Inkognito

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1900
Autor: D., Erscheinungsjahr: 1900

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Anekdote, Friedrich der Große, Maske, Domino, Karnevalsvergnügen, Berlin, Prinz Heinrich, Potsdam
In seinen jüngeren Jahren nahm Friedrich der Große stets an den Karnevalsvergnügungen in Berlin teil. So besuchte er auch einst maskiert und ohne jede Begleitung die Redoute im Opernhause. Da erblickte er einen blauen Domino, der sich gewandt durch die Menge drängte und von besonders großer Gestalt war. Der König ging auf ihn zu und sagte: „Halt Er doch einmal! Ist Er nicht der Leutnant v. Kapphengst und ist Er nicht Adjutant beim Prinzen Heinrich in Potsdam?“

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Einen Augenblick fuhr der Domino erschreckt zusammen, dann fasste er sich und sagte in übermütigem Tone: „Ich? Adjutant? Beim Prinzen Heinrich? Nein, Maste, da irrst du dich!“

Friedrich, der schon wiederholt strenge Befehle erlassen hatte, dass kein Offizier ohne Erlaubnis seine Garnison verlassen dürfe, warf dem Domino durch die Maske einen strengen Blick zu und fuhr fort: „Er hat Potsdam ohne Urlaub verlassen? Dann ästimiere ich Ihn freilich für keinen Offizier mehr, sondern für einen infamen Deserteur!“

Dem jungen Mann stieg unter der Maske das Blut ins Gesicht, aber er ließ seinen Zorn nicht merken, sondern flüsterte der von ihm wohlerkannten Maske zu: „Du besitzest einen großen Scharfsinn! Freilich habe ich die Ehre, der prinzliche Adjutant zu sein, aber ich bin hier im strengsten Inkognito und halte den für einen Schuft, der es weitersagt!“ Damit verschwand er unter den Festteilnehmern.

Am nächsten Tag hielt Friedrich der Große, dem die Geistesgegenwart des Offiziers gefallen hatte, in Potsdam Parade ab. Langsam ritt er an den ehrerbietig grüßenden Offizieren vorbei. Plötzlich hielt er sein Pferd an, blickte mit seinen mächtigen Augen einen Offizier an, der die Uniform der Adjutanten trug, beugte sich zu ihm nieder und flüsterte ihm zu: „Ich ernenne Ihn hiermit zum Hauptmann, aber ein Schust ist, wer es weitersagt!“ Dann ritt er langsam weiter und ließ den jungen „Hauptmann“ in der größten Verlegenheit und Unruhe zurück. Er war avanciert. und durfte es niemand sagen! Ein langes Jahr trug er sein drückendes Geheimnis mit sich herum, bis eines Tages wieder bei der Parade der König zu ihm sagte: „Na, nun kann Er Sein Inkognito als Leutnant ablegen und sich auch öffentlich Hauptmann nennen!”

Friedrich II. (1712-1786) König von Preußen

Friedrich II. (1712-1786) König von Preußen