14. - Endlich hörte er den Erzherzog, der bei dem Grafen Egmont zu Nacht gegessen hatte, im Schlosse einreiten ...

Endlich hörte er den Erzherzog, der bei dem Grafen Egmont zu Nacht gegessen hatte, im Schlosse einreiten; er wartete noch einige Zeit und ging dann fort, ohne daß es Bella bemerkte, ihn in seinem Schlafzimmer aufzusuchen. Cenrio, von seiner Ankunft sehr überrascht, winkte ihm, leise aufzutreten, weil der Prinz sehr müde gewesen und gleich in einen tiefen Schlaf gesunken sei. Adrian ging an das Bette, sah das hellblonde Haar des Prinzen, wie er es gewöhnlich mit einem goldenen Netze umspannte, und zog sich auf den Zehen, mit der Hand Ruhe winkend, zurück. Cenrio biß sich lachend auf einen Finger und krümmte vor Lustigkeit den Leib und hob ein Bein auf; der gefährliche Betrug war gelungen, und Adrian hatte die ausgestopfte Puppe für den wahren Erzherzog gehalten, der inzwischen seine lebendige Bella versäumte, um bei der leblosen Puppe Golem Bella an dem Nachgenusse der Liebe, die ihn das erstemal so reich entzückt hatte, zu verzweifeln. Er hatte nämlich schon am Morgen jene Golem Bella, die außer den Liebesgedanken der wirklichen Bella noch ein gemeines jüdisches Gemüt hatte, durch Cenrio bestimmt, seinen Besuch in der Nacht anzunehmen, nachdem das Wurzelmännlein mit einem Schlaftrunke, den er ihr mitgeteilt, zur Ruhe gebracht sei. Auch Braka wußte darum und sollte in ihrem Bettplatze vikariieren, weil der Kleine so eifersüchtig war, daß er selbst schlafend einen Finger von ihr in Händen hielt; dies war seine einzige Art, ihr zu liebkosen, daß er diesen Finger zuweilen küßte. Der Erzherzog war in das Haus geschlichen, als der Kleine, über die zweite Bella noch immer sehr verwundert, kaum zur Ruhe gebracht worden; er mußte lange harren, ehe Golem Bella sich losmachen und zu ihm kommen konnte, und jetzt war seine Neugierde aufs höchste gespannt, wie es ihr ergangen und wie sie dem Herrn von Cornelius vermählt worden, was aus der Golem geworden sei, die er vom Juden habe nachbilden lassen, um ihren Mann zu täuschen. Golem Bella antwortete auf das alles so natürlich, daß er keinen Argwohn schöpfte, sie selbst möchte diese Puppe sein: insbesondre, da er die täuschende Kunst der Sinne für unfähig achtete, sein scharfes Auge zu täuschen. Sie sagte ihm, daß Cornelius aus Argwohn gegen sie, als ob sie mit dem Erzherzoge ein Verständnis habe, erst sehr böse gewesen und sie dann gezwungen hätte, sich ihm im nächsten Dorfe zu vermählen, wofür sie in der Liebe des Erzherzogs eine Entschädigung zu finden hoffe. Die geheimnisvolle Stunde war nicht zu langen Erörterungen geschaffen; der Erzherzog hatte die Zauberei spielend herausgefordert, seine Lüste zu begünstigen, diesmal täuschte sie ihn um seine Lust; in der Liebe ist alles so ehrlich, daß jeder Betrug, wie ein falscher Stein in dem prachtvollsten Ringe, das freie Zutrauen stören kann, und betrog nicht der Erzherzog Bella, als er sie durch sein Kunststück in seine Gewalt brachte? es war nicht Liebe allein, es war der Wunsch in ihm, sich zu rächen, weil er sich betrogen glaubte, daß er sie so wild und rasch seiner Lust opferte.

Als der Morgen dämmerte und die Krähen, die einzigen Singvögel großer Städte, schrien, als ihn Cenrio erweckte, da konnte er nicht begreifen, was ihm mitten im Genusse gefehlt hatte; sein ganzes Herz war traurig und schwer, weil es nicht jubeln konnte, wie damals, als er sich von Bella in Buik trennte; ja es war ihm, als sei es ein anderes Wesen gewesen, die bei ihm geschlummert, und wäre sie nicht früher fortgeschlichen gewesen, er hätte sicher die dunkeln Locken von der Stirn erhoben, um das Wort des Todes zu entdecken. Er verfluchte die Nacht und schwor sich, nie wieder diesen Weg zu gehen, auf welchem er sich verkleidet in sein Schloß schlich, wo ihm Cenrio erst erzählte, welche Gefahr er gelaufen, von dem alten Adrian entdeckt zu werden.


Der alte Adrian war unterdessen in einer viel ärgern Verlegenheit gewesen; gleich nachdem er den ausgestopften Erzherzog verlassen, hatte er sich ernste Vorwürfe gemacht, daß er auf den Gedanken gekommen, die Liebschaft des Erzherzoges zu begünstigen. Er hätte Bella ohne Barmherzigkeit verstoßen, wenn er nicht vorher schon dem Türsteher hätte sagen lassen, das Schloß zu verschließen, er habe das verdächtige Mädchen schon zur Hinterpforte hinausgelassen. Die Nachtposten waren jetzt auf den Gängen verteilt, und es hätte ohne ein böses Gerede nicht endigen können, wenn er so spät noch ein Mädchen aus seinem Zimmer entlassen hätte; er mußte sich also in zagender Geduld fügen und der armen, müden Bella sein eignes Bette zum Nachtlager anweisen, während er sich selbst vornahm, sich durch ein hartes Bußlager von jeder Versuchung frei zu halten. Seine Verlegenheit ging aber bald an, als ihm unwiderstehlich nach dem Wasserglase verlangte, das sich Bella an ihr Bett gesetzt: es war das einzige, und es drängte ihn der Durst, daß er aufstehen mußte und Bella, vom festen Schlafe rötlich angewärmt, schnell atmend in schöner Lage erblickte. Ihm war nie solch ein Anblick vorgekommen, und er konnte es selbst nicht recht begreifen, warum er so langsam trinken mußte und gar nicht fertig werden konnte, die einzelne Fliege abzuwehren, die immer zu dem schlafenden Engel zurückkehrte; endlich stach ihn selbst eine Art Götterverehrung, die bis dahin nur ganz äußerlich aus den römischen Dichtern in seine Rhetorik übergegangen war. Venus war jetzt Fleisch geworden, er rief sie in Horazens Versen leise an, und wer weiß, wozu ihn diese läppische Schulweisheit verführt haben möchte, wenn er nicht mitten in seiner Adonisrolle seine Tonsur und sein graues Haar im Spiegel gesehen hätte. ihm schauderte, es war ihm, als habe er einen Heiligen gesehen, der sich im Nachtmahlwein vor seinem Tode betrunken. Er legte sich seufzend auf die harten Dielen, konnte aber nicht schlafen, denn seine Gedanken waren immer beschäftigt, bald reuig, bald sündig, bald wie er sich aus der Verlegenheit ziehen sollte, wie er Bella fortschaffen und doch für sie sorgen könnte; auch war es ihm zumute, als könnte er sie nicht von sich lassen. Allmählich verweilte sein Auge bei den Kleidern eines Knaben, der ihm lange aufgewartet hatte, und den er wegen seiner Tücken endlich fortgejagt hatte; diese schienen ihm geschickt, das Mädchen unbemerkt aus dem Hause zu führen. Als Bella aufwachte, sich die großen Augen rieb und erschreckend fragte, wo sie sei, und fast weinte, hatte der gute Alte erst genug zu trösten. Er betete ihr ein Ave Maria, das sie ihm fromm nachsagte, dann erst erzählte er ihr, daß sie sich in Geduld fügen müsse, er könne sie nicht zum Erzherzoge führen, das sei gegen sein Gewissen; aber er wolle für sie sorgen, ob sie ihm nicht einen Rat geben könne, wo sie unterzubringen, da er niemand kenne. Sein voriger Knabe, der habe bei armen Verwandten gewohnt und sei morgens und abends gekommen, um sich zu erkundigen, ob er für ihn etwas zu laufen oder sonst zu verrichten habe; wenn sie dessen Kleider anlegen wolle, könne sie ihm dieselben Dienste, welche ihm die vornehmen Hoflakaien immer unordentlich versorgten, in den Kleidern des Knaben verrichten. Bella nahm alles an, was ihr der Alte riet, denn sie sah die Möglichkeit, den Erzherzog in dieser Verkleidung zu sehen, und das war jetzt ihr einziges Verlangen; sie eilte zum Ankleiden des neuen Staates, aber ihr fehlte alle Kenntnis, wie sie diese verschlitzten und vielfach mit Haken und Ösen verbundenen Beinkleider und den Wams anlegen sollte, so daß ihr der alte geistliche Herr nicht ohne Lachen dabei helfen mußte. Sie erzählte ihm, daß sie wieder nach dem Landhause zurückkehren und sich dort verstecken wolle; ihre Haut wisse sie durch Pflanzensäfte so zu bräunen, daß niemand sie für ein Mädchen halten sollte. Adrian sah wohl die Klugheit ihres Volks bei allen ihren Äußerungen, aber er fürchtete sich doch vor Verrat und war gar sehr erleichtert, als er sie aus dem Schloß entlassen über den Platz hinschreiten sah, wo die Buben, welche einen Reifen trieben, ihr in der Meinung zuriefen, es sei ihr alter Kamerad, der vorige Knabe Adrians.

Das war seine letzte Angst für diesen Tag; nachher eilte er zum Erzherzoge, und als er ihn noch schlafend fand, der die Nacht versäumt hatte, schüttelte er ihn auf und hielt ihm eine lange Strafrede über die Trägheit, daß in ihr, wie in einem bodenlosen Meere, kein Anker der Tugend fassen könne, sondern verloren gehe. Den Abend habe er ihn nicht stören wollen, denn die Stunden vor Mitternacht seien der edelste Schlaf, wo eine einzige für Körper und Seele mehr wert als zwei nachher; jetzt aber, wo ihm die Sonne in die Naselöcher scheine, sei das Schnarchen etwas ganz Ungeziemendes.

Er konnte stundenlang so fortreden und brachte diesmal den Erzherzog aus einem Schlaf in den andern, so daß der alte Herr endlich unmutig aufstand und Cenrio die Beweise vortrug, daß jenes vermeinte Werk des Petrus Lombardus, was er in Buik aufgefunden, entweder erdichtet oder aus einer Zeit des Verfassers sei, wo er seinen Geist und seine Grundsätze schon aufgegeben hätte. Cenrio tat verwundert; heimlich lachte aber der Schelm, daß die alte Scharteke dem gelehrten Manne so viel Studium gekostet; er fragte ihn dann nach der merkwürdigen Sternenjunktur, die er in Buik beobachtet, worauf ihm Adrian deutlich machte, daß in der Nacht ein mächtiger Herrscher im Morgenlande gezeugt sei, wo aber, das könne er nicht herausbringen. Auch hierin fand sich Cenrio heimlich wieder viel besser unterrichtet, ungeachtet ihm einige Dinge im Kopfe herumgingen, die er nicht bequem reimen konnte, vielleicht weil die Natur bloß Assonanzen machen wollte, er hatte nicht herausbringen können, wo die Golem Bella geblieben; auch wußte er nicht, wie Bella wieder zur alten Frau von Braka zurückgekommen, nachdem sie von dieser in den Armen des Erzherzogs zurückgelassen, Dinge, die er aus Zeitmangel und aus Überfluß an Zeugen mit dem Erzherzoge noch nicht überlegen konnte. Nachdem der Alte das Zimmer verlassen mit den Worten: „Kurios, kurios, ich gäbe was darum, dies Wunderkind zu entdecken!“

so wendete Cenrio seine Fragen an den Erzherzog, der nicht wenig erstaunt war, da er selbst in seiner Lust nach einer verlornen Bella geschmachtet hatte.

„Gewiß ist jene verloren, die ich liebte, die im Tor meines Lebens wie die zarte Morgenröte vor der hellen Sonne verschwunden ist, statt des Götterbilds habe ich eine irdische Gestalt umarmt, die mich in niederer Glut an sich zieht, und vor der mein Herz zurückweicht. Ach, daß Millionen auf mich blicken! Dürft' ich ein armer Pilger werden, wie wollte ich die Welt durchirren, meine Klagen allen Winden singen und sie aufsuchen, der ich ewig gehöre, und wenn ich sie nicht fände, als Einsiedler in den stillen Kapellen des Monserate vertrauern: Cenrio, das wäre, was ich mir wünschte, und da ich es nicht erreichen kann, da werde ich auch vieles nicht erfüllen, was die Welt von mir will.“

Cenrio gehörte zu den verkehrten Fürstenhofmeistern, die jeden ernsten Gedanken wie eine Zugluft von dem verehrten jungen Leben abhalten möchten. Sie wollen sie im Genusse bilden, und der Genuß eines Fürsten ist so beschränkt und die Entsagung so überschwenglich; der Scherz bleibt vor ihrer Tür stehen, und der Ernst herrscht wie ein alter Geist im Schlosse. Cenrio versprach dem Erzherzoge, in Buik alle Erkundigungen einzuziehen, um das Rätsel zu erklären, und eilte dahin.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten