1.Kapitel. Der Mahdi -6-



„Frage sie vorher nach mir, so werden sie dir wohl mitteilen, daß in diesem Augenblicke ich es bin, der die Macht in den Händen hat. Wer und was du bist, das ist mir sehr gleichgültig. Ich stehe hier an Stelle des Reïs Effendina, also an Stelle des Khedive. Das wird dir genügen.“


„Das genügt mir keineswegs, sondern bringt eine ganz andere Wirkung hervor, als du beabsichtigt hast. Der Vizekönig ist ebenso wie der Reïs Effendina in meinen Augen nichts, und es fällt mir nicht ein, mich nach ihnen zu richten.“

Jetzt kannte ich seine Verhältnisse nicht; später erfuhr ich freilich, weshalb er sich dieses unehrerbietigen, ja geringschätzenden Ausdruckes bedient hatte. Für einige Zeit Steuerbeamter gewesen, hatte er sich gezwungen gesehen, sein Amt niederzulegen, und war Sklavenhändler geworden. Das wußte ich jetzt freilich nicht, antwortete ihm aber doch mit überlegenem Lächeln:

„Du wirst dich aber dennoch nach ihnen richten, indem du dich nach mir richtest, der ich ihre Befehle auszuführen habe.“

„Du wirst sogleich sehen, wie ich diese Befehle achte.“

Er zog sein Messer und bückte sich zu Abd Asl nieder.

„Halt!“ gebot ich ihm. „Was willst du thun?“

„Diesen meinen Freund von seinen Fesseln befreien.“

„Das erlaube ich nicht.“

„Was frage ich nach deiner Erlaubnis!“

Er legte das Messer an den Riemen; ich aber legte auch, nämlich beide Hände von hinten und oben an seine Hüften, hob ihn aus seiner gebückten Haltung empor und warf ihn mehrere Schritte weit über die Gruppe der Gefangenen, bei denen Abd Asl lag, hinüber. Er hatte sein Messer festgehalten, raffte sich rasch wieder auf, erhob die Hand zum Stoße und drang auf mich mit den Worten ein:

„Du wagst, dich an dem Fakir el Fukara zu vergreifen? Da, nimm!“

Es fiel mir gar nicht ein, mich einer Waffe zu bedienen. Auch keinem der Asaker kam es bei, mir beizuspringen; nur Ben Nil fuhr mit der Hand in den Gürtel, blieb aber an seinem Platze stehen; sie wußten, daß ich mit dem Angreifer fertig werden würde. Ich gab ihm mit der Faust von unten her einen Stoß in die Achselhöhle des erhobenen Armes, und diese Parade war so kräftig, daß sie ihn aushob und wieder zu Boden warf. Jetzt zog ich den Revolver; als er wieder aufsprang, um mich von neuem anzugreifen, hielt ich ihm denselben entgegen und rief:

„Noch einen Schritt weiter, und ich schieße dich nieder!“

„Bleib stehen, sonst schießt er wirklich, denn er ist ein Giaur!“ warnte ihn Abd Asl.

Der Fakir el Fukara zog den bereits erhobenen Fuß wieder zurück, ob aus Furcht vor meiner Waffe oder aus Betroffenheit darüber, mich einen Giaur nennen zu hören, das weiß ich nicht – wohl aus beiden Gründen zugleich, und fragte:

„Ein Giaur? Er ist kein Moslem?“

„Nein, sondern ein christlicher Effendi,“ antwortete der Alte.

„Und dieser Hund wagt es, mich – –“

Im Nu stand Ben Nil mit der erhobenen Peitsche hinter ihm und fragte mich:

„Effendi, soll ich ihm die Haut in Streifen schla gen, da er dir den Namen eines verachteten Tieres giebt?“

„Dies eine Mal soll ihm verziehen sein, weil er in der Aufregung gesprochen hat,“ antwortete ich. „Wenn er mich aber noch ein einziges Mal beleidigt, so erhält er die Bastonnade, daß er hier liegen bleiben und elend verkommen muß!“

„Allah! Mir die Bastonnade!“ knirschte der Mann. „Von einem Christen! Welch ein Frevel, welch eine Kühnheit!“

„Von Kühnheit kann dir gegenüber keine Rede sein,“ lachte ich ihm in das Gesicht. „Ich würde mich nicht fürchten, wenn ich zehn Personen deinesgleichen gegenüber stände; hier aber bist du allein und hast außer mir noch zwanzig Asaker gegen dich.“

„Aber sie sind doch Moslemin?!“

„Das sind sie allerdings.“

„So müssen sie doch für mich und nicht für dich sein! Wie kann ein Moslem dulden, daß einem andern Rechtgläubigen von einem Christen mit der Bastonnade gedroht wird, ja, daß dieser sich sogar an ihm vergreift und ihn zu Boden wirft?“

Da stellte sich Ben Nil vor ihn hin und antwortete an meiner Stelle:

„Höre, wir haben diesen unsern Effendi von Herzen lieb und sind bereit, für ihn gegen jedermann zu kämpfen. Zehn und hundert Fakire el Fukara wiegen ihn in unserer Achtung nicht auf, und ich sage dir, daß du nicht der erste wärst, der, weil er ihn beleidigte, die Peitsche bekommen hat. Nimm dich also sehr in acht! Die Bastonnade schwebt über deinem Haupte, und bei Allah, wenn du deinen Mund nicht hütest, senkt sie sich augenblicklich auf dich nieder!“

„Knabe!“ fuhr ihn der Fakir an. „Hüte du selbst deine Zunge! Was bist du und was sind zwanzig Asaker gegen die Anhänger, welche zu mir eilen, wenn ich meine Stimme erhebe!“

„Erhebe Sie! Wir werden sehen, ob der Wald lebendig wird!“

„Das darfst zu sagen, weil ich heute niemand bei mir habe; später aber kann ich euch zerquetschen, wie man Würmer mit dem Fuße zertritt!“

Die Soldaten ließen ein zorniges Murmeln hören; er aber kehrte sich nicht daran und fuhr fort:

„Indem ihr einem Christen gegen diese Moslemin dient, verleugnet ihr den Propheten. Habt ihr ein Recht, diese Rechtgläubigen gefangen zu halten? Wenn sie Sklaven gefangen haben, wo steht denn im Kuran, daß der Sklavenhandel verboten ist?“

Seine Absicht war, die Asaker gegen mich aufzuwiegeln, und er glaubte vielleicht, daß ihm dies gelingen werde. Ich hatte gar nicht nötig, ihn durch Zwischenreden in der Ausführung dieses Vorhabens zu hindern, denn Ben Nil, welcher das Wort nun einmal für die andern ergriffen hatte, antwortete ihm:

„Du kennst die Lage der Sache nicht. Ibn Asl, der Sohn dieses alten Fakirs, hat die Beni Fessarah überfallen, viele von ihnen getötet und die jungen Frauen und Töchter davongeführt, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Wir aber haben sie ihm abgenommen und wieder in ihre Heimat geleitet. Aus Zorn und Rache darüber hat er uns seinen Vater mit diesen Männern entgegengesandt. Sie sollten uns hier auflauern und ermorden; dem Effendi aber sollten die Zunge und auch die Hände abgeschnitten werden. Ist es erlaubt, Rechtgläubige zu rauben und zu Sklaven zu machen?“

„Nein,“ gestand der Fakir.

„Sind die Beni Fessarah Rechtgläubige oder Giaurs?“

„Rechtgläubige.“

„So hat sich Ibn Asl also einer Todsünde schuldig gemacht, und diese Menschen hier sind seine Mitschuldigen. Sie müssen dafür bestraft werden, gar nicht davon zu sprechen, daß sie Mörder sind, da sie das beabsichtigten, was ich dir mitgeteilt habe.“

Diese Mitteilung des Jünglings verfehlte ihren Eindruck nicht. Der Fakir el Fukara wendete sich an den alten Fakir Abd Asl und fragte:

„Ist das wirklich so, wie ich es jetzt gehört habe?“

„Man mag uns beweisen, daß wir diese Asaker töten wollten,“ antwortete der Gefragte. „Es ist eine schändliche Lüge!“

„Leugne es nicht!“ herrschte ich ihn an. „Ich habe es mit meinen Ohren gehört. Ich lag, um euch auszukundschaften, hinter dem Gesträuch, vor welchem du mit deinem angeblichen Dschelabi im Gespräch saßest.“

„Du hast dich geirrt,“ meinte der Fakir el Fukara zu mir.

„Ich habe richtig gehört, und es sind auch noch andere Beweise vorhanden.“

„Welche? Ich muß sie hören.“

„Du mußt? Wer hat dich zum Richter über mich gesetzt? Ich muß bloß das, was ich will, und meinen Willen werde ich dir sofort mitteilen. Ich will nämlich, daß du dich nicht weiter um diese Angelegenheit bekümmerst. Du hast dir in derselben die Hände schon so verbrannt, daß ich dir rate, dich vom Feuer fern zu halten. Du bist hier, ohne mich zu kennen, aufgetreten wie ein Gebieter. Ziehe deines Weges weiter oder lagere dich zu uns an den Brunnen, mir ist beides recht; aber sobald du fortfährst, dich in meine Obliegenheiten zu mischen, werde ich dir beweisen, daß ich infolge meiner Vollmachten der augenblickliche Gebieter an diesem Brunnen bin.“

„Wie willst du das beweisen?“

„Indem ich dich nicht länger dulde, sondern dich fortjage. Und nun kein weiteres Wort darüber! Tritt zurück! Du magst bei den Asakern lagern, bei den Gefangenen aber hast du nichts zu schaffen.“

Er sah es mir wohl an, daß ich Widerspruch nun wirklich nicht mehr dulden würde, und gehorchte; aber der Ingrimm lag wie eine wetterdrohende Wolke auf seinem Gesichte. Er sattelte sein Kamel ab und ließ es laufen, damit es weiden möge. Dann holte er sich Mundvorrat und einen Schöpfbecher aus der Satteltasche und ließ sich an dem Wasser nieder, um sein Abendbrot zu sich zu nehmen. Vorher aber holte er sein Abendgebet nach, welches er versäumt hatte, da zwischen seiner Ankunft und jetzt die Sonne untergegangen und also die Zeit des Mogreb, des vorgeschriebenen ersten Abendgebetes unbenützt verflossen war. Auch die Asaker beteten, da sie die gleiche Versäumnis begangen hatten.

Es waren vier Feuer angebrannt worden. Auf dem Raume zwischen denselben lagen die Gefangenen in voller Beleuchtung, damit wir die Bewegungen jedes einzelnen von ihnen leicht sehen konnten, und um diese herum bildeten die Asaker eine Kette, welche wieder von unsern an den Vorderbeinen gefesselten und in einem Kreise liegenden Kamelen eingefaßt wurde.

Auch ich setzte mich an den Brunnen, um zu essen. Ben Nil und der Fessarah-Führer gesellten sich zu mir. Der Fakir el Fukara saß so wenig entfernt von uns, daß er unser Gespräch hören und verstehen konnte. Ich hatte keine Veranlassung, heimlich gegen ihn zu thun; er hätte sonst vielleicht gar geglaubt, ich scheue oder fürchte mich vor ihm. Ich vermutete, daß Ben Nil nun die Gelegenheit ergreifen werde, seine Forderung in Betreff des alten Abd Asl wieder vorzubringen, und richtig, kaum hatte ich den letzten Bissen in den Mund geschoben, so sagte er:

„Effendi, ich mußte die Mahlzeit ehren; nun du aber fertig bist, hoffe ich, daß ich sprechen darf. Du hast mir den alten Fakir versprochen.“

„So ganz endgültig, wie du zu meinen scheinst, doch wohl nicht.“

„Jawohl! Du wolltest etwas von ihm erfahren, und dann sollte ich ihn bestrafen dürfen.“

„Ich habe es aber noch nicht erfahren, und es hat noch Zeit.“

„Nein. Bedenke, daß du die Auskunft, welche du von ihm haben willst, zu spät bekommen könntest. Ich weiß, du willst nicht seinen Tod, und darum zögerst du.“

„Allah wird ihn strafen!“

„Ja, aber durch mich!“

„Sieh hin! Er ist ein Greis, ein schwacher, wehrloser Mann. Kannst du es über das Herz bringen, ihm das Messer in die Brust zu stoßen?“

„Er hat es über das Herz gebracht, dich und mich in den Brunnen einzusperren, damit wir untergehen sollten. Und heute wieder war er zu einem mehr als zwanzigfachen Mord bereit. Wenn du ihn begnadigst, versündigst du dich gegen Allah, der doch auch dein Gott ist.“

„Das ist richtig,“ stimmte der Führer bei. „Auch ich schwebte in Todesgefahr, jeder der Asaker ebenso. Wir alle haben also das Recht, das Blut dieses Massenmörders zu fordern!“

„Richtig! So ist es! Ganz genau so!“ ertönten da die zustimmenden Rufe der Asaker.

„Hörst du es, Effendi?“ fragte der Führer. „Willst du uns allen unser gutes Recht verkümmern? Dann mußt du gewärtig sein, daß wir es uns nehmen.“

Daran hatte ich auch schon gedacht. Die Soldaten waren wütend auf die Gefangenen. Nur die Achtung, in welcher ich bei ihnen stand, hatte sie vermocht, meinem Befehle zu gehorchen und die Ueberrumpelten nur zu betäuben, anstatt sie zu töten. Ich konnte ihnen keine Garantie dafür bieten, daß die Schuldigen ihre Bestrafung in Chartum wirklich finden würden, und wenn sie gegen meinen Willen Rache nahmen, was konnte ich dagegen thun? Sie mit Gewalt, durch Drohungen abhalten? Da wäre es mit meiner Autorität sofort vorüber gewesen. Besser, ich opferte einen einzelnen, als daß viele unter den Rächerstreichen fielen, und dieser eine mußte natürlich der alte Fakir sein. Schon war ich halb entschlossen, ja zu sagen, da trat der älteste der Asaker zu mir heran und meldete:

„Effendi, ich bin von meinen Kameraden beauftragt worden, dir eine Bitte vorzulegen.“

„So sprich!“

„Sage vorher, ob wir dir gehorsam gewesen sind und ob du mit uns zufrieden bist!“

„Ich kann vor dem Reïs Effendina jedem einzelnen von euch ein gutes Zeugnis geben.“

„Ich danke dir! Ja, es ist wahr, daß wir stets thaten, was du fordertest, obgleich uns dein Wille sehr oft unbegreiflich war. Wir haben uns dann immer überzeugen müssen, daß du das Richtige getroffen hattest, und darum hast du dir unsere Ehrerbietung erworben. Einen Fehler aber haben wir an dir zu tadeln, wenn du uns das erlaubst. Du bist als Christ gegen unsere Feinde stets zu nachsichtig gewesen. Feinde muß man vernichten, um sich selbst zu erhalten. Ergreife ich heute meinen Todfeind und lasse ihn aus Barmherzigkeit wieder entwischen, so wird er morgen abermals über mich herfallen. Wir waren dem Tode geweiht; deine List und deine Umsicht haben uns gerettet; die Feinde sind in unsere Hand gegeben, aber du willst nicht, daß wir uns an ihnen vergreifen. Gut, wir gehorchen dir auch dieses Mal; wir wollen sie nach Chartum schaffen und dem Reïs Effendina übergeben; einer aber soll sterben, nämlich Abd Asl; darauf bestehen wir. Wir wollen uns nicht gegen dich erheben, aber wenn du uns diese kleine Bitte nicht erfüllst, kannst du nicht hindern, daß hier und da irgend ein Messer in irgend ein Herz gestoßen wird und viele von denen, welche zu retten willst, am Morgen nicht mehr am Leben sind. Entscheide dich!“

Das war allerdings energisch gesprochen! Was sollte ich antworten? War ich als Christ denn wirklich verpflichtet, Abd Asl, das Scheusal, du retten und dadurch viele andere in Gefahr zu bringen? Aber vielleicht konnte ich meinen Zweck durch List doch noch erreichen, indem ich mich auf das gute Herz Ben Nils verließ! Nur so lange kein Blut, als ich noch zu befehlen hatte. Was später geschah, das kam nicht auf meine Seele zu liegen. Darum antwortete ich, scheinbar auf die Forderung eingehend:

„Du hast nach euren Anschauungen ganz verständig gesprochen, aber wie kann ich über das Leben des Fakirs verfügen, da es mir nicht mehr gehört? Ben Nil ist derjenige, welcher das erste Recht zur Rache hat.“

„Aber du willst es ihm doch verkümmern, wie wir hören?“

„Nein. Er soll sein Recht haben, wenn ihr einverstanden seid und auf das eurige verzichtet.“

„Dann sind wir ja sofort einverstanden, Effendi.“

„Ihr legt also das Leben des Fakirs in Ben Nils Hände?“

„Ja.“

„So sind wir einig. Sage das den andern!“

Der Askari entfernte sich befriedigt, und Ben Nil reichte mir die Hand, indem er sagte:

„Ich danke dir, Effendi! Nun wird dem Gesetze der Wüste Genüge geschehen und zu den Schandthaten dieses Ungeheuers keine neue kommen.“

„So gehe hin, und stoße ihm, dem gefesselten Greise, das Messer in die Brust! Das ist eines tapfern Mannes würdig!“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 2. Band