1.Kapitel. Der Mahdi -1-



Kordofan, dieses ganz eigenartige Land, ist von jeher das Durchzugsgebiet vieler wandernder Stämme gewesen, und darum war die Bevölkerung desselben schon vor der Eroberung durch Mehemed Ali eine außerordentlich gemischte. Dann brachten die Fellahta und die Baschibozuks des Vicekönigs das Blut aller kleinasiatischen Rassen unter das Volk. Griechen, Levantiner, Armenier, Arnauten haben sich mit den schwarzen Stämmen des Südens vermischt und zwischen den Abkömmlingen derselben wohnen wieder die reinblütigen Enkel ganzer Nomadenstämme, welche aus dem Hedschas herüberwanderten.


Kordofan gehört zu den Sudanländern. Da das Wort Sudan, allerdings schon im Mittelalter gebräuchlich, ein jetzt so viel gehörtes ist, so dürfte eine kurze Bemerkung über dasselbe am Platze sein. Beled es Sudan, das ist der vollständige Name. „Beled“ heißt Land, und „es“ ist der Artikel. Sudan ist der gebrochene Artikel von „aswad“ – schwarz (Plural „sud“). Beled es Sudan heißt also das Land der Schwarzen. Der Ton wird nicht, wie man oft hört, auf die erste, sondern auf die zweite Silbe gelegt; man sagt also nicht Suhdan, sondern Sudahn.

Kordofan, ausgesprochen Kordofahn, bildet in seinem nördlichen und westlichen Teile eine ungeheure Savanne, welche in der trockenen Jahreszeit einer dürren Wüste gleicht, sich aber während der Regenzeit mit einer üppigen Vegetation bedeckt. Die weiten, grasigen Strecken werden von Mimosenwäldern unterbrochen. In dieser Savanne giebt es ungefähr neunhundert Brunnen mit Dörfern in der Nähe. Dort weiden während der Regenzeit die vielen wandernden Stämme ihre Herden, um bei Beginn der trockenen Jahreszeit wieder fortzuziehen. Man trifft da Giraffen, Strauße, überhaupt Vögel der verschiedensten Arten, und ungeheure Antilopenherden.

Der südliche Teil des Landes hat mehr thonigen Boden, welcher das Wasser hält, daraus folgt eine wahrhaft bewundernswerte Fülle und Großartigkeit des Pflanzenwuchses. Kolossale Strecken sind mit Palmen, Cassien, Adansonien und Tamarinden bedeckt. Die Tiere vieler Ordnungen und Arten, welche diese Wälder bewohnen, werden von den Leoparden und dem Panther gejagt, und nur zu häufig hört man auch die Stimme des Löwen, des „alles Beherrschenden“, erschallen.

Das Wadi Melk wird schon mit zu Kordofan gerechnet, und da wir uns zwischen diesem und Es Safih befanden, so hatten wir Nubien hinter uns gelegt. Wie man sich erinnern wird, hatte ich die von dem Sklavenjäger Ibn Asl geraubten Beduininnen diesem abgenommen und in ihre Heimat nach dem Bir es Serir zurückgebracht; zwanzig Asaker 1) begleiteten mich. Wir waren von den Angehörigen der Frauen und Mädchen mit Jubel aufgenommen und, wenigstens nach ihren Verhältnissen, reich bewirtet und beschenkt worden. Nach unserm Aufbruche hatten sie uns das Geleite bis zum Ende der zweiten Tagereise gegeben, und nun wollten wir auf dem kürzesten Wege nach Chartum, wo ich meine Asaker ihrem Kommandanten, dem Reïs Effendina Achmed Abd el Insaf zu übergeben hatte.

Es war noch nicht allzuspät nach der Regenzeit, darum stand die Savanne noch in saftigem Grün. Hätte ich nicht auf einem Hedschihn 2), sondern auf einem Pferde gesessen, so wäre es leicht gewesen, zu denken, daß der Ritt durch eine amerikanische Prairie gehe. Wenn in der trockenen Jahreszeit das Gras verdorrt ist, so hat man den Weg möglichst so zu legen, daß man Brunnen berührt; jetzt aber war das nicht nötig. Das Wandern von einem Brunnen zum andern kostet viele Zeit; gegenwärtig brauchten wir indessen bei der saftigen Grasweide für unsere Tiere kein Wasser, und für uns waren die Schläuche gefüllt; darum konnten wir eine schnurgerade Richtung einhalten, bis das Wasser zur Neige ging und wir dadurch gezwun gen waren, wieder einen Brunnen aufzusuchen. Auf diese Weise gelangten wir einen vollen Tag eher, als wenn wir uns auf die erwähnten Umwege eingelassen hätten, an den Bir atschahn. Dieser Name bedeutet der „durstige Brunnen“, da der letztere während der heißen Jahreszeit kein Wasser enthält. Jetzt aber hatte er mehr als nötig war, um unsere Schläuche von neuem zu füllen. Er lag inmitten der ebenen Savanne, ohne von einem Felsen, einem Baume oder Strauche bezeichnet zu werden. Ich hätte ihn gewiß nicht gefunden, wenn uns nicht von unsern Gastfreunden ein kundiger Führer mitgegeben worden wäre, welcher uns nach Chartum bringen sollte und die Gegend ebenso genau wie die schlechten Eigenschaften seiner langen arabischen Flinte kannte.

Diese Flinte war sein Herzeleid, und doch schien er sie über alle Maßen zu lieben. Er hatte sie stets in der Hand und sprach gern von ihr. Auch jetzt, als er neben mir am Rande des Brunnens saß, hielt er sie liebevoll umfangen, ließ seinen Blick freundlich über sie gleiten und sagte:

„Hast du schon einmal so eine Arbeit gesehen, Effendi? Ist das nicht bewundernswert?“

Der Kolben des Gewehres war nämlich mit Elfenbein ausgelegt, doch bildete die Zeichnung eine Figur, welche mir ganz unverständlich war. Darum antwortete ich:

„Aeußerst geschmackvoll, ja geradezu prächtig! Aber was soll es denn vorstellen?“

„Was es vorstellen soll? Welch eine Frage! Siehst du denn das nicht?“

Er hielt mir den Kolben vor die Nase und forderte mich auf: „Da, sieh genauer hin! Nun, was ist’s?“

Ich gab mir alle Mühe, das Ding zu enträtseln, doch vergeblich. Das war keine Schrift, kein Bild, kein „gar nichts“!

„Du bist blind,“ meinte er; „möge Allah dein Auge erleuchten! Aber da du ein Christ bist, so ist es gar nicht zu verwundern, daß du die Figur nicht erkennst. Ein gläubiger Moslem sieht beim ersten Blicke, was sie zu bedeuten hat. Erkennst du nicht, daß es ein Kopf ist?“

Ein Kopf! Keine Spur davon! Man hätte es höchstens für den unförmlichen Kopf eines Hippopotamus halten können. Ich schüttelte also den meinigen.

„Nicht? Allah, Wallah, Tallah! Es ist sogar der Kopf des Propheten, der in allen Himmeln Allahs sitzt.“

„Unmöglich! Man sieht ja gar nichts von einem Kopfe! Wo ist denn die Nase?“

„Die fehlt, Effendi. Der Prophet braucht keine Nase. Er ist jetzt der reinste der Geister und besteht selbst aus zehntausend Wohlgerüchen.“

„Wo ist der Mund?“

„Der fehlt, denn der Prophet bedarf keines Mundes mehr, da er durch den Kuran zu uns redet.“

„Auch sehe ich keine Augen.“

„Wozu Augen, da der Prophet nichts zu sehen braucht, weil vor Allah alles offenbar ist?“

„Die Ohren suche ich auch vergeblich!“

„Du kannst sie nicht finden, weil sie nicht da sind. Der Prophet braucht unsere Gebete nicht zu hören, da er uns die Worte derselben genau vorgeschrieben hat.“

„Wo ist der Bart?“

„Der ist nicht zu sehen. Wie durfte man ihn durch Elfenbein entheiligen, da der Schwur beim Barte des Propheten der höchste und allerheiligste ist!“

„Folglich ist von dem Kopfe nur die Stirn zu sehen?“

„Auch nicht. Da sie der Sitz des Geistes ist, kann man sie gar nicht abbilden.“

„So ist von dem Kopfe also gar nichts da?“

„Gar nichts,“ nickte er. „Aber ich erkenne jeden Zug des Gesichtes!“

„Ohne den Kopf überhaupt sehen zu können? Das begreife, wer es kann!“

„Ja, ein Christ wird es freilich nicht begreifen. Ihr seid alle mit unheilbarer Blindheit geschlagen!“

„Du auch, doch ist deine Blindheit hellsehender als das gesündeste Auge. Du siehst einen Kopf, zu dem nichts als alles fehlt. Uebrigens ist es doch bei euch verboten, einen Menschen abzubilden. Wie viel strafwürdiger muß da das Porträtieren des Propheten sein!“

„Der Künstler, welcher dieses Gemälde fertigte, hat dieses Verbot nicht gekannt.“

„Und muß doch den Propheten gesehen haben.“

„Im Geiste! Das Gewehr ist uralt, wie du wohl siehst. Der Mann, welcher es fertigte, hat jedenfalls weit vor dem Propheten gelebt.“

„Das ist unmöglich, denn da gab es noch kein Pulver.“

„Effendi, beraube mich doch nicht des Glückes, ein so kostbares Gewehr zu besitzen! Wozu Pulver? Wenn Allah will, schießt man auch ohne Pulver aus der Flinte.“

„Ich gebe zu, daß Allah Wunder thut. Hier giebt es deren gleich zwei: erstens ein Schießgewehr aus einer Zeit, in welcher es noch kein Pulver gab, und zweitens das Bild des Propheten aus einer Zeit, in welcher er noch gar nicht lebte.“

„Ich sagte dir bereits, daß der Künstler ihn im Geiste gesehen hat. Es war eine Vision, und darum ist dieses Gewehr eine Visionsflinte.“

„Ah, Visionsflinte; das ist gut, das ist einzig!“

„Ja, einzig ist sie! Da hast du recht, vollständig recht, und es freut mich, daß du endlich zur Einsicht gekommen bist. Es ist die einzige Visionsflinte, welche es giebt, und darum halte ich sie heilig und bin sehr stolz auf sie.“

„Wie bist du denn zu ihr gekommen?“

„Durch Erbschaft. Der Künstler hat sie auf Kind und Kindeskind vererbt. Du mußt wissen, daß ich sein Nachkomme bin und sie einst meinem ältesten Sohne vererben werde. Ja, sieh mich nur verwundert an! Ich bin in Wirklichkeit der Urenkelssohn des Urenkels eines Mannes, dem Allah die Gnade erteilte, den Propheten zu schauen, noch ehe derselbe geboren war.“

„So bist du der berühmteste Mann deines Stammes, und ich freue mich nicht bloß, sondern es ist mir auch eine unschätzbare Ehre, dich kennen gelernt zu haben.“

„Ja,“ meinte er in vollstem Ernste, „es ist für jedermann eine Ehre, einen solchen Urenkel des Urenkels zu schauen. Ich bin gekannt, bis tief in den Sudan hinein, so weit es wahre Gläubige giebt, und mein Gewehr hat einen Ruf, welcher selbst in den Ländern der Heiden erschallt.“

„So schießt es wohl auch gut?“

„Leider nein. Es war Allahs Wille, daß, um die Vorzüge des Himmels zu erhöhen, auf dieser Erde nichts ganz vollkommen sein solle. Das ist auch in Beziehung auf meine Visionsflinte der Fall, wie ich leider der Wahrheit gemäß bekennen muß. Sie hat einige Eigenschaften, welche mein Herz mit Wehmut erfüllen.“

„Ich kenne alle Arten der Gewehre und bin in der Behandlung derselben wohl erfahren. Wenn du mir die Fehler nennst, kann ich dir vielleicht einen Rat erteilen.“

„Es sind ihrer mehrere. Zunächst hat das Gewehr die Eigenschaft eines wilden Ziegenbockes; es stößt entsetzlich. Es hat mir schon manche kräftige Maulschelle gegeben.“

„Das ist freilich nicht hübsch. Du mußt es beim Schießen so anlegen, daß es dich nicht beohrfeigen kann.“

„So stößt es mich wo anders hin, und das ist ganz dasselbe. Ferner schlingert es gewaltig.“

„Schlingern? Was verstehst du unter diesem Ausdrucke?“

„Damit meine ich, daß sich die Kugel nicht in gerader Richtung, sondern in Schlangenwindungen fortbewegt.“

„Unmöglich!“

„Effendi, zweifle nicht! Bei einer Visionsflinte ist alles möglich. Ich habe es genau beobachtet. Ich darf nie auf das Ziel halten, sondern je nach der Entfernung mehr nach rechts oder links oder höher oder tiefer.“

„Die Flinte ‚schraubt‘ also, und es giebt, meines Wissens, kein anderes Mittel dagegen, als daß du einen neuen, bessern Lauf machen lässest.“

„Wie kannst du mir das zumuten! Dadurch würde das kostbare Gewehr vollständig verschimpfiert. Allah bewahre mich vor einer solchen Missethat! Die Flinte muß bleiben, wie sie ist.“

„So ist es überflüssig, mir ihre andern Eigenschaften auch noch aufzuzählen. Meiner Ansicht nach ist dasjenige Gewehr das beste, welches seinen Zweck am vollständigsten erfüllt.“

„Das thut es ja! Mein Visionsgewehr beweist, daß mein Urahne den Propheten gesehen hat, und das ist vollständig genug.“

„Wie es schießt, ist also Nebensache?“

„Ja.“

„Der Zweck des Schießens ist aber doch das Treffen!“

„Du bist kein Moslem und kannst dich also nicht mit der nötigen Ehrfurcht in diese Flinte hineindenken.“

„Nein, das kann ich nicht. Aber falls du in meiner Gegenwart einmal schießen solltest, so bitte ich dich, mein Leben zu schonen. Thue mir dann den Gefallen, auf mich zu zielen, da du mich dann sicherlich nicht treffen wirst!“

„Spottest du etwa, Effendi! Ich sage dir, daß –“

Er unterbrach sich, sprang auf und blickte, indem er mit der Hand die Augen beschattete, gegen Osten.

„Was ist’s?“ fragte ich ihn. „Siehst du etwas?“

„Ja, ich bemerke einen Punkt über dem Grase, welcher vorher nicht vorhanden war. Es muß ein Reiter sein.“

Nun stand ich auf, öffnete mein Fernrohr und gewahrte, durch dasselbe sehend, einen Mann, welcher auf einem Kamele saß und gerade auf den Brunnen zu geritten kam. Als er sich uns so weit genähert hatte, daß er uns sah, hielt er an, um uns zu betrachten; dann kam er herbei, blieb auf dem Kamele vor mir halten und grüßte:

„Sallam aaleïkum! Wirst du mir erlauben, Herr, mein Kamel aus diesem Bir atschahn zu tränken und auch meinen eigenen Durst zu stillen?“

„Aaleïkum sallam! Der Brunnen ist für jedermann da, und ich kann dich nicht hindern, zu thun, was dir beliebt.“

Ich gab, ohne ihn willkommen zu heißen, diese kühle Antwort, weil er keinen sympathischen Eindruck auf mich machte. Er war wie ein gewöhnlicher Beduine gekleidet und mit Flinte, Messer und Pistole bewaffnet. Sein Gesicht hatte keineswegs abstoßende Züge, aber der scharfe, forschende, ja stechende Blick, mit dem er uns musterte, gefiel mir nicht. Auch mußte es mir, der ich gewohnt war, auf alles, selbst auf die geringste Kleinigkeit zu achten, auffallen, daß er sich mit seiner Frage an mich wendete. Die Asaker trugen die Uniform des Vicekönigs; ich aber war, wie auch der Führer, in Civil gekleidet. Es wäre also den Umständen nach für ihn geboten gewesen, sich an die Soldaten zu wenden. Dieser Umstand und sein suchender Blick erfüllten mich mit einem leisen Mißtrauen, welches auch späterhin nicht weichen wollte, sondern sich vielmehr vergrößerte.

Er stieg ab und führte sein Kamel zur Seite, damit es grasen möge, nachdem er ihm den Sattel abgenommen hatte. Dann schöpfte er sich Wasser, trank, setzte sich mir gegenüber und zog einen Tschibuk und einen Tabaksbeutel unter dem Haïk hervor. Nachdem er den ersteren gestopft und den Tabak angezündet hatte, reichte er mir den letzteren zu und sagte:

„Nimm, Herr, und stopfe dir auch! Es ist die Pfeife des Grußes, welche ich dir biete.“

„Deine Güte sei bedankt, ohne daß ich ihr entspreche,“ antwortete ich ablehnend.

„So rauchst du nicht? Gehörst du zu einer der strenggläubigen Sekten, deren Anhängern der Tabak verboten ist?“

Sein Ton war derjenige eines Mannes, welcher zwar fragt, aber schon im voraus weiß, welche Antwort man ihm geben wird. Das fiel mir auf, und darum meinte ich fast noch zurückhaltender als vor her:

„Ich rauche auch; aber nicht an dir, sondern an mir war es, den Gruß zu bieten. Der vorher Anwesende hat den später Kommenden zu empfangen; das ist überall die Regel, und hier in der Chala 3) wohl erst recht.“




1) Aegyptische Soldaten.
2) Reitkamel.
3) Gelände, grünende Steppe.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 2. Band