05. - Er konnte nicht aufhören, ihr das vorzusagen; sie hätte ihn gern gezüchtigt, aber er saß ihr zu hoch. ...

Er konnte nicht aufhören, ihr das vorzusagen; sie hätte ihn gern gezüchtigt, aber er saß ihr zu hoch. Zuletzt, um ihre Geduld ganz zu erschöpfen, setzte er sich eine alte, verrostete Brille auf und fabelte in leeren, spottenden Einfällen von allerlei Neckerei, die er der Welt antun möchte, um sich zu unterhalten. Da mußte sie laut weinen und konnte nicht mehr hinaufsehen, denn das Vertraulichste am Menschen sind die Augen, und es ist wohl zum Verzweifeln, wenn die Schwäche der Natur solchen harten, fühllosen Glasglanz zwischen dem geliebten Menschen und uns notwendig macht, und das kann den Scharfsehenden schwindlig machen, wenn er sehen muß, wie der Sinn, der sonst seine Freude nur in Luft und Licht sucht, jetzt die harte Gewalt der Erde zu seiner Hilfe brauchen muß, die ihn notwendig mit sich herabzieht und vernichtet. Eine Brille ist das schrecklichste Gefängnis, aus welchem die ganze Welt verändert erscheint, und nur die Gewohnheit kann den Schreck vor dieser Welt, wie sie dadurch erscheint, aufheben. Wirklich erschrak jetzt Bella bis im tiefsten Herzen vor dem Liebling, der im Luftraume ihrer Schöpfung vergöttert gewesen, sie sah ein, daß sie auf ein Mittel denken müsse, den Alraun zu bezwingen, und nahm sich vor, darüber mit Braka zu reden. Als sie das still in sich beschlossen hatte, rief ihr das Männlein vom Gesimse des Zimmers zu: „Hör, Bella, ich habe dich eben mit den Augen in meinem Nacken angesehen, da ahndet mir, du hast mich nicht mehr so lieb wie im Anfange, und wenn ich das gewiß weiß, so ist's um dich geschehen!“

Bella erschrak wie eine überwiesene Sünderin, diese Allwissenheit oder vielmehr dieses ahndende Augenpaar in dem Kleinen setzte sie in Verzweifelung, die Angst befestigte in ihr den Entschluß, sich des kleinen, furchtbaren Teufels zu entledigen. Er rief dabei vom Gesimse: „Mir ahndet, du hast etwas Böses mit mir vor, aber ich will dich schon wieder gut machen.“


Zugleich stieg er herunter, sprang zu ihr auf den Schoß und küßte sie so herzhaft, daß er ihr fast die Haut aufriß mit seiner harten Barthirse, dennoch fühlte sie eine sonderbare Bewegung ihres Blutes, die sie nicht verstand, über die sie auch nicht nachdachte; doch war ihr der Kleine im Augenblicke so lieb, und sie erwartete und wußte nicht, was, von ihm.

Eine Woche später, und der Alraun war in seiner Art völlig ausgewachsen, etwa dreieinenhalben Fuß hoch; Braka hatte schon etwas von ihm gemerkt, auch hatte er nicht Lust, sich länger einsperren zu lassen, wenn sie kam, vielmehr wollte er sich der Alten recht glänzend zeigen, zog ein silbergesticktes, altes Faltenkleid von Bellas Mutter an, das ihm Bella nach allen Seiten aufnähen mußte: so saß er eines Abends ganz ruhig in der Ecke und schien zu lesen, als Braka eingelassen wurde. Bella sagte, es sei ihre Base, ein sehr reiches Mädchen, die sie zu sich nehme, die auch Braka beschenken wolle. Braka, die ihr Kompliment auch zu machen verstand, wo sie es nötig glaubte, griff der vermeinten Base nach der Hand, um sie zu küssen, war aber doch etwas verwundert über die harte, trockene, haarige Wurzelhand und zögerte mit dem Kusse. Darüber wurde der Wurzelmann böse und gab ihr eine derbe Maulschelle. Braka konnte sich in solchem Falle nicht mäßigen, sie stemmte beide Hände in die Seite und fing so heftig an zu schimpfen, daß die lachende Bella sie kaum mit der Vorstellung beruhigen konnte, die Nachbarn möchten sie hören, und dann wäre ihr Zufluchtsort auf einmal verraten. Der Alraun hatte sich aber durch die Schimpfreden nicht weniger in der guten Meinung gestört gefunden, er sprang sehr geschickt auf und rings um Braka her und verfolgte sie mit unzähligen Fußtritten; dabei fiel ihm der Schleier herunter, sie erkannte ihn gleich für das, was er war, und demütigte sich erschrocken vor ihm. Als er sie in Ruhe ließ, setzte sie sich ganz zerschlagen auf einen Sessel und rief einmal über das andre: „Ach, Bella, was hast du für ein Glück, solch ein Männlein zu haben, das alle Schätze finden und heben kann, ja da hatte mein Schwager einen, den nannte er Cornelius Nepos.“

„So will ich auch heißen“, rief der Kleine, „wo ist der geblieben?“

„Ach“, sagte Braka, „mein Schwager wurde erstochen, das Männlein wurde in seiner Tasche gefunden und den Kindern zum Spielen gegeben, die brachten es einem Schweine, das hat's aufgefressen und ist davon krepiert.“

Der kleine Herr Cornelius wurde darüber sehr aufgebracht, er verbot es sehr strenge, ihn nicht den Schweinen vorzuwerfen, und ließ sich erklären, was dies für ein Tier sei. Braka wollte ihm erst beweisen, daß er sich um die Welt und was darin fresse, gefressen werde und sonst vorgehe, gar nicht zu bekümmern habe, er müsse Schätze graben und sich um weiter gar nichts bekümmern; als aber der kleine Cornelius wieder sehr grimmig wurde, suchte sie ihn zu besänftigen, indem sie ihm allerlei hohe Ämter vorschlug, die er verwalten könnte. Es war, als wenn er schon einmal gelebt hätte, so schnell wurde er durch eine kurze Erinnerung mit allen menschlichen Verhältnissen bekannt. Bei verwachsenen Kindern findet sich häufig ein Ansatz zu dieser fatalen Gescheitheit. Nichts unter allem, was Braka ihm von dem schönen Leben eines Kuchenbäckers oder Kellermeisters vorschwatzte, reizte ihn so mächtig als ein Kommandostab, wenn er in glänzender Rüstung, wie in dem Schlosse ein Feldmarschall abgebildet war, vor tausend Rittern an dem Hause vorüberreiten würde und ihren Gruß annehmen, ja er befahl, ihn im Hause nicht anders als Marschall Cornelius zu nennen und ihm dazu eine Rüstung zu schaffen. „Dazu gehört Geld“, sprach die listige Braka, „umsonst ist der Tod, Geld, Geld schreit die ganze Welt.“

„Dafür laßt mich sorgen“, sagte der Kleine, „ich sitze hier so unruhig, es muß hier in der Ecke der Mauer ein Schatz versteckt sein.“

Mit ihren Nägeln hätte Braka die Steine ausgerissen, wenn sie kein ander Werkzeug hätte finden können, jetzt aber lag die eiserne Ofengabel ihr recht angenehm zur Hand vor der Türe, sie war im Augenblicke damit bei der Arbeit; ein Glück, daß der Schatz nur mit einem Stein vermauert war, alle Fußtritte des Marschalls hätten sie nicht abgehalten, das Haus zu durchbohren; auch ließ sie sich durch das Kratzen und Beißen des Männleins nicht abhalten, den Kasten voll guter Gold- und Silbermünzen in Beschlag zu nehmen. Sie setzte sich darauf und hielt dann ihren feierlichen Vortrag: „Liebe Kinder, Jugend hat keine Tugend, Kinder-und Kälbermaß wissen alte Leute, ihr wißt beide noch nicht mit Gelde umzugehen, ihr wäret verloren und kämet gleich in die Hände der argwöhnischen Gerichte, wenn ich euch nicht mit Rat zur Hand ginge; darum hört meine Meinung, was ihr tun müßt, damit wir in aller Sicherheit des Schatzes froh werden. Hör, Bella, du hast mich oft Mutter genannt, das will ich nun in der Welt vorstellen, in die ich dich einführe; du aber, Cornelius, mußt dich als mein Neffe, als Vetter meiner lieben Bella, artig aufführen, so kannst du mit uns vertraulich zusammenwohnen, wir können dich einem vornehmen Kaiser irgendwo empfehlen, daß er dich zu seinem Marschall macht; eine Rüstung können wir dir gleich kaufen, auch einen Degen und Helm und einen Streithengst, da wirst du eine rechte Freude an dir haben, da werden die Leute auf der Straße mit Fingern auf dich weisen und sprechen: Das ist der herrliche junge Ritter, der Feldmarschall, der kühne Haudegen. Die Mädchen werden niedersehen, und du wirst dir den Schnauzbart in die Höhe streichen und mit einem gewognen Nickkopfe vorbeireiten.“

Hätte Cornelius sich umgewendet, so hätte er ihre Falschheit wohl sehen können, aber ihm war, seit er lebte, noch nicht so wohl geworden, als in diesen Worten der Alten; er sprang ihr auf den Schoß und herzte und küßte sie, daß Bella aus Eifersucht ihn packte und, statt zu küssen, ihn biß. Er verstand keinen Spaß in so etwas, es hätte viel Streit geben können, wenn nicht die Alte mit Beratschlagung, was nun anzufangen, hervorgetreten wäre: „Schlagt euch ein andermal, wenn mehr Zeit dazu ist, heute muß ein Entschluß gefaßt werden, wohin wir gehen, um mit Ansehen in Gent einzufahren! Da habe ich eine alte Diebshehlerin in Buik gekannt, die schafft am ersten Rat und was wir brauchen, eine Staatskutsche, worin wir den Herrn Cornelius fahren, als ob er in einem Zweikampfe verwundet worden sei und nur allmählich genese.“

„Nein“, sagte das Männlein, „das will ich nicht spielen, es könnte mir wirklich so gehen, und warum soll ich mich nicht sehen lassen?“

„Ach“, seufzte Braka heimlich, „der ist auch einer von den Bucklichten, die nicht begreifen können, womit sie ihre Hemden zerreiben“; laut aber sprach sie: „Seht nur, Herr, so auf einem Dorfe sind nicht gleich ritterliche Kleider zu bekommen, die Eurer würdig sind, auch müßt Ihr Haar und Bart sorgsam beschneiden lassen, die Leute meinen sonst, ihr wärt der Bärnhäuter.“

„Vielleicht bin ich auch von den Seinen“, sagte Cornelius, „wer ist es, wo lebt er?“

„Erzähl uns von ihm“, bat Bella, „diese Nacht ist fast vergangen, heut können wir noch nicht scheiden, und morgen will ich noch Abschied nehmen von allem, was mir im Hause lieb.“

„Erzähl“, sagte der Kleine, „oder ich schlage dich.“ Braka hub also an, indem sie die Öllampe zur Seite stellte und ihr Schnupftuch immer aus einer ihrer Hände in die andre strich:

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Isabella von Ägypten