1.Kapitel. Der Mahdi -7-



Er senkte den Kopf und blickte vor sich nieder; ich sah, er kämpfte mit sich selbst. Dann hob er den Kopf und fragte:


„Der Alte gehört also wirklich mir und ich kann mit ihm ganz nach meinem Wohlgefallen verfahren?“

„Ja.“

„Gut, so werde ich Rache nehmen.“

Er stand auf und zog sein Messer. Da sprang auch der Fakir el Fukara auf, hielt ihn beim Arme zurück und rief:

„Halt! Das würde ein Mord sein, den ich nicht zugeben darf!“

Ben Nil schüttelte den Mann mit einer Kraft, welche ich ihm gar nicht zugetraut hatte, von sich ab und antwortete:

„Schweig! Was hast du hier zu befehlen! Ich kehre mich an deine Worte ebensowenig wie an das Summen einer Mücke!“

„Schweig du selbst, du armseliger Knabe! Wenn es mir beliebt, zerdrücke ich dich zwischen meinen Händen!“

„Versuche es doch!“

Ben Nil hatte, wie bereits erwähnt, sein Messer gezogen, und der Fakir el Fukara riß auch das seinige hervor. Ich schnellte mich zwischen beide, riß dem letzteren die Waffe aus der Hand und gebot ihm:

„Zurück, sonst hast du es mit mir zu thun!“

„Du aber auch mit mir!“ rief er wütend.

„Pah! Du hast ja schon gesehen, was du gegen mich vermagst.“

„Das war Zufall. Willst du etwa mehr Mut und Geschicklichkeit haben, als ich besitze? Ein Fakir el Fukara fürchtet keinen Feind, auch den stärksten nicht, es mag sein, wer es wolle!“

Eben wollte ich antworten, da erklang ein Ton in der Ferne, infolgedessen die Entgegnung mir auf der Zunge liegen blieb. Es klang wie das ferne Rollen des Donners und doch zugleich wie das Gähnen einer in der Nähe sich befindenden und aus dem Schlafe erwachenden Hyäne. Ich kannte diesen Ton; ich hatte ihn wiederholt in ähnlicher Lage gehört, und dann hatte es sich allemal um Leben oder Tod zwischen mir und dem Könige der Tiere gehandelt.

„Fürchtest du auch diesen Feind nicht?“ fragte ich den Fakir, indem ich mit der Hand nach der Gegend deutete, aus welcher das Rollen erklungen war.

„Nein, überhaupt keinen.“

„Und bist du bereit, es mit ihm aufzunehmen?“

„Ja,“ lachte er. „Ich mache aber die Bedingung, daß du mich zu ihm führst.“

„So komme! Ich führe dich.“

Ich nahm meine Büchse und sah nach der Ladung derselben.

„Welch ein Held du bist!“ rief er höhnisch. „Mit einer Hyäne zu kämpfen!“

„Eine Hyäne? Bist du taub oder hast du die Stimme des Herrn mit dem dicken Kopfe noch nicht gehört?“

„Des Herrn mit dem dicken Kopfe? Du meinst den Löwen?“

„Wen sonst?“

„Es war eine Hyäne. Du selbst bist taub oder so furchtsam, daß du eine Hyäne für einen Löwen hältst. Und wenn es der Herdenwürger wäre, den wir hörten, ich würde ihm mit dir entgegen gehen, um dir zu beweisen, daß – –“

Er hielt inne. Das Rollen erklang von neuem, nicht viel deutlicher als zum erstenmal. Das war ein Beweis, daß das Tier sich nur langsam näherte. Aber etwas besser war es doch zu hören gewesen, denn die Kamele begannen zu schnauben, und der Fessarah- Führer rief voller Schreck:

„Allah kerihm – Gott sei uns gnädig! Das war wirklich ein Löwe, der große Löwe von El Teitel. Er wird uns fressen und verschlingen.“

„Ja, er hat unsere Spur gefunden und auch diejenige dieses kühnen Fakir el Fukara; darum hat er zweimal gebrüllt,“ antwortete ich. „Nun aber wird er schweigen und sich heimlich nähern, um sich einen von uns zur Speise zu holen.“

„Allah bewahre uns vor den Listen dieses geschwänzten Teufels!“

„Ah, du hast Angst! Wie steht es mit unserer Wette?“

„O, Effendi, diese Wette!“

„Du wolltest doch thun, was ich thue!“

„Ja, das werde ich auch,“ antwortete er; aber ich sah die Visionsflinte in seinen Händen beben.

„So komm! Dem Löwen entgegen.“

„Bist du toll!“

„Nein. Wenn ich ihm entgegen gehe, finde und töte ich ihn. Bleibe ich aber hier, so ist ein Mensch verloren.“

„Aber doch nicht gerade du oder ich!“

„Einer wird unbedingt gefressen, welcher, das bleibt sich gleich.“

„Das bleibt sich gar nicht gleich! Ob ich gefressen werde oder ob er einen andern frißt, das ist für mich ein großer Unterschied. Ich bitte dich, doch hier zu bleiben! Wenn sich jeder hinter ein Kamel versteckt, sind wir sicher.“

„Der Löwe holt sein Opfer auch hinter dem Kamele vor. Ich gehe, und dieser vortreffliche Fakir el Fukara wird mich auch begleiten.“

„Ist es dein Ernst, Effendi?“ fragte der Fakir.

„Du wolltest ja mit mir zum Löwen gehen! Oder sollte ich, was du so stolz bezweifeltest, wirklich doch mehr Mut und Geschicklichkeit besitzen als du? Prahlen kann jeder Feigling; aber ein Fakir el Fukara sollte doch – –“

„Schweig!“ unterbrach er mich. „Ich gehe mit.“

„So komm! Und du, Ben Fessarah?“

„Ich bleibe,“ antwortete der Führer.

„Das wußte ich. Mit dem großen Maule bist du tapfer; aber ich werde deine Visionsflinte gewinnen.“

„O Allah! O Muhammed! O Abu Bekr und Osman! Meine schöne, berühmte Visionsflinte,“ jammerte er.

„Wenn du zurückbleibst, ist sie verloren!“

„So – so – – so gehe ich mit, Effendi, immer hinter dir her. Geh nur voran; ich komme, ich komme!“

Er zitterte am ganzen Leibe, kam aber doch hinterdrein, doch ganz genau hinter mir, damit der Löwe nicht ihn, sondern mich erwischen möge. Er dauerte mich, und ich hätte ihn gern zurückgewiesen; aber er hatte eine Strafe verdient; außerdem war ich überzeugt, daß er schon nach wenigen Schritten abhanden kommen werde.

„Mehr Holz in die Feuer, damit die Flammen hoch steigen!“ gebot ich noch; dann hatte ich den Kreis der Menschen und Kamele hinter mir.

Von den Asakern und den Gefangenen war kein Laut zu hören. Die Angst machte sie verstummen. Sie drängten sich, um Schutz zu suchen, jeder eng hinter den Leib eines Kameles. Innerlich war ich wohl der ruhigste von allen. Wenn der Augenblick der Gefahr da ist, hat jede vorher etwa vorhandene Bangigkeit aufzuhören, sonst ist man verloren. Der Fakir el Fukara hatte wohl nicht geglaubt, daß seine Großsprecherei solche Folgen haben werde; er war überzeugt gewesen, es nur mit einer Hyäne zu thun zu haben. Nun trieb ihn die Angst, für einen Feigling gehalten zu werden, hinter mir drein. Der Fessarahführer hatte ihm Platz gemacht und bildete nun den letzten. Er sah, als wir die Lichtung vielleicht halb überschritten hatten, am Rande derselben eine Bewegung im Gebüsch, duckte sich entsetzt hinter einem einzelnen Busch, an welchem wir vorüber kamen, nieder und schrie:

„Dort ist er, dort! O Allah, o Gnädiger, o Barmherziger! Ich bleibe mutig hier. Lauft fort, um euch zu retten!“

Ja, wir sollten weiter gehen, um vom Löwen gesehen und angesprungen zu werden, während er „mutig“ hinter dem Strauche versteckt lag!

Auch ich hatte die Bewegung, durch welche er so in Schreck versetzt worden war, bemerkt, doch konnte sie unmöglich von dem Löwen verursacht worden sein; darum rief ich dem Feiglinge zu:

„Komm nur weiter mit, sonst ist deine Flinte verloren! Du mußt doch thun, was ich thue!“

„Nein, nein; ich bleibe hier und schieße ihn über den Haufen. Lauft nur, lauft! Und schreit recht laut, damit er Angst vor euch bekommt!“

Er forderte uns jedenfalls nur aus dem Grunde zum Schreien auf, daß wir die Aufmerksamkeit des Löwen auf uns ziehen sollten. Dieser aber konnte noch nicht da sein. Als er zum erstenmal brüllte, war er gewiß zwei englische Meilen entfernt gewesen. Darum hatte ich mir zu meinen ironischen Aufforderungen an die beiden Begleiter Zeit genommen. Jetzt mochte das Tier vielleicht drei Viertel dieser Entfernung zurückgelegt haben.

Da das Gebrüll aus Westen erklungen war, hatte ich mich natürlich nach dem dorthin liegenden Rand der Lichtung gewendet und blieb da stehen, um mir eine gute Position auszusuchen. Es war vorauszusehen, daß der anschleichende Löwe, um kein Geräusch zu machen, das Unterholz meiden werde. Da es nun hier auf dieser Seite nur eine von Büschen freie Stelle gab, so war vorauszusehen, daß er aus derselben hervorbrechen werde. Ich hatte mich also in die Nähe derselben zu postieren.

Es gab da zwei sehr starke Thalhabäume 12) deren Stämme dicht nebeneinander standen; ein üppiges Sunutgesträuch hielt den Schein der Feuer ab und warf einen tiefen Schatten auf die Stelle.

„Hier legen wir uns nieder,“ sagte ich. „Das ist der beste Platz.“

„Warum hier?“ fragte der Fakir, indem er sich zu mir niederkauerte.

„Weil der Löwe da, ungefähr zehn Schritte von uns, durchbrechen wird.“

„Allah kerihm! Warum so nahe! Wir müssen mehr zurück! Vielleicht auf fünfzig oder sechzig Schritte.“

„Nein. Je näher, desto besser und sicherer ist der Schuß.“

„Effendi, du hast den Verstand verloren.“

„Nein, aber ich habe mehr Mut als du. Ich höre deine Zähne klappern.“

„Kann ich dafür? Mein Kinn ist plötzlich ganz locker geworden.“

„Zittert auch deine Hand?“

„Ja; es geht eine große Kälte durch meine Arme.“

„So schieß ja nicht, wenn er kommt, sondern überlaß ihn mir! Du würdest schlecht oder gar nicht tref fen und dadurch die Gefahr für uns verzehnfachen.“

„Wollte doch Allah, ich wäre nicht mitgegangen! Ich bin unverzagt, aber die Aufmerksamkeit des Menschenwürgers absichtlich auf sich zu lenken, das ist denn doch zu verwegen. Sprechen wir ja nicht mehr! Er könnte es hören.“

„Wir flüstern ja nur. Uebrigens ist er noch gar nicht da.“

Der Fakir el Fukara hatte eine schreckliche Angst. Ich hörte ganz deutlich seine Zähne aufeinander schlagen, und als ich ihm jetzt die Hand auf den Arm legte, um zu fühlen, ob dieser auch so bebe, stieß er einen lauten Schreckensruf aus. Er hatte meine leichte Hand für die schwere und tödliche Tatze des Löwen gehalten.

Der Fessarah schien indessen irgend etwas vorzuhaben. Ich sah ihn deutlich hinter seinem Strauche kauern. Von mir aus waren es vierzig Schritte bis zu ihm, achtzig bis zum Brunnen, bis wohin ich also, falls der Löwe dort einbrach, einen sichern Treffer senden konnte. Er hatte erst am Boden gelegen; jetzt kauerte er und machte sich mit seiner Visionsflinte zu schaffen. Dabei legte er den Kopf zur Seite, um hinter dem Busche hervorzulugen. Nun hob er das Gewehr und richtete den Lauf nach der Stelle, an welcher wir vorhin die Bewegung bemerkt hatten. Was hatte er vor? Wollte er etwa schießen? Durfte ich ihn durch einen lauten Zuruf daran hindern? Wenn ich dies auch hätte wagen wollen, es wäre zu spät gewesen, denn schon drückte er ab. Das Visionsgewehr krachte wie eine alte Donnerbüchse und schlug ihn mit dem Kolben so an den Kopf, daß er niederstürzte. Er fuhr aber schnell wieder und zwar ganz empor und schrie, indem er mit beiden Armen freudig um sich windmühlte, in jubilierendem Tone:

„Hamdullilah – Allah sei Preis und Dank! Ich habe ihn, ich habe ihn! Ich habe ihn geschossen und getroffen! Dort stürzte er zusammen; dort liegt er in seinem Blute, der Fresser, der Mörder, der Menschenverwüster und Herdentöter! Jubelt, ihr Männer, ruft, schreit und singt zu seinem Ende, einem Ende ohne Ruhm und Ehre, einem Ende der Feigheit und der Schande! Effendi, komme, komme schnell herbei, damit ich ihn dir zeige!“

Das Gebaren des unvorsichtigen Menschen war fast wahnwitzig zu nennen; er gestikulierte wie ein Verrückter. Dort im Lager erhoben sich die Asaker, welche seinen Worten glaubten. Auf was hatte er denn wohl geschossen? Auf alles mögliche, aber nicht auf den Löwen, denn eben jetzt in diesem Augenblicke trug die Luft mir jenen untrüglichen scharfen, stechenden Geruch, welche den großen, wilden Arten der Katzenraubtiere zehnmal, zwanzigmal stärker zu eigen ist als den in Menagerien und zoologischen Gärten lebenden halbzahmen Exemplaren derselben.

„Er hat ihn erschossen. Wir müssen hin, Effendi!“ meinte der Fakir el Fukara.

„Unsinn! Der Löwe kommt von entgegengesetzt her; wir haben ihn gerade vor uns. Ich rieche ihn schon.“

„O Allah, o Erbarmen, o Zuflucht und Trost der Gläubigen! Du irrst dich. Der Fessarah ist der Sieger, und ich begebe mich zu ihm.“

Er sprang auf und fort. Ich hätte ihn nicht halten können, selbst wenn ich gewollt hätte, denn ich besaß keine Zeit und auch keine Hand dazu. Der Löwe war da. Ich sah ihn unter den vordersten Bäumen der lichten Stelle erscheinen, fast tageshell von den hochflackernden Feuern beschienen, ein über einen Meter hohes, sicher zwei und ein halb Meter langes, ganz ungewöhnlich starkes, mächtiges Tier mit sehr langer und dichter, dunkel gefärbter Mähne.

Ich lag im Anschlage; er stand aber schlecht zum Schusse, und einen Fehlschuß durfte ich nicht wagen. Zu langen Erwägungen gab es keine Zeit, denn das Tier sah den fortrennenden Fakir el Fukara und machte eine Wendung, um ihm nachzuspringen. Ich schrie aus Leibeskräften, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Drehte er sich nach mir um, so hatte ich besseres Ziel. Aber er schien meinen Schrei gar nicht zu hören, wenigstens nicht zu beachten und schnellte hinter dem Fakir her, einen Satz, zwei Sätze, drei Sätze. Er wurde vom Lager aus erblickt; die Asaker heulten vor Entsetzen auf; auch der Fessarah zeterte, als ob er im Höllenfeuer brenne, und dadurch aufmerksam gemacht, blieb der Fakir el Fukara stehen und sah sich um. Als er das ihn verfolgende Raubtier erblickte, brach er vor Todesangst in die Kniee zusammen und hob, unfähig, einen Laut von sich zu geben, die gefalteten Hände empor. Noch drei Sprünge, und der Löwe hätte ihn erreicht.

Das waren nur Augenblicke, aber ich hatte sie benutzt. Meinen Bärentöter in der Rechten, war ich aus meinem Verstecke dem Würger der Herden nachgerannt, hatte mit der Linken den Revolver gezogen und drückte, dazu nicht schreiend, sondern brüllend, die sechs Schüsse nacheinander ab. Das half. Der Löwe hörte sie und warf sich herum. Ich ließ mich gedankenschnell auf das Knie nieder und legte das Gewehr an. Nun war den beiden andern geholfen; das wußte ich genau, denn der Löwe wirft sich unbedingt auf diejenige Person, welche auf ihn zielt; aber was stand nun mir bevor? Entweder er oder ich!




12) Acacia gummifera.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 2. Band