In den Straßen von Kairo

Aus: Ueber Land und Meer
Autor: Klippel, Ernst, Erscheinungsjahr: 1909

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Länder, Sitten, Gebräuche, Ägypten, Nordafrika, Araber, Pyramiden, Kairo, fliegende Händler, Markt, Teppiche,
In den unteren, aber auch in den mittleren Klassen Kairos liegen die häuslichen Einkäufe nicht wie bei uns der Hausfrau ob oder den Dienstboten, sondern dem Familienvater. Das hängt einerseits mit der Abgeschlossenheit der Frau, die womöglich das Haus überhaupt nicht verlassen soll, anderseits mit der Unzuverlässigkeit der Diener zusammen, die bei jeder Besorgung mausen würden. Da nun in diesen Schichten der Bevölkerung der Mann den ganzen Tag in der Werkstatt oder im Laden zu tun hat, so kann er nur einkaufen, wenn er nicht danach herumzulaufen braucht, das heißt wenn der Verkäufer zu ihm kommt. Auf der Straße wird daher so ziemlich alles verkauft: Möbel sowohl wie Kinderspielzeug, persische Teppiche und baumwollene Taschentücher, bebendes Schlachtvieh so gut wie geröstete Fleischstückchen, prachtvolle Früchte und ekelhaftes Meeresgewürm, Süßigkeiten aller Art und zahllose, mehr oder minder wohlschmeckende Getränke. Die Feilbieter all dieser Herrlichkeiten schreien die Vorzüge ihrer Ware in alle vier Himmelsrichtungen hinaus. Das bei uns übliche einfache Ausrufen genügt hier nicht: der Kairoer Straßenhändler psalmodiert eine Art von wehmütigem Singsang, der durch uraltes Herkommen für jede Ware nach Tonfall und Wortlaut feststeht. Oft wird der Verkaufsgegenstand dabei nicht einmal genannt.

So taucht in den Eingeborenenvierteln regelmäßig kurz nach dem Mittag eine Klasse von Verkäufern auf, die eine große Rinde Holzplatte auf dem Kopf tragen; von der Schulter hängt ihnen ein hohes, trommelartiges Gestell aus Palmrippen herunter. Von Zeit zu Zeit schreien sie: „Auf Gott (vertraut), Gabir, o Herr Gabir!“ Dieser Herr Gabir ist ein toter Heiliger , der bei Alexandrien begraben liegt. Was er mit den gekochten Schafsköpfen zu tun hat, die von diesen Leuten verkauft werden, ist nicht recht ersichtlich, aber wer den herkömmlichen Schrei hört, weiß sofort, was feilgeboten wird. Es ist die Leibspeise der Eseltreiber und Lastträger, denn sie ist unglaublich billig und gleich zum Essen fertig. Der Gabir-Mann setzt bloß seine Platte auf das Gestell und hockt von den noch warmen Häuptern für so und so viel Para ab; als Teller dient ein flacher, runder Brotkuchen. Das Gericht wäre vielleicht nicht so übel, wenn nur nicht das sie Platte bedeckende Staubtuch so unsauber wäre. Eingeborene, die auf sich halten, rühren daher diese wegwerfend als Buda'ah, das heißt Ware, schlechthin bezeichnete Speise nicht an. Für solche ist der Rogenhändler da. Der ruft: „Der Rogen, der vorzügliche, der getrocknete, der frische!“ Er verkauft kleine braunrote Stangen, die eingesalzenen und getrockneten Eierstöcke eines barschähnlichen Fisches, also eine Art Kavia, und er bedeckt seine teure Ware nicht mit einem schmutzigen Lappen, sondern wickelt jedes Stück säuberlich in ein Kohlblatt ein, genau wie die Fleischer in „Tausendundeiner Nacht“, die auch noch kein Wurstpapier kennen. Nicht minder geräuschvoll vollzieht sich das Geschäft des Esswarenhändlers, der sich mit seinen Stößen von Brotfladen, Fleischtöpfen, Schüsseln mit in Essig und starken Gewürzen eingemachten Gemüsen durch die Straßen schleppt.

Fast jede Tagesstunde steht im Zeichen eines bestimmten Esswarenhändlers, weil in den meisten Haushaltungen nur zum Abend gekocht wird und man also für die übrigen Mahlzeiten auf das angewiesen ist, was die Straße bietet. Am frühesten auf den Beinen ist der Milchmann, der seine Kuh mit Ihrem Kalbe schon vor Sonnenaufgang durch die Straßen Treibt, Statt des Kalbes, das in der Regel allzujung ans Messer muss, schleppt er auch noch einen unförmigen Popanz mit sich herum: das ausgestopfte Fell eines schnöde geopferten Tierchens. Beim Melken wird die Kuh wiederholt auf das Schreckensgebilde ohne Kopf und Glieder aufmerksam gemacht, sie soll dann, in dem Wahne, ihr Junges lebe noch, mehr Milch geben. Aber auch sonst ist der Milchmann ein getriebener Geselle. Bringt er es doch fertig, einem und demselben Tiere drei verschiedene Sorten Milch zu entlocken, deren Preis ebenfalls verschieden ist und davon abhängt, ob der Käufer sich mit der ihm aus einer Kanne zugemessenen Flüssigkeit begnügt oder ob er verlangt, dass in seinem Beisein eingemolken werde, wenn auch in das dem Milchmann gehörende Maß, oder schließlich, ob er das Misstrauen so weit treibt, selbst melken und selbst messen zu wollen.

Wer so viel Erfindungsgabe hat, wird sich auch mit dem anstrengenden Ausrufen nicht abquälen: allerlei kleine Misshandlungen bringen die Kuh hin und wieder zum Brüllen, und das tut dieselben Dienste. Etwas später erscheint der Fatâtri; er liefert den besseren Eingeborenen den ersten Morgenimbiss. Fatîr, wovon Fatâtri abgeleitet ist, bedeutet ursprünglich jede Speise, mit der man das Fasten unterbricht, also Breakfast, Dejeuner, hat jedoch seinen Begriff verengt und bezeichnet heute einen feinen, papierdünn ausgewalzten Blätterteig, der mit gehacktem Fleisch, Zwiebeln und Gewürze gefüllt, sodann wie ein Briefumschlag gefaltet und zuletzt in Butter gebacken wird. Er schmeckt vorzüglich, wirkt aber auf europäisch geschulte Verdauungsorgane nicht viel anders, als ob man eine Flintenkugel in die Magenkugel erhielte. Bekömmlicher ist, was das Heer der Fruchthändler auf Kamelen, Karren und in Körben zu jeder Tages- und Jahreszeit durch die Straßen schleppt. Wir sind im Morgenlande, daher muss natürlich jede Frucht gerade aus der Gegend stammen, wo sie am besten gedeiht. Äpfel sind immer aus Maskat, Trauben aus Smyrna, Feigen aus dem Fanûm, selbst wenn sie ein paar Stunden früher noch in irgendeinem Garten in Kairo geprangt haben sollten. Eine weitere Eigentümlichkeit beim Ausrufen besteht darin, die angepriesene Frucht mit einer anderen zu vergleichen. „Tomaten, o Granatäpfel!“ ruft ein Verkäufer, um damit auf die außerordentliche Röte seiner Granatäpfel hinzuweisen. Wer den Ruf zum erstenmal hört, glaubt selbstverständlich selbstverständlich, es werde beides von einem Mann angeboten. Den beliebteste Vergleich ist der mit Honig, „O süßer als weißer Honig, ihr großen roten Apfelsinen!“ ist der herkömmliche Schrei, mit dem die Apfelsinenhändler ihre Ware gleichsam anreden.

Gerade für die bescheidensten Früchte sind die pomphaftesten Vergleiche im Gebrauch: die Lupinen beispielsweise, ein fades Zeug ohne jeden Geschmack, werden ausgerufen: „O wie süß, das kleine Söhnchen des Flusses!“ (Weil sie in Wasser geweicht genossen werden.) Sollte jemand so unvorsichtig sein, sich für einen Para – um Himmels willen nicht mehr – von dem „kleinen Söhnchen“ zu leisten, so wird er unfehlbar die ganze Herrlichkeit wegwerfen oder sie dem ersten wirklichen Söhnchen schenken, das ihn begegnet.

Alle die bisher geschilderten Typen treten gewiss geräuschvoll auf, aber im Vergleich zu dem Höllenlärm, den die Getränkehändler vollführen, sind ihre Leistungen eine elende Spielerei. Und die Krone von diesen gebührt wieder dem Verkäufer von Süßholzwurzel durch Auslaugen einen angenehm bitterlichen Trank, an Farbe und Geschmack unserm Lakritzenwasser ähnlich. Etwa zwanzig Liter davon gießt morgens beim Aufbruch in einen mächtigen porösen Tonkrug, den er sich an einem Riemen über die Schulter hängt. Um die Lenden gürtet er einen breiten roten Schurz mit gelber Borte, und an die Stelle, wo der schwere, durch das Verdunsten des Inhalts nasse Krug die Hüften berühren würde, trägt er ein schützendes Lederpolster. Den Gürtel ziert ein Metallgestell mit messingenen Trinkbechern. In der Linken führt er ein langschnäbliges Wasserkännchen zum Ausspülen, in der Rechten seine Angriffswaffe: zwei flache Messingschalen, mit denen er taktmäßig so nachdrücklich klappert, dass man es eine Viertelstunde weit hört. Dazu schreit er unausgesetzt und mit einer Stimme, die wie eine Dampfsirene ganz unvermittelt von den tiefsten zu den höchsten Tonlagen überspringt: „Ein wenig Süßes und Kaltes, o Durstiger, Trank und Gesundheit, ganz und gar Eis, pass auf deine Zähne!“ Der Schluss klingt mehr wie eine Warnung, soll aber gerade eine besonders eindringliche Empfehlung sein. Bescheidener schon tritt der Hemeli auf, der die Durstigen zum freien Trinken von Nilwasser einladet. Mit unendlich poetischem Liebreiz preist die Blumenverkäuferin beispielsweise ihre Rosen an: „Die Rose war ein Dorn; vom Schweiße des Propheten ist sie aufgeblüht.“

Zuletzt sei noch der Bettler gedacht, ohne die man sich das morgenländische Straßenleben nicht vorstellen kann. Den Europäer hält der Mohammedaner für hartherzig gegen Notleidende. Zum Beweise hierfür wird einem immer wieder das Geschichtchen aufgetischt, wie zwei reiche Franken einem Bettler in den letzten Zügen auf der Straße liegen sehen, wie sie dann jeder die Uhr herausziehen und über die voraussichtliche Dauer des Todeskampfes eine Wette abschließen. Nach einigen Minuten ist der Bettler tot, der Verlierer zahlt, und beide gehen ihre Wege. Diese abscheuliche Erzählung wird nicht bloß geglaubt, sondern auch ganz im Einklang mit europäischem Wesen gefunden. In dem trotz einer gewissen äußerlichen Leichtfertigkeit erzmohammedanischen Kairo könnte dergleichen allerdings nicht vorkommen, denn hier bilden die Bettler geradezu eine religiöse Einrichtung. Dementsprechend haben all ihre Rufe etwas salbungsvoll Frommes an sich. Der eine ruft nur Lobpreisungen Allahs: „O Erleichterer, o Gütiger, o Herr!“ Andere äußern unmittelbar ihre Wünsche: eine Gabe, einen Laib Brot und so weiter „um Allahs willen“. Bettelmönche wenden sich oft einfach an den nächsten wohlgekleideten Gläubigen mit den Worten: „Du schuldest einen halben Piaster.“ Und sie gehen nicht von der Stelle, bis sie das geforderte Geldstück empfangen. Viele von ihnen sind wohl schlaue Faulpelze, es gibt aber auch manche sonderbare Heilige darunter, zum Beispiel solche, die keine Macht der Welt bewegen könnte, eine Gabe anzunehmen, ehe sie das vorhergehende Almosen bis zum letzten Para ausgegeben haben. „Der Weltverachtung vermählte sich der Eigendünkel; da ward der Derwisch geboren!“ sagt ein geflügeltes Sprichwort. Schlimmer ist das Los der Blinden, der Krüppel und der verlassenen, armen Alten. An einer einsamen Straßenecke steht, auf einem langen Stab gestützt, ein blinder Bettler; sein einziges Kleidungsstück ist ein Fetzen um die Lenden. Er steht da vom Morgen bis in die sinkende Nacht. Die Mauern strahlen eine dörrende Glut aus, aber er kann sich nicht setzen, der Staub eines vorüberrollenden Wagens würde ihn ersticken. Den lieben langen Tag hält er die geöffnete Hand hin und ruft mit immer schwächer werdenden Stimme: „O mein Gott, durch meine Hand empfange ich!“ Endlich geht er fort, nicht nach Hause – er ist nirgends zu Hause -, er sucht sich einen verfallenen, einsamen Winkel, wo er die paar Stücke trockenen Brotes verzehren und die Nacht zubringen kann. Und wenn mit Tagesgrauen vom nächsten Minarette die mächtige Stimme des Muedsins erschallt und wie mit jubelnder Gewissheit die Einheit Gottes in die noch schlummernde Stadt hinausruft, so stimmt der blinde Mann getröstet und ergeben mit ein. Im Morgenlande hadert niemand mit Gott.

In den Straßen von Kairo 01

In den Straßen von Kairo 01

01 Orangenverkäuferinnen

01 Orangenverkäuferinnen

02 Ein fliegender Esswarenladen

02 Ein fliegender Esswarenladen

03 Ein Trunk auf der Straße

03 Ein Trunk auf der Straße

04 Melonenhändler

04 Melonenhändler

In den Straßen von Kairo 02

In den Straßen von Kairo 02

05 Bettler in den Straßen von Kairo

05 Bettler in den Straßen von Kairo

06 Ein Derwisch

06 Ein Derwisch

07 Die Konkurrenz im Getränkehandel

07 Die Konkurrenz im Getränkehandel

08 Getränkehändler

08 Getränkehändler

000 Die Tempelinsel Philae in Nubien

000 Die Tempelinsel Philae in Nubien

005 Der Tempel von Dendera

005 Der Tempel von Dendera

006 Die Pyramiden von Gizeh

006 Die Pyramiden von Gizeh

Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.

Abb. 1. Stufenpyramide von Sakkara.

Eine Nilbarke

Eine Nilbarke

Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer

Tafel 04 Scheintür aus dem Grab des Manofer

Tafel 12 Rekonstruktion des Pyramidenfeldes von Abusir

Tafel 12 Rekonstruktion des Pyramidenfeldes von Abusir