13. - Bella hatte sich unterdes mit einer Schnelligkeit auf den ihr wohlbekannten Fußpfad nach Gent ...

Bella hatte sich unterdes mit einer Schnelligkeit auf den ihr wohlbekannten Fußpfad nach Gent begeben, daß sie sich nach einer Stunde ganz erschöpft hinter einen Dornstrauch versteckte, um ein wenig sich zu erholen. Es zog allerlei betrunknes Volk vorüber, was auch von der Kirmes kam, aber keiner bemerkte sie, nur die Hunde schnupperten und bellten sie an; da aber der Dornstrauch als Grenze einer Feldmark sie versteckte und auch mancherlei Knochen den gewöhnlichen Gebrauch dieses Ortes verrieten, so gab lange Zeit niemand auf sie Achtung. Sie verfiel in einen tiefen Schlaf, aus dem ihr das Bewußtsein erst am folgenden Abende wiederkam. Nun konnte sie zwar in dem krampfhaften Zustande, der sich ihrer bemächtigt hatte, selbst dann noch nicht ein Glied erheben oder die Augen aufschlagen, doch hörte sie in einzelnen Momenten, was ringsumher auf dem Wege gesprochen wurde. Sie hörte das Bellen eines Hundes, wie in dichter, nebeldunkler Nacht der verirrte Schiffer davon überrascht wird, aus einem unbemerkt angenäherten Schiffe; jetzt hörte sie auch Stimmen, und sie merkte aus der Art, wie sie sprachen, daß es ein paar Flurschützen von den beiden aneinanderstoßenden Dörfern wären. Der eine sprach: „Hör, Peter, das tote Weib liegt auf deinem Grund und Boden.“

„Soll es gelten“, antwortete der, „und wir müssen sie auf unsere Kosten begraben lassen, so leg ich hier einen großen Stein in die Erde, und das Stück gehört unser, und die Grenze kommt jenseits.“


„Den Teufel nein“, sagte der andre, „du bist verflucht gerieben und bist noch ein halbwachsener Bengel, ich hätt' sie euch gern aufgeladen, ja da werden wohl beide Gemeinden die Leichenbestattung zusammen bezahlen müssen, das macht viel Mühe und Kosten und gibt sicher noch Streit.“

„Hör, Alter“, sagte der andre, „ich hab ein Kunststückchen vom vorigen alten Flurschützen, dem rothaarigen Benedikt, gelernt, der sagte immer: wenn ich einen Toten finde, so seh' ich's ihm gleich an, er sieht so grämlich aus, bei uns will er nicht gern begraben sein: ei nun, sein Wille geschehe, ich mache ein Kreuz über die Schelde, werf ihn hinein, und wo er ans Land treibt, da will er gern hin--aber, Bub, es muß niemand sehen.“

„Hör, Peter, der Gedanke ist so dumm nicht; siehst du niemand, wir fassen zusammen an und tragen sie ins Wasser.“

Bella wollte rufen, aber sie vermochte auch nicht die kleinste Lebensäußerung zu zeigen; schon griffen die beiden Leute sie an, als der junge Flurschütz rief: „Halt, laß liegen, was führt der Teufel da für einen struppigen Kerl vom Galgenberge herunter, laß uns nach den Wiesen gehen, in zwei Stunden ist's dunkel, da sieht uns niemand.“ Bei diesen Worten gingen sie miteinander die Grenze herunter, und Bella war von der unsäglichen Angst in einen wunderlichen Traumzustand übergegangen, in welchem sie den Vater mit herrlicher Krone auf der ägyptischen Pyramide, die er ihr oft gezeichnet hatte, sitzen sah; seine Beine waren aber aneinander gewachsen und seine Hände an den Leib gelegt, und sie fragte ihn ganz ruhig: „Deine Hand kannst du mir wohl nicht mehr reichen wie sonst?“

„Nein“, sagte er, „sonst hätte ich dir eben beigestanden; sonst hätte ich dich früher zurückgehalten, als du den Alraun gegraben: sei froh, du bist frei von ihm! Du bist gesegnet, ein Kind zu tragen, das unser Volk heim führt. Du aber wirst noch Trauer erleben, sei aber furchtlos wie ein Nachttau, welcher der Sonne entgegengeht und sie anblickt, auf daß sie ihn von hinnen nehme.“ Nachdem dies Traumgesicht ihr entschwunden, wachte sie auf. Die Sonne war im Sinken, und sie konnte sich erheben und fühlte nur Ermattung noch in allen Gliedern. Sie schlich langsam der Stadt zu und ging mit einem Seufzer bei dem verlassenen Landhause vorüber, das ihre Jugend geschützt hatte: es war ihr jetzt zu eng, zu klein, und sie eilte nach dem Hause, wo sie vor drei Tagen mit wunderlichen Erwartungen ausgefahren war. Zutraulich bewegte sie den Klopfer der Tür, es trat ihr die bekannte Magd entgegen, sie fiel ihr um den Hals; diese aber trat zurück und kannte sie nicht. Als sie sich nannte, schrie das Mädchen auf, ließ den Blaker fallen und lief hinauf zur Herrschaft und schrie, daß sie es hören konnte: „Jesus Maria, da ist noch eine Bella!“

Braka, Cornelius und seine junge Gemahlin, die Golem Bella, stürzten zum Zimmer hinaus, die Ankommende zu beschauen. Wie läßt sich alles gegenseitige Erstaunen malen? Braka wußte durchaus sich nicht zu fassen; Golem war gleichgültig, als wäre sie ihrer Sache zu gewiß, um sich in ihrer eignen Person zu irren. Bella weinte; von der Müdigkeit, vom Hunger erschöpft, hatte sie kaum die Kraft aufzublicken. Cornelius, der sich auf einmal im Besitze zweier Frauen sah und durchaus jetzt nicht begreifen konnte, wozu er überhaupt eine genommen, sprang wie ein brennender Frosch, so nennen es die Feuerwerker, zwischen allen herum, fluchte und schimpfte und wußte eigentlich selbst nicht, was er sagen sollte. Die Magd und Braka kamen zuerst darauf, unsere Bella möchte doch wohl die echte sein, aber Cornelius widersprach heftig, weil ihm die geschmückte Golem besser gefiel als Bella in den alten Lumpen der Dorfsängerin. Bella bat nur um ein Nachtlager und Nahrung, weil sie erschöpft sei von Müdigkeit; wenn sie am Morgen nicht mehr geduldet werden sollte, könnte sie leicht weiterziehen. Aber auch dies wollte Golem nicht leiden, die, wie wir wissen, außer den wenigen Gedanken, welche der Spiegel von Bella zu ihr übergetragen und die ihr eine auswendig gelernte Form waren, ein echtes Judenherz in ihrem Körper bewahrte und jetzt in der Furcht, die Fremde könnte sie verdrängen oder Geld kosten, schrie: daß, wenn sie nicht freiwillig gleich das Haus verließe, wenn sie ihre trügliche Ähnlichkeit mißbrauchen wollte, ihres Mannes Liebe zu teilen, so würde sie ihr das falsche, lügenhafte Antlitz mit den Nägeln zerreißen. „Du, Mann“, rief sie und wendete sich drohend gegen ihn, „daß du noch so dastehst und ihr nicht schon längst das Genick gebrochen, das beweist mir deine Schlechtigkeit, du hast dich auch mit ihr abgegeben, und ich will euch dafür die Köpfe zusammenstoßen, daß euch das Küssen auf ewig vergehen soll, ihr Ehebrecher!“

Cornelius fürchtete sich gewaltig vor ihrer Stärke; er stellte sich darum grimmiger, als er es eigentlich meinte, erhob sein Stöckchen und rief: „Erbärmliches Fräulein, ich will dich strafen.“

Braka mußte über sein närrisches Hahnreigesicht fast lachen, wie er sich so grimmig anstellte; aber Bella schlich einsam hinunter, Cornelius hieb auf das Geländer, trat zurück und sagte: „Der habe ich ein paar aufgezogen, daran soll sie ihr Lebtag gedenken.“ Golem küßte ihn dafür und nannte ihn ihren lieben Mann, und er ahndete nicht, daß er die herrliche Bella für eine Lehmpuppe verworfen, denn leider hatte ihm Golem Bella in der Nacht der Hochzeit die beiden ahndenden Augen, die er noch immer im Nacken bewahrt hatte, unwissend, weil sie da keine Augen vermutete, eingedrückt. Solch Unglück ist leicht bei außerordentlichen Eigenschaften; ich erinnere mich eines außerordentlich begeisterten Redners, der diese Eigenschaft ganz verloren, seit die Zuhörer, um einen Versuch mit ihm zu machen, ihn einmal während dieser Begeisterung mit kaltem Wasser übergossen. Bella war jetzt entschlossen, beim Erzherzoge eine Zuflucht zu suchen; sie kannte sein Schloß, das über die andern Häuser hervorragte, aus der Ferne, und so heftig ihr das Herz klopfte, ihre Knien zitterten und ihre Sprache fast versagte, sie brachte es endlich doch beim Türsteher an, daß sie den Erzherzog notwendig sprechen müsse. Der Türsteher, ein alter Mann, war ganz in dem Interesse des alten Adrian, der ängstlich die Unschuld seines Prinzen bewachen ließ, um seine Lebensdauer zu verlängern. Der alte Türsteher ließ Bella in ein Zimmer treten, ging heimlich zu Adrian und hinterbrachte ihm, daß ein verdächtiges Mädchen nach dem Erzherzoge gefragt habe. Adrian saß eben bei seinem Nachtessen, einem feisten Hahnenbraten, auf seinem Studierzimmer, wie er da abends allein zu essen gewohnt war; er befahl mit zornigen Augenbraunen, das Mädchen hereinzuführen. Bella wurde eingeführt, aber nach dem Erschrecken über die Abwesenheit des Prinzen machte ihr der Anblick des kräftigen, würdigen Adrian einen sehr beruhigenden Eindruck. Er sah sie an und sprach nichts als: „Kurios, kurios!“

Sie sah den Braten, und vom langen Hunger getrieben, rückte sie einen Stuhl ihm gegenüber zum Tisch, schnitt sich ein Stück ab und aß mit dem Heißhunger eines armen Leibes, der seit zwei Tagen nichts genossen. Adrian schüttelte mit dem Kopfe, sagte wieder: „Kurios, kurios“, legte ihr dann gekochte Früchte vor, die dem Braten zugesellt waren, und schenkte ihr ein Glas Wein ein. „Du bist ein wunderliches Mädchen“, sagte Adrian, „sprich, wann bist du geboren? ich möchte deine Zeichen erforschen.“

„Ach, würdiger Herr“, sagte Bella, „ich weiß es mir nicht mehr recht zu erinnern, ich muß zu der Zeit noch sehr dumm gewesen sein.“

„Kurios, kurios“, sagte Adrian, „wie hieß aber dein Vater?“

„Ach, mein armer Vater“, sagte Bella, „wenn der das gewußt hätte!“

„Kurios, kurios“, sagte Adrian; „nun, ich will deine Geheimnisse nicht wissen.“

„Aber kommt denn der Erzherzog nicht bald?“ fragte Bella.

„Kurios, kurios“, sagte Adrian, „du meinst wohl gar, ich soll dich zu ihm führen, das geht nicht.“

„Ei, Väterchen“, schmeichelte Bella, „tu's doch, ich muß ihn sprechen, führ mich zu ihm, es macht ihm sicher Freude, ich hab ihn so lieb.“

„Ein wunderliches Mädchen“, flüsterte Adrian vor sich, „macht mich zu ihrem Liebesboten; wer weiß, ob ich mit dieser Liebschaft nicht des Prinzen leichten Sinn an einen Menschen binden könnte; es wird nicht lange mehr gelingen, ihn von dem Umgang mit den Frauen abzuhalten, gar viele mühen sich um ihn, die ihn auf eitle Wege führen könnten, und diese scheint noch schuldlos jung.“ Die Religion war in ihm beim Lesen der alten römischen Dichter zu einer Art klugen Naturkunde geworden.

„Was sprichst du vor dir, lieber Vater?“ fragte Bella.

„ich will dich bald zum Erzherzog führen“, sagte Adrian, „wart nur etwas, und bist du müde, ruhe aus auf meinem Bette und sprich recht zutraulich, woher du bist, ich will es treu behalten.“

Bella fand ihre ganze Seele gegen ihn erschlossen; sie erzählte ihm aufrichtig ihr ganzes Schicksal, nur eins konnte sie ihm nicht sagen, wie sie mit dem Prinzen in Buik zusammengetroffen, sie sagte, daß sie sich im Gedränge von der alten Braka verloren hätte. Nach dieser Erzählung versank Adrian in ein tiefes Nachdenken und in mancherlei Rechnerei, worüber Bella einschlief. Sowie er wieder etwas Merkwürdiges über sie herausgerechnet zu haben meinte, trat er an ihr Bette, lehnte sich sachte über und sah sie verwundert an; überhaupt war es ihm merkwürdig, wie ein Mädchen auf seinem harten, geistlichen Lager schlafe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten