Dienstmädchen Amanda Eggert, Frau Busch Gattin des Kutscher Buch

Dienstmädchen Amanda Eggert: Am 19. März 1897, abends gegen 9 Uhr, habe sie im Hofe Geflüster und Klirren von Hundeketten gehört. Sie sei in den Keller gegangen; als sie noch auf den Kellertreppen war, habe sie einen Schuss gehört. Sie sei sofort in das Wohnzimmer des gnädigen Herrn gelaufen und habe dort den gnädigen Herrn zwischen Sofa und Tisch als Leiche liegen sehen. Sie habe niemals etwas bemerkt, was darauf schließen ließ, daß zwischen Rieß und der gnädigen Frau ein Liebesverhältnis bestanden habe. Es sei ihr aber mitgeteilt worden, daß dies eine Frau erzählt habe. Frau Rosengart habe ihr einmal gesagt: mein Mann erlaubt nicht, daß die Fensterläden des Abends geschlossen werden. Wenn nun einmal meinem Manne etwas passiert, dann könnte der Verdacht auf Rieß und mich fallen. Nach dem Morde sei sie von Herrn Adameit nach einem Schraubenzieher geschickt worden. Außerdem habe sie gesehen, daß Frau Rosengart einen Eimer Wasser aus der Küche geholt und in das obere Zimmer getragen habe. Vors. Es wird nämlich behauptet: Adameit und die Angeklagte seien bemüht gewesen, das Gewehr, mit dem Rosengart erschossen wurde, zu vernichten. Das Gewehr sollte in den Pregel versenkt werden. Vorher sollte aber der Lauf des Gewehrs abgeschraubt werden, zu diesem Zwecke war der Schraubenzieher notwendig. Der Lauf sei deshalb glühend gemacht worden. Um nun die Glut zu löschen, sei der Eimer Wasser notwendig gewesen. — Auf Antrag des Ersten Staatsanwalts und der Verteidiger wurde festgestellt, daß die Zeugin bei ihren verschiedenen Vernehmungen sich vielfach widersprochen habe. Die Zeugin bestritt, gesagt zu haben, daß sie einen Meineid geleistet habe. Das Dienstmädchen Lina Meier habe sie des Meineids bezichtigt. — Verteidiger Justizrat Dr. Sello: Sie haben jedenfalls bei Ihrer ersten Vernehmung nicht gesagt, daß Sie kurz vor dem Schuss Stimmengeflüster und Kettenklirren im Hofe gehört haben? — Die Zeugin schwieg. — Vert.: Wissen Sie, ob das Stimmengeflüster von Männern oder Frauen ausging? — Zeugin: Das weiß ich nicht. — Die Zeugin bekundete ferner auf Befragen: Die Angeklagte habe sie ersucht: sie solle nicht sagen, daß sie mit Rieß allein gesprochen habe. — Vors.: Haben Sie denn einmal gesehen, daß Frau Rosengart mit Rieß allein gesprochen hat? — Zeugin: Nein. — Vors.: Weshalb mag Frau Rosengart diese Äußerung wohl getan haben? — Zeugin: Das weiß ich nicht — Vors.: Als Sie eine Vorladung zu dem Untersuchungsrichter erhielten, soll Frau Rosengart zu Ihnen etwas gesagt haben? — Zeugin: Die gnädige Frau sagte: Du wirst ja wissen, was du zu sagen hast.

Auf Befragen des Verteidigers, Justizrats Dr. Sello, bemerkte schließlich die Zeugin: Als Frau Rosengart den Eimer Wasser hinauftrug, habe der gnädige Herr noch gelebt. — Der Erste Staatsanwalt erwähnte, dass er einen anonymen Brief erhalten habe. — Auf Antrag des Verteidigers, R.-A. Dr. Lichtenstein, wurde dieser Brief vorgelesen.


Er lautete etwa folgendermaßen:

„Herrn Staatsanwalt, hochgeboren! Sie werden mich entschuldigen, dass ich Ihnen bitte, die unglückliche Frau Rosengart freizulassen. Frau Rosengart ist unschuldig. Wir Arbeiter alle zusammen haben den Inspektor Rieß aufgefordert, Herrn Rosengart zu erschießen. Rieß hat dies auch getan, da er Frau Rosengart liebte, um sie von dem schlechten Manne zu befreien. Ich habe oft gesehen, wie Rosengart seine Leute anband, sie schlug und beschimpfte. Frau Rosengart ist aber unschuldig. Ich bitte Ihnen um Gottes willen, Herr Staatsanwalt, Frau Rosengart freizulassen. Sie würden sonst an der Frau und an den armen Kindern eine schwere Sünde begehen. Sie sind auch kein Gott, sondern nur ein Mensch. Sie haben gewiss schon manchen Menschen unschuldig verurteilt! (Heiterkeit im Zuhörerraum.) Wenn Sie auch noch die unglückliche Frau Rosengart verurteilen, dann würden Sie eine Unschuldige verurteilen und viel Elend über die Kinderchen bringen. Ein Arbeiter, der die Verhältnisse kennt, schreibt das.“

Frau Busch, Gattin des gestern vernommenen Kutschers Busch, erzählte auf Befragen: Am Abend des 19. März 1897 sei sie mit einer Frau Ziegran von Ernsthof nach Zögershof gegangen. Vor ihnen sei ein Mann gegangen, der auf den Rosengartschen Gutshof ging und sich dort hinter einen Wagen stellte. Gleich darauf sei ein Schuss gefallen. Sie sei mit der Ziegran fortgelaufen, da sie glaubten, der Schuss gelte ihnen. — Vors.: Hatte der Mann ein Gewehr oder etwas Ähnliches in der Hand? — Zeugin: Nein, er hatte nichts in der Hand. — Vors.: Kannten Sie den Rieß? — Zeugin: Ja, Rieß kannte ich ganz genau. — Vors.: War der Mann Rieß? — Zeugin: Nein. — Vors.: Weshalb war es Rieß nicht? — Zeugin: Dazu war der Mann zu klein und zu dick. — Vors.: Wie war denn das Wetter an jenem Abend? — Zeugin: Es war regnerisch. — Vors.: Konnten Sie den Mann erkennen? — Zeugin: Ja, ich habe ihn beim Schein der Laterne gesehen. — Vors.: Von welcher Entfernung konnten Sie an jenem Abend einen Menschen erkennen? — Zeugin: Von zwanzig Schritt. — Vors.: Und wie weit standen Sie von dem Mann entfernt? — Zeugin: Ungefähr zehn Schritt. — Vors.: Wie sah der Mann aus? Zeugin: Er war klein, dick und hatte einen schwarzen Schnurrbart. — Vors.: Was für einen Bart hatte Rieß? — Zeugin: Einen blonden Vollbart. — Erster Staatsanwalt: Wenn Rieß sich ein paar dicke Röcke angezogen und einen schwarzen Schnurrbart Angeklebt hätte, wäre es alsdann möglich gewesen, daß dieser Mann Rieß war? — Zeugin: Nein, dazu war er zu klein. — Erster Staatsanwalt: Also nur deshalb konnte es nicht Rieß sein? — Zeugin: Ja. —

Verteidiger R.-A. Dr. Lichtenstein: Trug nicht Rieß auch einen halblangen, blonden Kinnbart? — Zeugin: Jawohl. — Vors.: Frau Busch, Sie haben bekundet, daß Sie Frau Rosengart vielfach unterstützt hat? — Zeugin: Das ist richtig, ich konnte mir von Frau Rosengart stets Kartoffeln, Brot und Speck holen. — Vors.: Sie haben doch gehört, daß Rieß und einige Wochen später auch Frau Rosengart verhaftet wurde, da beide im Verdacht standen, den Mord begangen zu haben? — Zeugin: Das habe ich gehört. — Vors.: Wie konnten Sie es über sich gewinnen, zwei Leute, die, wenn Ihre Bekundung wahr ist, doch unschuldig waren, unter der schweren Anklage des Mordes im Untersuchungsgefängnis sitzen zu lassen. Weshalb haben Sie von Ihren Wahrnehmungen dem Gericht nicht sofort Anzeige erstattet? — Zeugin: Ich wurde von niemandem gefragt. — Vors.: Dies allein durfte Sie doch aber nicht abhalten, zu schweigen; Ihre Wohltäterin befand sich im Gefängnis, Sie hatten doch dadurch auch Schaden? — Zeugin: Ich habe mit dem Gericht niemals etwas zu tun gehabt und wollte deshalb auch fernerhin nichts mit dem Gericht zu tun haben. — Vors.: Also weil Sie mit dem Gericht nichts zu tun haben wollten, haben Sie Ihre Wohltäterin ruhig im Gefängnis sitzen lassen und Ihre Wahrnehmungen erst mitgeteilt, als Ihr Mann aus dem Zuchthause kam? — Zeugin: Ich habe es nur meinem Manne erzählt. — Auf ferneres Befragen bekundete die Zeugin: Nachdem ihr Mann schon aus dem Zuchthause zurück war, sei der junge Herr Rosengart zu ihr gekommen und habe sie gefragt: ob der Mann, den sie am Abend des Mordes gesehen habe, etwa Rieß war. Sie habe diese Frage verneint. Auf Befragen des Verteidigers Justizrats Dr. Sello bemerkte die Zeugin noch: Der junge Rosengart habe heftig geweint, als er bei ihr in der Wohnung war.