Der Schlossherr des Rittergutes Zögershof

Der Schlossherr des Rittergutes Zögershof, vor dem Tragheimer Tore zu Königsberg, Preußen, August Rosengart, war seit 1878 verheiratet. Zehn Kinder hatte ihm seine Frau geschenkt; von diesen waren 1897 vier Knaben und ein Mädchen im Alter von 17 bis 8 Jahren am Leben. Viele Jahre herrschte in Zögershof ungetrübte Freude. Schließlich kehrte jedoch der Unfriede in die Familie Rosengart ein. Rosengart soll sich dem Trunke ergeben und seine Frau oftmals misshandelt haben, zumal ihm zu Ohren gekommen war, daß seine Gattin die eheliche Treue nicht innehalte. Am 19. März 1897, abends gegen 8 Uhr, hatte Rosengart mit seiner Familie das Abendessen eingenommen. Nach beendeter Tafel zog sich Rosengart, wie immer, in das Wohnzimmer seines Schlosses zurück, um dort ungestört die Zeitung zu lesen. Rosengart saß auf dem Sofa; vor ihm stand eine brennende Lampe, die Fensterläden waren, wie gewöhnlich, unverschlossen. Kurze Zeit verweilte Frau Rosengart mit ihrem elfjährigen Töchterchen in dem Wohnzimmer, um noch mit Papa zu plaudern. Gegen 9 Uhr verließ Frau Rosengart mit ihrem Töchterchen das Wohnzimmer, „damit Papa ungestört lesen könne“. Kaum hatte Frau Rosengart die Tür hinter sich zugemacht, da krachte ein Schuss, der den Rittergutsbesitzer sofort zu Boden streckte. Eine Kugel hatte ihm den Kopf von links nach rechts durchbohrt, so daß der Tod sofort eingetreten sein muss. Frau Rosengart, die mit ihren Kindern und ihrem Personal herbeigeeilt war, fand ihren Gatten mit zerschmettertem Schädel in einer Blutlache neben dem Sofa liegen. Zwischen der Leiche und dem Sofa lag eine Kugel. Diese hatte zunächst die linke untere Scheibe des Fensters, alsdann den Kopf des Rosengart durchbohrt, hierauf die Tapete und den Kalkputz der gegenüberliegenden Wand 1,25 Meter über dem Fußboden bis auf den Ziegel durchschlagen und ist schließlich zurückprallend in plattgedrückter runder Form zur Erde gefallen. Laut sachverständigem Gutachten war das tödliche Geschoss eine Spitzkugel, die mit einem sogenannten Hinterladegewehr vom Gutshofe aus abgegeben war. Der Mörder ist anscheinend ein sehr gewandter Schütze gewesen, der auch mit den örtlichen und den Wirtschaftsverhältnissen sehr genau vertraut gewesen sein muss. Frau Rosengart sandte sofort einen Wagen nach Königsberg, um einen Arzt und ihren Bruder, den Kaufmann Hermann Adameit, herbeizurufen. Außerdem sandte sie Leute nach dem nahe belegenen Ernsthof, um den Gutsinspektor Paul Rieß herbeizuholen. Da letzterer, trotz mehrfacher Aufforderung, zögerte, den Gendarmen holen zu lassen, ließ Kämmerer Wiemann zwei Pferde satteln, auf denen ein Sohn des Ermordeten und ein Knecht zu dem Gendarm Pfau nach Vorderhufen ritten. Der Verdacht der Täterschaft lenkte sich sogleich auf den Inspektor Rieß. Es war das Gerücht verbreitet, daß letzterer mit Frau Rosengart unlautere Beziehungen unterhalte. Beide hätten deshalb ein Interesse, Rosengart aus der Welt zu schaffen. Es war außerdem bekannt, daß Rieß ein sehr gewandter Schütze war. In seinem Besitz soll sich auch ein Gewehr befunden haben, in das die Kugel, mit der Rosengart erschossen wurde, passte. Auf dem Gutshof waren noch wenige Wochen vor dem Morde zwei große wachsame Hofhunde. Rieß soll einen Knecht aufgefordert haben, die Hunde aus dem Wege zu räumen. Kurz vor dem Morde waren die Hunde plötzlich spurlos verschwunden. Außerdem stimmten die Fußspuren, die der Mörder hinterlassen hatte, mit mathematischer Genauigkeit mit den Stiefeln des Rieß überein. Frau Rosengart soll auch mehrfach geäußert haben, sie werde ihren Mann aus dem Wege räumen. Diese und noch andere Verdachtsmomente gaben der Staatsanwaltschaft Veranlassung, Frau Rosengart und den Inspektor Rieß zu verhaften. Rieß starb jedoch sehr bald in der Untersuchungshaft und Frau Rosengart mußte nach einiger Zeit wieder entlassen werden, da die Belastungsmomente nicht ausreichend waren. In Sommer 1898 verlobte sich Frau Rosengart mit einem an Jahren bedeutend jüngeren Referendar a. D., namens Wolff, und beschloss, diesen im September 1898 zu heiraten. Kaufmann Adameit, Bruder der Frau Rosengart, hegte die Befürchtung: durch diese Ehe könnten die Rosengartschen Kinder, deren Vormund er war, einen argen Vermögensnachteil erleiden, zumal Wolff vollständig vermögenslos war. Da Frau Rosengart trotz allen gütlichen Zuredens von ihrem Verehelichungsplane nicht abzubringen war, so teilte Adameit der Staatsanwaltschaft mit: seine Schwester habe ihm zugestanden: den Gutsinspektor Rieß bestimmt zu haben, ihren Mann zu erschießen. Im August 1898 fuhr Frau Rosengart mit ihrem Verlobten nach Helgoland. Am Nachmittage des 23. August saß das verlobte Paar am Strande, um dort den Kaffee einzunehmen. Kaum hatte ein Kellner den Kaffee serviert, da näherten sich dem Paare zwei Kriminalbeamte und erklärten: Sie hätten von der Königsberger Staatsanwaltschaft den Auftrag, Frau Gutsbesitzer Rosengart zu verhaften. Dieser Vorgang erregte selbstverständlich in Helgoland das größte Aufsehen.