Insel Sylt wie sie war und wie sie ist

Ein Handbuch für Badegäste und Reisende
Autor: Hansen, Carl P. (?), Erscheinungsjahr: 1859
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Sylt, Insel, Friesland, Friesen, Trachten, Sitten, Gebräuche, Sittenbild, Sozialgeschichte, Reisen, Seemänner, Schifffahrt
„Du beschlammter Sohn des Stromes,
Der Du hoch anjetzt erhoben stehest, o Stein!
Du sollst reden einst zu den Schwachen,
Wenn das Geschlecht von Selma wird erloschen sein,“

        (Aus dem Ossian.)
Vorwort.

Einst — es war im Sommer des Jahres 1834 — wandelte ich mit meinem Freunde und Landsmanne H. H. Buchholz auf dem Elbdeiche bei Cuxhaven. Wir hatten den dortigen Leuchtturm erstiegen und besahen jetzt die dortigen Badekarren und andere Einrichtungen am Ufer. Wir sprachen über Sein und Nichtsein, über unsere Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Mein Freund wollte nur noch eine Reise zur See machen und dann auf der lieben Heimatinsel im Kreise seiner Familie ein mehr ruhiges und wenn möglich sorgenfreies Leben führen. Er fuhr kurz darauf wirklich noch einmal zur See hinaus; allein er kehrte niemals zurück, verlor eben auf dieser Reise sein Leben. — Während wir uns besprachen, trat unerwartet ein junger deutscher Gelehrter zu uns, und äußerte mit Begeisterung, wie er sich freue, nachdem er weit gewandert sei, endlich das große deutsche Meer, die freie Nordsee, zu sehen. Wir beiden Insulaner lächelten über seine Äußerung und bedeuteten ihm, dass das schmutzige Wasser da unten am Fuße des Deiches und so weit man dasselbe von hier aus überschaue, Nichts weiter als Flußwasser der Elbe sei, „Wie weit soll ich denn noch reisen, ehe ich das freie Meer, die Nordsee, sehen werde?“ — fragte Jener. — „Bis Helgoland oder bis nach unserer Heimat, der Insel Sylt an der Westküste Schleswigs“ — war unsere Antwort. — Wir dachten wahrlich damals nicht, dass ein Deutscher in Wirklichkeit bis nach der Insel Sylt reisen würde, um die Nordsee zu sehen und sich dort im offenen Meere zu baden.

Ein paar Jahre später fuhr auf holperigen Wegen ein Reisender, von Deutschland kommend, nordwärts durch Schleswig und Flensburg. Er fand die Gegend bis etwa eine Meile nördlich von Flensburg im Ganzen freundlich, mitunter reizend; dann aber änderte sich die Szene gänzlich. Vor ihm dehnte sich jetzt im Norden und Westen eine unabsehbare Heide aus. Es graute ihn vor der langweiligen Fahrt über die Heide, die ihm nunmehr bevorstand. Er dachte: je weiter nach Nordwest, desto rauer und wüster wird die Gegend, desto unfreundlicher und ungebildeter werden die Menschen. Und nun gar eine Insel jenseits dieser trostlosen Einöde, wie möchte da noch eine Spur von Zivilisation, von Schönheit und Wohlbehagen sich finden? Nein, sprach er bei sich, wenn nicht besondere Geschäfte mich nach Sylt führten, nimmermehr würde ich mich so weit von der großen Welt und deren Komfort und Verkehrstraßen entfernen. Er hielt es für eine große Geduld - und Mutprobe, die er bestand, als er nach achtstündiger Fahrt auf miserablen Wegen über die schreckliche Heide die Stadt Tondern erreichte. Die Landschaft wurde jetzt wieder grün, jedoch sie blieb flach und niedrig. Er nahte sich endlich einem dichten Häuserklumpen auf einem Deiche, der, wie es schien, ohne einen Hintergrund zu haben, am Ende der Welt lag. Es war der Flecken Hoyer an der Westküste Schleswigs. Das Ende der Festlandswelt und seiner Landreise schien übrigens noch nicht da zu sein. Er musste noch eine Stunde nordwestwärts mehrenteils auf dem während der Ebbe trockengewordenen Meeresboden fahren, ehe er spät gegen den Abend das Fährschiff, welches ihn nach Sylt führen sollte, erreichte. Er hatte unterdes auf seiner bisherigen Landreise so viele Entbehrungen gehabt, so viele Übungen in der Geduld und Sanftmut bestanden, dass er, wenn noch einige solche Übungen und Entbehrungen auf der bevorstehenden Wasserreise hinzukämen, Aussicht hatte, auf dieser Reise nach Sylt ein vollendeter Stoiker zu werden, wenn er nicht gut auf derselben den Eingang zu einer andern Welt, etwa zu der Unterwelt, finden würde. Am Horizonte, im fernen Westen, schien wirklich eine neue Welt, die nicht eben mit den verlassenen Heide- und Marschebenen des Festlandes viel Ähnlichkeit haben möchte, aus dem Meere in den roten Abendhimmel hervorzutauchen *). Es waren die weißlichgrauen Sandberge des Listlandes, die buntfarbigen Abhänge des Morsumkliffs und die dunkeln Höhen des Mittlern Sylts mit dem Keitumer Kirchturm, welche der Reisende von dem Ufer des Festlandes aus gewahrte, welche jedoch bald in der immer düsterer werdenden Abendluft verschwanden. Der Fremdling hatte unterdes Muße und Licht genug, um das trocken gewesene, allmählich aber mit Wasser sich wieder füllende und das Fährschiff flottmachende Wattenmeer zu beschauen, auch Erfahrungen in der Seekrankheit zu machen oder, wie der Fährmann sich spottend äußerte, den Krebsen Futter zu geben und mithin seine gewonnene Philosophie zu vervollständigen; denn die Wasserreise dauerte des widrigen Westwindes wegen volle 12 Stunden. Endlich mochte seine Natur erschöpft sein; er schlief ein, und erwachte erst wieder, als das Schiff in der Nähe einiger anderer kleiner Fahrzeuge, zweier Häuser und einer Graupenmühle an dem Ostufer der Insel Sylt, bei Munkmarsch, bereits vor Anker lag. Es war heller Tag geworden; ringsum sah er zunächst Sand- und Heidehöhen, in einiger Entfernung Dörfer, Kirchen und Ackerfelder. Also nichts Neues; Alles schien hier vielmehr mit Moos überzogen oder untermischt, mithin alt und grau zu sein. Selbst die Menschen, die er sah, schienen einen Anflug davon zu haben, mindestens der Fährmann und sein Gehilfe, sowie der Müller und sein Knecht; jedoch alle waren freundlich, offen und natürlich und, wie es schien, keineswegs unwissend. Ein flinker Matrose, der eben müßig am Ufer stand, lud den Fremdling auf den Rücken und trug ihn auf den Sandwall samt seiner Reisetasche.

*) Die Insel Sylt ist wirklich ein von den niedrigen Küstengegenden Westschleswigs sehr verschiedenes, dieselben gegen die Gewalt der Stürme und Wellen des offenen Meeres schützendes, höheres, langgestrecktes Vorland. Ähnlich der Insel Sylt sind die Inseln Amrum und Römöe.

Sylt - Friesenhaus in Keitum

Sylt - Friesenhaus in Keitum

Sylt - Friesenlandschaft

Sylt - Friesenlandschaft

Sylt - Insel aus der Vogelperspektive

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Sylt - Seestudie

Sylt - Seestudie