1. Kapitel. Ein Chajjal -3-



Auf der anderen Seite des Hofes führte eine mit keiner Thüre versehene Maueröffnung in den Garten, der sehr groß war, natürlich im Verhältnisse zu dem Umstande, daß er mitten in der Stadt lag. Die drei anderen Seiten waren von einer doppelt manneshohen Mauer umgeben, welche an einigen Stellen altersschwache Breschen zeigten. Aber Grasplätze oder gar Blumen gab es nicht, sondern nur eine einzige Wildnis von allerlei Unkraut und Giftpflanzen, ein Bild des Orientes, wie es treffender gar nicht sein konnte.


„Das zeige ich Ihnen, damit Sie sich orientieren,“ meinte Nassyr. „Nun sollen Sie Ihre Zimmer sehen.“

Wir kehrten in den Hof zurück. Dort stand Selim, auf uns wartend, noch immer an derselben Stelle und führte, als wir an ihm vorüberschritten, eine so waghalsige Verbeugung aus, daß mich die ernstliche Besorgnis überlief, seine überschlanke Taille werde sich aus der Hüfte drehen. Dann folgte er uns mit würdevollen Schritten, um uns die erste Thüre des Parterres zu öffnen, wobei er sich wieder so tief verneigte, daß die Spitze seiner Nase fast den Boden berührte.

Wir betraten eine Art Vorzimmer, welches mit einem großen Palmenfaserteppich belegt war. Die Wände waren, wie auch die Decke, weiß getüncht. Von hier aus kamen wir in einen zweiten größeren Raum, welcher jedenfalls als Empfangszimmer benutzt worden war. Rundum waren rotsamtne Kissen gelegt; ein Smyrnateppich bedeckte den Boden, und an den Wänden sah ich Kuransprüche, in Gold auf blauen Grund gemalt. Das nächste Zimmer war zum Schlafen bestimmt. Von der Mitte der Decke hing eine farbige Glasampel herab. In der einen Ecke lag ein kostbarer Gebetsteppich; in der anderen stand der Waschapparat, welcher, wie ich später sah, aus echt chinesischen Porzellangefäßen bestand, und gegenüber befand sich das Bett, ein niedriges Gestell, mit mehreren hohen, weichen Kissen belegt, auf welchen einige mit Seide überzogene Decken ausgebreitet waren.

Dann gelangten wir in ein kleines Gemach, welches als Herrenzimmer eingerichtet war. An der einen Wand hing eine ganze Pfeifensammlung; in einer Nische standen Nargilehs und kupferne Tabaksgefäße, und eine zweite Nische war als Bücherschrank eingerichtet. Die Bücher lagen noch auf den Brettern. Ich sah zwei geschriebene Kurans und noch eine Anzahl anderer frommer Werke. Der Besitzer mußte ein sehr unterrichteter und zugleich gläubiger Moslem gewesen sein.

Eine Thüre führte weiter; wir öffneten dieselbe aber nicht, sondern Nassyr erklärte:

„Nun kommen die Räume, welche ich bewohne; diejenigen, welche Sie bis jetzt gesehen haben, sind für Sie bestimmt. Wollen Sie hier wohnen?“

„Ich bin bereit dazu, doch nur unter einer Bedin gung.“

„Welche könnte das sein?“

„Mein Einzug in diese Räume darf mich nicht etwa verpflichten, Ihr Reisebegleiter zu werden.“

„Zugestanden, Effendi! Sie ziehen hier ein und sind in jeder Beziehung mein Gast; in allem übrigen können Sie ganz nach Ihrem Gutdünken handeln. Doch hoffe ich, daß Sie mir die Freude machen werden, Teil an meiner Fahrt nach Chartum zu nehmen. Aber ehe Ihr Entschluß, hier zu wohnen, Gültigkeit erlangt, will ich Ihnen eine Mitteilung machen, die ich für notwendig halte. Selim, bring’ Pfeifen!“

Der Haushofmeister stand noch unter der letzten Thüre, welche er uns geöffnet hatte. Er verbeugte sich in der bereits beschriebenen Weise, wobei alle seine Glieder schlotterten und die Arme bis zum Fußboden niederhingen, und antwortete:

„Richtig, sehr richtig! Aber das ist nicht meine, sondern Sache des Negers. Ich werde ihn senden.“

Der sonderbare Schlingelschlangel hielt sich für zu hochgestellt, als daß er sich zu dem von ihm geforderten Dienst hätte herbeilassen mögen. Er verschwand, und bald darauf erschien ein alter Neger, welcher zwei Pfeifen von der Wand nahm, sie stopfte, indem er sich des in den Kupfergefäßen befindlichen Tabaks bediente, dieselben in Brand steckte und sie uns dann knieend darreichte. Dann entfernte er sich, um drau ßen vor der Thüre auf weitere Befehle zu warten. Indessen hatten wir uns nebeneinander auf das Polster gesetzt und uns unterhalten. Ihn nach seiner Schwester zu fragen, verbot mir der Gebrauch des Orientes, obgleich ich, da ich aufgefordert worden war, mit ihr zu reisen, ein lebhaftes Interesse für sie hegen mußte. Eine Dame, welche von Smyrna nach Chartum gebracht wird, um dort vermählt zu werden, das ist gewiß ein Fall, welcher ebenso selten ist, wie er seine ganz besonderen Gründe haben muß. Ich erfuhr nur so nebenbei, daß sie vier Dienerinnen bei sich habe, zwei weiße und zwei schwarze.

Auf die Mitteilung, welche Nassyr mir zu machen hatte, war ich sehr gespannt. Wie ich aus seinen Reden hatte entnehmen können, mußte dieselbe sich auf die Wohnung beziehen und es hatte geklungen, als ob er sie mir aus ehrlicher Gesinnung machen müsse. Handelte es sich irgend etwa um einen Grund, welcher mich veranlassen konnte, auf die Wohnung zu verzichten, trotzdem ich weder für das Logis noch für das Essen zu zahlen brauchte? Ich sollte nicht sehr lange im Zweifel sein, obgleich der Türke in orientalischer Weise seine Mitteilung nicht ganz direkt machte, sondern sie durch eine Reihe von Vorfragen einleitete.

„Sie sind ein Christ,“ begann er, „und ich kenne Ihre Religion zu wenig, um zu wissen, was dieselbe lehrt. Glauben Sie an die Seligkeit und an die Verdammnis und daß die Seele nach dem Tode fortbesteht?“

„Natürlich.“

„Wissen Sie, wohin die Seele kommt, welches der Ort ist, an welchen sie sofort nach dem Tode gelangt?“

„Nein. Nur Gott allein kann das wissen.“

„Kann eine abgeschiedene Seele auf Erden als Gespenst erscheinen? Antworten Sie auf Ihr Gewissen!“

„Als Geist wohl, aber als das, was ich unter dem Worte Gespenst verstehe, gewiß nicht.“

„So irren Sie sich. Es giebt Gespenster.“

„Wenn Sie das glauben, so will ich nicht mit Ihnen streiten, obgleich ich Ihre Ansicht nicht teile.“

„Sie werden meiner Ansicht werden. Sie werden schon morgen glauben, daß es Gespenster giebt, denn wir haben einen Chajjal hier im Hause.“

Er blickte mich dabei scharf an, wohl in der Erwartung, daß ich erschrecken werde. Gegen seine Voraussicht aber blieb ich ruhig und antwortete lächelnd:

„Da es überhaupt das nicht giebt, was das Volk Gespenster nennt, so kann sich auch hier kein solches befinden.“

„Ich versichere Ihnen aber, daß ich die Wahrheit sage!“

„So beruht das auf einem Irrtume. Sie haben irgend etwas ganz Natürliches, vielleicht einen Schatten, für ein Gespenst gehalten.“

„O nein. Ein Schatten ist dunkel. Das Gespenst aber ist hell.“

„Wie ist es gestaltet?“

„Es nimmt alle möglichen Gestalten an, bald die eines Menschen, dann die eines Hundes, eines Kameles, eines Esels –“

„Dann trifft es,“ fiel ich ein, „seine Auswahl auf keine geistreiche Weise. Ich möchte nicht für ein Kamel oder einen Esel gehalten werden.“

„Scherzen Sie nicht, Effendi! Ich spreche in vollstem Ernste. Eigentlich ist es mir nicht leicht geworden, Ihnen diese Mitteilung zu machen, denn ich befürchtete, daß Sie dann auf diese Wohnung verzichten würden.“

„Das haben Sie ganz und gar nicht zu befürchten; im Gegenteile wird gerade Ihre Mitteilung mich bestimmen, das Logis von Ihnen anzunehmen. Ich habe so oft von Gespenstern gehört, aber leider noch kein einziges zu sehen bekommen. Da sich jetzt mir die Gelegenheit dazu bietet, werde ich sie mit Freuden benutzen. Ich bleibe also nun erst recht hier in diesem Hause.“

„Effendi, Sie lästern die Geisterwelt!“

„Fällt mir gar nicht ein! Ich bin nur wißbegierig und hoffe, von dem Gespenst gute Auskunft über die Geisterwelt zu erhalten, glaube aber leider nicht, daß es derselben angehört.“

„Es gehört ihr an, denn es kommt und verschwindet ganz nach Belieben.“

„Treibt es etwa Allotria? Oder verhält es sich wie eine ruhige Person in gesetztem Alter?“

„Sie spotten immer, werden aber anders denken lernen. Das Gespenst geht durch alle Thüren.“

„Sind sie verschlossen?“

„Nein.“

„Nun, das kann ich auch, ohne ein Gespenst zu sein.“

„Es klirrt wie mit Ketten; es heult, saust und braust wie ein Sturm; es bellt wie ein Hund, wie ein Schakal; es schreit wie ein Esel, wie ein Kamel.“

„Das alles kann ich auch nachmachen.“

„Auch das plötzliche Verschwinden?“

„Ganz gewiß, nachdem ich beobachtet habe, wie das Gespenst selbst es anstellt, um nicht mehr gesehen zu werden. Also Sie haben es gesehen und gehört?“

„Ja.“

„Wer noch?“

„Alle, alle; meine Schwester, ihre Dienerinnen, der Haushofmeister, meine beiden Neger. Es ist in ihre Stube gekommen und hat an ihrem Bett gestanden, auch an dem meinigen.“

„Auch an demjenigen Ihrer Schwester?“

„Nein, denn diese hat durch ihre Dienerinnen die Thüren des Harems verbarrikadieren lassen.“

„So haben wir es also mit einem Gespenst zu thun, welches nicht durch verrammelte, sondern nur durch offene Thüren gehen kann. Das bringe ich auch fertig.“

„O bitte, unsere Thüren sind zwar nicht verschlossen, aber doch verriegelt. Es giebt in diesem Hause keine Schlösser, sondern nur Riegel.“

„Hm! Hat das Gespenst eine gewisse Stunde, in welcher es erscheint?“

„Allerdings. Sie wissen vielleicht, daß die Geisterstunde um Mitternacht beginnt.“

„Kommt es täglich?“

„Ja, und es bleibt eine volle Stunde hier.“

„Das will ich ihm nicht verdenken, denn wenn den Gespenstern eine volle Stunde gegeben ist, so läßt es sich denken, daß ein richtiges Gespenst sein Recht ausnutzt. Hat jemand mit ihm gesprochen und was hat das Gespenst geantwortet?“

„Nichts.“

„Dieses Gespenst ist also kein gesprächiges, sondern ein stillvergnügtes Wesen. Das erwirbt ihm meine Achtung, da ich Schwatzhaftigkeit nicht liebe. Seit wann hat es sich denn an dieses Haus gewöhnt?“

„Seit langer Zeit. Es ist schon vor uns jedem Be wohner dieses Gebäudes erschienen.“

„Auch dem Besitzer desselben?“

„Nein, denn das Gespenst ist eben der Geist des letzten Besitzers.“

„Ah! Hat es das durch irgend eine gültige Legitimation bewiesen?“

„Bitte, Effendi, lassen Sie den Scherz! Es ist genau so, wie ich sage. Seit dem Tode des Besitzers, welcher im Heere des Vizekönigs Major gewesen ist, hat es keinen Bewohner dieses Hauses gegeben, welcher länger als eine Woche hier geblieben ist. Das Gespenst hat sie alle vertrieben.“

„Und wie lange wohnen Sie schon hier?“

„Eine Woche. Und ich will Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich in einigen Tagen ausziehen würde, wenn ich Sie nicht gefunden hätte, denn ich denke, daß Sie das Gespenst vertreiben werden!“

„Das ist ein sehr offenherziges Geständnis, und ich bin Ihnen sehr dankbar für dasselbe. Meine Dankbarkeit werde ich Ihnen dadurch beweisen, daß ich Ihren Erwartungen entspreche. Ich hoffe, ein so eindringliches Wort mit diesem Geiste sprechen zu können, daß er nicht wiederkommen wird.“

„Allah, Wallah, Tallah!“ rief er erschrocken aus. „Nehmen Sie sich das nicht vor! Er wird fortbleiben, ohne daß Sie mit ihm sprechen.“

„Meinen Sie?“

„Ja. Ihre einfache Anwesenheit wird ihn bestimmen, nicht wiederzukommen.“

„Sie meinen, daß er sich so sehr vor mir fürchte?“

„Das nicht, aber – – Effendi, werden Sie es mir übelnehmen, wenn ich aufrichtig spreche?“

„Nein. Reden Sie getrost.“

„Sie haben dort aus den Büchern ersehen, daß der Major in der letzten Zeit seines Lebens ein sehr frommer Mann gewesen ist, und daraus ist mit Sicherheit zu schließen, daß auch sein Geist fromm ist. Ein rechtgläubiges Gespenst aber, das Allah und den Propheten fürchtet, wird sicher ein Haus meiden, in welchem ein Christ, ein Ungläubiger, wohnt.“

„Ah,“ lachte ich, „was Sie für ein Schlaukopf sind! Also darum haben Sie mir die Freiwohnung angeboten?“

„Nicht darum allein, sondern auch weil ich viel von Ihnen gehört habe und darum wünsche, daß Sie mich begleiten. Denken Sie sich in meine Lage! Dieses Haus ist die einzig passende Wohnung für mich und für meine Schwester; muß ich es wegen des Gespenstes verlassen, so finde ich keine zweite, welche unseren Ansprüchen in dieser Weise entspricht. Darum sind Sie mir so willkommen, denn ich weiß, daß der tote Major sein Haus nicht betreten wird, so lange Sie sich in demselben befinden. Meine Schwester fürchtet sich fast bis auf den Tod; sie will fort. Meine Diener haben mir gesagt, daß sie mich verlassen werden, wenn ich hier bleibe. Sie alle werden sich beruhigt fühlen, wenn ich ihnen sage, daß Sie unser Hausgenosse geworden sind.“

„So machen Sie ihnen diese Mitteilung schleunigst! Es freut mich herzlich, zu erfahren, daß die muhammedanischen Gespenster solche Angst vor uns Christen haben, und wenn der tote Major ein kluges Gespenst ist, so unterläßt er gleich von heute an seine Besuche. Wie viel zahlen Sie denn für dieses verrufene Haus?“

„Wöchentlich fünfzig Piaster. Denken Sie, wie billig!“

„Doch wegen des Gespenstes!“

„Ja. Ganz Kairo weiß, daß es hier umgeht, und niemand zieht herein. Es kann nur noch an Fremde vermietet werden, und auch diese bleiben nur einige Tage, höchstens eine Woche da.“

„Und wer ist der jetzige Besitzer?“

„Die Witwe des Verstorbenen; aber auch sie hat es nicht aushalten können und ist zu ihrem Bruder gezogen, welcher Teppichhändler in der Muski ist.“

„Hm! Ich halte es sehr unrecht von dem Geiste, so schlecht an seinem Weibe zu handeln. Wenn er ihr das Haus hinterlassen, sie also zu seiner Erbin eingesetzt hat, so ist es ihm gar nicht zu verzeihen, daß er sie nun in dieser Weise aus dem Erbe treibt.“

„O, er hat es ihr ja nicht vermacht, sondern der Kadirine, der frommen Bruderschaft des Seyd Abd el Kader el Djelani. Die Witwe hat das Recht, es bis zu ihrem Tode zu bewohnen; dann fällt es der Bruderschaft anheim.“

„Ah so! Diese fromme Kadirine darf das Haus bis zum Tode der Witwe nicht benutzen, und da geht der tote Major als Gespenst um! Gehen Sie zu Ihrer Schwester, und sagen Sie derselben, daß der Geist sie höchstens noch einmal belästigen wird!“

„Sie sind also meiner Meinung geworden? Sie geben mir recht? Das freut mich außerordentlich. Ja, ich werde jetzt gleich zu ihr gehen, um ihr diese frohe Botschaft zu verkündigen. Aber nicht das allein wird sie entzücken. Ich habe ihr damals von Ihnen erzählt, und wenn ich ihr sage, daß ich Sie wiedergesehen habe, daß Sie sich hier befinden, und daß Sie vielleicht mit uns nach Chartum gehen werden, so wird ihre Besorgnis wegen der gefährlichen Reise sofort verschwinden. Ueberhaupt habe ich ihr auf alle Fälle Ihre Anwesenheit zu melden, weil Sie bei uns essen werden.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 1. Band