1.Kapitel. Der Mahdi -12-



„Du täuschest dich, aber nicht er sich! Seine Sendung ist ihm von Allah geworden, und er wird dem Befehle, der vom Himmel kam, gehorchen.“


„So will ich dir sagen, was er zu erwarten hat. Er wird sich zunächst gegen den Vicekönig empören. Vielleicht gelingt der Aufstand. Chartum ist weit von Kahira entfernt, und ehe der Khedive Truppen sendet, kann dem Mahdi die an den Nilarmen liegende Gegend zugefallen sein, aber gewiß nur für kurze Zeit; er wird sie bald wieder räumen müssen.“

„Gewiß nicht! Er verachtet den Khedive und wird ihn unterjochen. Dann wird er Mekka nehmen und hernach nach Stambul ziehen, um den Sultan abzusetzen und sich als den wahren Beherrscher der Gläubigen auszurufen.“

„Das wird er bleiben lassen! Du hast ja nicht die mindeste Ahnung von den Verhältnissen, mit denen er zu rechnen hätte und von den Hindernissen, auf welche er stoßen würde. Hier am obern Nile, ja, da könnte er ein wenig Krieg spielen; aber sobald er die Nase über die nubische Grenze steckte, würde man ihn darauf klopfen.“

„Wer?“

„Diejenigen Mächte, welche nicht zugeben können, daß der Vicekönig oder gar der Sultan abgesetzt wird. Es giebt noch ganz andere Kerle, als der Mahdi sein würde, welche es nicht gern sehen, daß der Sultan in Stambul sitzt. Da ist zum Beispiel der Kaiser von Rußland, welcher Stambul gern für sich haben möchte. Er hat gar nicht weit dorthin, denn sein Reich stößt an die Türkei; er besitzt mehrere Millionen Soldaten und nimmt Stambul doch nicht weg, und zwar nicht etwa aus Angst vor den Türken, den Muhammedanern, sondern weil andere, christliche Fürsten es nicht erlauben würden. Und was der große Zar nicht fertig bringt, das soll der Mahdi fertig bringen? Das wäre, wie wenn ein Kind die Hand nach dem Monde ausstreckt; es mag nach ihm verlangen, es mag jammern und schreien, aber es kann ihn eben auf keinen Fall bekommen. Sage also dem Manne, daß es nichts mit diesem Plan ist. Und auch hinter dem Khedive stehen Mächte, welche ihn nicht fallen lassen werden. Ein Mahdi würde höchstens bis Assuan kommen, dort aber auf europäische, also auf christliche Truppen stoßen, an deren Kanonen und Bajonetten seine Macht zerschellen müßte.“

„Wie aber nun, wenn er im Heere des Khedive einen Freund hätte, auf den er sich verlassen kann?“

„Da meinst du jedenfalls einen hohen Offizier, der bereit ist, sich in Kahira zu empören, sobald der Mahdi sich in Chartum erhebt?“

„Ja.“

„Selbst wenn dieser Offizier zunächst Glück hätte, es würde ihn sehr bald verlassen, denn es würden europäische Truppen landen, denen er mit seinen Anhängern nicht gewachsen wäre.“

„Wenn er sie nun aber nicht landen ließe?“

„Was kann er dagegen thun? Sie landen unter dem Schutze ihrer Schiffe.“

„Die zerstört er!“

„Womit? Wie denn? Das sind keine hölzernen Nilbarken, sondern ungeheure Riesenpanzer aus Stahl. Eure Kugeln prallen davon ab; ihre Kanonenkugeln aber, welche fast bis nach Kahira fliegen, säubern in einer Viertelstunde die ganze Gegend. Wollte dein Mahdi den Sudan erobern, um die heidnischen Schwarzen zum Islam zu bekehren, so hätte er es mit Menschen und Verhältnissen zu thun, die er vielleicht kennt, und es wäre am Ende ein Gelingen möglich; aber von anderen Eroberungen mag er die Hände lassen, wenn er nicht tüchtig darauf geklopft sein will. Ein Mahdi, welcher den Erdkreis erobern will, müßte die Summe aller gegenwärtigen europäischen Bildung nicht nur in sich tragen, sondern dieselbe sogar noch überragen. Wo giebt es hier einen solchen Mann?“

„Es giebt einen!“ antwortete er in selbstbewußtem Tone, „welcher zehnmal gescheiter ist, als ihr Euro päer alle miteinander.“

„Hm! Meinst du etwa dich selbst? Fast klingt es so.“

„Wen ich meine, das werde ich natürlich nicht sagen; aber Allah hat ihm den Geist, die Kenntnisse und alle Eigenschaften, welche zu einer so heiligen Sendung gehören, gegeben, und es wird gar bald die Zeit kommen, in welcher die Kunde von ihm in alle Länder erschallt und alle Kaiser, Könige und Fürsten Boten zu ihm senden, um ihm Geschenke zu geben und ihn um Frieden zu bitten. Darauf kannst du dich bei meinen heiligsten Schwüren verlassen!“

„Was das betrifft, so habe ich oft und auch heute wieder erfahren, was die Schwüre eines Moslems gelten. War dies alles, was du mir zu sagen hattest?“

„Ja. Ich wollte die Ansicht eines unterrichteten Christen über die Sendung des Mahdi hören.“

„Du hast sie gehört. Dann habe auch ich dich um etwas zu fragen. Wovon hast du mit dem alten Abd Asl gesprochen?“

„Von einem großen Fehler, den er einmal begangen hat. Er bat mich, denselben gut zu machen.“

„Wirst du das thun?“

„Ja.“

„Es fragt sich aber wohl, ob du das thun kannst.“

„Ich kann es, denn er hat mir die nötigen Anweisungen gegeben.“

„Darf ich davon erfahren?“

„Warum, Effendi? Es war die Beichte eines Sterbenden, und du selbst bist so zartfühlend gewesen, es nicht hören zu wollen. Willst du jetzt auf einmal diese Großmut bereuen?“

„Nein; aber ich befürchte, daß diese Angelegenheit mir nicht gleichgültig sein kann.“

„Sie geht dich ganz und gar nichts an.“

„Es wird nichts gegen mich geplant?“

„Wie kommst du zu dieser Frage? Du hast mir das Leben gerettet, und ich bin dir Dankbarkeit schuldig. Darum würde ich dich sicher warnen, wenn Abd Asl etwas gegen dich vorhätte.“

„Aber er ist dein Freund!“

„Meine Dankbarkeit gegen dich steht mir höher als diese Freundschaft. Ich bitte dich, mir zu vertrauen!“

„Ich traue nur dem, den ich vollständig kenne; dich aber habe ich heute zum erstenmal gesehen.“

„So thut es mir leid, daß du jetzt nicht Zeit finden wirst, mich besser kennen zu lernen. Ich habe ausgeruht und werde jetzt meine Reise nach Chartum fortsetzen. Ich bitte dich, mir eins der Kamele auszuwählen.“

„Das werde ich thun, doch erst beim Anbruch des Tages.“

„Jetzt nicht? Du hast es mir ja doch versprochen!“

„Allerdings, und ich werde mein Versprechen auch halten.“

„So kann es dir gleich sein, ob du mir das Kamel jetzt oder später giebst.“

„Dir ebenso.“

„Nein, denn ich muß jetzt fort.“

„Und ich bin überzeugt, daß du erst am Morgen abreisen wirst.“

„Ich sage dir aber, daß – –“

„Und ich sage dir,“ unterbrach ich ihn in scharfem Tone, „daß mir das, was du sagst, sehr gleichgültig ist. Ich weiß ganz bestimmt, daß du hier bleibst, bis wir auch aufbrechen.“

„Effendi, was fällt dir ein! Ich weiß, was ich will. Oder sollte ich etwa nicht mehr Herr meines Willens sein?“

Ich war aufgestanden; auch er sprang auf und stellte sich mir drohend gegenüber.

„Ich lasse dich nicht fort.“

„Mit welchem Rechte?“

„Mit dem Rechte des Stärkern. Ich bin Gebieter an diesem Brunnen, und zu allem, was hier geschehen soll, habe ich meine Erlaubnis zu geben.“

Er hatte seine Flinte in der Hand. Ich hielt mich auf alles gefaßt, am meisten darauf, daß er plötzlich davoneilen werde. Da ich mein Gewehr an meinem Platze zurückgelassen hatte, konnte er der Ansicht sein, daß ihm die Flucht, ohne daß ihm eine Kugel folgte, gelingen werde.

„Du hast mir ein Kamel versprochen, damit ich weiterreiten kann,“ sagte er in sehr bestimmtem Tone. „Ich verlasse mich auf dein Wort.“

„Du wirst es bekommen und kannst weiterreiten, doch wann, davon ist nicht die Rede gewesen. Du wirst in der Frühe mit uns aufbrechen.“

„Ich habe es aber so eilig, daß ich nicht auf euch warten kann!“

„Warum hast du das früher nicht gesagt? Da schienst du es nicht so eilig zu haben. Uebrigens werden wir sehr schnell reiten, und du versäumst also nichts, wenn du bis zu unserm Aufbruche wartest.“

„Effendi, ich brauche keine Reisegesellschaft und keine Beschützer, denn ich reise allein viel sicherer, als in Begleitung eines Christen, dessen Gegenwart mich nur in Gefahr bringen kann.“

„Es sind Asaker dabei; das ist etwas ganz anderes. Ich muß wirklich darauf dringen, daß du wartest, bis wir mitreiten.“

„Mit welchem Recht behandelst du mich als deinen Gefangenen?“ fuhr er auf.

„Mit dem Rechte, welches ein jeder besitzt, der auf seine Sicherheit, auf sein Leben bedacht sein muß.“

„Bedrohe ich etwa, indem ich fortgehe, deine Sicherheit oder gar dein Leben?“

„Ja.“

„Allah ’l Allah! Mir das! Mir, dem Mahdi, vor welchem Millionen im Staube liegen werden!“

„Ah, jetzt bekennst du Farbe! Du also bist der Auserwählte, zu welchem Allah gesprochen hat! Du willst den Khedive und den Sultan absetzen? Du willst die Erde erobern und die Christen vernichten? Du willst die unvollendete Sendung des Propheten vollenden und das Schwert des Islam von einem Ende der Welt zum andern tragen?“

Bei jeder dieser Fragen ließ ich den Blick von oben herab und dann wieder von unten herauf über seine Gestalt schweifen, betonte das Wort Du sehr kräftig und fügte dann hinzu:

„Aufrichtig gestanden, du hast mir gar nicht das Aussehen eines Mannes, der auch nur zehn Asaker zu kommandieren vermag, und du willst die Gläubigen, ja sogar den ganzen Erdkreis beherrschen?!“

„Spotte nicht, denn es würde dir schlecht bekommen. Ich bin vom Geiste erleuchtet und weiß alle Dinge. Ich weiß, was geschehen ist und was geschehen wird und sehe die Scharen aller Sterblichen schon im voraus um mich versammelt.“

„So, du weißt also alles, was geschehen ist und kannst auch in die Zukunft blicken? Da hast du ja ganz dieselben scharfen Augen wie ich! Wir wissen also beide, daß du nicht nach Chartum, sondern zur Dschesireh Hassanieh willst, um Ibn Asl aufzusu chen. Weißt du denn auch, daß ich eher dort sein werde als du? Deine Dankbarkeit gegen mich ist wirklich groß, so groß, daß ich dich aus lauter Liebe gar nicht von mir lassen werde. Du wirst bei uns bleiben und – –“

Ich kam nicht weiter, denn er drehte sich plötzlich um und sprang davon, dem Rande der Lichtung zu. Ich war schnell hinter ihm her, ereilte ihn und faßte ihn am linken Arme. Er hatte die Flinte in der rechten Hand und holte aus, um mir den Kolben vor die Brust zu stoßen. Da riß ich ihn zur Erde nieder und kniete auf ihm, um ihn festzuhalten. Der Mann schäumte förmlich vor Wut und erging sich in Schimpfreden, welche eines zukünftigen Mahdi allerdings nicht würdig waren. Ich hatte überhaupt seine ganze Rede von der „Sendung“ nicht für wirklichen Ernst genommen.

Die Asaker waren nicht wenig darüber erstaunt, daß ich so plötzlich den Fakir el Fukara als Feind behandelte; als ich sie aber über seine Absicht, uns an Ibn Asl zu verraten, aufklärte, hätten sie ihn, den Undankbaren, am liebsten umbringen mögen.

Unser Reiseziel mußte durch das, was ich erfahren hatte, ein ganz anderes werden. Es galt jetzt, dem Reïs Effendina beizustehen; er mußte, falls es noch Zeit dazu war, gewarnt, und wenn es zu spät war, aus den Händen Ibn Asls gerettet werden. Eile that not, und da der Transport der Gefangenen nicht so schnell vor sich gehen konnte, beschloß ich, voran zu reiten und zwar sofort, ohne vorher geschlafen zu haben.

Es war nicht geraten, ganz allein zu sein; aber wen sollte ich mitnehmen? Einen Askari? Nein. Ich ging Verhältnissen entgegen, welche sehr wahrscheinlich keine gewöhnlichen waren. Es war List, wohl auch Entschlossenheit und Mut erforderlich, und so bedurfte ich eines Begleiters, auf den ich mich in dieser Beziehung verlassen konnte. Zwar hätte ich gern Ben Nil das Kommando über die Asaker gegeben; ihm traute ich es zu, den Zug glücklich ans Ziel zu bringen, aber mir war er noch notwendiger. Besser, die Gefangenen entkamen, als daß dem Reïs Effendina ein Unglück geschah. Darum forderte ich Ben Nil auf, mit mir zu reiten, und übergab dem ältesten der Asaker den Befehl über dieselben. Er hatte einen erfahrenen Gehilfen an dem Fessarah-Führer, welcher die Karawane nach dem Dorfe Hegasi, welches in der Nähe der Insel Hassanieh liegt, bringen sollte. Dort wollte ich sie erwarten. Ich gab ihm seine berühmte Visionsflinte zurück, worüber er in außerordentliche Freude geriet.

„Effendi,“ jubelte er, „deine Seele quillt vor Gnade über und deine Barmherzigkeit erquickt mein Herz. Verlaß dich auf mich, und habe keine Sorge; ich werde die Asaker samt den Gefangenen glücklich nach Hegasi führen. Reite also getrost, und Allah segne deine Pfade und beschütze dich!“ – – –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 2. Band