1. Kapitel Aufgehängt -5-



Ich beschloß, diesmal die Wahrheit zu sagen, damit er das weitere nicht bezweifeln möge; darum antwortete ich ihm:


„Vom Reïs Effendina.“

„Dachte es mir! Wo liegt sein Schiff?“

„Unten im Flusse, anderthalbe Bootstagereise von hier.“

„Das soll ich glauben? Warum seid ihr nicht auch dort?“

„Weil er uns vorausgesandt hat, damit wir hier im Maijeh Nilpferdfallen stellen; unsere Asaker sollten übermorgen bei ihrer Ankunft gleich Fleisch finden.“

„Was wollt ihr überhaupt hier oben?“

„Wir suchen Ibn Asl.“

„Ah! Kennt ihr denn seine Seribah nicht?“

„Nein. Wir werden sie aber noch erfahren.“

„Ihr werdet nichts weiter erfahren, als wie es in der Hölle aussieht, denn ehe die Sonne gesunken ist, seid ihr tot. Seid ihr während eurer Fahrt auf keiner Seribah eingekehrt?“

„Wir hielten bei der Seribah Aliab an.“

„Wem gehört Sie?“

„Einem alten, lahmen Manne, welcher mit den Anwohnern des Flusses Handel treibt.“

„Vielleicht Sklavenhandel?“

„Nein. Er ist ein ehrlicher Mann und verkauft nur Waren.“

Da lachte er laut und höhnisch auf und sagte:

„So dumm kann doch nur ein Christ, ein verdammter Giaur sein! Mensch, um dein Gehirn muß es traurig stehen! Du hast dich von diesem ‚ehrlichen Manne‘ fürchterlich betrügen lassen. Wisse, diese Seribah Aliab gehört Ibn Asl, und der alte, lahme Mann, der sich für einen Händler ausgegeben hat, ist der Feldwebel des Sklavenjägers!“

„Alle Wetter!“ rief ich aus, indem ich mich überrascht stellte.

„Ja, so ist es! Ihr wollt Ibn Asl fangen. Lächerlich! Er ist längst nicht mehr da, wo ihr ihn sucht.“

„Wo ist er denn?“ fragte ich in beabsichtigter Naivetät.

„Wo er ist? Meinst du, daß ich dir das sagen werde?“ lachte er, fügte aber, schnell wieder ernst werdend, hinzu. „Doch ja, ich will es dir sagen, um dir zu beweisen, daß wir dich nicht mehr zu fürchten brauchen, daß du verloren bist. Ibn Asl ist mit über zweihundert Kriegern nach Wagunda, um die dortigen Gohk-Neger zu Sklaven zu machen.“

„Warum gingst du nicht mit? Fürchtetest du dich?“

„Fürchten? Ich? Ich sollte dir eigentlich die Antwort auf diese Frage ins Gesicht hineinschlagen! Ich bin mit dem Mokkadem hier zurückgeblieben, weil Ibn Asl, sobald er Sklaven gemacht hat, den Weg gerade nach hier einschlagen wird. Wir bauen hier eine neue Seribah, nur leichte Hütten einstweilen, in denen die Sklaven, sobald sie kommen, untergebracht werden sollen, bis wir Gelegenheit finden, sie sicher an den Mann zu bringen. Du sollst diese neue Seribah sehen, denn wir werden jetzt nach dort aufbrechen.“

Er hatte neun Männer bei sich. Je zwei von ihnen nahmen Ben Nil und Selim zwischen sich; die anderen fünf mußten mich bewachen, und er gebot ihnen, außerordentlich aufmerksam zu sein. Das Boot blieb am Ufer liegen, wo es mit dem Stricke an einem Baume hing. Es sollte, wie ich hörte, später abgeholt werden.

Wir wurden fortgeführt, längs des Ufers hin. Nach kurzem hörte der Wald auf, und ich sah eine ziemlich weite, offene Grasfläche vor mir, welche bis an das Wasser trat. Dort wurde der Maijeh nur von einem schmalen Saum von Büschen eingefaßt. Diese Prairie war jedenfalls infolge eines Waldbrandes entstanden. Es ging über sie hinweg, wohl eine halbe Stunde lang; dann sahen wir, indem wir den Maijeh immer zur rechten Hand behielten, wieder Wald vor uns, an dessen Rande mehrere Hütten errichtet waren. Das kreisrunde Gemäuer derselben bestand aus Schlamm und Schilf. Die trichterförmig sich verjüngenden runden Dächer waren nur aus Schilf gefertigt. Diese Tokuls bildeten jedenfalls die neue, im Werden noch begriffene Seribah des Sklavenjägers.

Als wir uns derselben näherten, kamen uns vier Männer entgegen, drei mit afrikanischen Gesichtszügen. In dem vierten erkannte ich den Mokkadem der heiligen Kadirine. Wie staunte er, als er mich erblickte! Nachdem er seine Freude, mich als Gefangenen wieder bei sich zu sehen, einen mehr als reichlichen Ausdruck gegeben hatte, fragte er, wo und auf welche Weise wir ergriffen worden seien. Der Gaukler teilte ihm nun alles mit, was ich gesagt hatte und beide glaubten es, was freilich kein Beweis von großer Klugheit ihrerseits war.

Da der Muza’bir mir gesagt hatte, daß ich schleunigst aufgehängt werden sollte, so war ich auf eine schnelle Flucht bedacht gewesen. Das Kopftuch, mit welchem man mir die Arme platt um den Leib gebunden hatte, mußte zerrissen werden. Es war nicht neu, aber noch fest. Ich mußte versuchen, es soweit zu bringen, daß man es für einen Augenblick öffnete.

Auf der Seribah befanden sich unsere beiden Todfeinde und die zwölf Asaker, welche Ibn Asl bei ihnen gelassen hatte. Sie alle waren zwar bewaffnet, legten aber, als wir die Hütten erreichten, ihre langen Gewehre ab. Die Pistolen und Messer, welche sie nun noch bei sich hatten, konnten mir nichts schaden. Etwas seitwärts weideten zwei Ochsen, Reitochsen, wie es schien. Die an den Nasenriemen befestigten Zügel waren ihnen um den Hals geschlungen. Es versteht sich, wie ich kaum zu bemerken brauche, ganz von selbst, daß man uns alle unsere Habseligkeiten abgenommen hatte.

Der Mokkadem war ganz damit einverstanden, daß wir durch den Strick sterben sollten, doch stellte er den Antrag, wenigstens mich vorher ein kleinwenig zu martern. Während man darüber verhandelte, flüsterte ich meinen beiden Gefährten, welche nahe bei mir standen, zu:

„Ich schneide euch los. Dann rennt ihr geradewegs, ohne euch umzusehen, nach unserem Boote und steigt ein, um sofort abrudern zu können, wenn ich nach euch komme.“

„Wie willst du schneiden können!“ antwortete Ben Nil, für unsere Feinde unhörbar. „Du bist doch gebunden und hast kein Messer.“

„Ich mache mich frei.“

„Werden wir entkommen? Sie werden alle hinter uns her sein.“

„Hinter euch nicht. Ich schlage zunächst eine andere Richtung ein, und da sie es doch meist auf mich abgesehen haben, werden sie mir nachrennen und nicht euch. Wartet dann aber ja, bis ich komme, sonst werde ich doch noch erwischt!“

Ich bewegte die Oberarme, um das Tuch zu lockern. Das that ich nicht etwa heimlich, sondern man sollte es bemerken. Der Muza’bir sah es zuerst, trat auf mich zu und sagte:

„Hund, willst du dich etwa losmachen? Das soll dir nicht gelingen. Ah, das Tuch ist wahrhaftig schon gelockert. Werde es wieder fester binden.“

Er bedachte nicht, daß er, um dies zu thun, den Knoten aufmachen mußte. Dieser wurde, allerdings nur für einen kurzen Moment gelöst; aber in demselben Augenblicke stieß ich die Ellbogen von mir ab, bekam die Arme frei, drehte mich nach dem Muza’bir um, riß ihm mit der Rechten das Messer aus dem Gürtel, schlug ihm die Linke ins Gesicht, daß er hintenüber stürzte, dann zwei rasche Schnitte – Ben Nils und Selims Banden waren entzwei, und die beiden rannten, was sie nur laufen konnten, davon. Diese Be wegungen waren in größter Schnelligkeit geschehen, aber doch nicht zu schnell für den Mokkadem, welcher herbeisprang und mich beim linken Arme ergriff, um mich festzuhalten. Ich hatte das Messer in der Rechten, mußte von ihm los, wollte ihn aber doch nicht erstechen; darum warf ich es fort und schlug ihn mit der geballten Faust nieder, so daß er meine Linke fahren lassen mußte, und rannte dann auch fort, aber nicht gerade aus, wie meine Gefährten es thaten, sondern nach rechts in die Prairie hinein. Dabei mußte ich an den beiden Ochsen vorüber. Es kam mir ein Gedanke. Ich sprang auf den Rücken des einen, ergriff die Zügel und schlug ihm die Fersen so kräftig gegen die Weichen, daß er augenblicklich mit mir davonrannte. Schon nach den ersten Sprüngen, welche er that, bemerkte ich, daß er den Zügeln gehorchte und mich also, wenigstens in dieser Beziehung, nicht in Verlegenheit bringen werde.

Hinter mir schrieen die Sklavenjäger wie toll; sie rannten mir nach. Ich sah mich nach ihnen um und bemerkte, daß der Muza’bir sich schnell wieder aufgerafft hatte und soeben den zweiten Ochsen bestieg, um mir auf demselben nachzujagen. Das war mir sehr lieb. Man bekümmerte sich nicht um Ben Nil und Selim, und ich hatte bereits einen solchen Vorsprung, daß ich nicht zu befürchten brauchte, eingeholt zu werden.

Leider aber erwies diese Zuversicht sich als unbegründet. Mein Ochse trat mit einem Vorderbein in ein Loch, welches ich nicht hatte bemerken können, da es mit Gras bewachsen war, blieb hängen und überschlug sich. Ich wurde abgeschleudert und flog in einem weiten Bogen mit solcher Gewalt zur Erde, daß ich eine kleine Weile wie geprellt liegen blieb. Dann raffte ich mich auf. Ich war unverletzt, aber der ganze Körper „brummte“ mir, wie man dieses sonst schwer zu beschreibende Gefühl mit einem volkstümlichen Ausdrucke zu bezeichnen pflegt.

Der Ochse konnte nicht auf; er hatte den Fuß gebrochen, und ich war also auf die Schnelligkeit meiner eigenen Beine angewiesen. Der Muza’bir war mir bis auf zweihundert Schritte nahe. Er stieß ein Triumphgeschrei aus und schwang die Pistole in der rechten Hand. Weit hinter ihm kam der Mokkadem mit den andern gelaufen. Die letzteren brauchte ich nicht zu fürchten, desto gefährlicher aber war mir der erstere; er holte mich auf alle Fälle ein. War es da nicht besser, ihn stehenden Fußes zu erwarten? Zwar war er bewaffnet und ich nicht, doch glaubte ich, mich auf meinen scharfen Blick und mein gutes Glück verlassen zu können. Ich blieb also stehen. Er kam herangejagt, richtete die Pistole auf mich und rief, wohl noch hundert Schritte von mir entfernt:

„Stirb, Hund! Willst du dem Stricke entgehen, so trifft dich meine Kugel!“

Er drückte ab und – traf mich nicht, wie mit fast absoluter Sicherheit zu erwarten gewesen war. Wer aus solcher Entfernung und auf einem Ochsen galoppierend mich treffen wollte, mußte ein besserer Schütze sein und jedenfalls auch eine bessere Waffe haben. Die Pistole hatte nur einen Lauf. Er steckte sie in den Gürtel und zog die andere. Noch einmal schoß er und fehlte wieder. Jetzt gehörte der Mann mir; darauf hätte ich jede Wette eingehen mögen.

Er steckte auch die zweite Pistole ein und riß das Messer aus dem Gürtel. Aus Wut über die beiden Fehlschüsse und im grimmigen Verlangen, meiner habhaft zu werden, verlor er das richtige Augenmaß und vergaß, sein Tier im richtigen Augenblicke zu zügeln. Es blieb nicht bei mir halten, sondern schoß eine kleine Strecke über mich hinaus. Er riß in die Zügel und versäumte dabei, sich nach mir umzusehen. Es waren nur wenige Augenblicke, welche er verlor, doch genügten sie mir vollständig, seine Unvorsichtigkeit zu benutzen. Ich rannte ihm nach, und noch hatte er den Ochsen nicht vollständig zum Stehen gebracht, so sprang ich hinter ihm auf und preßte ihm mit meinen Armen die seinigen fest an den Leib, das Tier erschrak und rannte in erneutem Laufe weiter.

„Hund!“ brüllte er, „laß mich los, sonst brechen wir beide Hals und Beine!“

„Ich breche nichts,“ lachte ich; „aber dir zerknicke ich die Knochen. Laß das Messer fallen, sonst drücke ich dir die Rippen ein!“

Er hielt mit beiden Händen die Zügel und nebenbei das Messer in der Rechten. Er ließ es fallen, als ich bei meinen Worten die Arme fester um ihn schlang.

„Halt ein!“ stöhnte er, „du zermalmst mir die Brust!“

„Falls du gehorchst, geschieht dir nichts; im ersten Augenblicke des Ungehorsams aber zerquetsche ich dich wie eine faule Frucht. Du hast die Zügel. Lenke den Ochsen mehr nach links!“

Seine Leute waren immer noch so weit zurück, daß ich sie nicht zu beachten brauchte. Meine beiden Begleiter hatten die Savanne durchquert; sie näherten sich, wie ich sah, dem jenseitigen Walde und konnten nicht mehr belästigt werden. Es handelte sich nur noch darum, ihnen zu folgen, und zwar nicht allein; der Muza’bir mußte mit. Darum zwang ich ihn, nach links einzubiegen, in die Richtung, welche mich zu unserm Boote führte. Ich preßte ihm die Rippen so zusammen, daß er gezwungen war, meinen Befehl auszuführen. Er stöhnte laut unter meinem Griffe, gehorchte aber, ohne ein Wort zu sagen.

Der Ochse stürmte in vollem Laufe über die Prairie dahin und dem Walde zu. Die Sklavenjäger schlugen hinter uns unter der Leitung des Mokkadem dieselbe Richtung ein. Sie schrieen wie besessen, konnten mir aber nun nicht die geringste Sorge mehr machen. Wir hatten beinahe den Wald erreicht, da hob der Muza’bir das eine Bein, um es auf die andere Seite des Ochsen zu bringen und dadurch vielleicht meiner Umarmung zu entschlüpfen. Ich war keineswegs gewillt, mich damit zu begnügen, daß ich meinen Feinden entkommen war. Hatte ich diesen Menschen einmal in meinen Händen, so sollte er auch in denselben bleiben. Darum ließ ich ihn für einen kurzen Augenblick los, faßte ihn mit der Linken am Halse und schlug ihm die Faust gegen die rechte Schläfe. Er ließ das bereits erhobene Bein wieder sinken und wollte mit dem Oberkörper nach vorn fallen. Ich riß die Zügel aus seinen erschlaffenden Händen und zog mit der andern Hand seinen jetzt wie leblosen Körper wieder an mich.

In diesem Augenblicke hatte ich den Wald erreicht und mußte den Ochsen zügeln. Er gehorchte und schritt langsamer vorwärts. Dennoch war es nicht leicht, mich auf seinem Rücken zu halten, ohne den Muza’bir fallen oder mich von dem Gezweig abstreifen zu lassen. Später, als die Bäume dichter zusammentraten, sah ich mich gezwungen, abzusteigen. Ich ließ den Ochsen laufen, nahm den Muza’bir auf die Schulter und eilte der Stelle zu, an welcher ich das Boot wußte.

Es lag noch da. Ben Nil und Selim saßen, meiner ängstlich wartend, darin.

„Hamdulillah!“ rief mir der erstere, als er mich sah, entgegen. „Wie gut, daß du kommst! Wir hatten große Sorge um dich, Effendi. Aber wen bringst du da getragen? Das ist – – bei Allah, das ist ja der Muza’bir!“

„Allerdings! Er wollte uns haben, und da haben wir ihn!“

„Welch ein Glück! Welch ein Streich von dir! Wie hast du das fertig gebracht?“

„Davon später. Jetzt müssen wir rasch fort, denn die Verfolger werden bald da sein.“

„Sie haben unsere Waffen und Sachen. Wollen wir ihnen das lassen?“

„Nur für einstweilen. Jetzt gilt es, von hier fortzukommen.“

„Direkt über den Maijeh?“

„Nein. Sie würden uns sehen und also erfahren, wohin wir uns wenden. Wir rudern immer nahe am Ufer zurück, wo sie uns nicht entdecken können. Sind wir dann unserer Nilpferdfalle gegenüber angekommen, so ist es inzwischen dunkel geworden, daß sie unser Boot nicht mehr sehen können, wenn es quer über den Maijeh geht.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 3. Band