06. - Geschichte des ersten Bärenhäuters.

„Als Sigismund, der Ungersche König, von dem Türken geschlagen worden, ist ein deutscher Landsknecht aus der Schlacht in einen Wald entronnen; da er nun keinen Weg fand, keinen Herren, kein Geld hatte, an keinen Gott glaubte, so erschien ihm ein Geist und sagte ihm, wenn er ihm dienen wollte, so wollte er ihm Gelds genug geben und ihn selbst zu einem Herren machen. Der Landsknecht sagte: „O ja, er sei es zufrieden.“ Nun wollte aber der Geist wissen, ob er wohl einen rechten Heldenmut habe, damit er sein Geld nicht umsonst ausgebe, und führte ihn an das Lager einer Bärin, die Junge hatte, und als diese gegen sie ansprang, befahl er dem Landsknecht, ihr auf die Nase zu schießen. Der Landsknecht vollführte das treulich, schoß ihr in die Naselöcher zwei Posten hinein, daß sie stürzte. Da solches geschehen war, fing der Geist an mit ihm zu unterhandlen: „Zieh die Haut der Bärin dir ab, du wirst sie brauchen, gut für dich, daß du kein Loch hineingeschossen, denn soll ich dich reich machen, so mußt du mir sieben Jahre darin, als in meiner Livrei, dienen, mußt in den sieben Jahren alle Nacht eine Stunde um Mitternacht bei meinem Schlosse Schildwach stehen, mußt in den sieben Jahren dir niemals Haar und Bart und Nägel weder abschneiden noch reinigen, dich auch nie waschen, abreiben, abstäuben und einsalben; in den sieben Jahren sollst du bei Tage frei Licht, bei Nacht mit Abwechseln Mondschein, Sternenschein und nichts haben als guten Wein zum Trinken, Kommisbrot zum Essen; auch sollst du in der Zeit kein Vaterunser beten.“ Der Landsknecht ging alles ein und sagte zum

Geist: „Alles, was du mir zu unterlassen befiehlst, habe ich mein Lebtage nicht gern getan, weder Kämmen, Waschen noch Beten; was du mir zu tun befiehlst, soll mir bei einem guten Glase Wein nicht schwer werden.“ Darauf zog er seine Bärenhaut über, und der Geist führte ihn durch die Luft auf sein wüstes Schloß, das mitten im Meere liegt, woselbst er gleich seinen Dienst antrat. Sechs und ein halbes Jahr versah der Landsknecht in seiner Bärnhaut, wovon er den Namen des Bärnhäuters bekommen, seinen Wachtdienst; Haar und Bart waren ihm dermaßen gewachsen und verfilzt, daß er von Gottes Ebenbildlichkeit wenig mehr übrig behielt; Petersilie war ihm auf seiner Haut gewachsen, das sah gar erschrecklich aus.“


Mit einem Schauder sah Bella bei diesen Worten die Hirse auf dem Kopfe des Alrauns, der sehr wohlzufrieden sie durch den Finger gehen ließ, seiner Schönheit gegen den unsaubern Landsknecht gewiß.

„Als nun sechseinhalb Jahr um waren“, fuhr Braka fort, „trat der Geist zu ihm, freute sich über sein Ansehen, sagte ihm, er brauche ihn nicht mehr, er wolle ihn wieder unter Menschen bringen, doch mit der Bedingung, daß er sich noch ein halbes Jahr in dieser seiner Verwilderung unter ihnen sehen lasse, zugleich wolle er aber mit ihm abrechnen und ihm den verdienten Geldschatz überantworten, er möchte sich damit lustig machen, so gut er könnte. Dem Landsknecht war es doch lieb, wieder unter Menschen zu kommen, weil er das Sprechen fast verlernt hatte, er ließ sich vom Geist recht vergnügt übers Meer nach Deutschland führen, nach Graubünden, weil es dort in damaliger Zeit am schmutzigsten auf dem ganzen Erdboden war. Dennoch wollte ihn da kein Wirt aufnehmen, bis er eine Handvoll Dublonen und eine Handvoll Piaster einem ins Gesichte warf; der räumte ihm seine besten Zimmer ein, daß er die gewöhnlichen Gäste von dem Hause nicht zurückschrecken möchte. Als aber der Papst, der mit gemalten Bildern die ganze Christenheit regiert, durch Graubünden kam, von dem Konzilio nach Rom zurückzureisen, da trat der Geist zu dem Bärnhäuter und malte sein Zimmer mit allen merkwürdigen Menschen der Welt, sowohl denen, die gelebt, als die künftig noch leben werden, wie den Antichristen und das jüngste Gericht, worüber der Wirt sich nicht wenig verwunderte, aber dennoch den Bärnhäuter zwang, die Nacht, wo der Papst bei ihm einkehrte, seine Zimmer einzuräumen und im Schweinestall zu schlafen, den Papst aber legte er in das vom Bärnhäuter schön gemalte Zimmer. Als der Papst am andern Morgen aufwachte, war das erste, daß er sich nach dem wunderbaren Maler erkundigte, der das Zimmer so künstlich verziert habe. Der Wirt erzählte ihm, was er von ihm wußte, und mußte ihn dann aus dem Schweinestall heraufkommen lassen. Der Papst aber grüßte ihn freundlich, fragte ihn, wer er wäre, und der Landsknecht nannte sich Bärnhäuter; darauf fragte ihn der Papst, ob er diese herrlichen Bilder gemalt? „Wer sonst?“ sprach der Bärnhäuter. Da rühmte ihn der Papst als den ersten Maler der Welt und sagte ihm, er habe drei natürliche Töchter, die er sehr liebe, die älteste heiße Vergangenheit, die andre Gegenwart, die dritte Zukunft, wenn er ihm die so malen könnte, daß er wüßte, wie jede nach einer Reihe von Jahren aussähe, so wolle er ihm die zur Frau geben, welche ihm am besten gefalle. Der Bärnhäuter versprach alles in Hoffnung auf seinen Geist. Der Papst redete darauf weiter: „Du könntest mir aber leicht einbilden, daß sie sich also verwandeln möchten, und wenn es nicht zuträfe, hättest du doch inzwischen meiner Tochter Liebe genossen, darum stelle ich dich auf eine Probe. Ich zeige dir nur meine jüngste Tochter Zukunft, und du mußt aus ihrem Anblicke die beiden älteren, Gegenwart und Vergangenheit, malen; bestehst du diese, so ist das Mädchen dein, bestehst du sie nicht, so verfällt mir dein großes Vermögen, wovon mir der Wirt erzählt hat.“ Bärnhäuter ging alles ein, lief neben dem Wagen des Papstes her und hielt ihn, wenn er umfallen wollte, und so kamen beide ohne Schaden nach Rom. Gleich am Abend stellte ihm der Papst seine Tochter Zukunft vor, die sehr schön war, aber zweierlei Farbe von Haaren auf ihrem Kopfe trug; Bärnhäuter verliebte sich gleich, sie aber entsetzte sich über seinen Anblick. Als sie fort war, rief er seinen Geist, der mit einem Farbentopfe und einem Pinsel geflogen kam und die Bilder der beiden ältern Schwestern sogleich anfertigte. Als Bärnhäuter das Bild der Gegenwart gemalt sah, vergaß er darüber der geliebten Zukunft und weinte, daß er diese nicht bekommen könnte. Der Geist tröstete ihn und sprach: In einem halben Jahre würde seine Braut dieser ähnlich und gleich sein, und so hätte er in diesem Bilde auch das vom Papste verlangte Bild, wie die Tochter in einer gewissen Zeit aussehen werde; in dem Bilde der Vergangenheit werde er aber gleich sehen, wie die Gegenwart künftig aussehen müsse.

Der Geist malte dieses Bild der Vergangenheit, und es gefiel dem Bärnhäuter nicht. Als dieser nun aber vom Geiste verlangte, er solle ihm das Bild der Vergangenheit malen, wie sie künftig aussehe, da wischte der Geist seinen Pinsel auf der Wand aus und sagte: „Entweder so wie die Wolken, daß nichts zu erkennen, oder wie das Bild der Zukunft, das du im Herzen trägst, und das ich dir niemals gut genug malen würde!“ Hier verschwand der Geist. Am Morgen zeigte der Bärnhäuter die Bilder dem Papst, der sehr nachdenklich dabei wurde, ihn umarmte und seiner jüngsten Tochter als Bräutigam vorstellte. Bärnhäuter war so voll Freude, daß er nicht sah, wie seine Braut weinte, als er seinen Ring, der auseinandergeschroben werden konnte, mit ihr teilte und ihr die Hälfte an den Finger steckte. Darauf nahm er Abschied, denn so hatte ihm der Geist in der Nacht befohlen

ich hatte es zu erzählen vergessen -, und ritt nach Deutschland zurück, um dort in Graubünden sein siebentes Jahr noch auszuwarten; dann ging er nach Baden ins Bad, wo er zu seiner Reinigung über ein halbes Jahr beständig im Wasser lag und mit groben Besen abgebürstet wurde; ein Dutzend Messer wurden stumpf, eh ihm der Bart und das Haar abgeschoren waren. Als das beendigt, schaffte er sich die kostbarsten Kleider an und eilte zu seiner Geliebten zurück.

Diese war unterdessen in das Aussehen gerückt, was die Gegenwart damals hatte, sie war sehr schön, aber immer traurig, weil sie sich vor ihrem Bräutigam fürchtete und weil sie von den Schwestern, die keinen Mann bekommen, beständig seinetwegen geneckt wurde. Eines Tages rief ein heller Trompetenschall alle drei Schwestern ans Fenster; es zog ein schöner, fremder Ritter mit vielen Knechten in die Stadt, den sich die beiden ältesten sogleich zum Mann wünschten, und, o Wunder, der Ritter hielt vor dem Hause still, ließ auch um Erlaubnis bitten, ihnen aufzuwarten. Sie bewilligten es gern, und er gab sich für einen entfernten Verwandten von ihnen aus, der eine von ihnen zu heiraten begehre und sich deswegen durch einige Gaben empfehlen wolle. Die beiden ältesten griffen begierig nach den Geschenken, die jüngste aber blieb einsam wie ein Turteltäubchen; die beiden ältesten bemühten sich um seine Gunst; sie gefielen ihm aber gar nicht mehr, die Gegenwart sah aus wie damals die Vergangenheit, und die Vergangenheit hatte ein vermischtes Gesicht wie eine Alabasterstatue, die lange unter der Traufe gestanden, die liebe Zukunft aber blühte in höchster Schönheit, ihre Haare glänzten in gleicher heller Farbe. Dennoch stellte er sich erst den beiden älteren geneigt, um die Sinnesart der jüngeren zu prüfen; als diese aber still und sittig blieb, während jene stolzierten, erklärte er sie für seine Braut, indem er ihr die andre Hälfte des Ringes am Finger anschraubte. Da war große Freude in der Verlassenen angezündet; der Papst erschien und segnete beide ein. Als aber die Brautleute zu Bette gebracht worden, ergriff die beiden älteren Schwestern eine Verzweifelung, daß sich die eine erhenkte und die andre in den Brunnen stürzte. In der Nacht trat der Geist, die beiden toten Mädchen im Arm, zum letztenmal zum Bärnhäuter und sagte: „Du hast alles erfüllt, was du mir gesollt, ich bin im Vorteil, ich habe mir zwei, du dir eine Tochter geholt. Lebe wohl und bewahre deinen Schatz.“

„Aber“, unterbrach sie der Alraun, „warum haben sich denn die Schwestern so geärgert, daß sie zu Bette gegangen sind?“

„Weil sich die beiden geheiratet“, antwortete die Braka.

„Was ist denn heiraten?“ fragte der Alraun.

„Das kannst du nicht begreifen“, sagte die Alte.

Der Alraun wollte sich umdrehen, um mit seinen ahndenden Augen sie zu erforschen, aber im Augenblicke schrie er entsetzlich auf und sprang unter den Tisch, der Alten unter den vielgeflickten Rock. „Was ist dir, Scheusal?“ rief die Alte, sah auch hin, wohin er gesehen, und warf sich schreiend über den Geldkasten, und Bella legte den Kopf ängstlich in den Schoß und wagte nicht aufzublicken.

„Lebende Menschen“, sagte eine rauhe Stimme, „sind doch rechte Toren, da hören sie mit großer Freude meine schreckliche Geschichte an, und mich selbst mögen sie nicht sehen. Wacht auf aus eurem Schrecken, oder ich schreie, daß die Balken unter und über euch biegen und brechen.“

„Nun“, sagte der Alraun unter dem Rocke der Alten, „was will er, Bärnhäuter? ich will ihm zuhören.“

„In welchem Mauseloche steckst du, kleiner Knirps?“ fragte der Bärnhäuter.

„Wo du großer Tölpel nicht stecken kannst“, sagte der Alraun; „mach schnell, es wird mir sonst zu heiß hier, auch beißen mich die Schmetterlinge, was willst du von uns, unsaubrer Gast?“

„Ach“, sagte der Bärnhäuter, „ich habe mich bei Lebzeiten so sehr in mein Geld verliebt, daß ich den Rest hier vermauerte und dabei nach meinem Tode Wache stehen muß, gebt mir mein einziges Vergnügen wieder heraus.“

„Gib ihn hin“, flüsterte die Alte, „so dreht er uns nicht das Genick um.“

„Nein“, rief der Kleine, „du kriegst keinen Heller heraus, du mußt ihn abverdienen, du bist aber ein starker Kerl, der uns nützlich sein kann, insofern du deinen Körper noch gehörig instand setzen, ausputzen und beschlagen kannst, um damit auf Erden als unser Knecht zu erscheinen.“

„Ach“, sagte der Bärnhäuter, „was den Körper anbetrifft, es sind bloß ein paar Verknöcherungen in den Adern gewesen, woran ich gestorben, die putz ich mit einem scharfen Messer leicht weg, es ist mir nur eine verfluchte Arbeit, so einem kleinen Stehauf, wie du bist, auf der Welt zu dienen: das ist auch noch eine harte Strafe für meinen Geiz.“

„Ei was“, sagte der Alraun und kam unter dem Rocke der Alten hervor, „ich bin nicht eben zu klein, aber du bist zu groß, und ich weiß nicht, was mir lieber wäre; ein Kleiner kann sich einschmiegen und einkriechen, wo ein Großer nicht einmal hinriechen darf; kurz und gut, willst du mir treu dienen, so zahl ich dir reichlich alle Woche einen Dukaten, bis dein Schatz wieder beisammen.“

„Ich geh den Vertrag ein“, sagte der Bärnhäuter, „morgen Nacht komm ich mit meinem wirklichen Körper, wenn ich ihn in der Zeit fertig kriege, zurück, neben mir an ist der Diener eines vornehmen Herren begraben, mit dem will ich Kleider tauschen, so macht mein seidner Wams kein Aufsehen, und dem armen Teufel gönn ich die kleine Freude wohl, sich so stattlich begraben zu finden, wenn er am jüngsten Tage aufsteht, er hat sich immer still und ordentlich bis auf ein bißchen Schnarchen neben mir aufgeführt.“

„Es ist gut“, sagte der Alraun, „das Weibsvolk hier hört dich noch gar nicht sonderlich gerne, drück dich, Mensch!“

„Nun adies“, sagte der Bärnhäuter, „es bleibt dabei, aber einen Dukaten Mietsgeld würde ich mir wohl ausbitten, ich habe den Totenwürmern allerlei Kleinigkeiten versetzt, die ich wieder einlösen möchte.“

„Da hast du“, sagte der Alraun und zog mit Gewalt einen Dukaten aus dem Haufen, worauf die Alte lag (die ihm heimlich zuflüsterte: gib ihm die Hälfte, es ist auch genug), „da hast du den Dukaten, führ dich ordentlich bei mir auf, es soll dein Schaden nicht sein.“

Der Bärnhäuter verschwand, es dauerte aber noch eine Weile, ehe Braka und Bella aufzusehen wagten. Der kleine Cornelius lachte sie aus, und sie konnten sich einer gewissen Hochachtung gegen ihn nicht erwehren. „Wenn uns der große Kerl nur nicht einmal mit all unserm Hophei davonläuft“, sagte Braka.

„Wie kann er denn“, sagte der Alraun, „es ist ja eben seine große Not, daß er als ein Geist sein Wort halten muß; ihr Menschen braucht das nicht, wenn ihr euch nicht eurer Seele wegen nach dem Tode fürchtet.“

„Bist du denn ein Geist oder ein Mensch, lieber Cornelius?“ fragte Bella.

„Ich“, stammelte der Alraun, „das ist eine dumme Frage, ich bin ich, und ihr seid nicht ich, und ich werde Feldmarschall, und ihr bleibt, was ihr waret, mit solchen verfluchten, spitzfindigen Fragen bleibt mir vom Halse, wenn man darüber nachdenkt, so zieht es einem Blasen im Gehirn, wie der Meerrettich auf der Haut.“

„Woher weißt du denn das vom Meerrettich?“ fragte Braka.

„Als ich da oben stand unterm Galgen, da stand eine Meerrettichpflanze neben mir, die tat sich immer viel darauf zugute, daß sie Blasen ziehen könnte und daß die Augen bei ihr übergingen, das nannte sie ihre tragische Wirkung. Gute Nacht“, rief er zuletzt, „Braka, auf Wiedersehn! mach dich fort und besorg mir nur recht bald den Kommandostab.“ Als er fortgegangen, beredete Braka alles, was noch zu ihrer Wanderung nötig, die auf die nächste Nacht unabänderlich festgesetzt wurde.

Am andern Abende ging Bella noch einmal in den kleinen Garten; was sie erlebt, drängte sich ihr zusammen, jeder Zweig schien ihr bedeutend. Der Nacht, wo sie den Erzherzog gesehen, erinnerte sie sich, er selbst war ihr aber ganz entfallen, sie konnte sich nicht denken, wie er ausgesehn habe, auch schien ihr das wenig wert; sie freute sich in die Welt einzutreten, aber sie fürchtete, die sie umgaben, und das Gefühl, daß sie ihr zu schlecht wären, überraschte sie sehr schmerzlich; sie schämte sich ihrer, weil sie ihren Vater gekannt hatte, und alle Dankbarkeit gegen Braka, alle Freude, die sie über das Gedeihen des kühn und glücklich erschaffenen Wurzelmännchens hegte, konnte diese Scham nicht unterdrücken. Es lag ihr die Hoheit ihres ägyptischen Stammes im Blute, und sie sah zu den Sternen zutraulich als zu ihren Ahnen und fühlte den Sommer ihres Landes jetzt in dem kalten Oktober, wo der Nil sinkt und alles sich zur Arbeit regt, aber sie wußte auch das alte Verbrechen ihres Volks, daß sie der heiligen Mutter Maria auf ihrer Flucht nach Ägypten kein Obdach geben wollten, als sie mit ihrem seligmachenden Kinde im starken Regen einritt; da erhob aber dieses seine Hand im Kreise, und über ihnen stand ein Regenbogen, der keinen Tropfen auf sie niederfallen ließ. „Ist unsre Schuld noch nicht gebüßt!“ seufzte Bella, und rings um den Mond erblickte sie einen wunderbaren farbigen Kreis, daß ihr Herz aufjauchzte und ohne Worte betete. „Mit welcher Sehnsucht hat mein geliebter Vater Michael“, dachte Bella, „nach jenen Hügeln geblickt, den ersten Gruß der Morgensonne zu erwarten, und ich soll sie hier in der Stille nie wiedersehen. Was haben sie mit mir vor, die mich umgeben, soll ich fliehen in die Weite, so weit meine Füße mich tragen, die Welt ist ja nirgend verschlossen!“

Die Sehnsucht nach der Freiheit bewegte sie, da flüsterte ihr Braka leise zu, die sich ihr genähert: „Der Bärnhäuter hat schon alles aufgesackt, der Cornelius reitet auf seinem Nacken, hast du noch was mitzunehmen?“

„Ei freilich“, sagte Bella, „da sind noch meine Puppen und das Zauberbuch.“

„Ach, liebes Kind“, sagte die Alte, „das hat der grobe Bärnhäuter aus Unvernunft alles in den Ofen geworfen; sei nur nicht böse, tröste dich.“

Bella sah nieder: „So muß ich auch das alles verlassen, womit ich gespielt habe.“

„Ja, liebes Mädchen“, sprach Braka und umarmte sie, „ich habe es dir schon seit ein paar Wochen sagen wollen, du bist nun erwachsen, kannst auch alle Tage einen Mann nehmen; freust du dich nicht, Blitzmädchen? Wie ist dein Busen hervorgetreten wie eine Frucht unter Blättern, und du hast es nicht bemerkt, sieh, der Mond hat Platz, seine Strahlen hinüberzurollen.“

„Alte, bist du unsinnig?“ fragte Bella.

„Ach laß mich“, sagte Braka, „es ist Nacht, und ich mag auch einmal vergessen, wie ich mich in aller Welt gleich einem Rauchbesen herumgetrieben, alle Spinnweben, allen Schmutz ausgekehrt habe, daß ich schmutzig bin und bleibe. War auch einmal jung und artig, sang mit unsern schönen Jünglingen und reimte Lieder, und nun ich dich so sehe und du von allem nichts weißt, was mit dir geschehen, da denke ich für dich und freue mich für dich. Sieh, du bist nun ein großes Mädchen, und alle Lust geht dir auf, und wo du hinblickst, jeder fühlt und will was bei dir, und wenn du nur eine Hand ausstreckst, wird es ihnen heiß in den Adern, sie stammeln und scheuen sich und rasen und hetzen, und blickest du einen an und dann den andern, so schlagen sie sich und rechnen ihr Blut für nichts gegen dein Blut und vergießen es für dich.“

„Ach Gott“, rief Bella, „welch ein Unglück steht mir bevor, lieber lauf ich davon und verberg mich aller Welt!“

Braka hielt sie und sagte: „Fliehen willst du, unartiges Kind? Wenn du dir das je unterstehst, ich will dich schon wiederkriegen, da peitsche ich dich mit Brennesseln. Du bist doch noch dumm wie ein Klotz; wenn man der dummen Gans alles Liebe sagt und tut, sie versteht kein Wort; kommt jetzt herein, wir haben keine Zeit übrig, ein andermal sag ich dir mehr!“

Sie schob Bella ins Haus, die wunderlich bewegt von dem, was sie gehört, noch mehr von dem, was sie erwarten sollte, sich über den Verlust ihrer Bücher und Puppen tröstete und den Bärnhäuter kaum anstaunte, der in seiner braunen Livrei einem Bären glich, auf welchem der Alraun wie ein menschlich angezogener Affe ritt, um sich auf einer Kirmes sehen zu lassen. Braka ging voran, Bella folgte ihr, der Bärnhäuter schlug die Tür zu; alle waren still, nur Braka brummelte vor sich, wenn sie den verschneiten Weg nicht recht erkennen konnte. Auf dem Galgenberge sahen sie großen Tanz, sie kehrten sich nicht daran; ein paarmal wurden sie durch Feldhühner erschreckt, die aus dem Schnee aufflogen. Endlich sahen sie das Dorf Buik in einer Vertiefung liegen, und Braka erkannte die Lampe ihrer alten Diebsschwester, der Nietken.

Sie näherten sich leise einer Gartentür, und Braka machte ihre Gegenwart durch Wachtelgeschrei kund. Es kam ein kleines Mädchen, die sah sie an, machte die Türe auf und führte sie in einen Keller und durch den Keller die Treppen hinauf in ein Bodenzimmer, das durch die Türe eines Nebenzimmers erleuchtet wurde. Braka ging unverzagt in dieses zweite erhellte Zimmer, wo eine dicke, alte Frau, die in einem schönen, grünen, seidnen Kleide einer Platznelke glich, weil sie dasselbe hin und wieder teils mit ihrem roten Gesicht und Händen, teils mit ihrem rotwollenen Unterrocke durchschimmern ließ, vor einem kleinen Hausaltare kniete, der mit einem schönen Bilde der Mutter Maria und vielen bunten Wachskerzen geheiligt war.

„Nun, du alter Sausack“, sprach Braka, „betest du wieder, weil du viel getrunken hast und der Schluckauf dir nicht vergehen will?“

Frau Nietken, denn das war die Betende, sah sich um, winkte mit der Hand und betete ihren Rosenkranz emsig fort. Der Bärnhäuter fand sich auch zur Andacht gestimmt, er kniete nieder, auch Bella, die recht schöne Gebete wußte; aber Braka, die alle Schlüssel und Gelegenheiten des Hauses kannte, nahm eine große Kanne schwer Bier aus einem Wandschranke und trank für alle.

Unterdessen war der Alraun über allen lächerlichen Kram im Zimmer, wo alte Tressen, Lappen, Küchengeschirre, Leinenzeug in abgesonderten Haufen lag, so verwundert, daß er sich nicht satt daran sehen konnte; alles war ihm neu, aber er wußte sich bald alles zu deuten. Frau Nietken, die eine Trödlerin von sehr ausgebreitetem Handelsverkehr war, versammelte die seltensten Vorräte von Altertümern aller Art; da war im Hause auch das kleinste Hausgerät nicht in der Art zusammenhängend und dem Hause gemäß, wie man es sonst allerorten findet; sondern aus einer sehr natürlichen Auswahl der Leute, die sich immer das Brauchbare aus ihren Ankäufen herausgesucht hatten, war ihr zum Gebrauche nur das Abenteuerlichste geblieben, was die Laune irgendeiner Zeit oder eines Reichen für einen besondern Fall geschaffen hatte. Die Stühle zum Beispiel in der Dachkammer waren von hölzernen Mohren getragen, über jedem ein bunter Sonnenschirm, sie stammten aus dem Garten eines reichen Genter Kaufmanns, der viel Geschäfte in Afrika gemacht hatte. In der Mitte des Zimmers hing eine wunderliche gedrehte Messingkrone, sie hatte sonst die aufgehobene jüdische Synagoge zu Gent beleuchtet, jetzt steckte ein gewundenes buntes Wachslicht zu Ehren der Mutter Gottes darauf. Der Altar war eigentlich ein abgedankter Spieltisch, an welchem die ledernen Geldsäcke ausgerissen und eine gewesene Salzmäste, mit Weihwasser gefüllt, eingesetzt war. An den Wänden hingen gewirkte Tapeten, welche alte Turniere darstellten, die Ritter und die eisernen Harnische hingen in Plundern herunter.

Die gute Frau Nietken, die zu ihrem Geschäft, das sich auch gelegentlich über gestohlne Sachen ausbreitete, die sich in dem Hause gar leicht verstecken ließen, alles Gaunervolk der Gegend brauchte, war eine Herzensfreundin von Braka, die ihr sehr gut nach dem Maule schwatzen konnte. Kaum hatte sie ihr letztes Ave gebetet, so erhob sie sich im Verhältnis zu ihrem dicken Leibe mit großer Rüstigkeit, stellte sich mit eingestemmten Armen vor Braka hin und sprach: „Nun, du alte Vettel, kannst wohl gar nicht mehr beten, hat es dir dein Herrgöttchen, der Teufel, verboten? Wann wird er dich holen? Du altes Weib, wirst ja alle Tage runzlichter. Pfui Teufel, wenn ich so aussähe wie du, ich ginge nicht über Feld!“

„Du bist schön jung“, kreischte Braka, „Siehst aus wie mein alter dicker Spitz, wenn ich ihn frisch geschoren; die weißen Haare wachsen strichweis aus dem roten Gesichte heraus; hast sicher heut zuviel Pfefferwasser getrunken. Kannst du noch russisch tanzen, du tolles altes Trompetergesichte?“

„Heida, das geht noch!“ trompetete Frau Nietken und tanzte zu aller Erstaunen, als wollte sie die Beine sich ausschlenkern, rutschte dann auf den Knien, klatschte an ihr Fleisch, bis alle in ein entsetzliches Gelächter ausbrachen, und sie schwur, daß ihr alle Knochen im Leibe zerbrochen wären, und daß sie ein Glas spanischen Wein trinken müsse.

Nun sah sie erst beim Wein die übrigen an. Als sie Bella erblickte, sagte sie zu Braka: „Laß mir die, die soll mir zur Hand gehen; was hast du für Schlechtigkeit mit der im Sinn, soll dir die Geld verdienen?“ Braka versicherte ihr mit recht ehrerbietiger Stimme, dies sei ihre Herrschaft.

„Wer ist denn die Kröte da?“ fragte Frau Nietken weiter und wies auf Cornelius.

„Ich bin der Feldmarschall Cornelius“, antwortete der Alraun, „hab sie mehr Achtung gegen mich, alter Hahnenkamm!“

„Nun“, fuhr sie fort, „der muß wohl Feldmarschall bei den Unterirdischen sein; wer aber bist denn du, alter Zeiselbär, hast ja eine Livrei, die ich kennen sollte? Ei ja, ich hab sie dem Herren von Floris für eine neue gebracht, die er seinem alten Bedienten im Grabe nicht gönnte. Am Ende ist die zum Stehlen auch nicht zu schlecht gewesen; hast du sie aus dem Grabe geholt, du siehst darnach aus!“

Der Bärnhäuter, den sie also anredete, ohne ihr zu antworten, reichte ihr eine derbe Maulschelle, worauf das alte Weib sogleich ganz nüchtern wurde und fragte, was sie beföhlen.

Braka konnte ihr jetzt alles deutlich machen, was sie an guten Kleidern und Schmuck brauchten, und daß sie in aller Frühe in ihrem besten Staatswagen nach Gent gefahren sein wollten, um dort irgendein mietfreies Ritterhaus zu bewohnen.

Die treffliche Frau Nietken hatte es gleich weg, daß viel bei diesem Handel zu verdienen sei; also weckte sie im Augenblicke ihre Leute und lief treppauf, treppab, um das Schönste ihnen aufzusuchen. Arme voll Kleider warf sie ins Zimmer, da wurde ausgesucht und zwei Koffer damit gefüllt, mit Wäsche konnten sie nur sparsamer versorgt werden, denn die Niederländer verkaufen lieber ihr Kleid als ihr Hemde. Nachdem für den Anzug gesorgt war, sprang Frau Nietken herbei mit Kohlen und einem Brenneisen, um die Haare nach damaliger Sitte zu locken. Da half es nicht, daß Bella ihr die natürlichen Locken ihrer Haare zeigte, die waren ihrem feinen Geschmacke nicht gut genug; es war dem armen Kinde wie eine Teufelsklaue, die sie gepackt, als sie die Haare um das heiße Eisen gewickelt ihr heiß an die Stirn drückte. Bellas Hinterhaare waren trotz des Abschneidens noch lang genug zur damaligen Lockentracht. Bellas fürstliches Ansehen hielt Frau Nietken in gewissen Schranken; auch Braka, als sie gewaschen und frisiert war, hatte sich veredelt, sie erschien wie eine sehr ehrwürdige alte Hofmeisterin, denn als Mutter der schönen Bella hätte man sie wohl nicht durch den Anblick anerkennen mögen. Die Eitelkeit erwachte in Braka wie in Bella nicht schlecht, und als sie erst ihre seidnen Kleider angezogen, stolzierten beide stillschweigend vor den Spiegeln herum.

Aus dem Feldmarschall konnte Frau Nietken am wenigsten machen. Umsonst hatte sie ihm sein grobes Haar gestutzt, er war und blieb nach der ganzen zusammengedrückten Gesichtsform, den hohen Schultern und der beengten Sprache ein Zwerg. „Hör, Kleiner“, sagte sie, „wenn du kein Zwerg bist, so bin ich keine ehrliche Frau!“

„Was“, sagte Cornelius, „ich bin ein Mensch, und du nennst mich einen Zwerg? Was ist denn ein Zwerg?“

„Ich weiß es wahrhaftig nicht“, sagte Frau Nietken, „aber du kamst mir vor wie ein Zwerg, ich glaub, du könntest dich für Geld sehen lassen!“

„Das wäre mir lieb“, sagte Cornelius, „vielleicht!“ und meinte in seiner geldbringenden Natur, alles was mit Gelde bezahlt würde, sei auch ehrenvoll, und das sei eine Artigkeit der guten Frau.

Am Morgen waren alle ausstaffiert, Cornelius wurde im Schlafrock in die schöne, vergoldete Kutsche getragen, seinen Kopf hielt die Frau von Braka, Fräulein Braka seine Beine, der Bärnhäuter saß auf dem Bocke: so fuhren sie mit ziemlichem Herzklopfen aus, teils von der Furcht, teils von den Kleidern eingeklemmt, denn der neue Staat wollte keinem recht passen; aber freilich war er auch ziemlich zusammengetrödelt und doch so teuer, daß der Bärnhäuter über die Anwendung seines Schatzes heimlich geseufzt hatte. Als sie eine halbe Stunde gefahren waren, fing Cornelius heftig an zu lachen und sagte: „Die alte Katze meinte, daß sie uns recht geprellt hätte, ich hab sie aber angeführt: in den alten Stiefeln, die sie mir angezogen hat, ist ein schöner Schmuck von kostbaren Steinen eingenäht, wer weiß es, wie sie dazu gekommen, sie hat's aber nicht gewußt, trennt einmal die Naht ganz zierlich mit diesem Messerchen auf.“

Braka machte sich darüber, schnitt die Stulpen auf und fand die kostbarsten Diamantketten zum Halsschmuck; sie griff sich aus Vergnügen nach alter Gewohnheit in die Haare und verdarb sich damit ihren halben Kopfputz: „Ach, wie prächtig wird mir der kleiden!“ sagte sie und machte Anstalten, ihn um ihren gelben Hals zu legen. Cornelius aber verlangte, daß Bella ihn tragen sollte, und es wäre darüber vielleicht zum Streit gekommen, wenn die Nähe der Stadt die Aufmerksamkeit der Alten nicht gefesselt hätte. Cornelius hing der schönen Bella die Halskette ungestört um, die ihr künftig so wichtig wurde. „Seht euch doch um, ihr Kinder“, rief jetzt Braka, „euch ist es was Neues und ihr achtet nicht darauf: seht den lieben Reichtum rings an der Stadt, die Frachtwagen ziehen so breit, daß wir ihnen kaum ausweichen können.“ Aber Cornelius und Bella sahen nur nach den zierlichen Reitern, die ihre Pferde tummelten; nach den Schafen, die von den Metzgern zur Schlachtbank getrieben wurden; ein Wagen voll Kälber, die jämmerlich aufeinanderliegend blökten, erschreckte Bella, so auch das Lärmen in den Wirtshäusern der Vorstädte, wo der tägliche Erwerb schon so früh Zank und Schlägerei erweckt hatte.

Endlich kamen sie an die Torwache; ein Bürger trat mit der Hellebarde heran und fragte, woher sie kämen. „Aus dem Lande Hadeln!“ antwortete Braka in der Verlegenheit, „ich bin Frau von Braka, dies ist meine Tochter und dies mein Neffe, der Herr von Cornelius.“

„Fahr zu“, rief die Schildwache, und der Kutscher brachte sie, während sie zitternd triumphierten, daß ihnen von der Wache kein Einwurf gemacht worden, nach dem Hause am Markte, das Frau Nietken zu vermieten den Auftrag hatte, wo sie ohne alle besorgliche Ereignisse abstiegen und sich einrichteten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten