Zweite Fortsetzung

Der Regenfall ist nicht das einzige meteorologische Element, das rhythmische Schwankungen dieser Art aufweist. Es gelang ganz entsprechende für die Temperatur darzutun, und zwar war der Nachweis ein doppelter; er basierte einerseits auf der Diskussion der Register über die Dauer der winterlichen Eisdecke auf den Flüssen, andererseits auf den direkten Temperaturbeobachtungen. Die nachfolgende Kurve Fig. III möge diese Temperaturschwankungen illustrieren. Die ihr zu Grunde liegenden Zahlen wurden als Lustrenmittel aus den von

Fig. III. Säkulare Schwankungen der Temperatur.


Köppen*) mitgeteilten Mittelwerten der schon vor 1820 beobachtenden Stationen Europas und Neuenglands berechnet und in der oben angegebenen Weise ausgeglichen. Ein Ansteigen der Kurve um einen Teilstrich bedeutet eine Zunahme der Temperatur um 0.05° C.

*) Köppen in Zeitsch. d. Österr. Ges. f. Meteorologie, 1874, S. 260.

Ein allgemeines Resultat lesen wir aus unserer Kurve ab: der Rhythmus der Schwankungen der Temperatur vollzieht sich in der Weise, dass die feuchten Perioden auch kühl, die trockenen auch warm sind. So treffen wir im laufenden Jahrhundert in Europa und in den Neuenglandstaaten um 1815 eine durchschnittlich kalte Periode, um 1825 eine warme, um 1840 wieder eine kühle; die sechziger Jahre sind wieder warm und an sie schliefst sich als letzte kühle Periode diejenige Ende der siebziger Jahre an.

Unwillkürlich entsteht angesichts der Klimaschwankungen dieses Jahrhunderts die Frage, ob sich dieselben weit in die Vergangenheit zurück konstatieren lassen. Es ist dieses an der Hand eines verschiedenartigen Materials gelungen. Freilich zuverlässige meteorologische Beobachtungen reichen nicht tief in das vorige Jahrhundert zurück. Doch bot sich uns ein anderes wertvolles Material teils hydrographischer, teils pflanzenphänologischer Natur dar. Da sind zunächst die Schwankungen des Spiegels des Kaspischen Meeres, über welche Aufzeichnungen seit dem Jahre 1685 uns vorliegen; da sind ferner Beobachtungen über das Gefrieren und Aufgehen mehrerer russischer Flüsse, welche bis zum Beginn des vorigen Jahrhunderts fast lückenlos zurückgehen. Vor allem aber existieren langjährige Register über den Beginn der Weinlese in den Weingegenden Frankreichs, Südwest-Deutschlands und der Schweiz, die zum Teil schon mit dem Jahre 1400 beginnen. Erst seit 1550 freilich ist die Zahl der Stationen groß genug, um ihre Aufzeichnungen gegenseitig kontrollieren und zu Mitteln vereinigen zu können.

Es ist bekannt, dass im Allgemeinen in feuchten und kühlen Jahren die Traubenreife erst spät, in trockenen und warmen dagegen früh eintritt. Da nun die Schwankungen des Termins der Weinernte bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts sich nachweislich entsprechend denen der Jahrestemperatur und der jährlichen Regenmenge vollziehen, so dürfen sie überhaupt als Repräsentanten der Klimaschwankungen gelten.

Es wurden die Lustrenmittel des Datums der Weinernte für nachfolgende 30 Stationen gebildet: Verdun, Argenteuil, Foug, Loches, Les Riceys, Couvignon, Denainvilliers, Auxerre, Vendôme, Vesoul, Dijon, Beaune, Volnay, Salins, Lons-le-Saulnier, Yenne, Pichon-Longueville, Landschaft Médoc, Tain, Castres, Stuttgart, Kürnbach, Altstetten, Veytaux, Vevey, Lausanne, Lavaux, Aubonne, Rolle und Pully bei Morges.

Diese Lustrenmittel wurden für jede Station durch die Abweichungen vom dreißigjährigen Mittel 1851 — 1880 ausgedrückt und hierauf für jedes Lustrum die Mittel der einzelnen Stationen zu einem Gesamtmittel vereinigt. Auf Grund der letzteren wurde die nachfolgende, wieder in der angegebenen Weise ausgeglichene Kurve entworfen, welche die Schwankungen des Klimas bis 1670 zurückzuverfolgen gestattet. Ich hätte sie ohne weiteres bis 1550 zurückführen können, freilich mit abnehmender Sicherheit, da die Zahl der Stationen von 1670 an rasch immer kleiner und kleiner wird. Doch möge die hier mitgeteilte Probe genügen*). Ein Ansteigen der Kurve um einen Teilstrich bedeutet eine Verfrühung der Weinernte um einen Tag, also eine Zunahme der Temperatur und eine Abnahme des Regenfalls.

*) Die Kurve von 1550 an, wie alles derselben zu Grunde liegende Beobachtungsmaterial wird in der eingangs (S. 104 Anmerkung) erwähnten größeren Publikation des Verfassers mitgeteilt werden.

Fig. IV. Säkulare Schwankungen des Termins der Weinernte

Um die Jahre 1880, 1851 — 55, 1816 — 20, 1766 — 70, 1741— 1745, 1696 — 1700 und 1671— 1675 fallen kühle und feuchte Perioden, um die Jahre 1861 — 1865, 1820 — 1830, 1786 — 90, 1756 — 1760, 1726 — 1730 und 1681 — 1685 warme und trockene. Die Zeiträume von Maximum zu Maximum
sind dabei nicht vollkommen gleich; die Klimaschwankungen vollziehen sich also in keiner strengen Periode von bestimmter Länge, und wenn wir ihre Länge auf 36— 37 Jahre angeben, so ist das nur ein Mittelwert.

Worin aber haben diese eigentümlichen Schwankungen, welche die wichtigsten klimatischen Elemente erleiden, ihren Grund? Die Endursache ist noch vollkommen in Dunkelheit gehüllt. Nur für den Regenfall vermögen wir einen Schritt zurück zu tun, wenn auch nur auf dem beschränkten Gebiet Europas. Die Schwankungen des Regenfalls gehen nämlich hier genau Hand in Hand mit säkularen Schwankungen des Luftdruckes. Diese aber vollziehen sich auf dem Nordatlantischen Ozean und in Europa derart, dass in den regenreichen Perioden eine Abschwächung aller Luftdruckdifferenzen eintritt, in den trockenen eine Verstärkung derselben. Da nun während des größten Teils des Jahres sowie im Jahresdurchschnitt der Gradient vom Kontinent zum Ozean gerichtet ist, so muss eine Schwächung desselben notwendig den Übertritt feuchter ozeanischer Luft vom Meer aufs Land und damit den Regen auf dem Lande erleichtern, eine Verstärkung denselben erschweren. Die Schwankungen des Luftdrucks aber sind nichts anderes als eine Folge der Schwankungen der Temperatur. Eine Zunahme der letzteren bedingt eine Verschärfung des thermischen Gegensatzes zwischen Wasser und Land in gemäßigten und hohen Breiten und daher auch eine Verschärfung des Überdrucks auf dem Lande, die ihrerseits eine Minderung des Regens zur Folge hat. Ähnlich dürften sich wohl auch im allgemeinen die Schwankungen des Regenfalls auf die oben skizzierten Schwankungen der Temperatur zurückführen, wenn auch der Beweis zunächst nur für Europa gegeben ist. Wer die Temperaturschwankungen erklärt, hat die Ursache des gesamten Phänomens der Klimaschwankungen erkannt.

Ist nun der Betrag dieser Klimaschwankungen erheblich, so dass denselben eine praktische Bedeutung zukommt? Dieses ist in der Tat der Fall. Besonders in den trockenen Gebieten, die an sich schon wenig Wasser besitzen, ändern sich die hydrographischen Verhältnisse gewaltig, indem sie jenen Schwankungen des Klimas folgen. Seen verschwinden in den Trockenperioden, um in den feuchten wieder aufzutreten, wie z. B. der Lake George in Neu-Südwales, der um 1820 und 1876, in geringerem Maße auch um 1850, ein stattlicher See von 12 — 18 km Länge, 10 km Breite und 5— 8 m Tiefe war, in den dazwischenliegenden Trockenzeiten aber völlig vom Erdboden verschwand; oder die innerafrikanischen Seen, die nach Sieger*) zu Zeiten, wie der Tsadsee, der Tanganyika und der Nyassa so anschwellen, dass sie für einige Jahre einen Abfluss erhalten, dann aber beim Beginn der Trockenperiode wieder abflusslos werden. Flüsse und Bäche versiegen für ein Jahrzehnt; Sümpfe trocknen aus, um in der nächsten feuchten Periode wieder zu erscheinen. Leicht ließe sich dieses, wenn die Zeit es gestattete, noch durch zahlreiche Beobachtungen, besonders aus Afrika und Australien, belegen.

Dadurch berühren die Klimaschwankungen tief das menschliche Leben. Die Flussschifffahrt ist in hohem Grade abhängig von der im Strombett vorhandenen Wassermenge, welche die Tiefe bestimmt. In den Zeiten der Trockenheit, so um 1830 und 1860 wuchsen die Hindernisse der Schifffahrt, und gar bald entstand eine gewaltige Literatur über die Frage, was wohl die Ursache des Sinkens der Flusswasserstände sei, und meist wurde die zunehmende Entwaldung als solche gedeutet. Heute wissen wir es besser: es sind die Klimaschwankungen.

In anderer Weise äußert sich der Einfluss der Schwankungen der Temperatur auf den Verkehr durch Vermittlung der Dauer der Eisdecke der Flüsse. Es blieb z. B. im Durchschnitt der Kälteperiode 1806 bis 1820 die Newa und damit der Hafen von St. Petersburg jährlich um volle 3 Wochen länger durch das Eis geschlossen, als in der warmen Periode 1821 — 1835 **). Das bedeutet, dass in der kalten Periode die westlicher gelegenen Häfen mit kurzer Sperrzeit einen Teil des Verkehrs von Petersburg erhalten, der ihnen in der warmen Periode wieder entzogen wird. Freilich kommen derartige Unterschiede in der Dauer der Navigationsperiode auch von einem Jahr zum andern vor. Dann aber macht das folgende Jahr wieder gut, was das vorhergehende geschadet; nicht so bei den Klimaschwankungen, wo sich die Durchschnittswerte geändert haben und die günstigen oder ungünstigen Verhältnisse im Mittel vieler Jahre hindurch anhalten. So gehen denn Hand in Hand mit den Klimaschwankungen gewisse Schwankungen im Verkehrsleben.

*) R. Sieger, Schwankungen der innerafrikanischen Seen. Bericht über das XIII. Vereinsjahr des Vereins der Geographen an der Universität Wien. Wien, 1888.

**) Berechnet nach den von Rykatschew (Aufgang und Zugang der Gewässer Russlands. St. Petersburg 1886. In russischer Sprache, S. 170) mitgeteilten Tabellen.


Ein anderes Gebiet, auf dem sich der Einfluss der Klimaschwankungen geltend macht, ist die Landwirtschaft. Besonders gilt dieses für das Innere der Kontinente, da dort die Schwankungen verschärft auftreten, wie z. B. in Sibirien, wo in den sechziger Jahren im Gefolge der Dürren Hungersnöte auftraten, oder in Ägypten, wo von der größeren oder geringeren Höhe der Nilflut die Ertragfähigkeit weiter Ländereien abhängt.

Geradezu verhängnisvoll dürften die Klimaschwankungen für die Zukunft der trockenen Gebiete des inneren Nordamerika werden, die sich um den großen Salzsee herum gruppieren. Hier ist von Anfang der sechziger bis zur Mitte der siebziger Jahre der große Salzsee um 3 m gestiegen; seine Zuflüsse füllten sich mit Wasser, das zur Berieselung der neuangelegten Felder und Wiesen abgeleitet, wurde *). Wir sahen oben, dass die Ansicht meist dahin geht, die Ausbreitung des Kulturlandes in den früher wüsten Gebieten habe den Regenfall erheblich vermehrt.

Dagegen möchte ich hervorheben, dass diese Besserung des Klimas genau in jene Zeit fällt, in welcher mehr oder weniger die gesamten Landmassen der Erde, besonders aber die Kontinentalgebiete infolge der Klimaschwankung eine Zunahme des Regenfalls erlebten. Dass sich andererseits in Amerika in früheren Zeiten analoge Änderungen des Klimas abspielten, bald in dem einen, dann wieder in dem anderen Sinn, ließ sich an den Beobachtungen des Regenfalls und der Flusswasserstände im benachbarten Mississippigebiet für das laufende Jahrhundert konstatieren. Es sind dieselben Schwankungen, die in Europa bis 1550 sich zurückverfolgen ließen, und diese große Zahl der nachgewiesenen Schwankungen zwingt uns zur Annahme, dass sie auch in Zukunft sich weitervollziehen werden. Es scheint mir nach allem in hohem Grade wahrscheinlich, dass auf die von Anfang der sechziger Jahre an konstatierte Verbesserung des Klimas am Salzsee nunmehr eine Verschlechterung folgen wird, deren Vorboten bereits in den letztvergangenen trockenen Jahren zu erkennen sein dürften, welche in der Tat auch ein Sinken des großen Salzsees im Gefolge hatten: 1888 stand der See schon wieder so tief wie 1864**) Sollte sich diese Vermutung bewahrheiten, dann ist leider für jene Gebiete eine große ökonomische Krise in der allernächsten Zeit unvermeidlich; denn die Ländereien, welche von 1870 — 1880 anbaufähig waren, würden dann gar bald infolge der Dürre einen Ertrag verweigern. Es dürfte sich dann hier zeigen, wie es sich in Ägypten und Sibirien gezeigt hat, dass entsprechend den Klimaschwankungen das Areal des anbaufähigen Landes in seiner Größe Schwankungen erleidet. Doch die Zeit drängt, brechen wir ab!

*) Vgl. hierzu Gilbert in Powell, Report upon arid Regions. Washington 1879. S. 57 ff.

**) Nach einer handschriftlichen Kurve von Herrn G. K. Gilbert, die ich der Zuvorkommenheit des Herrn Dr. R. Sieger verdanke.


Wir sind dazu gelangt, allgemeine Schwankungen des Klimas zu erkennen; ich habe versucht, mit wenigen Strichen eine kurze Skizze derselben zu entwerfen. Es mag im ersten Augenblick Wunder nehmen, dass dieselben bis heute sich dem forschenden Auge entzogen hatten. Doch sind in der Tat diese Schwankungen gleichsam schon geahnt worden; denn hier und da taucht in der Literatur auf Grund eigentümlicher Erscheinungen an den Gewässern die Anschauung auf, es sei das Klima gewisser Orte, speziell deren Regenfall, wahrscheinlich periodischen Schwankungen unterworfen, so u. a. Hann für das Gebiet des Kaspischen Meeres*), so Schweinfurth für Teile der Mittelmeerländer**), so vor allem Fritz für zahlreiche Gebiete der Erde***). Doch ein meteorologischer Nachweis wurde nur für die Alpen von Forel, Richter und Lang erbracht. Und es konnte auch die Allgemeinheit des Phänomens, seine Gleichzeitigkeit und Bedeutung für die ganze Erde bis heute nicht wohl in streng meteorologischer Weise dargetan werden, ehe eine große Zahl meteorologischer Stationen die Trockenperiode der sechziger Jahre und die feuchte Periode um 1880 erlebt und in ihren Tagebüchern registriert hatten.

Diese allgemeinen Klimaschwankungen geben uns auch den Schlüssel zu jener argen Verwirrung, die zur Zeit über die Frage der Änderung des Klimas herrscht und die wir eingangs zu schildern suchten; sie erklären, wie ganz entgegengesetzte Ansichten neben einander bestehen konnten: es ändert sich eben das Klima eine Zeit lang in der einen Richtung und hierauf in der anderen — das Klima schwankt und mit ihm schwanken Flüsse, Seen und Gletscher****).

*) Hann in der Zeitschr. d. Österr. Ges. f. Meteorologie. Bd. II, 1867.
**) Schweinfurth in der Einleitung zu Bädekers Ägypten. I, 1877, S. 79.
***) Fritz in Petermanns Mitteilungen. 1880. S. 245 ff.
****) Die sich anschließende Diskussion s. „Bericht über den Verlauf u. s. w. 3. Sitzung“.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches In wie weit ist das heutige Klima konstant?
Fig. 3 Säkulare Schwankungen der Temperatur

Fig. 3 Säkulare Schwankungen der Temperatur

Fig. 4 Säkulare Schwankungen des Termins der Weinernte

Fig. 4 Säkulare Schwankungen des Termins der Weinernte

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