1. Kapitel. Ein Chajjal -6-



„Was weißt du von meinem Wandel und von meinen Handlungen! Hast du nicht gesehen, daß da draußen alle ihre Häupter vor mir erniedrigten? Nieder also auch mit dir! Du hast mich geschlagen, und ich werde dir sagen, durch welche Bußen du Vergebung erlangen kannst!“


„Ich kniee vor keinem Menschen; ich bin kein Moslem, sondern ein Christ.“

Da war es, als ob er noch einmal so hoch und breit werden wolle.

„Ein Christ, ein Giaur, ein räudiger Hund?“ brüllte er mich an. „Und doch hast du dich unterstanden, den Scherif Abd el Barak zu berühren! Dir wäre besser, deine Mutter hätte dich bei der Geburt erstickt, denn ich werde dich in Ketten schlagen und – – –“

„Still, prahle nicht!“ unterbrach ich ihn. „Jede Drohung aus deinem Munde ist mir lächerlich. Bilde dir nichts ein! Du bist nicht mehr, als ich auch bin, und hast nicht die geringste Macht über mich. Mein Konsul ist’s, der mich zu richten hat, wenn ich mich eines Vergehens schuldig gemacht habe, was aber gar nicht der Fall ist. Mein Konsul fragt nicht danach, ob du ein Scherif, ein Hadschi oder ein Mokkadem bist. Vor seinem Gesetze stehst du nicht höher als jeder Lastträger oder Pfeifenputzer!“

„Hund! Sohn eines Hundes und Enkel eines Hundesohnes! Das wagst du mir zu sagen!“

Da trat ich hart an ihn heran, so daß nur einige Zoll Raum zwischen uns verblieb, und warnte:

„Laß diese Beleidigungen! Wiederholst du noch einmal dieses Wort, so schlage ich dich nieder und mache es dann vor Gericht anhängig, daß du Sklaven kaufst, um sie als Kellner zu verleihen oder als Verkäuferinnen an die Straßenecken zu stellen. Dann wird man erfahren, ob der Wandel eines Mannes, welcher arme Kinder peitscht und hungern läßt und krumm bindet, wenn sie ihm nicht genug Geld bringen, Allah wohlgefällig sein kann!“

Diese Worte schüchterten ihn ein; er fuhr zurück und fragte:

„Wer, wer hat dir das gesagt, wer hat es verraten? Dieser Knabe, dieser Schakal war’s; kein anderer kann es gewesen sein. Wehe ihm, wenn er heute abend nach Hause kommt!“

„Du wirst ihm nichts thun; dafür werde ich sorgen!“

„Du willst dafür sorgen? Willst du mir Gesetze vorschreiben, du, ein Christenhund, den Allah verderben wird in – – –“

Er kam nicht weiter; er hatte das beleidigende Wort wiederholt, und ich war es mir und allen Christen schuldig, ihm zu geben, was ich ihm für diesen Fall angedroht hatte. Ich holte aus und schlug ihm die Faust gegen den Kopf, daß er hintenüber zu Boden stürzte und da liegen blieb. Der Wirt hatte an der Thüre gestanden und den letzten Teil unseres Streites angehört; er kam im höchsten Schreck herbei und rief, die Hände zusammenschlagend:

„O Allah, Allah, Allah! Du hast ihn ermordet!“

„Nein; er ist nur betäubt und wird bald erwachen. Schaff’ ihn an einen Ort, wo es keine Zeugen seiner Demütigung giebt!“

„Ich werde es thun; aber fliehe, fliehe augenblicklich, Herr, sonst wirst du unter den Füßen der erzürnten Gläubigen zertreten!“

„Ich fürchte mich nicht; aber wenn bekannt wird, was geschehen ist, wird der gute Ruf deines Hauses verloren sein. Darum will ich mich aus Rücksicht für dich entfernen.“

„Ja, thue es, schnell, schnell! Gehe nicht zurück, wo dich die Gäste sehen, sondern hier über den Hof und durch die kleine Pforte; da kommst du in den Garten eines eingefallenen Hauses und über die Trümmer desselben in eine andere Gasse. Aber beeile dich, beeile dich!“

Er faßte den Besinnungslosen unter den Armen und schleppte ihn fort, ohne weiter auf mich zu achten. Ich nahm den Knaben an die rechte, das Mädchen an die linke Hand und sagte:

„Kommt, geht mit mir! Euer Gebieter soll euch nicht mehr peinigen.“

Da riß sich der Knabe los, eilte in die Ecke zu einem Erd- und Scherbenhaufen, wühlte in demselben, nahm sein dort verstecktes Geld zu sich und war nun bereit, mit mir zu gehen. Ich schlug den mir vom Wirte gezeigten Weg ein. Lieber wäre ich zu meinem türkischen Gastfreunde zurückgekehrt, aber es war auf jeden Fall besser, es nicht zu thun. Was wäre aus mir geworden, wenn dieses Ereignis vor zwanzig, ja noch vor zehn Jahren stattgefunden hätte! Der Wirt hätte alle Gäste herbeigerufen und ich wäre an Ort und Stelle gelyncht worden. Jetzt aber war er schon so einsichtsvoll, zu erkennen, daß es auch in seinem eigenen Interesse liege, eine solche Scene zu vermeiden.

Was nun geschehen sollte, das fragte ich mich nicht; ich hatte gehandelt, wie der Augenblick es er forderte, und wie ich es für richtig und meiner würdig hielt; die Folgen mußte ich natürlich auf mich nehmen, doch war mir vor ihnen nicht allzu bange.

Ich kam in den bezeichneten Garten und sah die Schutthaufen und Mauerreste des eingestürzten Hauses vor mir. Nachdem wir über dieselben weggeklettert waren, lag eine schmale, wenig belebte Gasse vor uns; sie lief parallel mit derjenigen, zu welcher das Bierhaus gehörte, und es war also nicht schwer, die Wohnung meines Türken zu finden. An der Thüre derselben angelangt, klopfte ich. Der Haushofmeister öffnete. Ich sah es ihm an, daß er erstaunt war, mich nicht mit seinem Herrn, sondern in Begleitung der Negerkinder zurückkehren zu sehen, machte aber seiner Neugierde ein schnelles Ende, indem ich fragte:

„Selim, kennst du das Bierhaus, in welchem Murad Nassyr zu trinken pflegt?“

„Sehr genau, Effendi,“ antwortete er.

„Er sitzt wahrscheinlich noch dort und weiß nicht, wo ich mich befinde. Suche ihn schnell auf und sag’ ihm, daß ich hier bin. Aber thue das so, daß niemand es bemerkt. Am besten ist’s, du bleibst von fern und winkst ihn heimlich fort.“

„Richtig, sehr richtig!“ antwortete er, indem er mir eine so halsbrecherische Verbeugung machte, wie man sie eigentlich nur einem Kautschukmanne zumuten darf. Dann begab ich mich in die mir angewiese nen Zimmer, Djangeh und ihren Bruder mit mir nehmend.

Die Kinder waren mir schweigend gefolgt; jetzt aber wurden sie sprachselig und legten mir hundert und mehr Fragen vor. Es war mir nicht möglich, ihnen dieselben nach Wunsch zu beantworten; aber ich erkannte aus diesen Erkundigungen, welch ein gutes Herz und welch ein gesundes Begriffsvermögen die kleinen Schwarzen besaßen. Es war nicht viel über eine halbe Stunde vergangen, so ging die Thüre auf und Murad Nassyr trat herein. Als er die unerwartete Einquartierung erblickte, fragte er verwundert:

„Was hat das zu bedeuten? Diese Neger befinden sich hier? Sie sind mit Ihnen gekommen? Warum sind Sie ohne mich heimgegangen? Sie liefen so plötzlich davon, zur Thüre hinaus, und sind nicht wieder zurückgekehrt. Warum das?“

„So wissen Sie nicht, was hinter jener Thüre geschehen ist?“

„Nichts, gar nichts weiß ich. Man hörte da draußen Stimmen sprechen, wohl etwas lauter als gewöhnlich. Ich wollte Ihnen nach; aber da der Wirt dann unter der Thüre stand, so glaubte ich, er werde dafür sorgen, daß Ihnen nichts geschehe. Ich wartete also, bis jetzt Selim kam und mich von weitem zu sich winkte. Nun aber werde ich wohl erfahren, was sich zugetragen hat?“

„Das werden Sie. Setzen Sie sich zu mir, und hören Sie mir ruhig zu.“

Ich erzählte ihm den Vorgang mit der Ausführlichkeit, die ich für nötig hielt. Er war so entsetzt darüber, daß er in eine vollständige Lautlosigkeit verfiel und meinen Bericht zu Ende hörte, ohne ein Wort zu sagen. Aber als ich fertig war, brach er in desto wortreichere Klagen aus. Da er sich dabei der türkischen Sprache bediente, verstanden die Kinder glücklicherweise nicht, was er sagte. Ich hörte ihn ruhig an, ließ den ganzen angstvollen Wortschwall über mich ergehen und fragte ihn am Schlusse desselben:

„Aber fürchten Sie sich denn gar so gewaltig vor diesem Abd el Barak? Nach meiner Ansicht vermag er Ihnen nicht den mindesten Schaden zu thun.“

„Nicht?“ antwortete er erstaunt. „Der Vorsteher einer solchen Verbrüderung, eines so mächtigen Bundes!“

„Was geht dieser Bund Sie an? Sind Sie Mitglied desselben?“

„Nein; aber haben Sie denn nicht bemerkt, mit welcher Hochachtung er behandelt wurde? Er besitzt einen Einfluß, der uns sehr gefährlich werden kann.“

„Die Komplimente, welche ihm von andern gemacht wurden, gehen mich nichts an. Mir ist die Hauptsache die Behandlung, welche er von mir erfahren hat, und da wird niemand sagen können, daß sie sehr hochachtungsvoll gewesen ist. Sie haben ihm nichts gethan und brauchen ihn also nicht zu fürchten. Nur ich allein bin es, welcher Veranlassung hätte, ihn zu scheuen, und da ich trotzdem nicht die mindeste Sorge hege, so haben Sie noch viel weniger, also gar keinen Grund, sich zu ängstigen.“

„Aber Sie sind mein Gast; Sie wohnen bei mir, und darum bin ich für alles, was Sie thun, verantwortlich!“

„Dem ist sehr leicht abzuhelfen, indem ich mir ein anderes Logis suche, und das werde ich sofort thun.“

Ich stand von meinem Sitze auf und gab mir den Anschein, als ob ich mich entfernen wolle. Das war gegen seine Pläne. Er erhob sich auch schnell, ergriff mich beim Arme und fragte:

„Sie wollen doch nicht etwa fort? Bleiben Sie, bleiben Sie!“

„Das kann ich nicht, weil Sie behaupten, daß ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereiten werde.“

„Nein, nein, sondern Sie können mir ganz im Gegenteile von großem Nutzen sein. Vielleicht können wir bezüglich dieser Negerkinder ein Abkommen treffen, daß ich keinen Schaden habe.“

„Das können wir. Ich verspreche Ihnen hiermit, alles, aber auch alles auf mich zu nehmen. Ich erkläre Ihnen hiermit, daß ich nicht nur das Recht, sondern sogar die Verpflichtung habe, mich ihrer anzunehmen. Auf diese Erklärung hin können Sie mich und sie getrost hier behalten. Sollten Sie dadurch mit der Behörde in Berührung kommen, so werden Sie sich auf diese meine Erklärung berufen und damit jede Art von Verantwortlichkeit von sich ab- und auf mich wälzen.“

„Aber ich werde dennoch viel Störung und auch Aerger haben. Wenn man entdeckt, daß Sie die Kinder mit zu mir genommen haben, wird man sich zunächst nicht an Sie, sondern an mich halten. Es ist möglich, daß meine Abreise dadurch verschoben wird, und das macht mir Schaden, da ich an einem ganz bestimmten Tage in Chartum erwartet werde.“

„Ich bin bereit, Sie zu entschädigen.“

„Wodurch, womit?“

„Wenn Sie die Kinder hier behalten, verspreche ich Ihnen, mit nach Chartum zu gehen. Eine Liebe ist der andern wert.“

Da verklärte sich sein Gesicht, und er erkundigte sich:

„Ist dieses Versprechen im Ernst gemeint?“

„Im vollsten Ernste.“

„So gehe ich darauf ein. Hier ist meine Hand. Schlagen Sie ein! Die Kinder bleiben da; aber Sie übernehmen die Verantwortung für alles, was daraus entstehen kann, und begleiten mich dann auf meiner Reise.“

„Gut, abgemacht; hier meine Hand. Und nun mag Ihr Selim nach meinem Hotel gehen, um meine Effekten zu holen. Ich werde ihm zu seiner Legitimation einen Zettel mit einigen Zeilen mitgeben.“

„Ich will ihm den Befehl dazu erteilen und dann für das Abendessen sorgen, für welches es nun Zeit geworden ist.“

Die in Aegypten nur kurze Dämmerung war indessen eingebrochen, und nachdem Nassyr das Zimmer verlassen hatte, kam Selim, um unter einer tiefen Verbeugung um den Zettel zu bitten. Hinter ihm erschien der Schwarze, um die Lampe anzubrennen. Als beide sich entfernt hatten, kam Nassyr wieder. Er war wegen des Abendessens im Harem gewesen und hatte da den Auftrag erhalten, mir folgende Botschaft mitzuteilen:

„Herr, du bist ein großer Arzt. Dein Mittel hat geholfen; die Zahnschmerzen sind vollständig verschwunden und nicht wiedergekehrt. Kannst du auch andere Krankheiten heilen?“

„Ja. Hast du noch einen Patienten im Hause?“ antwortete ich.

„Leider! Meine Schwester ist es.“

„Woran leidet sie?“

„An einer Krankheit, von welcher eine Frau oder ein Mädchen nicht gern spricht. Aber du hast ihr Vertrauen errungen, und so hat sie mich beauftragt, auf richtig mit dir zu sein. Sie verliert nämlich seit einiger Zeit die Zierde ihres Hauptes.“

„Das Haar? Dann mußt du mir freilich einige Fragen beantworten, die man sonst nicht ausspricht, zu denen aber der Arzt sehr wohl berechtigt ist.“

„Frage getrost! Ich werde dir Auskunft erteilen.“

„Wie alt ist deine Schwester?“

Er zögerte doch, mir Auskunft zu geben, da diese Frage im Oriente eigentlich die größte Rücksichtslosigkeit enthält; vielmehr erkundigte er sich:

„Ist es denn unumgänglich notwendig, das zu wissen?“

„Allerdings.“

„Nun, so will ich dir sagen, daß Letafa im zweimal zehnten Jahre steht.“

Im Oriente ist ein Mädchen mit zwanzig Jahren schon alt, dennoch war der Name geeignet, den Schluß zu ziehen, daß diese Dame sich im Besitze anziehender Eigenschaften befinde, denn Letafa bedeutet die Liebenswürdige. Um so nüchterner mußte meine Frage klingen:

„Ist’s wirkliche Kahlköpfigkeit, an welcher sie leidet?“

Aufrichtig gestanden, sprach ich diese Worte nur aus, um zu sehen, welchen Eindruck sie auf ihn machen würden. Er schlug die Hände zusammen, machte ein Gesicht, als ob er eine Ohrfeige erhalten habe, und rief aus:

„O Allah, Allah, welch eine Frage! Wie unglücklich müssen sich die Frauen der Franken fühlen, da sie von ihren Aerzten gezwungen werden, solche Auskünfte zu erteilen!“

„Wer Heilung finden will, muß aufrichtig sein.“

„So kannst du nicht helfen, ohne zu wissen, wie viel Haare meine Schwester verloren hat?“

„Nein, ganz gewiß nicht.“

„So muß ich dir sagen, daß sich gerade mitten auf ihrem Haupte eine runde, haarlose Stelle befindet, welche fast die Größe eines Maria-Theresien-Thalers hat.“

„Und ist die Patientin einmal von einer schweren, langwierigen Krankheit befallen gewesen?“

„Nie.“

„Dann kann ich vielleicht helfen, aber ich muß die kahle Stelle des Kopfes sehen.“

„Bist du toll!“ rief er aus. „Kein Anhänger des Propheten darf ein Mädchen sehen, und du bist gar ein Christ!“

„Ich will nicht das Mädchen, nicht das Gesicht sehen, sondern nur die kleine Stelle des Kopfes.“

„Das ist noch schlimmer. Ein Weib wird einem Manne lieber ihr ganzes Gesicht, als eine kahle Stelle ihres Kopfes zeigen.“

„Hier bin ich nicht Mann, sondern Arzt. Wer Hilfe finden will, darf sich nicht vor meinen Augen scheuen.“

„Nun gut! Die Hände zu zeigen, das ist allenfalls erlaubt. Die sollst du zu sehen bekommen.“

„Das führt zu nichts. Nicht die Hände sind krank, sondern der Kopf ist es; ich muß unbedingt die betreffende Stelle sehen. Da dies aber nicht geschehen kann, so ist es mir unmöglich, der Patientin die Zierde ihres Hauptes wiederzugeben.“

„Herr, das ist grausam und ganz gegen unsere Gebräuche!“

„Ich gebe das zu, muß aber auf meinem Verlangen bestehen. Entweder geht deine Schwester auf dasselbe ein, oder sie behält den kahlen Fleck, der sich immer mehr vergrößern wird, bis er den ganzen Kopf einnimmt.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 1. Band