1.Kapitel. Der Mahdi -9-



„Das ist mir nur dann begreiflich, wenn ich annehme, daß du nur aus Stolz den Dank eines Mannes, welcher dich beleidigt hat, verschmähst. Aber auch ich habe mein Ehrgefühl, welches mir verbietet, mich gänzlich abweisen zu lassen. Ich werde nachdenken und hoffe, eine Gelegenheit zu finden, dir einen Dienst zu leisten, den du anzunehmen gezwungen bist. Du weißt noch gar nicht, wen du gerettet hast. Später, wenn du weiteres von mir hörst, wirst du erkennen, daß dir All-Islam und der ganze Orient verbunden ist. Da liegt mein Kamel. Was ist mit ihm geschehen?“


„Der Fessarah hat es angeschossen, weil er es für einen Löwen hielt.“

„Dieser Dummkopf! Die Angst hat ihn blind gemacht. Ist es schwer verwundet?“

„Ja; es kann nicht auf, und wenn du es mir erlaubst, so werde ich es durch einen Schuß von seinen Qualen erlösen.“

„Warum willst du das kostbare Pulver und Blei verschwenden? Laß es liegen; es wird von selbst sterben.“

„Das würde grausam sein. Ein Tier ist ebenso Gottes Geschöpf wie der Mensch.“

„Thue, was du willst; ich habe nichts dagegen. Aber was fange ich nun ohne Reittier an? Soll ich laufen?“

„Nein. Ich werde dir eins von den erbeuteten Kamelen schenken. Jetzt wollen wir den Löwen nach dem Brunnen schaffen, damit ich ihm das Fell nehmen kann.“

Ich gab dem Kamele den Gnadenschuß; dann ge hörten acht Asaker dazu, den mächtigen Körper des Löwen fortzuschleifen. Er wurde nach einem der Feuer gebracht, wo ich ihm den gelbbraunen „Rock“ auszog, wie Ben Nil sich ausdrückte. Natürlich sprach man nur von dem Löwen, und alles andere ruhte. Der Fessarah kam in sehr niedergeschlagener Haltung herbei und wurde mit ironischen Lobpreisungen überschüttet. Er ließ sie über sich ergehen, ohne ein Wort zu erwidern, und das war das beste, was er thun konnte. Er legte seine berühmte Flinte weg und sagte:

„Hier liegt sie; geben kann ich sie dir nicht, denn das wäre eine Versündigung an dem Urvater meiner Urahnen. Bist du wirklich so grausam, mich ihrer zu berauben, so nimm sie weg.“

„Ja, ich nehme sie, denn sie ist mein rechtmäßiges und wohlverdientes Eigentum.“

Er hatte auf meine Nachsicht gerechnet; als er sie jetzt in meinen Händen sah, schlug er die seinigen über dem Kopfe zusammen und wehklagte:

„O Allah, o Himmel, o tiefes Herzeleid meiner Seele! Nun bin ich des Ruhmes meiner Ahnen, des Vermächtnisses meiner Vorfahren beraubt und darf mich nie wieder in den Dörfern meines Stammes sehen lassen. Wo ich erscheine, wird man mit Fingern auf mich deuten und über mich rufen: Das ist der Mann, der das Kleinod seines Stammes verspielt und die Ehre seiner Vorfahren verwettet hat; Schande über ihn! Mir bleibt nichts übrig, als in Thränen zu zerlaufen und mich in Zähren aufzulösen. Mein Herz schwimmt in der Flut des Grames, und mein Leben taucht unter in das Wasser des Seelenschmerzes, o Allah, Allah, Allah!“

Es fiel mir nicht ein, die Flinte zu behalten; ich nahm sie nur für einstweilen weg, um ihn für seine Prahlereien ein wenig büßen zu lassen; das konnte ihm nichts schaden. Er streckte sich lang auf den Boden aus, verhüllte mit dem Kopftuche sein Gesicht und verhielt sich von jetzt an vollständig schweigend. Desto lauter und lebhafter waren die Asaker, welche nicht müde werden konnten, das Löwenabenteuer immer von neuem zu besprechen. Sie thaten das in ihrer überschwenglichen orientalischen Weise, und wenn ich nach ihren Ausdrücken beurteilt werden sollte, so war ich nicht nur der größte Held der Erde, sondern überhaupt ein Mann, wie es noch keinen gegeben hatte und auch später niemals einen geben könne. Als dann erst gegen Mitternacht dieses Thema erschöpft zu sein schien, hielt Ben Nil es für an der Zeit, auf das seinige zurückzukommen. Er verlangte die Bestrafung des alten Emirs Abd Asl. Er war durch den Angriff des Löwen unterbrochen worden und drang nun darauf, daß die Angelegenheit erledigt werde. Als der Fakir el Fukara dies hörte, stand er auf und sagte zu mir:

„Effendi, vorhin trat ich auf, um das Leben dessen, den ihr richten wollt, zu verteidigen, denn er ist mein Freund. Wir kennen uns noch viel näher, als du wissen kannst und ahnst. Ich sehe aber ein, daß ich zu schwach gegen euch bin. Meine Gegenwehr würde ihm nichts nützen. Du bist ja, wie du auch gesagt hast, ganz allein im stände, es mit zehn Fukara el Fukara aufzunehmen. Ferner hast du mich vom Löwen errettet, und ich bin dir Dankbarkeit schuldig. Darum will ich dir nicht widerstehen. Ich mische mich also nicht in diese Angelegenheit; aber meine Augen dürfen nicht den Tod meines Freundes erblicken, und darum werde ich mich zurückziehen, bis es vorüber ist.“

Er ging fort, über den Kreis der Kamele hinaus, und setzte sich dort so nieder, daß er uns den Rücken zukehrte. Ben Nil stand, gerade so wie vorhin, mit dem Messer in der Hand vor mir und fragte:

„Also du erlaubst, daß ich jetzt Rache nehme, Effendi?“

„Ja. Ich antworte dir so, wie ich dir bereits geantwortet habe: Wenn du es für deiner würdig hältst, einen schwachen, sogar gefesselten Greis, der sich nicht wehren kann, niederzustechen, so thue es!“

„Ich weiß, was ich meiner Ehre schuldig bin, und werde dir zeigen, daß ich danach handeln werde.“

„Thue, was du willst! Der Alte ist in deine Hand gegeben; er gehört nur dir; kein anderer darf sich an ihm vergreifen. Darauf sind die Asaker eingegangen. Was du thust, ist endgültig. Das will ich hiermit nochmals in aller Bestimmtheit erwähnt haben. Aber ehe du Rache nimmst, habe ich noch mit ihm zu sprechen.“

Ich ging mit ihm zu Abd Asl, welcher alles gehört hatte und also wohl wußte, was ihm drohte. Die Züge seines Gesichtes waren starr und unbewegt, so daß man nicht erraten konnte, was in ihm vorging, ob er Angst fühlte oder nicht.

„Du weißt, was dir bevorsteht,“ sagte ich. „Mache deine Rechnung mit dem Leben und mit Allah ab!“

„Wer mich tötet, ist ein Mörder,“ antwortete er in einem Tone, welcher wie das Zischen einer angegriffenen Schlange klang.

„Denke und sage, was du willst; es kann dich nicht retten, und du wirst in wenigen Augenblicken über Es Siret, die Brücke des Todes, gehen. Erleichtere dein Gewissen; dann wird dir Allah vielleicht gnädig sein.“

„Ich bedarf keiner Gnade; Ungläubige und deren Anhänger auszurotten, ist keine Sünde, sondern ein Verdienst, welches Allah belohnt.“

„Bleibe meinetwegen bei dieser deiner Ansicht! Wenn du den Tod durch das Messer für einen Lohn hältst, so kann ich nichts dagegen haben. Du hast nicht nur mir, dem Christen, sondern auch meinen Gefährten nach dem Leben getrachtet, und diese sind Moslemin. Ferner weißt du, daß der Reïs Effendina vernichtet werden soll. Das kannst du nicht vor Allah verantworten, und ich fordere dich auf, diese Schuld von dir fernzuhalten, indem du mir sagst, in welcher Gefahr er schwebt.“

Da ging ein höhnisches Grinsen über sein Gesicht. Er spuckte aus und antwortete:

„Ich speie dich und den Tod an, denn ich fürchte weder dich noch ihn. Meine Tage sind bei Allah verzeichnet, und ohne seinen Willen kannst du mir nicht eine Minute meines Lebens rauben; hat er bestimmt, daß ich jetzt, hier sterben soll, so kannst du es nicht verhüten. Es wird mir also nicht einfallen, dir ein Wort von dem zu sagen, was du wissen willst.“

„Ich kann dich zum Sprechen zwingen.“

„Versuche es doch! Wie ich dich verlache, werde ich dir beweisen, indem ich eingestehe: Ja, der Reïs Effendina befindet sich in einer großen Gefahr. Er ist verloren und mit ihm alle, die sich bei ihm befinden. Nun weißt du genug!“

„Er wird der Gefahr zu entgehen wissen, wie wir euch entgangen sind.“

„Nein. Eine Rettung ist für ihn unmöglich. Er und seine Leute werden dafür vernichtet werden, daß er unsere Gefährten am Brunnen des Wadi el Berd niederschießen ließ. Ja, wenn du wüßtest, was ihm droht, du würdest ihm vielleicht helfen, denn du bist ein frecher Satan, der nur von Gefahren zu leben scheint. Aber du wirst es eben nicht erfahren.“

„Wie nun, wenn ich dich so lange peitschen lasse, bis du redest?“

„Ich werde dennoch schweigen.“

„O, die Schmerzen öffnen selbst den verschlossensten Mund!“

„Diesmal läßt dich deine berühmte Klugheit im Stiche. Lässest du mich schlagen, so werde ich dir irgend eine Antwort geben. Kannst du aber wissen, ob sie wahr ist oder nicht?“

„Ich denke, daß ich dies gar wohl zu beurteilen vermöchte; aber ich werde dennoch darauf verzichten, dich schlagen zu lassen. Ich würde mich schämen, einen alten, gebrechlichen Mann zu peinigen, welcher schon am Rande des Grabes steht.“

„Schmähe mich nicht! Ich bin nicht gebrechlich, und wenn ich nicht dein Gefangener wäre, so würde ich dir das beweisen. Tötet mich, ihr Hunde; aber ich werde schweigen!“

„Gut, er soll seinen Willen haben,“ meinte Ben Nil. „Zu erfahren, was dem Reïs Effendina droht, dazu sind wir auch ohne die Mitteilung dieses alten Mörders klug genug. Er mag also zur Hölle fahren.“

Der Jüngling kniete neben ihm nieder, öffnete ihm vorn das Gewand und setzte ihm die Spitze des Messers auf die Brust. Abd Asl schien nicht erwartet zu haben, daß man doch Ernst machen werde; er schrie jetzt freilich in erschrockenem Tone:

„Halt ein! Bedenke, daß ich ein heiliger Fakir bin, an dem sich niemand vergreifen darf! Allah würde diesen Mord mit den ewigen Qualen der Hölle an dir rächen.“

„Ein Heiliger willst du sein?“ antwortete Ben Nil. „Ein Ungeheuer bist du, tausendmal schlimmer als der Löwe, welchen wir erlegt haben! Und wie kann Allah deinen Tod an mir rächen, da du gesagt hast, daß du nur mit seiner Erlaubnis sterben würdest? Wenn ich dich jetzt ersteche, so geschieht es mit seinem Willen und auf seinen Befehl. Also fahre hinab in die Hölle, wo alle Millionen Teufel dich mit Freude erwarten!“

Er stach ihm die Spitze des Messers langsam, langsam – nur durch die Haut, wie ich sah. Der Alte wälzte sich auf die Seite und heulte, nun seine ganze bisher verhaltene Todesangst zeigend:

„Nein, nein! Ich mag nicht sterben; ich will und kann nicht sterben. Verschone mich, verschone mich!“

„Schau, alter Feigling, wie du dich verstellen konntest! Jetzt bricht das Entsetzen über dich herein,“ sagte Ben Nil.

„Gnade, Gnade! Laß mich leben!“

„Vielleicht schenke ich dir das Leben. Nenne mir aber die Gefahr, welche dem Reïs Effendina droht!“

„Ich sage es dir – ich sage es!“

„Dann schnell, heraus damit, sonst stoße ich zu!“

„Er wird in Chartum vergiftet.“

„Von wem?“

„Von – von – – von dem Muza’bir.“

„Von dem Gaukler also, der unserm Effendi wiederholt nach dem Leben trachtete? Wie will er die That ausführen?“

„Er hat einen Askeri, welcher bei den Leuten des Reïs Effendina Farran 13) ist, bestochen. Er giebt ihm Gift, welches der Farran in den Teig thut, wenn er für den Reïs Effendina Kisrah 14) bäckt.“

„Willst du schwören, daß du damit die Wahrheit sagst?“

„Bei Allah, beim Propheten und bei dem Leben und Lehren aller Kalifen.“

„Sieh, wie schnell ich erfahren habe, was du uns nicht sagen wolltest! Nun werden wir sofort einen Eilboten absenden, um den Kommandanten zu warnen. Die Todesangst hat dir den verschlossenen Mund geöffnet. Aber ich will dir nun zu deinem Aerger sagen, daß du mir dieses Geständnis eigentlich gar nicht zu machen brauchtest, da es mir nicht einfällt, meine Ehre zu beschmutzen, indem ich einen alten, gefesselten Mann, der noch dazu ein solcher Feigling ist, ersteche. Ja, ich will Rache nehmen, aber den Gegner nicht abschlachten. Allah soll entscheiden zwischen mir und dir. Ich will kämpfen, doch nicht mit dir, denn ich bin jung und kräftig. Suche einen deiner Männer aus. Ich werde ihn losbinden und ihm ein Messer geben. Auch ich bewaffne mich mit dem Messer; dann kämpfen wir auf Leben und Tod. Besiegt er mich, so bist du gerettet; stoße aber ich ihn nieder, so sterbt ihr beide, denn er kämpft für dich und du hast sein Schicksal auch zu erleiden. Effendi, ich hoffe, daß du mir deine Erlaubnis nicht versagst.“

Das war brav, sehr brav von dem wackern Kerl! Aber der Ausgang des Duells! Ben Nil war mutig und für seine Jahre auch ungewöhnlich stark und gewandt; aber ob ich ihm den Sieg zutrauen dürfe, das wußte ich nicht. Es verstand sich von selbst, daß der Alte den besten Krieger auswählen werde. Aber durfte ich mich weigern, meine Zustimmung zu erteilen? Nein. Ben Nil konnte thun, was ihm beliebte. Ich machte ihm zwar eine halblaute Vorstellung, doch antwortete er:

„Sorge dich nicht um mich, Effendi! Ich weiß, was ich thue. Du hast mich noch nicht in einem solchen Kampfe gesehen und magst also für mich fürchten; ich sage dir aber, daß ich nicht eine Spur von Angst empfinde.“

„Man wird dir den kräftigsten Mann gegenüberstellen. Bedenke das!“

„Das ist mir lieber, als wenn ich mich mit einem Schwächlinge messen soll. Also, stimmst du bei?“

„Ja, halte dich wacker; sei nicht voreilig, und blicke ja nicht auf das Messer, sondern in das Auge deines Gegners. Suche dich auch so zu stellen, daß das Licht ihn vorn, dich aber hinten trifft!“

Was ich nicht erwartet hatte, der Alte wählte den angeblichen Dschelabi. Es gab unter den Gefangenen welche, die länger und stärker gebaut waren als er; vielleicht besaß er eine größere Gewandtheit und Erfahrung im Einzelkampf. Vielleicht auch hatten sie irgend eine Hinterlist verabredet. Sie lagen nebeneinander, und es war mir nicht entgangen, daß sie heimlich miteinander gesprochen hatten. Ich nahm mir vor, mich auf alle Fälle bereit zu halten.

Als dem Dschelabi die Fesseln abgenommen worden waren, bekam er ein Messer in die Hand. Er reckte und dehnte sich und rieb sich die Beine, um sie, die gebunden gewesen waren, wieder geschmeidig zu machen.

„Wir entkleiden uns und kämpfen nur in der Hose und mit nacktem Oberkörper,“ sagte ihm Ben Nil.

„Warum? Bleiben wir doch, wie wir sind!“

„Nein; wie ich sagte, so wird es gemacht.“

Der Dschelabi widersprach noch einigemal, mußte sich aber fügen. Warum wollte er sich des Obergewandes nicht entledigen? Ohne dasselbe war doch leichter zu kämpfen. Wollte er fliehen? Ben Nil fuhr fort:

„Also wenn du mich tötest, erhält Abd Asl das Leben. Töte ich aber dich, so stirbt auch er sofort unter meinem Messer. Du hast also nicht nur dein Leben, sondern auch das seinige in der Hand. Also sage, ob du bereit bist.“

„Ich bin bereit; es kann beginnen.“

Sie standen mitten in unserm Kreise einander gegenüber. Bestimmte Regeln waren nicht gegeben worden, doch erteilte ich dem Dschelabi noch die kurze Warnung:

„Nimm deine Beine in acht!“

„Dies zu sagen, ist überflüssig,“ lachte er. „Das Leben wohnt im Herzen; er wird mich also nicht in die Beine stechen wollen.“

Er beachtete es nicht, daß ich meinen Henrystutzen so an mich zog, daß ich ihn augenblicklich anlegen konnte.

„Also jetzt,“ meinte Ben Nil. „Komm heran!“

Das fiel dem andern gar nicht ein. Keiner wollte den ersten Stich versuchen. Sie bewegten sich einigemal im Kreise, indem sie sich fest in den Augen behielten. Da sprang der Dschelabi auf Ben Nil ein, und dieser wich zur Seite, um dem Messerstoße zu entgehen; aber der Angriff war nur eine Scheinbewegung gewesen, denn kaum war Ben Nil zur Seite gewichen, so schnellte der Dschelabi an ihm vorüber, sprang über die Köpfe zweier ihm im Wege sitzenden Asaker weg und rannte zwischen den Kamelen hindurch, um den Wald zu erreichen. Meine Vermutung war also ganz richtig gewesen. Aber schon hatte ich das Gewehr angelegt und drückte ab, noch ehe er drei Vierteile des Weges zurückgelegt hatte. Er stürzte vornüber, raffte sich schnell auf, brach aber wieder zusammen. Ich hatte nach dem Beine gezielt und es getroffen. Erschießen wollte ich ihn nicht, weil ich überhaupt nicht töten wollte, und sodann aus einem noch andern, ganz bestimmten Grunde.




13) Bäcker.
14) Brötchen aus Negerhirsenmehl

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 2. Band