1.Kapitel. Der Mahdi -5-



„Schweig!“ unterbrach ich ihn. „Wage nicht etwa, mir zu drohen; ich würde dir mit der Peitsche antworten! So hündisches Gezücht bekommt Hiebe, wenn es bellt. Und wenn du deine jetzige Lage so wenig begreifst, daß du es wagst, zu fordern anstatt demütig zu bitten, so werde ich sie dir auf eine Weise zur Erkenntnis bringen, daß dir der Hochmut schnell vergehen soll!“


„Das wirst du unterbleiben lassen, denn ich bin Scheik!“ wendete er ein.

„Pah! Ein armseliger Beduinenscheik ist gegen das, was ich bin, gar nichts. Uebrigens hast du behauptet, ein Dschelabi zu sein, und bist nebenbei Mitglied einer Mörderbande; danach wirst du behandelt.“

„Dann wehe dir! Du wärst verloren; mein Stamm würde euch alle vernichten!“

„Was, dieser Mensch ist so frech, dich zu bedro hen, Effendi?“ rief Ben Nil aus, welcher hinzugetreten war und die Worte gehört hatte. „Soll ich ihm den losen Mund stopfen?“

„Thue es!“

Er wendete ihn mit dem Fuße um, so daß sein Rücken nach oben zu liegen kam, und zog die Peitsche aus dem Gürtel. Ich wendete mich ab. Mein Auge sträubte sich, Zeuge der Züchtigung zu sein; das Ohr sagte mir aber doch, daß Ben Nil seinem Zorne in einer Weise, welche nichts zu wünschen übrig ließ, Luft machte. Indessen erteilte ich den andern die Weisung, die Gefangenen und deren Tiere nach dem Brunnen zu schaffen. Als dies geschehen war, wurden auch unsere Kamele nach demselben gebracht.

Er lag an einer Stelle, von welcher man, um Platz zum Lagern zu bekommen, die Bäume und das Gesträuch entfernt hatte; es gab da Raum für noch mehr Leute, als wir nun zusammen waren; auch Wasser war genug vorhanden.

Meine Asaker hatten sehr gute Beute gemacht und befanden sich infolgedessen in ausgezeichneter Stimmung. Es kamen auf einen jeden die Kamele, Waffen und sonstigen Habseligkeiten von wenigstens drei Gefangenen. Ich beanspruchte natürlich nichts, und Ben Nil folgte, obgleich er ein armer Teufel war, diesem Beispiele. Als ich ihn nach der Ursache dieses Verzichtens fragte, antwortete er:

„Warum nimmst du selbst nichts, Effendi? Ist es nur aus Güte gegen die Asaker, damit diese deinen Anteil mit bekommen? Oder ist es Stolz? Ich weiß von dir, daß die Krieger des Abendlandes keine Beute machen. Auch ich verschmähe es, Gegenstände zu besitzen, welche sich in den schmutzigen Händen dieser Hundesöhne befunden haben.“

Das war eine sehr brave Gesinnung von ihm, und er verdiente es, daß ich seine mir erwiesene Anhänglichkeit durch ein beinahe freundschaftliches Verhalten erwiderte.

Es war geboten, dafür zu sorgen, daß die Gefangenen uns gesichert blieben; sie wurden in die Mitte genommen und sehr scharf im Auge behalten. Für die Nacht waren Wachen vorgesehen. Jetzt war es noch Tag, doch durften wir den Anbruch des Abends in einer halben Stunde erwarten. Ich hielt es für geraten, noch vor dem Beginne der Finsternis die Umgebung des Brunnens abzuschreiten. Es war dies eine Vorsichtsmaßregel, deren Ausführung ich bei meinen Reisen nur in Fällen, in denen ich mich ganz sicher weiß, zu versäumen pflege. Darum schritt ich, um nach etwaigen Spuren zu suchen und mich überhaupt zu orientieren, den Umkreis langsam ab. Zugleich hatte ich einige Leute in den Wald nach Brennholz geschickt. Da die Zahl der Gefangenen dreimal größer als diejenige der Asaker war, mußten wir, um sie be wachen zu können, nicht ein, sondern mehrere Feuer haben. Material zu denselben wurde schnell und genug zusammengetragen. Ich kehrte von meinem Gange zurück, ohne etwas Verdächtiges gefunden zu haben. Dafür aber brachte mir einer der Holzleser zwei Gegenstände, welche unter einem Baume gelegen und notwendigerweise seine Aufmerksamkeit erregt hatten.

„Siehe doch einmal diese beiden Knochen an, Effendi,“ sagte er. „Es scheinen die Ueberreste eines Kalbes zu sein, und da niemand ein lebendes Kalb, um es zu schlachten, mit in die Steppe nimmt, so müssen hier Leute, welche Rinderdiebe sind, gelagert haben.“

Ich nahm die Knochenstücke aus seiner Hand, um sie zu betrachten und erschrak. Das eine war ein halbes Schulterblatt und das andere der Fortsatz eines oberen Schenkelknochens.

„Das sind nicht Kalbs-, sondern Menschenknochen!“ antwortete ich.

„Allah! So ist ein Mensch hier ermordet worden!“

„Nicht eigentlich ermordet, sondern zerrissen und aufgefressen.“

Sofort war ich umringt, und alle riefen auf mich ein, daß ich mich da wohl geirrt habe.

„Ich irre mich nicht, denn ich weiß die Knochen eines Menschen von denen eines Tieres wohl zu un terscheiden. Dieses Schulterblatt und die Schenkelröhre sind von den Zähnen eines sehr starken, wilden Tieres zermalmt worden. Sollte es in der Steppe oder etwa gar hier im Walde Löwen geben?!“

„Allah beschütze uns und segne uns mit seiner Gnade!“ schrie da unser Fessarah-Führer auf. „Das ist kein anderer Teufel gewesen als Chazzak ed Dschuma 8), der Löwe von El Teitel!“

„Warum wird er nach diesem Orte genannt?“

„Weil er abwechselnd alle Brunnen, welche zwischen El Teitel und dem Nile liegen, besucht.“

„Und welchem Umstande verdankt er den andern Namen?“

„Es vergeht keine Woche, in welcher er nicht einen Menschen zerreißt und frißt. Er ist schon seit länger als einem Jahr in dieser Gegend.“

„Hat man ihn denn nicht gejagt, nicht versucht, ihn zu erlegen?“

„Gejagt? Was fällt dir ein! Allah behüte jeden Menschen vor diesem gewaltigen Fresser, welcher größer als ein Ochse und stärker als ein Elefant ist!“

„Kennt man seinen Lagerplatz? Hat man ihn vielleicht mit einer Löwin oder mit Jungen gesehen?“

„Nein. Darum besitzt er keine bestimmte Wohnung, schläft einmal hier und einmal dort und ist inzwischen von einem Brunnen zum andern unterwegs.“

„Ah, also ein Wahdani 9)! Ich kenne diese einsamen, weil selbst gegen ihresgleichen feindseligen Tiere. Sie sind die allerschlimmsten. Wenn ein solcher einmal einen Menschen gefressen hat, so bleibt er bei dieser Nahrung und schlägt Tiere nur im Falle des allergrößten Hungers.“

„Das ist richtig, Effendi, und so ein Menschenfresser ist dieser Vagabund von El Teitel. Es kommt sogar vor, daß er in einer Woche zwei verschlingt. Wann mag er hier gewesen sein?“

„Vor vier oder fünf Tagen, wie ich aus der Trockenheit dieser Knochenreste ersehe.“

„O Allah, das ist schlimm! So kann er heute wieder hier sein. Wenn er gestern oder vorgestern da gewesen wäre, befände er sich heute ganz sicher anderswo; nach so langer Zeit aber kann er seine Runde schon wieder beendet haben.“

„Das hängt davon ab, wie viele Brunnen er besucht und ob er inzwischen wiederum ein Opfer gefunden hat. Er kann einen Menschen auf einmal nicht verzehren und geht erst dann, wenn er den letzten Markknochen zerschnitten hat, von dannen. Vielleicht hat er volle drei Tage hier gelegen.“

„So ist Allah uns gnädig gewesen. Der Fresser hätte uns an einem unserer letzten Nachtlager überfallen können. Die Knochen sind vier Tage alt; drei Tage war er hier, also ist er erst einen Tag fort, und wir haben nichts zu befürchten.“

„Dieser Schluß scheint richtig zu sein, kann uns aber täuschen. Der Löwe zieht, wie jedes andere Raubtier auch, den Ort, an welchem er Fraß fand, denjenigen Stellen vor, die er vergeblich aufsuchte. Er kann also leicht rascher, als du denkst, zurückkehren.“

„Das mögen sämtliche Heiligen des Kalifates verhüten! Vielleicht befindet er sich gar noch hier und liegt in einem Hinterhalte!“

„In diesem Falle hätte ich seine Spur gesehen. Dennoch müssen wir vorsichtig sein, da diese Einsiedler verschmitzt und hinterlistig sind und ihre Annäherung nicht wie andere Löwen durch Gebrüll verkünden. Sie schleichen sich vielmehr heimlich wie Panther an und springen lautlos auf ihr Opfer ein. Ich habe einst einen solchen verstockten Sünder geschossen, welcher nur einmal, und zwar vor Freude kurz aufbrüllte, als er auf unsere Fährte traf, und sich dann aber vollständig lautlos näherte.“

„Was, Effendi, du hast auf einen Löwen geschossen?“

„Schon auf mehrere.“

„Und auch getroffen?“

„Meine Kugel traf nur, als ich Anfänger im Schießen war, ihr Ziel zuweilen nicht.“

„Und hast Löwen getötet?“

„Ja.“

„Mit wie vielen Schüssen?“

„Mit einem. Nur ein einziges Mal waren zwei Kugeln nötig.“

„O, Effendi, wie schön du lügst; nein, wie schön du lügst!“

Es fiel mir gar nicht ein, ihm diesen Ausruf übel zu nehmen, denn ich kannte ja die Art und Weise, in welcher die Wüsten- und Steppenbewohner den Löwen zu jagen pflegen. Ist sein Lager aufgespürt, so versammeln sich sämtliche Krieger eines Stammes oder auch mehrerer Stämme und reiten hin. Das Lager wird umstellt und mit Steinen beworfen; dabei brüllt jeder, so sehr und viel er kann, bis der aufgejagte Löwe erscheint. Jetzt krachen, ohne daß man es mit dem Zielen genau nimmt, alle Flinten. Die Kugeln gehen daneben; vielleicht trifft zufällig eine einzige, und das verwundete Tier springt brüllend auf die Menge ein, um einen Reiter oder zwei vom Pferde zu reißen und zu töten. Die andern springen zurück, um zu laden, bleiben dann halten und schießen wieder – mit demselben Erfolge. Der Löwe geht abermals vor und zerfetzt einen dritten. In dieser Weise folgt Salve auf Salve, bis das Tier endlich mit völlig durchlöcherter Haut und nicht tödlich getroffen, sondern vom Blutverluste erschöpft, zusammenbricht, aber auch so und so viele Menschen den unrühmlichen Sieg mit ihrem Leben bezahlt haben. Die andern fallen jubelnd über die Leiche des „Wüstenkönigs“ her, schlagen sie, treten sie mit Füßen, spucken sie an und bewerfen sie mit allen möglichen und unmöglichen Schandwörtern und Schimpfreden. Das geschieht nie in der Nacht, sondern stets am Tage. Daß aber ein einzelner Europäer in dunkler Nacht den Löwen an der Tränke erwartet oder aufsucht, um ihn durch einen Schuß in das Auge oder in das Herz zu erlegen, das ist für diese Leute eine Fabel, eine vollständige Unmöglichkeit; das glauben sie einfach nicht, und so nahm ich es dem Führer auch nicht übel, daß er glaubte, ich wolle ihn mit einer „schönen Lüge“ unterhalten.

„Er hat Löwen getötet!“ fuhr er lachend fort. „Mit einem Schusse! Des Nachts! Und er war ganz allein! O Allah, o Muhammed, welch ein gewaltiger Held doch dieser unser Effendi ist! Ich möchte ihn einmal so als Sijad es Saba 10) sehen!“

„Wünsche dir das nicht,“ warnte ich, doch nicht etwa in beleidigtem Tone. „Dieser dein Wunsch könnte nur dadurch, daß der Löwe käme, in Erfüllung gehen, und ich glaube nicht, daß du dich über dieselbe freuen würdest.“

„Sogar sehr, sehr würde ich mich freuen,“ meinte er, noch immer lachend. „Ich fürchte mich ebensowenig wie du vor ihm. Der Menschenfresser ist ein ungeheuer großes Tier, und wenn ich ihn nahe genug her ankommen lasse, kann ich ihn gar nicht fehlen. Was ein Deutscher vermag, der nicht einmal hier geboren ist, das kann auch ich, der ich ein Sohn dieses Landes bin. Ich biete dir eine Wette an, daß ich, wenn der Löwe kommt, ganz dasselbe thue, was du unternimmst.“

„Gut! Um was wetten wir?“

„Setzest du deine Uhr und dein Fernrohr gegen meine Visionsflinte?“

„Ja.“

„Und du scherzest auch nicht?“

„Nein. Gehst du also die Wette ein?“

„Ja; ich schwöre es bei Allah und dem Barte des Propheten. Willst du etwa zurücktreten?“

„Nein. Du hast bei Allah und dem Barte des Propheten geschworen und kannst also auch nicht zurück. Erst widersprachst du mir aus Unglauben; dann kam dir das Verlangen nach der Uhr und dem Rohre. Du glaubst, dieser beiden Gegenstände sicher zu sein, da du überzeugt bist, daß ich, falls der Löwe ja erscheint, ganz hübsch und vorsichtig am Feuer sitzen werde. Aber du irrst dich.“

Er sah eine Weile vor sich nieder; dann sagte er:

„Ich will dich nicht beleidigen, aber ich glaube es dir nicht.“

„Und ich denke zwar nicht, daß das Tier kommen wird, aber falls es kommt, werde ich dir beweisen, daß du dich irrst. Die Wette gilt?“

„Ja; ich habe ja geschworen.“

„So bitte deinen Propheten, den Löwen fern zu halten. Wenn er dir diesen Wunsch nicht erfüllt, ist es um deine berühmte Visionsflinte geschehen. Jetzt wollen wir über unseren Gefangenen – –“

Ich wurde unterbrochen, denn es erschien am westlichen Rande der Lichtung ein Kamelreiter, welcher bei unserem Anblicke ziemlich betroffen halten blieb und uns betrachtete. Er schien im Zweifel darüber zu sein, ob es besser sei, an uns vorüber zu reiten oder nach dem Brunnen einzubiegen, doch entschloß er sich für das letztere, trieb sein Tier auf uns zu, stieg ab und sagte:

„Ehe ich den Sallam über meine Lippen gehen lasse, sagt mir, wer euer Anführer ist!“

„Ich bin es,“ antwortete ich.

„Das sind Asaker 11); du aber scheinst kein Askari zu sein. Wie soll ich es mir da erklären, daß du dich deren Anführer nennst?“

„Macht die Uniform den Askari?“

„Nein. Ich will dir glauben. Warum habt ihr die Leute, welche hier am Boden liegen, gefesselt?“

„Sie sind Gefangene von uns, Sklavenjäger.“

„Das ist doch kein Verbrechen?“

„Nun, dann Menschenraub!“

„Sklaven, überhaupt Schwarze, sind keine eigentli chen Menschen. Du wirst diese Männer also frei lassen!“

Der Mann war wohl etwas über dreißig Jahre alt, hager und trug einen dunkeln, nicht sehr dichten Vollbart. Sein Gewand war weiß gewesen, jetzt aber nicht mehr von allzu reinlichem Aussehen. Der Ausdruck seines Gesichtes war streng, düster asketisch. Er stand gerade und stolz aufgerichtet vor mir, und seine Augen blickten mich fast drohend an, als ob er und nicht ich es sei, der zu befehlen hatte. Ich ahnte nicht, daß dieser Mann später als Mahdi eine so hervorragende Rolle spielen werde.

„Werde ich?“ fragte ich ihn. „So! Mit welchem Recht und aus welchem Grunde erwartest du denn, daß ich dies thun werde?“

„Weil ich es sage, der Fakir el Fukara.“

„Schön! Und ich bin der Askari el Asaker und thue nur das, was mir beliebt.“

Fakir el Fukara ist Fakir der Fakire, also der beste, der vorzüglichste Fakir; darum nannte ich mich den Soldaten der Soldaten, also den vorzüglichsten Soldaten. Er schien diese Antwort nicht erwartet zu haben, denn er fragte:

„Kennst du mich denn nicht? Hast du noch nichts von dem Fakir el Fukara gehört?“

Indem er dies sagte, sah ich, daß er mit dem alten, „ehrwürdigen“ Fakir, welcher gebunden am Boden lag, einen Blick des Einverständnisses wechselte. Sie kannten sich also, und so antwortete ich:

„Nein; aber meine Gefangenen kennen dich.“

„Woher weißt du das?“

„Du selbst hast es mir gesagt.“

„Ich weiß nichts davon. Wann denn?“

„Eben jetzt. Dein Auge sagte es mir. Du gabst diesem alten Abd Asl ein Versprechen, welches du nicht halten kannst.“

„Ich werde es halten. Frage deine Gefangenen, so werden sie dir sagen, daß ich mächtig bin und sehr wohl weiß, daß ich ein Versprechen, welches ich gegeben habe, auch zu halten weiß.“




8) Wöchentlicher Zerreißer.
9) Einsiedler.
10) Löwenjäger.
11) Asaker ist Plural von Askari = Soldat.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 2. Band