Indische Bartgeier streiten sich um ein gestürztes Pamirwildschaf

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: R. H., Erscheinungsjahr: 1926

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Pamirschaf, Gänsegeier, Bartgeier,
Unter den Wildschafen, die in zahlreichen Unterarten die Hochgebirge von Zentralasien bewohnen, ist das Pamirschaf oder der Katschgar das größte. In Höhen über der Waldgrenze, in der kahlen Wildnis des gewaltigen Hochplateaus von Tibet, bis hinauf in die Schneeregionen von 6000 Meter ist das Tier am häufigsten verbreitet. Als im dreizehnten Jahrhundert der berühmte Weltreisende Marco Polo über den Pamir bis nach China gelangte, hat er den Katschgar im tibetischen Hochland in so großer Zahl angetroffen, dass er berichtete, die Hirten hätten Knochen und Hörner der erlegten Schafe als Wegweiser durch die schneebedeckte Einöde aufgetürmt.

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Das Pamirschaf wird fast so groß wie ein Hirsch; die Länge beträgt ohne den etwa zehn Zentimeter langen Schwanz zwei Meter, die Schulterhöhe 1,20 Meter und das Gewicht bis zu 230 Kilo. Gewaltige, von nahe aneinander liegenden starken Ringen besetzte Hörner stehen in anderthalb Meter langer Windung seitlich an dem langgestreckten Kopf. Braun ist das dichte Fell und hat dunkle Rückenstreifen. Rings um den Hals bauscht sich eine lange, wollige Mähne. In Herden bis zu dreißig und vierzig Stück klettern diese Tiere erstaunlich behende an den steilen Felsabhängen umher und springen über klaffende Spalten mit Sicherheit hinweg. Wittert der Katschgar Gefahr, so jagt er scheu und ängstlich davon. Nur zur Brunftzeit zeigt sich der Bock kühn im Kampf gegen den Nebenbuhler. Dann prallen die harten Schädel knallend gegeneinander, und der Schall hallt an den Felswänden wider. Zuweilen wird einer der Kämpfer über die Steinwand hinausgedrängt, stürzt in die Tiefe und bleibt zerschellt auf einer Platte liegen. Da erspäht, hoch oben in den Lüften kreisend, ein Gänsegeier die Beute und lässt sich mit der Leichtigkeit des Falken in vielfachen Schwenkungen nieder auf den noch zuckenden Körper. Über ein Meter lang und zweieinhalb Meter breit ist der braunbefiederte Raubvogel, der sich da seiner Beute gewiss; glaubt. Schon reckt er keck den schlanken Kopf über dem gänseartig langen Hals, um dann den Schnabel in die Eingeweide des verendeten Katschgar zu stoßen, da rauscht mit mächtigen Flügelschlägen ein Bartgeier mit seinem Weibchen heran und lässt sich in nächster Nähe auf einem Felsen nieder. Den Gänsegeier übertrifft dieser Geieradler an Größe noch um ein gutes Stück, und edler ist sein ganzes Aussehen. Der große Kopf trägt einen langen, großen Schnabel, der wie ein Haken gekrümmt und am Grund von struppigen Borsten umgeben ist. Mit erhobenen Flügeln, den Schnabel weit aufsperrend, fährt der Bartgeier auf den Gegner los, der mit gesträubtem Gefieder, den Hals eingezogen, den Schnabel zur Abwehr geöffnet, dem Angriff standhält. Plötzlich streckt er den langen Gänsehals weit vor und sucht dem Störenfried eins zu versetzen. Doch dieser weicht geschickt aus. Nun muss ich wieder der Gänsegeier wehren; keiner will dem anderen den Katschgar als leckeres Mahl überlassen, bis es endlich zum erbitterten Kampf mit Krallen und Schnäbeln in der Luft kommt, in dem der stärkere Bartgeier Sieger bleibt und den zerzausten Partner zwingt, auf das Pamirschaf zu verzichten.

Vögel, Indische Bartgeier streiten sich um ein gestürztes Pamirwildschaf

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