1.Kapitel. Der Mahdi -3-



„Die Möglichkeit ist da, aber ich irre mich wohl nicht. Wie lange reitet man von El Feky Ibrahim bis El Fascher?“


„Ungefähr zwanzig Tage.“

„Kann man das ohne Wasserschlauch thun?“

„Nein.“

„Also will er gar nicht hin, denn er hatte keinen! Ferner: wenn Asl wirklich eine Feindseligkeit gegen uns beabsichtigt und die dazu bestimmten Leute selbst befehligt, wird er wohl glauben, daß ich mich auf meinem Wege eines Führers oder wohl auch mehrerer bediene?“

„Jedenfalls, da du ein Fremder bist.“

„Diese Führer müssen aber auch Leute sein, welche nicht nur mit, sondern auch in der Gegend be kannt sind. Wenn er uns nur Kundschafter entgegenschickte, welche hier ebenso bekannt wären, so würden sie unbedingt von meinen Führern erkannt werden.“

„Das ist richtig.“

„Was folgt daraus? Was für Leute müssen seine Spione sein?“

„Solche, die hier niemand kennt, also Fremde.“

„Ein Fremder kann sich verirren; es kann ihm noch anderes zustoßen. Schickt man einen solchen Mann ohne Wasser eine weite Strecke voran?“

„Nein.“

„Der angebliche Dschelabi war Spion; er hatte kein Wasser und sich folglich nicht weit von seinen Kameraden entfernen können. Dieselben sind in der Nähe. Sie werden in einer Linie, welche die unserige gerade durchschneidet, Posten aufstellen. Und wenn ein solcher Posten uns kommen sieht, wird man schnell die andern zusammenholen und uns auf unserm Wege einen Hinterhalt legen. Zu diesen Posten hat der Dschelabi gehört. Man lauert uns auf; die Linie, welche quer über unsern Weg gebildet worden ist, befindet sich nicht weit von hier; der Dschelabi wird umkehren und dieselbe alarmieren; die Gegner erwarten uns an einem Orte, auf welchen unsere gerade Richtung stoßen muß; reiten wir geradeaus, so werden wir unbedingt auf sie treffen. Da wir wohl die Richtung, aber nicht die genaue Entfernung ihres Hinterhaltes von hier kennen, so müssen wir jeden Augenblick gewärtig sein, von ihnen angegriffen zu werden. Das hätte auf offener Fläche keine Gefahr für uns, denn wir würden die Annäherung der Feinde bemerken. Darum werden sie sich eine Stelle, vielleicht ein Gebüsch, einen Wald, eine Felsengegend suchen, wo wir ihnen, ohne sie vorher zu bemerken, in die Hände laufen. Nun fragt es sich, ob es im Laufe des heutigen Tagesrittes und in unserer Richtung einen solchen Ort giebt. Das mußt du als Führer wissen.“

„Ich kenne die Strecke ganz genau. Jetzt ist es Mittag. Wenn wir sofort aufbrechen, werden wir anderthalb Stunden vor Sonnenuntergang einen Cassiawald erreichen.“

„So gebe ich dir mein Wort, daß die Leute in dem Cassiawalde stecken werden.“

Er blickte mich erstaunt an, schüttelte den Kopf und meinte:

„Das behauptest du so gewiß!“

„Allerdings, und du wirst erfahren, daß ich mich nicht irre. Wir werden erst der Spur des falschen Dschelabi folgen, bis wir die Linie der Kundschafter oder Posten erreichen, und dann – –“

„Wie willst du erkennen, daß wir uns bei derselben befinden?“ unterbrach er mich.

„Das werde ich dir zeigen. Dann aber schlagen wir ganz gegen ihre Erwartung einen Bogen und kommen aus einer ganz anderen Richtung an den Wald, um ihnen, während sie westlich nach uns ausschauen, von Osten her in den Rücken zu fallen. Vorher aber muß ich wenigstens oberflächlich orientiert sein. Wie groß ist dieser Cassiawald?“

„Er ist ebenso breit wie tief. Man hat über eine Stunde zu reiten, um hindurch zu kommen.“

„Sind die Bäume hoch?“

„Mitunter sehr hoch.“

„Giebt es Unterholz?“

„Stellenweise viel. Es liegt ein Brunnen da, welcher viel Wasser spendet und zahlreiche Sträucher und Schlingpflanzen nährt.“

„Kann man mit den Kamelen durch?“

„Ja, wenn man die offenen und lichten Stellen des Waldes aufsucht.“

„So weiß ich einstweilen genug, und wir wollen aufbrechen.“

„Wollen wir nicht erst nach Westen reiten und dem Dschelabi folgen, um zu erfahren, ob er wirklich sich rückwärts wendet?“

„Das ist überflüssig; ich bin überzeugt, daß er es thut, und wir werden bald auf seine Fährte treffen.“

Er war, da er schnell ritt, unsern Augen längst entschwunden. Wir sattelten, stiegen auf und ritten östlich davon, ich mit dem Führer neben mir voran und die Asaker in der bekannten, bei Karawanen gebräuchlichen Einzelreihe hinterdrein. Diese letzteren hatten in unserer Nähe gesessen und alles gehört. Sie waren neugierig, ob meine Voraussetzungen sich bewähren würden, und brannten, falls dies der Fall sein sollte, darauf, ihren guten Flinten Arbeit zu geben.

Wir verließen den Brunnen auf der Fährte, welche der Dschelabi bei seinem Kommen gemacht hatte. Schon nach einer halben Stunde sahen wir eine andere Fährte von rechts herüberkommen und sich mit der ersten vereinigen. Ich stieg ab, um sie zu untersuchen. Der Führer gesellte sich mir aus Wißbegierde zu. Ich hatte sie in gebückter Haltung betrachtet; als ich mich aufrichtete, erklärte ich:

„Es war der Dschelabi, ganz so, wie ich vermutet habe.“

„Wie kannst du das behaupten, Effendi? Es kann doch auch ein anderer sein.“

„Nein, er ist es. Sieh auf der ersten Fährte das Gras! Es sind einzelne Halme ausgerauft. Bei der zweiten Spur kannst du genau dasselbe beobachten.“

„Das ist richtig, aber – –“

„Es giebt kein aber dabei. Das Kamel des Dschelabi hat empfindliche Ballen und ‚rupft‘. Die zweite Fährte zeigt deutlichere und nach hinten ausgeschleuderte Eindrücke. Daraus ist zu schließen, daß er jetzt viel schneller reitet, als er vorher geritten ist; er ist umgekehrt und hat Eile.“

Der Führer schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Wir stiegen wieder auf und ritten weiter, der jetzt doppelten Fährte nach. Als vielleicht eine Stunde vergangen war, kamen wir an eine Stelle, an welcher der Reiter gehalten hatte. Das Gras war in einem beträchtlichen Umkreise niedergetreten und niedergelagert. Geradeaus führte eine alte Spur von drei Kamelen und eine neue von einem Tiere nach Osten; rechts und links wich je eine Einzelfährte nach Süden und Norden ab. Als meine Begleitung die Sache nicht begreifen konnte, erklärte ich:

„Was ihr hier seht, ist der vollste Beweis dafür, daß meine Vermutungen ganz richtig gewesen sind. Da weit vor uns im Cassiawald liegen unsere Gegner, und der Anführer hat eine Postenlinie vorgeschickt. Drei Mann kamen hierher; zwei von ihnen lagerten sich, während einer, nämlich der Dschelabi, welcher am unternehmendsten war, weiterritt. Als er zurückkehrte, teilte er ihnen mit, daß er uns gefunden hatte, und ritt auf der dreifachen Fährte nach dem Walde zurück, um seinem Anführer dieselbe Meldung zu machen. Die beiden andern aber eilten, einer nördlich und der andere südlich davon, um die übrigen Posten nach dem Walde zu beordern. Seht euch diesen Platz mit dem niedergedrückten Grase an! Müssen die Kerle nicht denken, daß wir entweder blind oder Dummköpfe sind? Wenn sich hier ein Posten von drei Männern befand, so steht zu erwarten, daß die andern Posten ebenso stark gewesen sind. Da der eigentliche Kriegerhaufen stets größer ist als die sämtlichen Posten zusammen, so können wir auf die Anzahl der Männer schließen, mit denen wir es zu thun haben werden. Wir haben es mit einem zwar unvorsichtigen, wie die Spur beweist, aber auch sehr zahlreichen Feinde zu thun. Aus diesem Grunde will ich meine eigenen Wünsche zurückhalten und euch um eure Meinung befragen. Wollt ihr den Kampf aufnehmen, oder wollen wir demselben ausweichen, was nun, da die Gegner sich alle an einem Punkte versammelt haben, sehr leicht sein würde?“

„Kämpfen, kämpfen!“ lautete die allgemeine Antwort.

„Gut, so gehen wir links ab, um von Norden her an den Wald zu kommen, während wir von Westen her erwartet werden. Da dies einen Umweg ergiebt, werden wir schneller als bisher reiten müssen.“

Jetzt ging es weiter, und zwar so schnell, wie unsere Kamele laufen konnten; die weniger raschen wurden mit den Stäben angetrieben. Nach einiger Zeit stießen wir abermals auf eine Fährte, dann auf eine zweite, dritte, vierte und fünfte. Die Spuren hatten alle eine mehr oder weniger südöstliche Richtung und liefen auf den Wald zu. Ich konnte, auch ohne abzu steigen, sehen, daß jede derselben aus den Hufeindrücken von drei Kamelen bestand.

„Ob das lauter Vorposten gewesen sind?“ fragte der Führer, welcher wieder an meiner Seite ritt.

„Natürlich!“ antwortete ich. „Du siehst, daß ich recht gehabt habe. Angenommen, daß die Spur des Dschelabi in der Mitte der Kundschafterlinie gelegen hat, so giebt es in Summa elf Fährten, jede von drei Reitern; das ergiebt dreiunddreißig Mann. Wie viele mögen da im Walde geblieben sein? Es ist anzunehmen, daß wir es wenigstens mit der doppelten Anzahl, also mit sechzig Gegnern zu thun haben werden.“

„Dann dürfen wir uns auf einen harten Kampf gefaßt machen.“

„Auf gar keinen; wir werden so klug sein, ihnen gar keine Zeit zur Gegenwehr zu lassen.“

„Du meinst, daß wir sie umzingeln und niederschießen, ehe sie dazu kommen, ihre Waffen zu gebrauchen?“

„Umzingeln werden wir sie wahrscheinlich, töten aber nicht. Ich will kein Blut vergießen. Ueberhaupt dürfen wir sie nicht eher angreifen, als bis wir ihnen beweisen können, daß sie es auf uns abgesehen haben.“

„Wie sollen wir diesen Beweis liefern?“

„Das laß meine Sache sein! Und selbst dann, wenn wir ihnen ihre feindlichen Absichten in das Gesicht sagen können, haben sie dieselben noch nicht ausgeführt, und wir sind nicht berechtigt, einem von ihnen das Leben zu nehmen. Selbst für den Fall, daß wir dieses Recht besäßen, würde ich sie möglichst schonen, um sie dem Reïs Effendina ausliefern zu können.“

„Das ist schade! Wir müssen dir freilich gehorchen, aber wenn ich daran denke, was in unsern Dörfern geschehen ist, so erfaßt mich ein Grimm, welcher von Schonung nichts wissen will.“

„Die Thäter sind bestraft; sie haben ihr Verbrechen mit dem Tode gebüßt, und du mußt bedenken, daß die Leute, welche wir vor uns haben, nicht diejenigen sind, welche eure Frauen und Töchter raubten.“

„Gut, aber ich mache dich darauf aufmerksam, daß du uns durch deinen Entschluß selbst in Gefahr bringst, uns und auch dich. Räumen wir mit unsern Kugeln plötzlich unter ihnen auf, so bleiben wir unverletzt; wie aber willst du dich ihrer lebendig bemächtigen, ohne daß sie sich wehren und verschiedene von uns töten oder doch wenigstens verwunden?“

„Was ich beschließen werde, kann ich jetzt noch nicht wissen; ich muß mich nach den Verhältnissen, welche wir vorfinden, richten. Du weißt, daß ich mich im Wadi el Berd der Sklavenräuber bemächtigt habe, ohne daß einem von uns die Haut geritzt worden ist.“

Er schüttelte bedenklich den Kopf, zog es aber vor, auf weitere Einwendungen, welche doch erfolglos gewesen wären, zu verzichten.

Wir hielten uns zunächst nordöstlich, dann gerade östlich und bogen nach ungefähr zwei Stunden nach Süden um, denn der Führer meinte, daß der Bogen uns nun gerade auf den Wald zuführen werde. Bald erblickten wir am Horizonte einen dunklen Streifen, welcher mehr rechts von uns lag. Wir waren also so schnell geritten, daß wir den Wald beinahe halb umgangen hatten. Dies brachte mich, da wir noch hinreichend Zeit bis zum Untergange der Sonne hatten, auf den Gedanken, nicht von der Seite, sondern vom Rücken her auf die Feinde zu kommen. Aus diesem Grunde hielten wir uns wieder mehr links, und zwar so lange, bis wir den Streifen, welcher den Wald bedeutete, westlich von uns liegen hatten. Und da stießen wir denn auch, wie ich im stillen vermutet hatte, auf einen breiten Streifen, welcher sich von Osten her auf den Wald zu zog. Das Gras war niedergetreten gewesen und hatte sich zwar wieder erhoben, stach aber mit seinen geknickten Spitzen sehr deutlich gegen die andere Fläche der Chala ab. Das war die Gesamtfährte unserer Feinde, welcher ich es ansah, daß die letzteren heute am frühen Morgen hier vorübergekommen sein mußten. Sie hatten sich dann im Walde gelagert und gegen Westen hin ihre Späher ausgesandt.

Wir bogen natürlich in dieselbe Richtung ein und erreichten den Wald an einer so lichten Stelle, daß auch ein größerer Zug als der unserige leicht passieren konnte. Nun galt es, die größte Vorsicht zu entwickeln. Ich stieg ab, um voranzugehen; der Führer, welcher mein Kamel am Halfter nahm, folgte mit den Asakern eine Strecke hinterdrein. Er hatte mir gesagt, daß die Quelle ungefähr in der Mitte des Waldes liege, und ich nahm als ganz selbstverständlich an, daß die von uns Gesuchten sich in der Nähe derselben befanden.

Der Wald bestand da, wo wir ihn durchquerten, aus hohen Cassien und Mimosen. Ich mußte nach einem Verstecke für unsere Kamele suchen und bog also zur Seite ab, wo dichte Büsche unter den Bäumen standen. Das Gesträuch bestand vorzugsweise aus Balsamodendron und stachelstämmigen Bauhinien, welche sich um die Stämme und Aeste der Bäume rankten und dichte Festons von prächtig blühenden Zweigen herniederhängen ließen. Hinter diesen dicht verschlungenen Büschen konnte uns niemand sehen; meine Gefährten stiegen vor denselben ab, um ihre Kamele hineinzuführen und da auf meine Rückkehr zu warten, da ich nun rekognoszieren wollte.

Der treue Ben Nil bot sich mir zur Begleitung an; ich lehnte dieselbe aber ab. Auch der Führer wollte mit, und als ich ihn ebenso abwies, meinte er:

„Du kennst aber den Wald nicht und den Weg zur Quelle, Effendi; ich muß ihn dir zeigen.“

„Habe keine Sorge um mich! Ich weiß schon, was ich thue. Uebrigens irrst du dich, wenn du etwa meinst, daß die Feinde am Wasser lagern.“

„Wo denn sonst?“

„Irgendwo, aber nur nicht dort. Ja, vorher haben sie sich jedenfalls dort befunden; nach Rückkehr der Posten aber sind sie wohl auf den Gedanken gekommen, den Platz frei zu geben.“

„Weshalb denn wohl?“

„Sie nehmen doch sicher an, daß wir den Brunnen aufsuchen. Dort ist die beste Gelegenheit, über uns herzufallen. Griffen sie uns unterwegs an, wo wir noch im Sattel sitzen und eine ziemlich lange Reihe bilden, so würden sie ihren Zweck nur schwer erreichen. Sie werden also warten wollen, bis wir uns gelagert haben, und darum ist ganz bestimmt anzunehmen, daß sie sich nicht mehr beim Wasser, sondern in der Nähe desselben befinden. Wie führt der Weg von hier aus nach dem Wasser? Macht er etwa viele Windungen?“

„Nein, sondern er bildet eine fast ganz gerade Linie.“

„Das ist vorteilhaft für mich. Ich gehe jetzt, und ihr habt nichts zu thun, als euch so still wie möglich zu verhalten.“

„Was thun wir aber, falls du nicht zurückkehrst?“

„Ich komme wieder!“

„Du sprichst sehr zuversichtlich, Effendi. Möge Allah dich geleiten!“

Da ich den hellen Haïk zurückließ, stach mein dunkelgrauer Anzug nicht von dem Grün der üppigen Vegetation ab. Ich hütete mich natürlich, auf der breiten Fährte zu gehen; dort konnte ich, da die Bäume weit auseinander standen, leicht gesehen werden; ich hielt mich vielmehr zur Seite, stets von Büschen gedeckt, der Fährte parallel.

Nach vielleicht einer Viertelstunde war es mir, als ob links vor mir jemand gesprochen hätte; rechts mußte der Brunnen liegen. Ich blieb stehen und horchte. Ja wirklich, das waren Stimmen! Man sprach nicht allzu laut, konnte sich also gar nicht weit von mir befinden. Ich legte mich nieder und kroch auf den Händen und Knieen weiter. Die Stimmen wurden, je weiter ich vorrückte, desto deutlicher, und sonderbarerweise kam mir eine derselben bekannt vor. Noch konnte ich die Worte, welche gesprochen wurden, nicht verstehen, aber dem Schalle nach mußten die Personen, welche redeten, sich hinter einem undurchdringlich scheinenden Sennesgebüsch befinden. Ich kroch hinzu und erkannte auch die andere Stimme; sie gehörte dem angeblichen Dschelabi, und derjenige, mit welchem dieser sprach, war, wenn ich mich nicht täuschte, kein anderer als – Abd Asl, der Vater des Sklavenjägers, der heilige Fakir, welcher mich im unterirdischen Brunnen bei Siut hatte verschmachten lassen wollen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 2. Band