17. - Diese Ausfertigungen waren nur ein Vorwand, sich selbst eine Zeit der Überlegung zu verschaffen; ...

Diese Ausfertigungen waren nur ein Vorwand, sich selbst eine Zeit der Überlegung zu verschaffen; streitige Wünsche teilten seine Seele: was er der Liebe, was er seinem Stande schuldig, ob er eine Herzogin von Ägypten heiraten dürfe, ob es nicht seinen Thron unsicher mache. Diese Beratung in ihm war noch nicht beendigt, als Bella in einem prachtvollen, silbernen Kleide, das mit roten Blumen bestreut zu sein schien, auf ihrem Haupte eine kleine goldne Krone, an der Seite der Frau von Chievres ins Zimmer trat und die Bewunderung aller durch ihren sichern Anstand gewann, so daß Sauvage und Croy einander zuflüsterten, es müsse wahrscheinlich eine Fürstin sein, die Karl heimlich zu heiraten beschlossen habe. Karl beugte sich vor ihr, führte sie auf seinen hohen Stuhl und versuchte zu sprechen, aber die innere Bewegung machte es ihm unmöglich. Chievres bemerkte diese Unbestimmtheit und glaubte, ihm einen Gefallen zu tun, wenn er ihm Zeit verschaffte; darum trat er zu ihm und erzählte, daß Adrian fortgegangen sei, weil ihm der Schreck über seinen gefährdeten Ruf auf seinen Magen gewirkt hätte. Dieser lächerliche Erfolg seines Mutwillens löschte für einen Augenblick das tiefere Gefühl Karls. Der Streit schien ihm geschlichtet, er schien ihm unnütz. Vielleicht wirkte auch die Erschöpfung der tätigen Nacht, als er zur Versammlung sagte: „Ich erkenne öffentlich Isabella, die Tochter des Herzogs Michael von Ägypten, als einzige Erbin dieses Lands, als Fürstin aller Zigeuner in allen Ländern diesseit und jenseit des Meeres und gebe ihr die Freiheit, sie alle nach Ägypten zurückzuschicken, insofern sie selbst nur unsrer Liebe bleiben will.“

Bella, die von der Rede nur wenig vernommen hatte, weil sie sein herrliches Ansehen dabei, seine Würde mit freundlichen Blicken bewacht hatte, fiel ihm nach deren Ende um den Hals; das befreite Karl von aller Sorge, daß sie eine Heirat mit ihm fordern möchte, und er küßte sie mit doppelter Zärtlichkeit. Die Versammelten baten um den Handkuß, und Chievres, der gern den Neigungen seines Herrn zuvorkommen wollte, erflehete seiner Frau die Gunst, daß die Prinzeß von Ägypten künftig bei ihr wohnen sollte, bis ihr ein eigner Palast geschafft worden sei. Karl bewilligte aus Gnade, was er früher für eine Gnade der Frau von Chievres sich erbeten hätte. Bella ging mit ihrer neuen Mutter nach der andern Seite des Schlosses, Karl sprach noch einige Worte mit den Versammelten. Es war schon spät am Morgen, als sie auseinandergingen. Die Vögel sangen ihr Lied, und die politischen Menschen gingen zu Bette. Karl aber streckte sich auf eine Rasenbank im Schloßgarten, wo ihn Bella aus ihrem Zimmer ersah und nicht einschlafen mochte. Schon war in dem Hause des Herrn von Cornelius die größte Verwirrung ausgebrochen; sein Toben unter dem Ofen, nachdem er den ärgsten Rausch ausgeschlafen hatte, rief alle Bewohner in den abenteuerlichsten Nachtkleidern zusammen. Alle waren mehr oder weniger betrunken gewesen, daß sich niemand um den Herrn bekümmert hatte, sogar der Bärnhäuter, daß er diese Nacht vergessen, nach seinem Schatze im Sarge zu sehen. Der Kleine, der schwebend angebunden hing und unter sich die Fliesen sah, die ein Meer mit Schiffen darstellten, glaubte in seinem Halbrausche, er fliege über dem Meere, und wollte sich damit sehen lassen. Als ihm aber die Bande gelöst wurden und er mit der Nase auf dieses Meer fiel, da glaubte er sich verloren. Diese Ideen verwirrten ihn immerfort, als er schon aufgehoben und gereinigt war. Endlich sah er alles ein und verlangte in sein Schlafzimmer; aber neue Verwirrung entstand, als nichts von seiner Frau zu sehen war als das verwirrte Bette. Das war allen ein Rätsel, selbst der alten Braka und der Magd, die recht gut wußten, daß nicht alles sei, wie es sein sollte. „Sie ist wegen ihrer Tugend gen Himmel gefahren, mein Six, das Fenster ist offen“, rief Braka, und das staunende Wurzelmännlein sah ihr an dem Fenster nach, ob nicht ein Paar Beine am Himmel zu sehen. Braka tröstete sich mit dem Gedanken, daß der Erzherzog für ihr gutes Unterkommen gesorgt haben möchte. Das Wurzelmännchen, dem eine Schwalbe etwas in den Mund fallen lassen, sprang in liebender Verzweifelung vom Fenster zurück, um in tausend lächerlichen Sprüngen wie unsinnig durchs ganze Haus zu laufen. Als er die Türe noch offen fand, tobte er gegen den Bärnhäuter; als er aber den Mantel der Geliebten und darin eine Masse ordinären Leimen fand, da wußte er nicht, warum, aber diese Erde gewann er so lieb, als sei es die Verlorne; er sammelte sie sorgfältig, trug sie in sein Zimmer, küßte sie unzähligemal und suchte sie wieder in eine Gestalt zu formen, die der Verlornen ähnlich wäre. Die Beschäftigung tröstete ihn, während unzählige Boten von ihm den Auftrag erhielten, das Land zu durchsuchen, um von ihrem Aufenthalt, wenigstens von dem Wege, auf dem sie entflohen, Nachricht zu bringen. Aber keiner wußte ihm eine Auskunft zu geben, bis endlich Braka, die sich alles Vorteils beraubt glaubte, der ihr aus der Liebe des Erzherzogs zur Golem Bella noch zuwachsen sollte, ihm die Nachricht brachte, Isabella, die Fürstin von Ägypten, welche auf dem Schlosse angekommen und der zu Ehren alle Zigeuner Freiheit erhalten, sich öffentlich wieder zu zeigen und ihr Brot zu erwerben, sei seine verlorne Frau. Der kleine Mann stand in Verwunderung wie erstarrt, dann gürtete er sich mit seinem Schwerte und eilte nach dem Schlosse, um vom Erzherzog hierüber eine Auskunft zu fordern.


Der Erzherzog ließ ihn gern vor sich kommen, hörte ihn an, sprach, daß er die Fürstin vor seinen Richterstuhl fordern wolle, und versammelte deswegen mehrere Herren um sich her. Der Kleine war nicht wenig eitel, daß seinetwegen solch ein Aufsehen gemacht würde; er stand so ritterlich in den Schranken, machte so stolze Augen, daß er, wie durch eine doppelte Brille sehend, Isabella kaum erkennen konnte, als sie in einem roten Samtkleide, mit Hermelin besetzt, Frau von Chievres in einem weißen Damast, auf dessen vorderer Fläche Adam und Eva unter dem Apfelbaume gewebt waren, in das Zimmer traten und die für sie bestimmten Plätze einnahmen. Der Erzherzog verlangte jetzt von dem Herren von Cornelius Nepos, daß er seine Klage vortrage. Dieser hatte nicht umsonst Stunden in der Rhetorik genommen, das wollte er allen zeigen und bewähren; sehr pathetisch ergriff er die ehelichen Mitgefühle der Versammelten, sprach von dem ersten Glücke der Vermählten und von der seligen, sorglosen Ruhe, in welche es alles Streben auflöse, um in dem Erstgebornen das Herrlichste darzustellen, was die ungeschwächte Kraft in ungestörter Leidenschaft hervorbringen könne, weswegen auch die Menschheit alles, was sie unteilbar erblich verliehe, nicht dem zweifelhaft größeren Talente unter den Kindern eines Vaters überlassen möchte, sondern dem Erstgebornen, der in den allgemeinen Gesetzen der Natur das Übergewicht seines Lebens begründet finde. Auch diesen seinen künftigen Erstgebornen, die Freude des Landes Hadeln, wolle ihm der Leichtsinn seiner entlaufenen Frau entziehen, nicht zu gedenken, wie diese jetzige Unruhe schon seinem ersten, keimenden Leben nachteilig sein müsse.

„Der Teufel hat aus dem kleinen Kerl gesprochen“, sagte Chievres leise, „Mich rührt doch sonst so leicht nichts, aber er macht einem seine Not so plausibel.“

Der Kleine fuhr fort: „Wie soll ich aber mein Unglück beschreiben, als ich in jener Nacht, wo das Glück meines Lebens mir entführt wurde, selbst in bangem Bette auf weitem Ozean segelte und an einem andern Bette Schiffbruch litt--gewiß eine Vorbedeutung der Schicksale meines Ehebettes -, was mich dann aufweckte; worauf ich mich wie einen Adler mit ausgebreiteten Flügeln über dem Meere zur Sonne schwebend erblickte, welches doch sicher die Herstellung meines Glückes bezeichnet.“

„Ja, wahrhaftig“, fiel hier Frau von Braka ein, die als Zeugin gerufen worden, „es war doch ein schlechter Streich von den jungen Windbeuteln, die ihn unterm Ofen angebunden hatten, denn sehen Sie ihn nur an, es ist doch immer nur ein schwacher, verbogener Mensch, wie leicht hätte er sich einen Schaden tun können, daß ihm das Hinterste nach vorne umgedreht worden wäre.“

Diese gutmütige Rede versetzte die Versammlung in ein allgemeines Gelächter, und der Kleine erboste, daß er seinen Degen gegen sie zog, der ihm aber noch frühzeitig genug von einem Hellebardierer abgenommen wurde. Jetzt ward er in aller Form des Gerichts von Cenrio verhört, ebenso Braka, bis sie eingestanden, daß sie unter einem angenommenen Namen in der Stadt gelebt. Von den Anforderungen an Bella wollte aber keiner abgehen; sie baten, den Priester kommen zu lassen, welcher die Vermählung eingesegnet hätte. Länger konnte sich Bella nicht halten; sie fragte sie mit Unwillen, ob sie es vergessen, wie sie von ihnen zum Hause hinausgetrieben worden, nachdem sie von ihnen in Buik den Händen einer verruchten Kupplerin überlassen geblieben; sie fragte, ob sie das an dem Kleinen verdient, als sie ihn aus einer unförmlichen Wurzel zu einem kleinen Menschen emporgetrieben?

Der Kleine und Braka gerieten in die größte Verlegenheit; Braka hatte indessen bald ihre Überlegung flott gemacht; sie setzte schnell zur Partei der Bella über und sagte: was sie gesprochen, sei aus Furcht vor dem kleinen Männchen ihr in den Mund gekommen, sie müsse jetzt eingestehen, daß irgendeine falsche Gestalt unter dem Namen Bella dem Alraun vermählt worden sei, die jetzt, sie wüßte nicht wie, verschwunden sei; diese echte Bella müßte sie aber als Fürstin verehren, wie sie ihr seit frühern Jahren gedient habe. Dabei heulte sie wie eine Meute Hunde, die ihr Fressen erwarten, und warf sich vor Bella nieder.

Der kleine Wurzelmann tobte jetzt wie ein Rasender, warf seinen Handschuh hin und schwur, daß er mit jedem fechten wolle, der ihm seine Frau streitig machen oder ihn für einen Alraun erklären wollte. Chievres erklärte jetzt, daß erst dieser letzte Punkt berichtigt sein müsse, ob er ein Mensch, um ihm ritterlichen Zweikampf einzuräumen, ferner ob er ebenbürtig und christlicher Religion sei. Der Kleine behauptete, er habe einen Diener, Bärnhäuter genannt, der dies alles, was ihm hier abgestritten, bescheinigen würde, man möchte nur erlauben, daß er den herbeiholte. Dies wurde ihm bewilligt.

In der Zwischenzeit kam durch Brakas Geschwätzigkeit an den Tag, wie der Alraun alle verborgnen Schätze zu heben wisse und allerorten dergleichen angetroffen habe. Chievres horchte auf und sagte zum Erzherzoge: „Gott segnet ihre Hoheit mit einem Finanzminister in der kleinen Person dieses Alrauns, der ihre künftige Größe fest begründen kann; unabhängig von den Launen der Stände schafft er Eurer Hoheit künftig die Mittel, jede Tätigkeit für sich zu benutzen. Er wird die Seele des Staates; sein Genie wird göttliche Rechte und menschliche Wünsche, die ewig einander widersprechen, ausgleichen können. Lange lebe der Erzherzog und sein Reichsalraun!“

Dem Erzherzoge wurde in diesem Augenblick die künftige Klugheit, die ihn in allen Verhältnissen leitete, vorahndend; er nickte Chievres wohlgefällig zu und sann darauf, wie er das kleine, nützliche Wesen sich verbinden könne. Chievres stieg in seiner Gnade und in seinem Zutrauen durch die unerschöpfliche Erfindungskraft seiner Klugheit.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten