In der guten alten Zeit. Ein Sonntagsspaziergang vor fünfzig Jahren. (1822)

Aus: Daheim. Ein deutsches Familienblatt mit Illustrationen. 1872. Nr. 1.
Autor: Redaktion: Daheim, Erscheinungsjahr: 1872

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Gute alte Zeit, Sitten, Bräuche, Kaufmann, Krämer, Ackerbauern, Ackerbürger,
Sie war doch schön die Zeit des fünfzigjährigen Friedens! Es war die Periode des beschränkten Untertanenverstandes, die gute alte Zeit, ohne Kommunisten und Sozialisten, ohne Unfehlbarkeit, ohne Wahlkämpfe, ohne Darwinsche Hypothese. Das Pfund Rindfleisch kostete 2 Groschen – heute zahlt die Hausfrau deren sechs; wer im Wirtshaus auf einem Sitze fünf Groschen vertun konnte, galt als ein Verschwender. Noch war einfaches Braunbier für Stillung des Durstes genügend und erst von Bayern ergoss sich die demokratisierende Lagerbierflut über Germanien. Damals rauchte dieses auch noch Tabak aus langen Pfeifen – die bequeme Zigarre, ein Kind der neuen Zeit, begann erst in den dreißiger Jahren sich weiter zu verbreiten und zur Herrschaft zu gelangen. Der Tabak wird teuer, wenn schon die Jungens rauchen. Das alles schmerzt unser am Alten hängendes Gemüt und wir sehnen uns zurück in die Periode, in welcher Herr Gottlieb Biedemaier mit Frau Gemahlin – Halt! Damals hieß es noch: mit seiner Eheliebsten – am Sonntag Nachmittag seinen stillvergnügten Spaziergang hielt.


Biedemaier lebte in einer kleinen Stadt, die noch nicht industriell angekränkelt war, als einfacher Ackerbürger und Krämer. So nannte er sich damals, sein Enkel heißt heute Ökonom und Kaufmann. „Laura“ sprach er zu seiner besseren Hälfte „wir wollen die Felder beschauen und uns am Stande der Saaten erfreuen.“

Laura war einverstanden, sie war eben aus dem Nachmittagsgottesdienst gekommen und rief schnell „Azorl“, des Hauses redlichen Hüter, einen bissigen fetten Köter herbei, der in Faulheit erglänzte und dessen Lieblingsbeschäftigung im Herausstrecken der Zunge bestand. Azorl fehlte niemals, wenn das Ehepaar spazieren ging. Gottlieb zog seinen Frack an, stopfte die lange Pfeife und stülpte den „Donko“ auf, dessen praktischer Rand kaum von Fingerbreite war, während Laura das neumodische Ungetüm auf das kugelrunde Haupt setzte.

Nun zogen Sie auf ihr Feld; die Julisonne brannte, glühende Strahlen sendend, heiß hernieder. Sie sprachen von der Predigt des Herrn Pastors, von der neuesten Verlobung im Städtchen, vom Unfall, den die gelbe Postkutsche gehabt und von der wandernden Schauspielertruppe, die erwartet wurde. Das waren Themata, bei denen man sich nicht zu ereifern brauchte, und die blauen Wölkchen von Gottliebs Pfeife kräuselten sich friedlich in die Luft, in der die Lerchen jubilierten. Still beschaulich blickten sie die schweren, reifenden Ähren des Roggens an und ermaßen dankbar den Segen der kommenden Ernte. Dann zogen sie friedlich heim und sprachen vom Werke des nächsten Tages, auf der Bank vor dem Hause, wo die Nachbarn sich einfanden. Es war ein ruhiges gemütliches Leben, ja die gute alte Zeit hatte ihre Lichtseiten – Gottliebs Enkel aber, Herr Oskar Biedermaier, der Kaufmann und Ökonom, der in Geschäften immer den vierten Teil des Jahres auf Eisenbahnreisen ist, der nur die feinste Havanna raucht, geht jetzt mit den Gedanken um, die Felder, die seinem Großvater so ans Herz gewachsen waren, zu verpachten. Ja, es ist keine Pietät im jungen Geschlecht! Und wenn der alte Gottlieb sähe, wie der Enkel das Stammhaus umgestaltet hat, dann würde er sich im Grabe umwenden und sagen: „Es bleibt bei meinem Ausspruch: Die Zeiten werden schlechter!“

Sonntag-Nachmittag, E. Bosch 1872

Sonntag-Nachmittag, E. Bosch 1872