07. - Die ersten beiden Monate wurden darauf verwendet, ein vornehmes Wesen zu erlernen; es wurden Lehrer ...

Die ersten beiden Monate wurden darauf verwendet, ein vornehmes Wesen zu erlernen; es wurden Lehrer und Lehrerinnen angenommen, und was sich im Betragen der alten gnädigen Frau nicht schickte, wurde immer dem Lande Hadeln zur Last gelegt, wo das Adeln noch nicht recht tief eingedrungen sei. Bella erschien bald in allen ihren Sitten der feinsten Gesellschaft gleich; sie sprach spanisch mit Fertigkeit. So verborgen sie sich hielt, war sie doch schon das Gespräch der jungen Leute, die alle Tage vor dem Hause vorüberritten, um sie zu sehen und ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Der Herr Cornelius befand sich am schlechtesten bei seinem neuen Stande, die enge Kleidung wollte ihm gar nicht behagen, und das Fechtenlernen machte ihn zum Umsinken müde. Auf der Reitbahn konnte er es mit allem grimmigen Gesichterschneiden durchaus nicht vermeiden, daß nicht über ihn als über ein Wundertier gelacht wurde, die zahmsten Pferde wurden bei seiner ewigen Unruhe wild und warfen ihn herunter. Er aber war nicht abzuschrecken, er stieg gleich wieder auf, und das wiederholte sich oft zehnmal in einer Stunde, kein andrer Mensch hätte diese Stöße aushalten können. Glücklicher war er in seiner übrigen Ausbildung; seinen Lehrer der Rhetorik beschämte er oft mit seiner Beredsamkeit und ärgerte ihn mit seinen Späßen. Er konnte den meisten Leuten in ihrer Sprache geschickt nachreden, hatte aber keine eigne Sprache; dennoch machte ihm sein boshafter Wille, der manches Versteckte mit ahndendem Auge auffassen konnte, eine Menge Bekannte, die ihn in Schutz nahmen und alle Leute auf den Fuß mit ihm setzten, daß dem Kleinen nichts übel zu nehmen sei; ihm wurde jede Stadtgeschichte vorgetragen, und er mußte sie vermehren und mit Einfällen spicken, so wurde sie weiter in Umlauf gesetzt, daß eine Art von Reibung in der Stadt entstand, die endlich auch den Erzherzog berührte. Der Erzherzog hatte die Nachricht bekommen, daß er wegen eines im Briefe an seinen Großvater Ferdinand ausgelassenen Titels von demselben enterbt worden sei, als er eben ärgerlich nach Hause kam, weil er ein tragendes Reh, das er für einen Rehbock angesehen, geschossen hatte. Beide Ereignisse hatte der kleine Cornelius gleich in Verbindung gesetzt und bat einen Pagen, er möchte dem Erzherzog raten, statt beim Großvater lieber im Walde einen Bock zu schießen.

Der Erzherzog erfuhr die Worte, und da er leichten Blutes war, so mußte der Edelknabe den Spötter zum Essen laden. Der kleine Cornelius trat innerlich mit einem Beben, aber um so frecher und unverschämter ins Zimmer; Karl war in der Blüte seines Lebens, und sein Mitleid beschwichtigte den lächerlichen Eindruck, den ihm der kleine stramme Kerl machte. Karl fragte ihn über sein Land aus, der Kleine war unerschöpflich in lächerlichen Beschreibungen von den Bauern im Lande Hadeln, und jedermann hätte geschworen, es sei wahr. Über das ihm reichlich wie Zuckerwerk zugeworfene Lob stieg ihm der Mut immer mehr in der Eitelkeit, wie ein Tauchermännlein, wenn der Druck der großen Hand über ihm nachläßt; er fing an von seinem Zweikampfe zu prahlen, den er zur Ehre seiner Damen gegen zwei fremde Ritter bestanden, die er tödlich verwundet hätte, wobei er aber selbst an der Brust durchstoßen, so daß er halbtot nach Gent gefahren sei. Als einige nach dem Wundarzte fragten, der ihn behandelt, und seiner Zuversicht mit zweifelndem Blick begegneten, riß er sich die Weste auf und zeigte seine eingekerbte Wurzelhaut, die jedermann für vernarbt ansah. Nach diesem Hauptschlag rühmte er seine Reichtümer und seine Familie; die Tante Braka wurde eine so altadelige herrliche Hofdame, voll Erfahrung und Charakter, Herzensgüte, Zartgefühl und feiner Lebensart, wie Gent noch keine aufzuweisen hätte. Bellas Schönheit übertraf nach seiner Beschreibung die Helena; dabei erzählte er von ihrer Unschuld eine Menge Anekdoten, die allerdings wahr waren, die ihm aber niemand glauben wollte, weil sie ihre wunderliche Erziehung und Natur hätten kennen müssen. Zuletzt gab er zu verstehen, daß er sie heiraten werde. Der Erzherzog bekam einen eignen Anfall von Sehnsucht nach ihr, wie er aber schon früh sich zu verbergen wußte, so suchte er nur durch Spott den Kleinen dahin zu bringen, daß er einmal öffentlich mit seiner Braut erschiene, und dazu schlug er ihm die nächste Kirmes in Buik vor, die von allen vornehmen und geringen Gentern gleich zahlreich besucht werde. Der Kleine ließ sich fangen und gab das Haus der Frau Nietken an, wo er mit den Seinen erscheinen wollte. Nach dieser Verabredung gingen sie auseinander, aber der Erzherzog, der noch kein Mädchen näher kennen gelernt hatte und die meisten nicht der Mühe wert gehalten, empfand ein solches unwiderstehliches Vorgefühl, daß er auch ohne Bellas täglich herrlicher sich entfaltenden Schönheit sich wahrscheinlich in ihr unschuldiges und heimliches Wesen verliebt hätte. Er sprach mit Cenrio, der sein Vertrauen durch Aufopferung seiner Pflicht oft schon bei unbedeutenderem Anlaß erkauft hatte, wie sie der strengen Aufsicht des Adrian von Utrecht, des Oberhofmeisters, entgehen könnten. Cenrio versprach ein altes Buch mit einem falschen Titel einzurichten, daß Adrian glauben könne, es sei ein ihm unbekannter Anhang zu den Sentenzen des Petrus Lombardus, über die er einen Kommentar schrieb, das solle bei Frau Nietken zum Verkauf liegen, und so werde er sich gleich darüber machen, es zu durchlaufen, und ließe sie laufen, wohin ihr Lusten sie treibe. Der Erzherzog war des Vorschlags sehr froh. Nichts schmeichelt einem jungen Fürsten mehr, als in der Befriedigung seiner Leidenschaft die Klugheit lächerlich zu machen, und nichts verdirbt schneller.


Als die Begeisterung des Wurzelmännchens über alle Ehre, die er beim Erzherzog genossen, etwas nachgelassen mit dem Weindunste, der seinen kleinen Kopf eingenommen hatte, so gingen ihm alle einzelnen Reden hindurch, die er mit ihm geführt, daß er sich als Bräutigam ausgegeben, daß er Bella auf der Kirmes ihm zeigen wollte. In eitlem Vergnügen rieb er sich die Hände und konnte sich nicht enthalten, alles dem alten Bärnhäuter zu sagen, der wie alle Bedienten klug genug war, so dumm er in seinem Dienste sein mochte, seinem Herren den Kutzen zu streichen, aus welchem ihm schon manches Trinkgeld gefallen. Dies vollendete, wozu der Kleine aus Nachahmerei seiner Bekannten schon vorgereift, eine feste Überzeugung in ihm, er sei in Bella verliebt, und bei der vielen Zärtlichkeit, die sie aus einer Art mütterlichen Gefühls ihm bezeugte, glaubte er in ihr ein gleiches Gefühl voraussetzen zu dürfen und hielt seinen Vorteil für so gewiß, daß er nicht einmal die ahndenden Augen auf sie zu werfen nötig fand, um zu unterscheiden, wie sich alles in ihr verwandelt hatte, wie sie nicht bloß mit ihren Augen die Frühlingssonne, sondern auch mit ihrem Herzen die Liebe gesucht habe. Er kannte nicht die Macht des Frühlings, der aus dem Himmel in alle Fenster ruft: „Ihr Mädchen schaut euch um nach einem, der mir gleicht.“

Auch Bella hatte die Frühlingsstimme gehört und lief unzähligemal von ihrer Arbeit ans Fenster, und so kam es, daß seit ein paar Tagen mit ihr eine so gerechte und natürliche Veränderung vorgegangen war. Sie hatte in der Abwesenheit des Kleinen, der die Zimmer nach der Straße bewohnte, einmal gerade zu der Stunde durch die Teppiche der dichtverhängten Fenster nur mit einem Auge gesehen, als der Erzherzog mit seinem Gefolge vorbeiritt, aber ein Schlag, mächtig wie jener, der sie auf dem Galgenberge betäubte, doch ohne jenes Schrecken, hatte ihre Erinnerung aufgeklärt, und wie das goldne Vlies an einer starken, unauflöslichen Kette um seinen Hals hing, so war sie an seinen Blicken hängen geblieben, das sanfte, liebe Lamm, mit ganzer Seele; und das alles, was sie vor dem Zauberschlage am Galgenberge in ihrer Seele für ihn gefühlt hatte, das war in der Einwirkung seiner hellen Augen ihr wieder ganz gegenwärtig geworden. Ja, als er vorbei war, schlug sie die Hände über den Kopf zusammen und weinte so heftig, weil ihr alles verhaßt war, was sie erlebt, was sie umgab, daß Braka herbeieilte und lange kein Wort ihr entlocken konnte und endlich selbst mit ihrem Troste in ein geselliges Heulen ausartete. Bella mußte sich einem in der Welt vertrauen, sie bekannte ihr endlich, wer ihr wieder erschienen, wie verhaßt ihr nun dieses Lernen im Stadtleben sei, wie froh sie jetzt im kleinen Hause vor der Stadt an den Bodenfenstern Frühling und Sommer in Nähe und Ferne überschauen könne, der jetzt kaum in einzelnen Baumspitzen und abgebrochenen Blumensträußen zu ihnen dringe. „Mutter“, seufzte sie, „wie möchte ich still ungestört in einsamen Nächten durch die Fluren schauen und beten.“

Als Braka das gehört, schlug sie lustig in beide Hände und sprach: „Sieh, verstehst du nun, was ich dir im Garten sagte, ehe wir nach Buik gingen? Nun, wenn's weiter nichts ist, da will ich dir schon Mittel schaffen, die dir besser helfen als Seufzen und Beten. Du sollst ihn haben, du mußt ihn haben, denn sieh, liebes Kind, das ist schon lange mein versteckter Plan mit dir, den auch die Oberhäupter unsres Volks billigen. Du mußt von diesem künftigen Erben der halben Welt ein Kind bekommen, das durch die Liebe seines mächtigen Vaters den zerstreuten Überbleib deines Volkes in Europa sammelt und in die heiligen Wohnplätze unseres Ägypterlandes zurückführt. Also weine nicht, das macht dir die Augen trübe, ich will ja nichts andres, als was dir lieb ist.“

„Aber wie soll ich von ihm ein Kind kriegen?“ fragte Bella. „Wird er es mir gleich ohne Umstände aus dem Brunnen holen, von dem mir der Vater erzählte, wo eines immer muß die Leiter halten, während das andre heruntersteigt?“

„Liebes Kind“, sagte Braka mit verschmitzter Bosheit, „wenn du mit ihm allein bist, mußt du ihn recht dringend darum bitten; wenn er gerade in recht gnädiger Stimmung, so gewährt er es dir vielleicht im Augenblicke, und du wirst immer stark genug sein, ihm dabei die Leiter zu halten!“

„Ach, mein Karl ist gewiß gut, das sagte mir sein Auge, seine Stirn, als er im Vorbeireiten das Barett vor einem alten einbeinigen Kriegsknecht abnahm, er tut's mir gewiß zu Gefallen“, rief Bella, „wir wollen es ihm durch den Kleinen sagen lassen.“

„Um unsrer lieben Jungfrau harte Haut am Fuße bitte ich dich“, sprach Braka und hielt ihr den Mund, „sage dem kein Wort, denn sieh, der würde es dir in seiner Bosheit nicht vergeben, daß du dich bisher stelltest, als sei er dein Schatz.“

„Mein Schatz, nein, das war er nie“, sagte Bella, „aber er war mir bis zu dieser Stunde lieb; jetzt wollte ich, wir hätten ihn oben stehen lassen beim Meerrettich, er scheint mir jetzt recht unmenschlich, ich weiß nicht, warum?“

„Nun, Kind“, fuhr Braka fort, „darin kann ich dir nicht unrecht geben; ich hab mich lange gewundert, wie du so schmeichelnd zuweilen den garstigen Kniehoch auf deinen Knien reiten ließest, während er dir alles gebrannte Herzeleid antat, deine Zeichenbücher zu Papierknallen zerriß, Suppe auf deine Kleider schüttete. Aber sei klug, folge mir, laß dir nichts merken, wenn ich ihm die verfluchten Augen hinten einmal packen kann, reiß ich sie ihm aus, daß er das nicht entdeckt. Er muß uns Geld und Gelegenheit schaffen, daß wir den Erzherzog sehen; schmeichle ihm recht, daß du ihn liebst.“

„Aber ist das nicht unrecht?“ fragte Bella.

„Wie dumm“, rief Braka, „wenn es ein Mensch wäre, ei nun, aber eine alte Wurzel, was kann man da für Unrecht tun, eine andre wird mir nichts, dir nichts klein geschnitten und gekocht; Ehre genug für diese, daß wir mit ihr wie mit einer Puppe zuweilen umgehen. Nun weiß ich wohl, es wird uns nicht leicht werden, seiner los zu werden, aber da hab ich mein Plänchen mit dem Bärnhäuter, der ist des Dienens zum Verzweifeln satt und müde und möchte sich gern wieder zu Grabe legen, der mag ihn mit dem Schatze nehmen. Hat dich der Erzherzog lieb, so brauchen wir keine solche Schätze, der wird uns nicht Hungers sterben lassen.“

Bella, in ihrer Ungeduld nach dem Erzherzoge, ging alles ein, sie wollte sich gegen den Kleinen zärtlich stellen, und sie hatte in den nächsten Tagen schon Gelegenheit dazu, als er von dem Erzherzoge heimgekehrt war und ihr zum erstenmal von der Zukunft redete, wie sie sich in Gent vermählen und niederlassen wollten. Braka war gegenwärtig und fragte ihn listig, wie es denn mit seinem Kriegshandwerk jetzt stehe, ob er bald General oder Korporal sein würde.

Er lächelte selbstzufrieden und gab zu verstehen: seine Anstellung sei ziemlich unfehlbar, er vermochte alles über den Erzherzog; dann erzählte er ihnen, wie er mit diesem eine Zusammenkunft in Buik zur Kirmes verabredet hätte, sie möchten sich doch bei Frau Nietken einige artige Zimmer bestellen.

Braka war heimlich erfreut, wandte aber scheinbar ein, daß die Frau sie kenne und sie verraten möchte, doch freilich sei dies in Gent ebenso möglich, und mit Geld ließe sie sich leicht in ihr Interesse ziehen. Die Lustfahrt wurde also beschlossen und gleich die Schneiderinnen zu einem rechten Feststaate in Bewegung gesetzt; es entstand ein Geschicke nach allen Seiten, daß selbst der arme Bärnhäuter, trotz seiner kalten Leichennatur, schwitzen mußte. Dieser gute Kerl tat wirklich alles, was man nur von einem lebenden Menschen erwarten konnte, dabei aß er aber so gewaltig, daß seine irdische Natur ein frisches Leben gewann und er sich immer mehr überzeugte, er werde sie nicht mehr so geruhig zu Grabe bringen, wie sie sonst darin gelegen, auch erhob sich zuweilen ein solcher Streit zwischen dem lebenden und verstorbenen Körper in ihm, daß es ihm über der ganzen Haut zuckte und juckte. Ebensolcher Zwiespalt war in seiner Meinung von der Herrschaft: sein verstorbener Leib rechnete sich zu Herren Cornelius, sein neulebender war ganz der Frau Braka und der schönen Bella ergeben und achtete den Herren nicht mehr als einen Glückspilz. Wie nun die eine oder die andre dieser Seiten hervortritt, werden wir ihn bald für den einen, bald für den andern tätig sehen; doch verriet er keinen dem andern.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten