Im Schein der Mitternachtssonne. Island, Spitzbergen, Norwegen

Stimmungsbilder von den Polarfahrten des Norddeutschen Lloyd. Mit 19 schwarzen und 4 farbigen Abbildungen
Autor: Achim v. Winterfeld (1884-1934) Publizist, Literaturwissenschaftler, Erscheinungsjahr: 1913

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Skandinavien, kulturhistorische Studien, Kultur, Architektur, Bauernhäuser, Bauweise, Lebensweise,
Das romantische Edinburgh mit seinen düsteren, erinnerungsreichen Wahrzeichen vergangener Zeiten liegt hinter uns. Langsam senkt sich der Abend hernieder, als der „Große Kurfürst“ des Norddeutschen Lloyd wieder hinaussteuert auf die hohe See. Ein merkwürdiges Gefühl überkommt uns, wenn wir bedenken, dass wir heute für lange Zeit zum letzten Mal Mond und Sterne dort droben sehen, dass statt des glitzernden Nachthimmels erst graue Dämmerung und dann strahlender Mitternachtssonnenglanz über uns ruhen soll.

Nordwärts geht es — Island entgegen. —

Von meiner Lagerstatt aus luge ich hinein in mein kleines Reich, behaglich eingemummelt in meine Decke, von der Dampfheizung angenehm umwärmt. Über dem roten Sofa das runde, dicke Bullauge, an der Wand der Waschtisch mit seinen blanken Gläsern in dem Holzrahmen. In dunklen, halb ängstlichen, halb grollenden Tönen heult die Dampfpfeife durch die Nacht . . . Dichter Nebel, ein undurchdringlicher weißer Schleier, in dem der Glanz der Schiffslichter ertrinkt.

Tut! . . . Tut! . . . In meine Träume hinein klingt der dumpfe Warnungsruf unseres Schiffs.

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Inhaltsverzeichnis
  1. Island
  2. Geschichtliches über Island
  3. Spitzbergen
  4. Norwegen
Island, dessen Flächenraum von 1870 Quadratmeilen sich ungefähr mit dem von Bayern, Württemberg und Hessen zusammengenommen deckt, wurde am Ende des achten Jahrhunderts von Kelten entdeckt und um 870 von einem norwegischen Seeräuber der Vergessenheit, in die es inzwischen wieder geraten war, entrissen. Um 874 erfolgte die erste Besiedelung der Insel, 887 wurde der erste Hof in Reykjavik gegründet. Als sich auch Norweger auf der Insel niederließen, räumten die keltischen Mönche aus Abscheu vor den Heiden das Feld.

Vom Anfang des elften bis Mitte des zwölften Jahrhunderts herrschte die glücklichste Zeit für Island, das damals, vom Frieden begünstigt, wirtschaftlich in Blüte stand, einen gutsituierten Bauernstand besaß und einen ertragreichen Handel mit dem Ausland pflegte. Wenn man auch annehmen darf, dass die Schilderungen von dem damaligen Reichtum und der Prachtentfaltung in Kleidung, Wohnung und Lebensgewohnheiten etwas übertrieben sein mögen, so gab es damals im Lande der Edda jedenfalls gute Tage, und in den Haushaltungen der Häuptlinge und der vornehmen Geschlechter mag immerhin einiger Glanz geherrscht haben. Brachten doch die Isländer von ihren Reisen und Streifzügen, die sich bis nach Rom und Konstantinopel erstreckten — 983 wurde übrigens Grönland, um 1000 Amerika durch Isländer entdeckt — , an Kriegsbeute, Dichterlohn und Königsgaben allerhand schöne und wertvolle Dinge in ihre über alles geliebte Heimat mit. Die erhaltenen Dichtungen, vor allem die altehrwürdige Edda und die Sagas, denen wir so unendlich viel kraftvoll-nordische Poesie und Kenntnis jener Zeiten verdanken, legen von der Blüte der Dichtungen im Lande der Skaldengesänge beredtes Zeugnis ab.

Im Jahre 1000 wurde den Isländern das ihrer Natur fremde Christentum als Staatsreligion aufgedrängt, gegen dessen Einfluss sich das trotzig wehrende Heidentum nur in schweren Kämpfen zu behaupten wusste. Als aber im zwölften Jahrhundert die Großen sich untereinander befehdeten, und auch wiederum mit der Kirche uneins waren, wusste die Hierarchie, in einer traurigen Zeit des Bürgerkrieges im trüben fischend, geschickt und verschlagen ihren Forderungen Geltung zu verschaffen.

Im Jahre 1262 gelang es dem Norwegerkönig Haakon, das durch innere Unruhen geschwächte Land der norwegischen Krone zu unterwerfen. Zwar wurde den Isländern Autonomie zugestanden, aber bald mischte sich Norwegen herrschsüchtig überall ein. Gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts wuchsen die Zwistigkeiten immer mehr an, als beim Aussterben des norwegischen Königshauses Norwegen mit den anderen skandinavischen Ländern in Personalunion trat und 1388 mit Dänemark vereinigt wurde. Für Island, dem Dänemark wenig Aufmerksamkeit zuwandte, folgte nun eine furchtbare Zeit Fehden, Mord, Totschlag, Misswachs, Hungersnöte, Vulkanausbrüche, Erdbeben, Seuchen erlebte das Inselreich. Sind doch neben den 27 geschichtlichen Heklaausbrüchen, den 13 Katlaausbrüchen und den entsetzlichen Eruptionen des Skaptarjökull in den Jahren 1783 und 1785, dem schrecklichsten, den überhaupt die Weltgeschichte zu erzählen weiß, die Anzahl der übrigen vulkanischen Eruptionen in diesem Lande, das im Verhältnis zu seiner Größe die meisten Vulkane, Lavaströme und heißen Quellen besitzt.

In den Jahren 1402 und 1403 wurden zwei Drittel der Bevölkerung durch die Pest hinweggerafft, so dass das Land geradezu dem Untergange geweiht schien. 1536 spielten sich gelegentlich der gewaltsamen Einführung der Reformation durch Dänemark heftige Kämpfe zwischen Dänen und Isländern ab, bei denen es diesen gelang, den Feind auf kurze Zeit zu vertreiben. Als aber Dänemark 1551 drei Kriegsschiffe nach Island entsandte, blieb dem gequälten Volke nichts übrig, als den lutherischen Glauben anzunehmen.

Immer mehr ging es mit Island bergab. Durch das Handelsmonopol wurde den Isländern der Handel lediglich mit dänischen Kaufleuten gestattet, die die Preise der Einfuhrartikel verdrei- und vervierfachten, dagegen die Preise der Ausfuhrartikel auf ein Minimum herabdrückten, und als natürliches Resultat ergab sich, dass infolgedessen aller Unternehmungsgeist erstarb, alle isländische Schifffahrt zugrunde ging. Allein in den ersten Jahren nach Einführung des Handelsmonopols erlag ein Sechstel der isländischen Bevölkerung dem Hungertod.

Zu all diesem Unglück kam noch ein Plünderungszug türkischer Piraten im Jahre 1627 hinzu, Viehsterben infolge des Heklaausbruches 1693, Seuchen im Jahre 1707, die 1800 Menschen hinwegrafften, Vulkanausbrüche, Viehseuchen, die den Schafbestand auf die Hälfte reduzierten usw.

Von der verheerenden Wirkung solcher Vulkanausbrüche können wir uns einen ungefähren Begriff machen, wenn wir hören, dass nach offiziellen Mitteilungen nach einer solchen Eruption in zwei Jahren 9.336 Menschen, 28.000 Pferde, 11.461 Stück Rindvieh, 190.488 Schafe umkamen, oder dass nach dem Vulkanausbruch von 1785 die Bevölkerungszahl, die schon 50.000 betragen hatte, auf 38.000 herabsank.

Erst nachdem im Jahre 1854 das Handelsmonopol nach 250jährigem Bestehen aufgehoben wurde, hat Island wieder die Möglichkeit zu einer gedeihlichen Entwicklung erhalten, und arbeitet nun in seiner langsamen aber zielsicheren Art nicht nur am Ausbau seiner politischen und rechtlichen Verfassung, sondern auch an der Hebung seines wirtschaftlichen Lebens.