Kommunismus in Russland
Im kommunistischen Russland - Briefe aus Moskau
Autor: Paquet, Alfons (1881-1944) deutscher Dichter, Journalist und Schriftsteller, Erscheinungsjahr: 1919
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, Rote Armee, 1917, 1918, 1919, Schicksale, Graf Mirbach, Moskau, Revolution, Putsch, Sozialrevolutionäre, Räteregierung, Brester Verträge
Inhaltsverzeichnis
- Annäherung
- In Moskau
- Das Attentat
- Jaroslawl
- Von den deutschen Kolonisten an der Wolga
- Neue Ereignisse
- Das Denkmal Alexanders
- Krisis
- Zustände
- Die Lage der Sowjetregierung
- Die Höhe des Kampfes
- Eine Gewissensfrage*)
- Das Schicksal der russischen Kirche
- Die Handelspolitik der Volkskommissare
- Die Wendung des russischen Imperialismus
- Terror
- Die Außerordentliche
- Die Bauernfrage
- Der Jahrestag
- Proletkult
- Die russischen Frauen
- Blockade
- Schicksale der russischen Presse
- Die Rote Armee
- Die gefesselte Stadt
Vorwort
Die in diesem Buch gesammelten Aufsätze sind nichts anderes als die Niederschrift von äußeren Eindrücken der fünf Monate, die ich im Jahr 1918 in Moskau verbrachte, — Schilderungen und Kommentare, die schon im Augenblick ihres Entstehens für die Allgemeinheit bestimmt waren. In diese fünf Monate fallen Ereignisse wie die Ermordung des Grafen Mirbach, der Putsch der linken Sozialrevolutionäre gegen die Räteregierung, das Attentat auf Lenin, der Rote Schrecken, die Sabotierung der Brester Verträge gegenüber einem Deutschland, dessen Heeresgruppen sich bis nach Finnland und bis nach Astrachan vorschoben, während im Westen eine einzige ununterbrochene Schlacht tobte, und schließlich die Aufhebung der Brester Verträge auf die erste Nachricht vom Ausbruch der deutschen Revolution . . . Sie sind nur Anzeige und flüchtige Deutung äußerer Ereignisse, die künftige Historiker sicherlich ebenso fesseln werden wie sie die wenigen fesselten, die in dieser Zeit als Fremde in Moskau lebten. Vielleicht verraten sie in ihrer Aufeinanderfolge dennoch ein allmähliches tieferes Eindringen in das Menschenproblem der russischen Revolution und der Revolution überhaupt. Es ist durchaus seltsam, gegen Zustände, die Mord und Schrecken wie etwas Natürliches umfassen, voll des leidenschaftlichsten Widerwillens zu sein und dennoch eines Tages vor der Gewissensfrage zu stehen. Der Aufsatz „Eine Gewissensfrage“ ist beiläufig der einzige, der von einer sonst toleranten vorrevolutionären deutschen Zensur verstümmelt worden ist, obwohl er vorsichtig genug eine Überzeugung in fremde Worte kleidete. Englische, amerikanische und französische Blätter beliebten gelegentlich Auszüge aus meinen Aufsätzen zu veröffentlichen, meine Schlussfolgerungen aber durch ihre eigenen zu ersetzen. Dafür beehrten mich bolschewistische und Sozialrevolutionäre Verfasser ihrerseits mit kleinen Zurechtweisungen, die nicht minder lehrreich waren, was die Tendenz anbetrifft.
Die Zeit und die Umstände, unter denen diese Aufsätze entstanden, waren derart, daß sie das Selbstgefühl eines Publizisten wecken konnten, dem nach dem sogenannten Friedensschluss zwischen Deutschland und Russland die Milchglasscheibe plötzlich fortgenommen war, hinter der er bis dahin von neutralen Orten aus den Vorgängen in Russland hatte folgen müssen, und der sich nun gleichsam als ein Auserwählter mitten auf dem inneren Schlachtfeld Russlands bewegte . . . Aber die Feder des Beobachters, so sehr sie sich des Anstandes gegen die Kämpfenden und Verwundeten befleißigen mag, ist immer ein wenig Spazierstock. Der Wald ist dunkel, eile, Pharisäer, aus dem unheimlichen, von Drohungen erfüllten Dickicht herauszukommen. . . . Kurzum: so aufrichtig ich auch gesehen, gedacht und geschrieben habe, so ist doch damit noch keineswegs alles geschrieben, und ich bitte den Leser, niemals zu vergessen, daß die Geberde des Pharisäers gegen ein Volk, das wie das russische am Boden liegt, wohl oft die erste, aber nicht die schönste ist.
Voraussagen, die in diesen Berichten stehen, sind eingetroffen. Manche der Darstellungen scheinen, nachdem ein wenig Zeit darüber hinging, auch für Zustände und Möglichkeiten des jetzigen Deutschlands zu gelten. Ausgesprochene Hoffnungen zu verwirklichen, ist uns die Zukunft noch schuldig.
Frankfurt a. M. im März 1919 Der Verfasser
Die in diesem Buch gesammelten Aufsätze sind nichts anderes als die Niederschrift von äußeren Eindrücken der fünf Monate, die ich im Jahr 1918 in Moskau verbrachte, — Schilderungen und Kommentare, die schon im Augenblick ihres Entstehens für die Allgemeinheit bestimmt waren. In diese fünf Monate fallen Ereignisse wie die Ermordung des Grafen Mirbach, der Putsch der linken Sozialrevolutionäre gegen die Räteregierung, das Attentat auf Lenin, der Rote Schrecken, die Sabotierung der Brester Verträge gegenüber einem Deutschland, dessen Heeresgruppen sich bis nach Finnland und bis nach Astrachan vorschoben, während im Westen eine einzige ununterbrochene Schlacht tobte, und schließlich die Aufhebung der Brester Verträge auf die erste Nachricht vom Ausbruch der deutschen Revolution . . . Sie sind nur Anzeige und flüchtige Deutung äußerer Ereignisse, die künftige Historiker sicherlich ebenso fesseln werden wie sie die wenigen fesselten, die in dieser Zeit als Fremde in Moskau lebten. Vielleicht verraten sie in ihrer Aufeinanderfolge dennoch ein allmähliches tieferes Eindringen in das Menschenproblem der russischen Revolution und der Revolution überhaupt. Es ist durchaus seltsam, gegen Zustände, die Mord und Schrecken wie etwas Natürliches umfassen, voll des leidenschaftlichsten Widerwillens zu sein und dennoch eines Tages vor der Gewissensfrage zu stehen. Der Aufsatz „Eine Gewissensfrage“ ist beiläufig der einzige, der von einer sonst toleranten vorrevolutionären deutschen Zensur verstümmelt worden ist, obwohl er vorsichtig genug eine Überzeugung in fremde Worte kleidete. Englische, amerikanische und französische Blätter beliebten gelegentlich Auszüge aus meinen Aufsätzen zu veröffentlichen, meine Schlussfolgerungen aber durch ihre eigenen zu ersetzen. Dafür beehrten mich bolschewistische und Sozialrevolutionäre Verfasser ihrerseits mit kleinen Zurechtweisungen, die nicht minder lehrreich waren, was die Tendenz anbetrifft.
Die Zeit und die Umstände, unter denen diese Aufsätze entstanden, waren derart, daß sie das Selbstgefühl eines Publizisten wecken konnten, dem nach dem sogenannten Friedensschluss zwischen Deutschland und Russland die Milchglasscheibe plötzlich fortgenommen war, hinter der er bis dahin von neutralen Orten aus den Vorgängen in Russland hatte folgen müssen, und der sich nun gleichsam als ein Auserwählter mitten auf dem inneren Schlachtfeld Russlands bewegte . . . Aber die Feder des Beobachters, so sehr sie sich des Anstandes gegen die Kämpfenden und Verwundeten befleißigen mag, ist immer ein wenig Spazierstock. Der Wald ist dunkel, eile, Pharisäer, aus dem unheimlichen, von Drohungen erfüllten Dickicht herauszukommen. . . . Kurzum: so aufrichtig ich auch gesehen, gedacht und geschrieben habe, so ist doch damit noch keineswegs alles geschrieben, und ich bitte den Leser, niemals zu vergessen, daß die Geberde des Pharisäers gegen ein Volk, das wie das russische am Boden liegt, wohl oft die erste, aber nicht die schönste ist.
Voraussagen, die in diesen Berichten stehen, sind eingetroffen. Manche der Darstellungen scheinen, nachdem ein wenig Zeit darüber hinging, auch für Zustände und Möglichkeiten des jetzigen Deutschlands zu gelten. Ausgesprochene Hoffnungen zu verwirklichen, ist uns die Zukunft noch schuldig.
Frankfurt a. M. im März 1919 Der Verfasser