenlos, sie konnte nicht bleiben und wußte doch nicht, warum; sie liebte den Erzherzog, wie sie ihn jemals geliebt, aber sie fühlte, seit er eine andre wie sie geliebt, daß sie seine erste Liebe mit sich trüge in die Ferne, und erst jetzt gestand sie sich, daß diese scheinbare Vermählung, so wenig dabei die Reinheit ihrer Sitte leiden konnte, sie tief gekränkt habe, weil ihr Karls Gesinnung, sich nicht heilig und ewiglich, wie ihr fürstlicher Sinn gemeint, mit ihr zu vermählen, deutlich daraus hervorgegangen sei. Was galt ihr seine Klugheit, wie er den Reichtum sich verbinden und benutzen wollte; sie kannte nur die Herrlichkeit der Armut, die alles besitzt, weil sie alles verschmähen kann: sie kannte nur ihr Volk, das jede Bezahlung von ihren Herrschern verschmähte und jede Tat für sie als schönsten Gewinn achtete. Sie nahete sich im innern Kampfe dem Bette des Erzherzogs, sie küßte ihn; wäre er erwacht, sie hätte nicht von ihm lassen können; aber er stieß sie im Schlaf von sich: ihm träumte, als ob die goldne Kette, worin er die Völker führte, ihm selbst, der sie hielt, immer enger sich um den Fuß wickelte, daß er dadurch zu fallen fürchtete; darum stieß er sie von sich. Sie aber fühlte das im bewegten Gemüte anders und sprang leicht aufs Fenster und zu den Ihren herab, ohne zu denken, ob ihr Sprung hoch oder nieder; aber das Glück ihres Volkes wollte sie unverletzt erhalten. Ihre Zimmer waren im ersten Geschoß, und der fahrende Schüler, den seine Liebe und Traurigkeit, nachdem er sie im Schlosse erkannt, des Nachts unter ihr Fenster getrieben, fing sie in seinen Armen auf. Die Zigeuner erkannten sie, setzten ihr die Krone auf, gaben den Szepter ihr in die Hand und zogen, ohne daß die Wachen etwas bemerkt hatten, stillschweigend mit ihr und dem fahrenden Schüler, daß er sie nicht verraten konnte, vors Tor, wo sie auf leichten Pferden, auf verborgenen Pfaden aller Nachforschung entgingen.

Als der Erzherzog aus dem bänglichen Schlusse seines Herrschertraumes zum Lichte aufwachte, das allen Träumen mit den kecken Worten entgegenzutreten scheint: ihr seid nicht wahr, denn ihr besteht nicht vor mir!--da meinte auch er, alles Traurige, was ihn bedroht, sei ein Hirngespinst gewesen. Wer spinnt aber im Innern unsres Hirnes? Der die Sterne im Gewölbe des Himmels in Gleichheit und Abwechselung bewegt! Der Schatz der Erzherzogs lag unversehrt vor dem Bette, er spielte leise damit, um Bella nicht zu erwecken. Aber der geschäftige Drang des Tages nahte immer tosender auf allen Straßen, und Bella erwachte immer noch nicht; er rief, er sah nach ihrem Bette, aber er fand sie nicht. Er durchlief ängstlich das Haus; aber Bella war nicht zu errufen. „Pflückt sie mir einen Blumenstrauß, unsern Morgen zu schmücken? Ist sie in der Frühmesse und dankt Gott für ihr Geschick?“


Beides widerlegte die nächste Stunde, und der Erzherzog befragte ohne Erfolg die Wachen, ließ Braka vergebens rufen. Die alte Braka weinte ernstlich um die schöne Bella, alle schöne Aussichten schwanden ihr. Wie aber Weiber im Unglücke sind, der vornehme Stand hält die Zunge ihres Unwillens nicht zurück, ihr Kopf füllt sich so ganz mit einem Gefühle, daß sie jeder Rücksicht vergessen: statt den zornigen, ungeduldigen Erzherzog zu fürchten, machte sie ihm die bittersten Vorwürfe, daß seine Grausamkeit, Bella mit dem Kleinen zu verheiraten, sie zur Flucht veranlaßt hätte. Der Erzherzog schwieg beschämt, er fühlte, daß sie recht hatte, daß seine törichte Klugheit ihm das Köstlichste entrissen, was sein ganzes Leben ausgestattet hätte; er fühlte sich so verächtlich vor den Augen der Alten, als der kleine Alraun nimmer vor seinen Augen gestanden. Er befahl Braka, sich zu entfernen, und gebot ihr nachher, ein Gnadengehalt anzunehmen und es in der Nähe seines Hofes zu verzehren, damit er jemand hätte, mit dem er von seiner Bella reden könnte. Seine unzähligen Boten, die Deutschland durchstreiften, kamen ohne Nachricht zurück; sein Großvater Maximilian, der etwas von seiner Leidenschaft vernommen, hatte sie allerorten abweisen lassen. Erst sehr spät, nachdem Isabella mit den Ihren längst weitergegangen, erfuhr er, daß sie im Böhmerwalde von einem Prinzen entbunden worden, der in der Taufe den Namen Lrak (der umgekehrte Name des Vaters Karl) erhalten hätte, und daß der fahrende Schüler, der mit den Zigeunern entwichen, durch Bellas Gunst, unter dem Namen Sleipner, einer ihrer Anführer geworden sei.

Das Warten auf diese Nachrichten war die Ursache seines unbegreiflichen Zögerns, ehe er aus den Niederlanden nach Spanien ging, wo sein Großvater inzwischen gestorben war und die gewaltsame Klugheit des Ximenez, ohne seine Gegenwart, leicht bürgerliche Kriege veranlassen konnte. Als er diese Kunde von Isabellen erhalten, wäre er ihr gern nachgezogen, aber wo sollte er sie treffen? Wie sollte er den Jugendträumen seiner Herrscherlust entsagen? Doch ward ihm die Krone, die er bis dahin bloß als Schmuck angesehen, zu einem drückenden Gewichte, und die Feierlichkeiten, die ihm bis dahin die Zierde der Tage geschienen, zu einer verlornen Zeit, wie das Stundenschlagen, das mit seinem Klange die ruhige Folge sehnender Gedanken unterbricht. Irren wir nicht, so läßt sich manche seiner Launen, an denen seine wichtigsten Unternehmungen scheiterten, aus diesem ersten Mißgriffe seiner Klugheit erklären: diese Gleichgültigkeit, womit er das Regierungswesen zuerst behandelte, wie er Chievres und die Seinen in der verächtlichsten Bestechlichkeit Spanien verderben ließ; die Sinnlichkeit, in der er sich oft zu vergessen suchte und worin er die Stärke seines Leibes früher erschöpfte; alles Unbefriedigte und Unbefriedigende in seinem Leben. Er bedurfte der Zeit, großer Ereignisse, wie die Eroberung von Neuspanien und seine Ernennung zum Kaiser, und eines unermüdlichen Gegners, um nicht früher in einen Überdruß gegen alle Regierungsgeschäfte zu versinken; endlich bedurfte er auch des Alrauns, um seine übereilende Tätigkeit in Wirkung zu setzen.

Was wurde aus diesem Nebenbuhler seiner Liebe? Der Kleine hatte nach allen Kräften seiner nun doppelt verlornen Gattin nachgeforscht, aber vergebens; doch fand er früher als Karl eine Beruhigung, indem er mit rastloser Tätigkeit an der Beendigung des Bildes der schönen Bella arbeitete. In seiner unruhigen Betrübnis kam Karl eines Morgens auf sein Zimmer, begrüßte das ähnliche Bild mit einem Schrei der Verwunderung und trug es, ohne der Bitten und Drohungen des Kleinen zu achten, auf sein Zimmer. Während er es da mit Blumen bekränzte und kniend es begrüßte, vernahmen die Bewohner des Schlosses ein unerträgliches Lärmen im Zimmer des Kleinen; mit Fluchen des Kleinen hatte es angefangen, bald waren immer mehr Stimmen darin gehört worden. Als die Wachen das Zimmer erbrachen, geschah ein heftiger Schlag, das Zimmer roch nach Schwefel, der kleine Wurzelmann lag zerrissen und ohne Bewegung auf dem Boden. Als er heimlich begraben, glaubte sich Karl von ihm befreit, die Menschen glaubten ihn gänzlich zerstört, er aber war in seiner Wut dämonisiert, und der Kaiser wußte bald, daß er ohne eine große Buße von seiner überlästigen Gegenwart nicht wieder los und ledig werden konnte.

Umsonst wechselte er Wohnort und Kleider, umsonst versuchte er sogar den afrikanischen Himmel; wenn er ihn auf immer gebannt glaubte und es bewegte irgendein böser Wunsch sein Gemüt, gleich war der Alraun ihm nahe, bald in der Gestalt eines Heimchens, das hinter dem Ofen ihm zurief, wo er Geld und Gelegenheit dazu finden könnte, bald als eine Spinne, die von der Decke des Zimmers sich auf seine Schreibereien herabließ, bald als eine Kröte, die ihm im Gartengange entgegentrat, oft schnurrte er ihn auch an als ein fliegender Käfer, abends und nachts schrie er wie ein wilder Vogel. Karl horchte und gehorchte nur zu oft dieser Stimme, wehe uns Nachkommen seiner Zeit. War ihm vieles durch diesen geldbringenden Geist möglich, so mußte er dagegen früher seine Herrscherbahn schließen, um in heiligem Leben, in Buße und Gebet jeden bösen Wunsch zu bannen.

Zu Gent, von den Erinnerungen seiner ersten Liebe und ihres Untergangs abgetötet, beschloß er seinen eignen Sonnenuntergang zu feiern: hier entließ er seinen Sohn Philipp mit vielen Tränen, auch von den Gesandten nahm er Abschied und lebte bis zu seiner Abfahrt nach Spanien in der tiefsten Einsamkeit eines gesonderten Lebens. An seinem Geburtstage nahm er Besitz von dem für ihn eingerichteten Hieronymitenkloster St. Just in Spanien: er dachte, daß dieser Tag den Alraun auch auf die Welt gesetzt, der seine irdische Bahn verletzt hatte, und sprach, daß er an eben dem Tage, da er auf Erden sei geboren worden, auch dem Himmel wolle wiedergeboren sein. Sein ernstes Gebet ist ihm erfüllt worden, seine blutige Geißel, die nach seinem Tode als ein Heiligtum bewahrt worden, bezeugt, wie schwer es ihm geworden, sich den gewohnten Lieblingsgedanken zu entschlagen; wir aber, deren Voreltern durch sein politisches Glaubenswesen so viel erlitten, die von des Alrauns schnöder Geldlust fort und fort gereizt und gequält worden, und endlich selbst noch an der Trennung Deutschlands untergingen, welche er aus Mangel frommer Einheit und Begeisterung, indem er sie hindern wollte, hervorbrachte, wir fühlen uns durch das erzählte Mißgeschick seiner ersten Liebe, durch diese Reue mit seiner Natur versöhnt und sehen ein, daß nur ein Heiliger auf dem Throne jene Zeit hätte bestehen können.

So fühlte er sich selbst auch gerechtfertigt, als er, um sein Herz zu prüfen, ob er bereit sei zu dem großen Übergange, der selbst dem abgelebten Alter überraschend ist, mag es sich durch Betrachtung vorgewöhnen oder in erkünstelter Tätigkeit ihn übersehen wollen, sich ein prächtiges Grabmal in der Klosterkirche nach eigenem Plane bauen ließ, das in kunstreichen Galerien, welche mit den Bildnissen seiner Vorgänger bedeckt, zur Spitze anlief, wohin sein eigener Sarg gestellt werden sollte. Er fühlte sich gerechtfertigt, als er sich nun lebend in diesen Sarg legte, von Trauergesang, Glockengeläut und schwarzen Kerzen begleitet, sich einsam hinaufstellen ließ und durch die irdisch geschlossene Decke der Kirche Isabella erblickte, wie sie ihm tröstend und liebend an den Gefilden der ewigen Gedanken begegnete, wo die Irrtümer des Menschen mit der Last seines Leibes in Staub zerfallen. Sie winkte ihm, und er folgte ihr bald und sah ein helles Morgenlicht, worin Isabella ihm den Weg zum Himmel zeigte, und fragte die Anwesenden, ob es schon so hoch am Tage sei. Der Erzbischof sagte aber, es sei Nacht. Da befahl er seinen Geist in Gottes Hände und starb. Befragen wir unser Herz, wie wir sterben möchten: sicher wie Karl, die Geliebte unsrer Jugend als einen heiligen Engel zwischen uns und der Sonne, von der wir scheiden, weil sie uns blendet; gleichsam wie einen farbigen Vorhang, daß selbst die Schatten der blumenpflückenden und nichts fassenden Hände gefärbt erscheinen. Jenes Leichenbegängnis Karls muß uns nicht wie eine wunderliche Schauspielerei erschrecken. Derselbe Gedanke, der bei dem Beherrscher einer Welt zur Tat wurde, bewegt viele Gemüter, die ein ernstes Leben geführt haben; aber er bleibt Gedanke und verwandelt sich sonst häufig in eine Sorgsamkeit in der Anordnung des wirklichen Leichenbegängnisses, worin sich selten Eitelkeit, häufiger der Wunsch äußert, ein Leben, das nach gewissen festen Grundsätzen geführt, in derselben Gesinnung zu schließen. Unsre eitle Zeit verachtet jede Leichenfeier, bei unsern frommen Voreltern war oft ein anständiges Leichentuch einzige Mitgabe der Braut, und ein prachtvoller Sarg schloß ein bescheidnes Leben. Wer wagt das Sonderbarkeit zu schelten? Es war Nebenäußerung jener Einheit, die uns in aller ihrer Geschichte anspricht, aber noch lebendiger in den Denkmalen ihrer vielhundertjährigen Andacht, die in den Kirchengebäuden alter deutscher Zeit vor uns steht. Welche Einheit und Ausgleichung aller Verhältnisse, wie fest begründet alles an der Erde und doch alles dem Himmel eigen, zum Himmel führend, an seiner Grenze am herrlichsten und prachtvollsten geschlossen. Zum Himmel richtet die Kirche wie betende Hände unzählige Blütenknospen und Reihen erhabener Bilder empor, alle zu dem Kreuze hinauf, das die Spitze des Baues als Schluß des göttlichen Lebens auf Erden bezeichnet, das als die höchste Pracht der Erde, die sich dadurch zu unendlichen Taten begeistert fühlt, einzig mit dem Golde glänzt, womit kein andres Bild oder Zeichen neben ihm in der ganzen heiligen Geschichte, die der Bau darstellt, sich zu schmücken wagt. Nicht nur über Kaiser Karls Leichenbegängnis, auch über sein Leben hat die Nachwelt ein langwieriges Totengericht gehalten, aber nur die Mitlebenden können einen Herrscher am Ende seiner Laufbahn würdigen, und wie lehrreich scheinen darin die Totengerichte der alten Ägypter, sie gehören aber nicht in unsre europäische Welt. Noch jetzt finden wir sie in Abessinien, noch jetzt werden die Nachkommen unsrer Isabella auf dem Throne den Tag nach ihrem Tode in dem Eingange der Pyramide, die ihnen als Grabstätte dient, öffentlich ausgestellt, und jeder ist verpflichtet, auszusagen, was er über den Verstorbenen denkt. Auch über Isabella hat dieses Totengericht gesprochen; noch jetzt sprechen die Abessinier von diesem Totengerichte, das sie bei ihrem Leben noch über sich halten und aufzeichnen ließ; sie zeigen noch jetzt ihr Bild bei den Quellen des Nils, wie sie da alle in einem Siebe vereinigt, durch das sie als unzählige Quellen zur Erde laufen, zum Zeichen, wie sie zwar die getrennten Völkerstämme der Abessinier oder Zigeuner vereinigte, aber nicht hindern konnte, daß sie durch innern Streit auseinanderliefen. Wir danken diese Nachrichten dem berühmten Reisenden Taurinius, dessen eigene Worte wir hier mitteilen wollen: „Isabella, die berühmte Königin, berief ihren Sohn Lrak, den sie von Karl nach der Voraussagung Adrians empfangen, ihren Feldherren Sleipner, der als ein armer fahrender Schüler aus Gent mit ihr fortgezogen war, ferner alle Ehrenmänner und Vorsteher des Volks, nach dem Eingange der großen Pyramide an den Quellen des Nils, welche sie sich zum Grabmal erbaut hatte. Es war am 20. August 1558, an demselben Tage, wo ihr geliebter Karl sein Leichenbegängnis bei lebendem Körper mit offenen Augen feierte, gleichsam in einer heimlichen Ahndung, als wollte sie mit einem gleichen ernsten Vorbilde vom Leben scheiden. Sie erklärte dort, indem sie von allen freundlichen Abschied nahm und den trostlosen Sleipner auf den Himmel verwies, wo seine Liebe eine reiche Belohnung finden würde, und ihren Sohn an ihr Herz drückte. Da, sage ich, denn also habe ich es mehrmals erzählen hören, erklärte sie, daß sie sich zu krank und hinfällig fühle, um der Regierung länger vorzustehen, und weil sie jetzt aufhöre zu herrschen und gleichsam aus der Welt gehe, so wäre es ihr sehnlicher Wunsch und ihre letzte Bitte, daß die alte heilige Sitte des Totengerichts nicht bis zu ihrem wirklichen leiblichen Tode ausgesetzt bleibe, sondern daß ein jeglicher jetzo gleich, während sie sich in ihrem Sarge ausstrecke, vorübergehe und seine Meinung nach geleistetem Eide wahr und unverhohlen über sie ausspreche. So hatte sie sich erklärt, und da keine Bitten, keine Tränen ihr diesen Entschluß auszureden vermochten, so schritt man also gleich zur Eidesleistung. Die Königin legte sich unter unzähligen Tränen in ihren Sarg, und ein jeglicher trat seiner Würde gemäß, wie er pflegte, vor ihr hin und ließ sein wohlüberdachtes Urteil, also, daß sie es deutlich vernehmen konnte, in das königliche Buch eintragen. O welch ein seliger Tag für die Reine! Wie leicht war der Tadel gegen die Vorwürfe, die sie sich selbst gar oft soll gemacht haben. Der Priester, der mir das Ausführlichste darüber mitteilte, las mir, wie ihr dabei geschehen und wie selig sie während des Totengerichts verstorben sei, wie folget, aus einer alten Pergamentrolle vor, woraus ich es sogleich in unsre deutsche Muttersprache zu übersetzen wagte, wobei mir aber zuweilen copia verborum gefehlet hat, weswegen ich es nochmals von Magister Uhsen wieder übersehen und sehr verbessern lassen: Sie versank während des Totengerichts in ein freudiges Anschauen. Aus dem Nebel, der das herrliche Land, das sie geschaffen, bisher noch gedeckt hatte, traten ihr erst die nahen seligen Gärten hervor, darinnen die glücklichen Kinder ihres umgetriebnen Volkes wieder ruhig spielten; darinnen die Brunnen sprangen, wo sonst die Krokodile im dürren Sande sich gesonnt hatten; darinnen rote und blaue Vögel sangen, wo sonst die Schlangen gezischt hatten. Weiterhin erschien ihr die grüne Wiese voll Blumen, und die Lämmer mit ihren Glocken bewegten sich langsam klingend zwischen den Halmen, wo sonst der Tod unter dem grundlosen Moraste auf alles Lebende lauerte. Dann aber strömte der Fluß, der Fluß aller Flüsse vorüber, das unschuldige Metall der Oberwelt glänzend poliert wie ein Schwert; von den Rudern der Schiffer fleißig gehämmert, wo sonst nur der Fisch in seichter Fläche zu schwimmen wagte. Aber das Herrlichste lag drüben und jenseits, und wie sie in tiefer Seele an dem Gedanken sich entzückte, ihrem geliebten Volke in unablässigem Bemühen alle einzelnen Steine zu den Palästen künftiger Macht behauen zu haben, da glänzten ihr drüben schon die Schlösser und Kirchen künftiger Herrlichkeit im aufgehenden Lichte. Sie näherte sich verwundert dem Strome und sah nur nach drüben, wo sich die geahndete Erfüllung in sichrer Wirklichkeit zeigte, und so stürzte sie in den Strom und ward von ihm hinübergeführt und war drüben--mit diesem Bilde suchte ein frommer Zeuge ihres Todes die Seligkeit ihres sterbenden Angesichtes auszudrücken und zu erklären.“--Liebreiche Isabella! wir haben dich schuldlos erfunden im kleinen Kreise deiner Jugendliebe, warum sollten wir zweifeln an den Erzählungen der Reisenden, daß du auch auf der Höhe eines Thrones im Überblick einer Welt dir selbst treu geblieben bist; denn was ist diese Welt gegen diese Treue, die unwandelbar bleibt, wo sie einmal bewährt ist. Deine Liebe ist nicht untergegangen in ihrer Verschmähung, der eine sollte sie nicht begreifen, nicht würdigen, nicht bewahren, daß sie übergehe zu einem Volke, welches in deiner Liebe sich befreite. Kein Leiden, keine Reue, kein Zweifel wird deinen Blick zurückgewendet haben zu dem, den du verlassen, weil er dich aufgegeben hatte; was in reiner Seele die Begeisterung eines Augenblickes tut, bleibt ihr notwendiges Gesetz in Ewigkeit. Reines Bild des jugendlichen Lebens, wir blicken zu dir und flehen: Reinige uns von eingebildeten Leiden der Liebe und von angebildeten Sünden der Zeit; das Totengericht der Menschen soll uns nicht schrecken, aber wer scheut nicht die Totenrichter in sich selbst, die unerbittliche Strenge der Gedanken, die sich nicht täuschen lassen, wo wir andern genügen, aber nicht der eignen Kraft; heilige Isabella, wehe Himmelsluft auf meine heiße Stirne, wenn ich Gericht halte über mich selbst!

Am Himmel steht ein drohender Komet und glühet den Herbst zum Sommer, wozu wird er den Frühling entbrennen? Sei getrost, liebe Seele, sei getrost, du Welt, dir ist viel vom Herren verheißen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten