In den Gebirgen und Urwäldern der Mongolei - Die Mongolenflut, Heimatsucher und Verbannte - In den mongolischen Silbergruben – Altaizauber – Schwarze Bären – Ein Vogelparadies.

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1929
Autor: Hermann Consten, Erscheinungsjahr: 1929

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mongolei, Mongolen, Reitervolk, Nomaden, Marco Polo,
Das Stammland der Mongolen, das Heimatland Dschingiskhans, liegt zwischen dem 42. und 54. Breitengrad und dem 88. und 120. Längengrad. Im Norden wird die Mongolei durch Sibirien begrenzt, und zwar durch die ehemaligen Gouvernements Irkutsk und Transbaikalien, die heute zu Burjätensowjets zusammengeschlossen sind. Im Osten sitzen die Bargu, die zur Mandschurei gehören. Die Südgrenze bildet die große chinesische Mauer und die davorliegenden verschiedenartigen Gobis. Die Dsungarei und der russische Altai sind die Westgrenzen.



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Dieser ganz gewaltige geographische Raum hat nun etwa dieselbe Breitenlage wie Deutschland, Osterreich-Ungarn und Italien, wenn wir von Bremen an bis nach Brindisi rechnen. Ich meine hier die Vorkriegsgrenzen, nicht die anderen, uns durch den Friedenschluss aufgezwungenen.

Obwohl nun das einst so mächtige Reich der Mongolen seit dem 12. Jahrhundert sogar mit Deutschland in Verbindung trat, von dem berühmten Italiener Marco Polo und von verschiedenen Mönchsgesandtschaften des Papstes und des Königs von Frankreich aufgesucht wurde, versank das Land in Vergessenheit, als die Macht der Familie Dschingiskhans durch innere Streitigkeiten und Glaubenswechsel zusammenbrach.

Überwältigend war das Ansehen der Großkhane! Fürchterlich waren ihre Heere, durchsetzt mit allen möglichen Fremdvölkern, die stets den ersten Ansturm zu leisten und den ersten Anprall des Feindes auszuhalten hatten. Auch Deutschland und Europa wären wie Russland und die übrige Welt von der tobenden Mongolenflut überschwemmt worden, wenn das Weltenschicksal nicht eingegriffen hätte. In der Schlacht bei Liegnitz am 9. April 1241 wurde das deutsch-polnische Heer unter Heinrich II. von Schlesien restlos geschlagen und vernichtet. Selbst Heinrich II. blieb auf dem Schlachtfelde. Wie uns der Kastellan Johann von Beuthen, als einer der wenigen Überlebenden, in seinem Bericht über die Schlacht mitteilt, kämpften die Mongolen damals mit einer für unsere Begriffe ganz modernen Taktik. Der Gegner, soweit er ungepanzert war, wurde von ihren Reiterscharen mit einem Pfeilregen zugedeckt. Als aber der eiserne Kern des Heeres, die gepanzerten Ritter, die Mongolen zurückdrängte, quoll ein schwarzer Rauch aus der Umgebung der Sturmfahne des mongolischen Feldherrn Paidar. Der Wind trieb die schwarzen Gaswolken gegen die Ritter und warf sie durch ihren betäubenden Geruch nieder. Was von der Ritterschaft durch die Gaswolken verschont geblieben war, wurde mit Handgranaten erledigt. Diese Handgranaten, ebenso wie das betäubende Gas eine Erfindung der Chinesen, bestanden aus Bambusstücken, die mit Naphtha gefüllt waren. Angezündet platzten sie durch die dem Bambus innewohnenden Sprengwirkungen auseinander und spritzten das brennende Naphtha über die Rüstungen der Ritter, die lebendig verbrannten.

Wie schon gesagt, lagen nach der Schlacht von Liegnitz Deutschland und Europa den Mongolen offen. Da trafen aus dem fernen Karakorum bei Paidar reitende Eilboten ein. Sie meldeten, dass Ugudai, der Großkhan, gestorben sei. Sofort kehrten die Mongolenfeldherrn zur Wahl des neuen Herrn der Welt nach Karakorum zurück, denn so verlangte es das Hausgesetz der Mongolen. Alle Eroberungen mussten unterbleiben und eingestellt werden, bis ein neuer Großkhan gewählt war. Diese mongolischen Eilboten, die die Nachricht von dem Tode des Großkhans brachten, führten, Tag und Nacht unter ständigem Pferdewechsel reitend, als einzigen Ausweis eine goldene Platte bei sich. Auf dieser goldenen Platte war ein stoßender Habicht, das Zeichen ihrer Eile, abgebildet.

Heute ist die Mongolei wiederum ein viel umstrittenes Gebiet. Schon das kaiserliche Russland suchte sich in den Jahren 1910 bis 1914 in den Besitz der Mongolei zu setzen. Der Sowjetimperialismus mit seiner äußerst geschickten Selbstverwaltungspolitik der asiatischen Völker hat die Mongolei in die Sowjetunion einbezogen. Der sogenannte christliche General Feng sitzt als heimlicher Parteigänger des Bolschewismus an der Grenzpforte der großen Mauer Kalgan und wird durch die Mongolei von den Russen mit Waffen versorgt. Der ermordete Tsangsolin hatte die Mongolei, ebenso wie die Japaner, zu seinem Interessengebiet erklärt. So steht nun dieses einst so mächtige Land wiederum im Mittelpunkt der asiatischen Politik.

Der Forschungsreisende, der in die Mongolei von Russland aus eindringen will, kann zwei Wege, soweit man überhaupt von Wegen reden kann, benutzen. Der eine kommt von Norden aus Irkutsk, führt zum See Kosso gol durch gewaltige Taiga und Gebirge, durch die mächtige Höhenwelt des Hangai, nach einer der drei Städte der Mongolei. Die Taiga selbst ist das Urwaldgebiet Sibiriens und des russischen Altais. Unter Taiga versteht man das mit Lärchen und Laubwald bewachsene Felsengebirge, das von den Altaileuten selbst „Schwarzwald“ genannt wird. An diesem Karawanenweg beim Übergang der Tundren zur Taiga trifft man noch bei den Sojoten das Rentier, in den mit dickem, feuchtem Moospolster überzogenen tiefklaffenden Schluchten und starrenden Engen.

Das zweite Einfallstor führt von der jetzigen Hauptstadt Sibiriens Nowi Nikolajewsk den Ob abwärts nach Biisk, dem Pelzstapelplatz des Altais. Im Sommer erreicht man Biisk mit den großen, gut eingerichteten Obdampfern. Während des Winters wird der zugefrorene Fluss zwischen haushohen Schneedünen hindurch auf eingefahrener schmaler Schlittenrinne zur Fahrt benutzt. Tagelang folgt so der Reisende beim einschläfernden Klingen der Glöckchen seines Dreigespanns den Flusswindungen von Poststation zu Poststation, bis endlich Biisk, wo der Ob breiter als der Rhein bei Köln ist, erreicht wird. Dieser größte Strom Sibiriens bildet sich unweit Biisk aus den beiden Flüssen Bii, der „Fürst“, und Khatun, die „Fürstin“, deren Quellgebiet in dem wunderbaren russischen Altai liegt. Von weitem grüßen den Reisenden die blauen Ausläufer des Altais. Sie werden mächtiger und größer von Pferdewechsel zu Pferdewechsel, bis man zum Altai mit seinen Pässen, Schroffen, Zinken und Graten, seinen Schluchten und Tälern, in denen brausend Fluss- und Wildwasser strömt, kommt. Hier haust der Bär, schreckt der Altaibock mit stolzem Gehörn, klingt und schlägt wie Glockenton das Trotz- und Werbelied des Auerhahns und seines kleineren Genossen, des Birkhahns — hundertfach! Großen Städten gleich liegen im Vorlande bis tief in den Altai hinein die Siedlungen, die Dörfer der Russen. Sie wurden einst unter der Zarenherrschaft von Heimatsuchern, die ihre Glaubens- und Gewissensnot vorwärtstrieb, gegründet. Verbannte, wegen politischer Umtriebe Verschickte, kamen durch Zwangsansiedlung dazu.

Passhöhen von 1.125 Meter führen durch das Gebiet der Bergkalmücken nach Ongudai, einem großen Straßendorf, das zwischen steilen Gebirgswänden eingeklemmt liegt. Die russischen Wissenschaftler behaupten, dass die Heilwirkung der Täler von Ongudai dieselbe sei wie die von Davos.

In steilen Serpentinen führt der Weg düster und eng mit seinen langen Biegungen den Pass hinan. Dunkelgrüne Flechten und hellschimmernde grüne Moose klammern und saugen sich an rot-, blau und gelbschimmernde, starrende Felsen, die mit ihrem dunklen Tann schroff, steil und geheimnisvoll gegen den Himmel ragen. Hier oben hauste nach der Überlieferung der Kalmücken vor langer Zeit ein Zauberer der Altaileute, ein Schamane, der mit seiner Trommel die Vermittlung zwischen Menschen und Göttern übernahm. Nach ihm wurde dieser Gebirgsquerriegel Schikä taman genannt. Von seiner Höhe, 1.345 Meter, hat man einen weiten, prächtigen Überblick über den Altai mit seinen Triften und Hochalmen und den tief unten liegenden Weg, den sogenannten Tschuiskitrakt, der in die Mongolei führt. Schattige Wälder, mächtige Baumriesen rauschen und brausen auf den Gipfeln und in den Tälern. Fern her glüht und gleist der Glast von Gletscher und Firn einer mächtigen Alpenwelt. Aus ihr reckt sich mit blitzendem Gletscherschild der Belukha, wie ein hauchschwaches Märchen, in den Weltenraum. Hier oben auf dem Schikä taman ragte zwischen verkrüppelten Kiefern und einer alpinen Pflanzenwelt ein Kreuz zum Himmel auf, das der brausende, rasende Alpensturm, kurz ehe ich über den Schikä taman zog, in die Tiefe warf.

Eng und gefahrvoll wird nach und nach der Weg am Tschuifluss. Wild zackig, zerrissen, zermürbt die Felswände, auf deren steilen Höhen sich die Taiga mit Lärchen und Kiefern geheimnisvoll dehnt. Prasselnder, donnernder Steinschlag, brüllender Tobel, glitschig gleitende Lawinen bedrohen Mensch und Tier mit dem Untergang. Scheu zieht der starke Maralhirsch durch die Täler zur Khatun, die unterhalb unserer Übergangstelle mit ihren Stromschnellen und reihenden Wassern zwischen engen Felswänden donnert. Wildtrotzig holt sich der schwarze Bär seine Beute aus den Viehherden der Bergkalmücken. Der Tschui strömt wie ein leuchtender Smaragd durch eine sich immer enger zusammenschiebende Alpenwelt, in deren Mitte die Pferdewechselstation Kurai liegt. Die Schnee- und Eisgipfel des Hauptgebirgsstockes strahlen wie gotische Dome. Gewaltig sind die Kurai- und Tschuialpen, die von mir im Jahre 1910 zum ersten Male überschritten wurden. Aber endlich öffnete sich wieder der umklammernde Ring der Kurai- und Tschuialpen. Durch Pass und Schlucht, Übergang und Fluss gelangt man in den westlichen Anfang der Koschagatschsteppe mit ihren unendlichen Rinnsalen, Tümpeln und Bächen, belebt von tausenden und aber tausenden Vögeln. Weiß, schwarz, perlgrau, buntschillernd liegt im Frühling bis Herbst die Sonne auf glänzenden, seidenen Gefiedern. Es braust und saust im Gewirr und Geschwirr von großen und kleinen Flügeln. Überall lärmt die Vogelwelt in Scharen. Hell leuchtet der weiße Kopfschmuck des Jungfernkranichs, schillernd die Schlammbank, auf der die liebwerten Vettern, die Kronenkraniche, zu Hunderten stehen. Tausende und aber tausende kleinere Wasservögel rennen mit ihren Stelzen am Ufer daher, huschen durch Dickicht und Gestrüpp, während Enten und Gänse durch das grüne Gewölbe der Wassergräser rudern. In Trupps von vierzig, fünfzig, hundert erheben sie sich mit Geschrei und Getöse und fallen wieder klatschend, dass die Silberfunken sprühen, auf die Wasser nieder. Es wimmeln die Tümpel von Schopf-, Stock-, Kreuz- und Reiherenten. Die Rostgans ruft, und der Schrei der Möwe klingt über die Wasser, wo ruhig und stolz die Schwäne um das Schwemmgras gleiten. Der Eisvogel fliegt wie ein zuckender, prunkender Edelstein zum rinnenden Wasser. Wachsam schaut der Kiebitz ins Sumpfgelände. Seines Herrenrechts bewusst, fischt der Reiher. Die Wasserdrossel ruft. Alles aber wird gemildert, übertönt vom Sausen tausender Schwingen. Das knattert und zischt wie der Wind, der durch die Föhren streift.

Südwärts durch die Gobi zieht das Vogelheer. Nach manch finsterer Nacht, nach brausendem Wetterschlag, wenn die Steinlawinen krachend durchs Felsental rollen und mit tausendstimmigem Mund das Echo brüllt, liegt plötzlich mit prasselndem Hagel der schneekarge Frostwinter in der Steppe von Koschagatsch.

Der Bär hat sich zum Winterschlaf eingeschlagen. In den Schluchten heult der Wolf. An lotrecht steigender Wand steht der Steinbock. Im klaren Blauhimmel, durch den der eisige Nordwest tobt, zieht wie Vogel gewordene Glut der Adler. Tief unter ihm aber, von seinem huschenden Schatten berührt, liegen zerstreut, verzettelt zwischen Fluss und Weidengebüsch die fünf russischen Handelshäuser von Koschagatsch mit ihrer kleinen Kirche, dem letzten Wahrzeichen des vordringenden Russlands.


Ausblick vom Schikä taman zum russischen Altai.

Empfang des Verfassers durch russifizierte Altaileute, Kirgisen und Mongolen in der Koschagatschsteppe.

Die Blockhütte des Verfassers mit Blick auf die Tschuialpen

In den Gebirgen und Urwäldern der Mongolei

In den Gebirgen und Urwäldern der Mongolei

Mongolei, Empfang des Verfassers durch russifizierte Altaileute, Kirgisen und Mongolen in der Koschagatschsteppe

Mongolei, Empfang des Verfassers durch russifizierte Altaileute, Kirgisen und Mongolen in der Koschagatschsteppe

Die Blockhütte des Verfassers mit Blick auf die Tschuialpen.

Die Blockhütte des Verfassers mit Blick auf die Tschuialpen.