15. - Unterdessen wurde der Herr von Cornelius bei dem Erzherzoge angemeldet, und dieser nahm ihn an, weil ...

Unterdessen wurde der Herr von Cornelius bei dem Erzherzoge angemeldet, und dieser nahm ihn an, weil er der Golem zur Sicherheit ihres Verhältnisses versprochen hatte, ihm eine Anstellung zu schaffen, insofern er von vielen Herren seines Standes ein Zeugnis brächte, daß er ein Mensch sei.

Der kleine Kerl war schon den ganzen Morgen herumgelaufen und hatte sich die Meinungen der Herren, ob er ein Mensch wirklich sei, aufschreiben lassen, sah aber zu seinem Erstaunen, daß bei allen mehr oder weniger Zweifel darüber obwalteten. Die Zeugnisse waren immer nur bedingungsweise ausgestellt, so sagte von ihm der Baron Vanderloo: Wenn er hinter einem Tische säße, würde man ihn schon für einen ordentlichen Menschen passieren lassen, er dürfe aber niemals aufstehen wegen unverhältnismäßiger Kürze seiner Beine, welche ihm Ähnlichkeit mit einem verkleideten Dachshunde gebe.


Herr von Meulen erklärte, er würde durchaus untadelhaft sein, aber seine Mutter müsse einen zu heißen Leib gehabt haben, darüber sei er, wie ein allzu scharf gebackenes verbranntes Brot, aufgerissen und zusammengekrochen.

Graf Egmont schrieb auf den Umlaufzettel: Da es eine Hauptkunst sei, dem Feinde in gewissen Kriegsfällen seine Stärke zu verbergen, so könnte er sehr nützlich in einer Hosentasche jedes tüchtigen Soldaten angestellt werden, die Muskete auf dessen Hosenknopf anlegen und den Feind durch einen ganz unerwarteten Schuß aus den Hosen des Soldaten erschrecken.

Diese und ähnliche Meinungen, die jeder ihm, als sehr günstig für seine Anstellung, eingeredet hatte, brachte der Kleine jetzt dem Erzherzoge, der sie mit verbissenem Lachen durchlas und ihm dann eine ihm angemessene Anstellung in einem Regimente versprach, das er bald errichten wolle, und wozu er neue Art von Helmen erfunden, die durch eine Schelle sich hörbar und durch zwei lange Ohren sichtbar machten. Der Kleine war über die nahe Erfüllung seiner Wünsche entzückt; er hatte noch nie einen Schalksnarren gesehen als in Buik, und da hatte er ihn für eine militärische Person gehalten und die Gewalt seiner Waffen gegen ihn versucht. Er war deswegen auch sehr bereitwillig, den Erzherzog bei sich zu empfangen, der sich nach seiner jungen Frau erkundigte und sie kennen zu lernen wünschte. Derselbe Tag noch wurde zu einem Feste bestimmt, das Herr von Cornelius in seinem Hause geben sollte. Der Erzherzog fühlte, trotz der unbefriedigten Nacht, trotz der Vermutung, eine Zaubergestalt treibe ihren Spott mit seiner Liebe, eine unwiderstehliche Begierde zu diesem Golem. Es war ein Drang andrer Art, als er geahndet, aber er konnte ihn doch nicht abstreiten, nicht zurückweisen; auch konnte er nicht leugnen, daß diese Empfindung etwas Bestimmtes, etwas Mögliches forderte, während jene sich vielleicht ins Unendliche traumartig ausblühte; ja in diesem Zwiespalte seines Gemütes schien ihm das Wesenlose, das Ungewisse in jenen hohen Freuden leer und verächtlich gegen diesen erkannten Sieg seiner Sinne.

Bella war am Morgen traurig den Weg nach dem Landhause gewandelt, wo sie durch einige bekannte Löcher in der Gartenmauer unbemerkt einzuschlüpfen hoffte. Es begegnete ihr aber in der Nähe des Kirchhofes der arme Bärnhäuter, der sich beim Überzählen seines verdienten Schatzes im Sarge etwas zu lange verweilt hatte; als er Bella erblickte, konnte er sich der Tränen nicht enthalten, sondern faßte ihre Hand und fragte, was die liebe, junge Herrschaft mache, er habe es gleich bemerkt, daß sie von einer falschen, nachgebildeten Figur verdrängt sei, aber aus Furcht, seinen Dienst zu verlieren, habe er nichts zu sagen gewagt. Bella bat ihn zu schweigen: seit dem Empfange in dem Hause habe sie einen unwiderstehlichen Widerwillen gegen Braka, Cornelius und alle bekommen, daß sie sich nie entschließen könnte, ihre fürstliche Freiheit dem Zwange der Stadt zu unterwerfen; sie wolle wieder in ihrem alten Hause leben, bis sie freie Leute ihres Volkes antreffe. Dann fragte sie ihn aus, wie sich alles begeben, und warum er an dem Abende nicht erschienen. Da erzählte er ihr, daß er von der falschen Bella ausgestellt worden sei, um den Erzherzog durch die Hintertüre einzuführen, der erst spät anlangen konnte. Bei diesen Worten verschloß Bella den Mund des Bärnhäuters; sie wollte nichts mehr hören, nachdem diese unselige Betrügerin ihr auch das letzte, was sie auf Erden reichlich tröstete, die Liebe des Erzherzogs, entwendet hatte. Der Jammer füllte ihre Seele, und es fiel ihr wie ein Stein vom Herzen, als sie weinen konnte; sie hing sich an den Bärnhäuter und ließ ihn wohl eine Stunde nicht los; ein Glück, daß den Weg wenig Leute gingen, es hätte sonst Aufsehen gemacht. Der Bärnhäuter war bald in ein neues Rechnen in Gedanken gekommen, wie lange er noch dienen müsse, und so ließ er die Tränen an sich vorübergehen, wie eine Mühle den schönsten Wasserfall, sie ist zufrieden, daß nur ihr Rad dabei gehen kann. Zuletzt, als er fürchtete, zu spät zu kommen, wußte er sich nicht anders loszumachen, als daß er eine Pflaume, die wurmstichig vom nahen Baume gefallen war, aufdrückte und sprach: „Wieviel glücklicher ist doch solch eine Made als wir Menschen, je länger sie lebt, je süßer wird die Frucht am Baume; was ich aber als eine Undankbarkeit an dem Tiere betrachte, ist wohl, daß sie alles in ihr Zimmer macht und sich dadurch ihren eignen Lebensgenuß verdirbt.“

Der einfältige Kerl dachte nicht, daß sein eignes Sammeln ins Leben nichts anders gewesen war, als was die Maden in der edlen Frucht anhäufen. Bella war zu traurig, um ihn darauf aufmerksam zu machen, sie ließ ihn aber los, und er verließ sie eilig mit den heiligsten Versicherungen, er wolle für eine Kleinigkeit jede Nacht zu ihr kommen und einholen, was sie brauche.

Sie dachte nicht, was sie noch brauchen könne; ihr fehlte alles. Gleichgültig gegen alle Welt ging sie, ohne eine Vorsicht zu brauchen, nach dem Gespensterhause und öffnete die Türe in der ihr bekannten Art. Keine Betrachtung über die Veränderlichkeit ihres Schicksals störte sie; ganz entehrt fühlte sie sich, seit der Erzherzog sie nicht mehr liebte, ohne Sicherheit und Würde; sie wollte ihn vergessen, und doch war es ihre Angst, wo er eben sein möchte. Auch war es dieser Gedanke mehr als der Hunger, der sie abends nach dem Schlosse zurückführte, wo sie aber diesmal Adrians Zimmer verschlossen fand, weil er mit einigen Geistlichen darin disputierte. Als sie unbestimmt auf dem dunklen Gange des Schlosses stand, kam der Erzherzog und hielt sie in der schwachen Beleuchtung für den ehemaligen Knaben Adrians, den er sich durch kleine Geschenke lange zu eigen gemacht hatte; er rief ihm zu, eine Fackel zu nehmen und ihm nach dem Hause des Herrn von Cornelius vorzuleuchten. Bella erfüllte eilig seinen Befehl, zündete eine Fackel und ging voran. Der Erzherzog war in heftiger Bewegung: ein geheimer Freund war aus Spanien mit der sichern Nachricht angekommen, sein Großvater könne nur wenige Tage noch mit dem ihn lange bedrohenden Tode kämpfen; umsonst suche er dem Tode zu entfliehen und ziehe aus einer Stadt in die andre, wie andre Kranke aus einem Bett in das andre. Carvajal, Zapara und Vargas hätten ihm endlich die Nähe seines Todes vorgestellt, und er hätte, sein Unrecht gegen Karl zu verbessern, statt Ferdinands den Kardinal Ximenez zum Reichsverweser ernannt und die rechtmäßige Erbfolge Karls unangefochten gelassen. Der magnetische Kreis der nahen Herrschaft bewegte Karls herrschendes Gemüt so unruhig wie ein Nordlicht die Magnetnadel; dabei war er so in sich versunken, daß er keinen Blick auf Bella warf, sondern, ohne darauf weiter zu achten, dem Schein der Fackel nachlief und Bella befahl, vor dem Hause bis zu seiner Heimkehr zu warten.

Die arme Bella! sie löschte ihre Fackel wie ein guter Genius, der nicht mehr helfen kann. Der ernste Blick und Ton des Erzherzogs hatte allen ihren Mut, ihn anzureden, niedergeschlagen; sie gab ihn ihrer Liebe verloren und war in sich still versunken, als sie das Geschrei einer Musikantenbande aus ihrer Schmerzenstiefe erweckte. Sie hörte nichts von dem Liede, womit sie sich eine Gabe aus dem erleuchteten Hause zu erflehen suchten; die Erinnerung ihrer Retter aus den Händen der Alten stieg in ihrem Herzen auf, zugleich die Erinnerung jener überstandnen Angst; sie zagte für ihre Zukunft und wußte doch nicht, was sie noch verlieren könnte. Es wohnt aber in den Menschen, die zu einer großen, allgemein wirkenden Äußerung, von hoher Hand vorbereitet, sie noch nicht erkennen, eine erhaltende Kraft, die ihnen im gewöhnlichen Kreise das Ansehen der Zaghaftigkeit geben kann; ihren großen Lauf ahndend, scheuen sie die hemmende Kraft des schlechten, und nur ein ganz erfassender Glaube kann ihnen in den Unbedeutendheiten des Lebens die Zuversicht und Dreistigkeit geben, die ihnen im großen nie fehlt. Bella fühlte ungeachtet ihrer Vernichtung einen erhaltenden Wunsch in sich. Ihre Hilflosigkeit, und was ihr im Gedränge der Menschen; die nachts in der Hauptstadt umherschwärmten, geschehen könnte, erschreckte sie; sie verkroch sich zwischen den Säulen einer kleinen Kapelle der heiligen Mutter, die neben ihrem ehemaligen Hause ganz verlassen unerleuchtet stand. Diese Bande von Musikern, welche sich vor dem Hause hören ließ, unterschied sich aber gar herrlich von jenen rohen Sängern auf der Kirmes. Es waren weder Bettler noch Diebe, sondern junge Leute aus allen Ständen, die sich abends zusammenfanden mit ihren Lauten und allerlei Lieder, so gut ein jeder sie wußte, absangen. Was sie einnahmen, verjubelten sie entweder zusammen gegen Morgen, ehe sie voneinander schieden, oder sie schenkten es den Mädchen, die sie mitzugehen beredet hatten. Diese Sänger waren in den Städten so beliebt, daß die Eltern ihre Kinder abends nicht eher zu Bette bringen konnten, bis der Zug vorübergegangen, und wenn auch die Knaben den Trommelschlag vorzogen und ihm nachliefen, der abends den Torschluß verkündigte, die kleinen Mädchen hörten lieber die Sänger und folgten ihnen bis an die Straßenecke. Mancherlei freche und traurige Lieder waren unbemerkt vor Bellas Ohren vorübergegangen, als ein junger fahrender Schüler sich vor der heiligen Mutter hinstellte, daß die hellerleuchteten Fenster des Hauses sein trauriges Gesicht erleuchteten; dann sang er ein Lied, das damals allgemein gesungen wurde und in seinen Schicksalen vielleicht eine besondre Rührung vorfand:

Die freie Nacht ist aufgegangen, Unsichtbar wird ein Mensch dem andern, So kann ich mit den Tränen prangen Und hin zu Liebchens Fenster wandern. Der Wächter rufet seine Stunden, Der Kranke jammert seine Schmerzen, Die Liebe klaget ihre Wunden, Und bei der Leiche schimmern Kerzen.

Die Liebste ist mir heut gestorben, Wo sie dem Feinde sich vermählet, Ich habe Lieb' in Leid geborgen, Ihr Tränen mir die Sterne zählet. Wie herzhaft ist das Licht der Sterne, Wie schmerzhaft ist das Licht der Fenster, Ein dichter Nebel deckt die Ferne, Und ich umspinnen die Gespenster.

Im Hause ist ein wildes Klingen, Die Menschen mir so still ausweichen, In Mitleid mich dann fern umringen: So bin ich auch von euresgleichen? Mich hielt der Wald bei Tag verborgen, Die schwarze Nacht hat mich befreiet. Mein Liebchen weckt ein schöner Morgen, Der mich dein ew'gen Jammer weihet.

Wie oft hab ich hier froh gesessen, Wenn alle Sterne im Erblassen, Ach, alle Welt hat mich vergessen, Seit mich die Liebste hat verlassen: Nichts weiß von mir die grüne Erde, Nichts weiß von mir die lichte Sonne, Der Mondenglanz ist mir Beschwerde, Die Nacht ist meiner Tränen Bronne.

Hier hielt er inne, schlug seinen Mantel über die Arme, zog eine kleine Laterne hervor, holte eine brennende Kerze heraus und stellte diese vor das Bild der heiligen Mutter; dann sang er in verändertem Ton:

Nichts weiß von mir die liebe Mutter, Nichts weiß von mir der gute Vater, Doch zünd ich ein Licht der heiligen Mutter, Doch glaub ich an einen himmlischen Vater.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten