1. Kapitel. Ein Chajjal -11-



Das sagte er ebenso schnell wie seine vorherigen Antworten. Ich glaubte, viel verlangt zu haben. Durfte ich seiner so raschen Zusage Vertrauen schenken? Er sah mich in einer Weise, welche mich bedenklich machte, von der Seite an. Dieser versteckte Blick schien einen Hinterhalt zu bedeuten. Doch hatte ich keine Zeit zum Ueberlegen, was jetzt auch zu nichts führen konnte, und fuhr also fort:


„Und endlich setzen wir eine kurze Schrift auf, welche die Erzählung dessen enthält, was heute hier geschehen ist. Diese Schrift hast du zu unterzeichnen.“

Da fuhr er ergrimmt auf:

„Beim Leben des Propheten, das thue ich nicht!“

„Schwöre nicht bei Muhammed, denn du wirst und kannst diesen Schwur nicht halten!“

„Ich halte ihn. Warum soll ich mich unterschreiben? Was willst du mit dieser Schrift machen?“

„Wenn du dich nicht feindlich zu uns verhältst, wird kein Mensch sie zu sehen bekommen; aber wenn du uns zu schaden trachtest, werden wir Gebrauch von derselben machen.“

„Was werdet ihr machen, wenn ich es nicht thue?“

„Es giebt hier in Kahira noch andere Verbrüderungen, deren Mokkadems ich sofort kommen lassen werde. Diese Männer sollen dich hier sehen und von uns erfahren, auf welche Weise du zu uns gekommen bist. Dann wird man bald allüberall erfahren, daß deine Frömmigkeit im Nachahmen der Gespenster besteht.“

Das war der letzte aber auch der höchste Trumpf, den ich auszugeben hatte, und die erwartete Wirkung blieb nicht aus. Er starrte eine Weile vor sich nieder, dann rief er aus:

„Ich muß mich erheben; ich kann jetzt nicht sitzen bleiben!“

Er sprang auf und schritt in großer Erregung im Zimmer hin und her. Dann blieb er vor mir stehen und fragte:

„Und wenn ich das alles thue, was ihr von mir fordert, werdet ihr uns beide dann ungehindert gehen lassen?“

„Ja.“

„Und die letzte Schrift erst dann vorzeigen, wenn ihr die Bemerkung gemacht habt, daß ich euch zu schaden trachte?“

„Ja.“

„Bei meiner Seele und bei den Seelen meiner Ahnen, du bist ein Mensch, vor dem man sich zu hüten hat.“

„Du zählst deine Ahnen bis hinauf zum Propheten, denn du trägst den grünen Turban, außer wenn du Gespenster machst. Du würdest, falls du dich weigertest, auf meine Forderungen einzugehen, den Gesandten Allahs beschimpfen. Hüte dich!“

„Der Tag deiner Geburt ist ein Unglückstag für mich. Ich werde mich fügen und deinen Wünschen nachkommen. Schreibe also, was du zu schreiben hast! Ich werde meinen Namen dazu setzen.“

Mit diesem Entschlusse ging seine Aufregung zu Ende; er setzte sich wieder nieder. Ich that dasselbe, und Murad Nassyr brachte mir Papier, Tinte und eine Rohrfeder. Es dauerte einige Zeit, bis ich Abd el Barak die drei Schriftstücke vorlegen konnte. Er unterschrieb sie, ohne sie durchzulesen, gab sie mir zurück und rief tief aufatmend, indem er sich von seinem Sitze erhob:

„So, jetzt sind wir fertig. Nun bindet diesen Mann hier los, und laßt uns fort!“

Wir befreiten das Gespenst Nummer Zwei von den Stricken und begleiteten die beiden bis hinaus an die Hausthüre, deren Riegel Selim zurückschob. Als Abd el Barak den Fuß auf die Gasse gesetzt hatte, drehte er sich zu uns um, machte mir eine Verbeugung und sagte in spottendem Tone:

„Gott behüte dich, Gott bewahre dich; hoffentlich sehe ich dich in kurzer Zeit wieder!“

Dann schritt er mit dem anderen „Gespenste“ von dannen. Ich kehrte in mein Zimmer zurück, und Nassyr begab sich hinauf zu seiner Schwester, welche jedenfalls außerordentlich gespannt auf seine Erzählung war. Die Papiere steckte ich zu mir, denn es fiel mir gar nicht ein, sie dem Türken in Verwahrung zu geben. Ich traute ihm nicht die nötige Umsicht zu, und aus dem Verhalten Abd el Baraks, ganz besonders aber aus der Art seines ironischen Abschiedes war zu schließen, daß er allerlei Hintergedanken hegte, welche uns zur Vorsicht mahnten. Dann kam Selim, um sich zu erkundigen, ob ich ihn noch brauche oder er sich wieder niederlegen dürfe.

„Einige Fragen sollst du mir beantworten,“ entgegnete ich ihm. „Hast du ein Schiff für mich gefunden, welches heute von Bulak nilaufwärts geht?“

„Ja; ich habe das beste und schnellste ausgesucht, Effendi, und für dich und die Neger Platz bestellt.“

„Das hast du gar nicht klug gemacht. Man braucht nicht schon jetzt zu wissen, ob ich allein komme oder nicht. Hast du gesagt, wer ich bin?“

„Ich mußte es sagen, da der Kapitän mich danach fragte.“

„Was ist’s für ein Schiff?“

„Eine Dahabijeh, welche sehr schnell zu segeln scheint, da man ihr den Namen ‚Semek’ 18) gegeben hat.“

„Und nun noch eins, die Hauptsache! Während du die Gefangenen bewachtest, hast du mit Abd el Barak gesprochen. Da hast du ihm erzählt, daß ich heute mit diesem ‚Semek‘ die Stadt verlassen werde?“

„Nein, ich habe kein Wort gesagt.“

„Sei aufrichtig! Es hängt vielleicht sehr viel davon ab, daß du mir die Wahrheit sagst. Ich werde dir nicht zürnen, falls du geplaudert hast.“

Er legte beide Hände auf das Herz und versicherte im Tone der größten Aufrichtigkeit:

„Effendi, beleidige nicht meine fromme Seele, indem du glaubst, daß ich dich belüge! Du bist der Freund meines Herrn, und darum diene ich dir ebenso treu wie ihm. Warum hätte ich plaudern sollen? Ich bin als Sohn der Verschwiegenheit geboren, und aus meinem Munde gehen nur solche Reden, welche Allah und den heiligen Kalifen wohlgefällig sind. Ich schwöre dir zu, daß ich kein Wort gesagt habe!“

„Gut!“ meinte ich, obgleich ich seine Wahrheitsliebe sehr bezweifelte. „Wann wird die Dahabijeh den Ankerplatz verlassen?“

„Um drei Uhr. Du weißt wohl, daß dies die Aufbruchszeit jedes gläubigen Moslem ist.“

„Und wo liegt sie? Giebt es ein Kaffeehaus in der Nähe, von welchem aus man sie sehen kann?“

„Gar nicht weit von der Stelle, an welcher sie angehängt ist, befindet sich ein Kaffeehaus, vor welchem man sitzen und ihr Deck leicht überblicken kann. Willst du vielleicht dorthin gehen? Ich werde es dir zeigen.“

„Nein, ich habe diese Absicht nicht. Ich bedarf deiner nicht mehr. Ich hoffe, daß du die Wahrheit gesagt hast, und gebe dir zu bedenken, daß man einem Lügner nur schwer wieder Vertrauen schenkt!“

„Richtig, sehr richtig!“ stimmte er mir bei, indem er den Kopf so tief verneigte, daß der Außenrand seines Riesenturbans fast den Boden berührte; dann ließ er mich allein.

Nach einiger Zeit suchte mich Nassyr noch einmal auf. Er hatte das Bedürfnis, das Geschehene von neuem durchzusprechen, und dabei zeigte es sich, daß er geneigt war, Abd el Barak jetzt für unschädlich zu halten.

„Er hat gesehen, wie ernst es uns ist,“ sagte er; „er hat sich unterschrieben und wird sich hüten, uns zu zwingen, von den Waffen, welche wir gegen ihn in den Händen haben, Gebrauch zu machen.“

„Das denke ich nicht. Zunächst wird er sich Mühe geben, sie uns wieder zu entwinden. Er ist zu allem fähig. Haben Sie nicht den Ton beachtet, in welchem er von uns Abschied nahm?“

„Das war Aerger.“

„Nein, sondern Hohn. Auch fällt mir die Leichtigkeit und Schnelligkeit auf, mit welcher er sich zur Unterschrift des Empfehlungsbriefes bereit erklärte. Jedenfalls hat er sich dabei in einen Hinterhalt gelegt, welchen wir vielleicht noch kennen lernen werden. Zudem bin ich überzeugt, daß Selim ihm mitgeteilt hat, daß ich heute Kahira verlassen werde. Es gilt die Dahabijeh zu beobachten, ob Abd el Barak sie vielleicht besucht.“

„Wer soll das übernehmen?“

„Ich nicht, da es sich ja um mich handelt. Selim ist nicht zuverlässig, und Ihren Neger können wir auch nicht damit betrauen.“

„So muß ich selbst gehen; das wird das beste sein.“

„Allerdings. Das Schiff heißt ‚Semek‘ und kann von einem nahe liegenden Kaffeehause leicht überblickt werden. Die Aufgabe erfordert Wachsamkeit, und darum möchte ich Ihnen raten, jetzt wieder zur Ruhe zu gehen. Es giebt keine Gespenster mehr, und unser Schlaf wird nun wohl nicht wieder unterbrochen werden.“

Nassyr verabschiedete sich, und auch ich legte mich wieder nieder, nachdem ich meine beiden Pflegebefohlenen zur Ruhe gebettet hatte. Das Licht wurde diesmal ausgelöscht. Als ich erwachte, war der Vormittag schon fast vorüber. Selim brachte uns das Frühstück und benachrichtigte mich, daß sein Herr schon zeitig ausgegangen sei und verschiedene Gegenstände für mich nach Hause geschickt habe. Er brachte mir dieselben, und ich erkannte, daß der dicke Türke doch nicht ganz so selbstsüchtig war, wie ich vorher geglaubt hatte. Er hatte nicht nur Proviant, sondern auch noch anderes, um mir die Nilfahrt zu er leichtern, für mich eingekauft. Nun handelte es sich vor allen Dingen um das Passagegeld. Hatte ich dasselbe zu entrichten, so entstand dadurch ein Loch in meiner Kasse, welches sehr bedenklich war. Nassyr kam zur Mittagszeit nicht heim; er war pflichtgetreu und blieb so lange wie möglich auf seinem Posten. Erst um zwei Uhr ließ er sich sehen, und nun war es Zeit zum Aufbruche für mich. Durch die Einkäufe des Türken hatten sich meine wenigen Sachen so vermehrt, daß ich einen Packträger holen lassen mußte. Sogar einen hübschen Tschibuk und einen gestickten Tabaksbeutel fügte er hinzu. Kurz bevor wir gingen, wurde Siut als Haltepunkt für mich bestimmt. Ich durfte mich nicht zu weit entfernen, aber wegen Abd el Barak auch nicht zu nahe bei Kairo bleiben. Nassyr konnte bereits bestimmen, daß er genau nach einer Woche mit dem Sandal Tehr 19) die Stadt verlassen werde. Nach dieser Angabe war leicht zu berechnen, zu welcher Zeit ich ihn in Siut erwarten konnte. Was die Beobachtung der Dahabijeh betrifft, so hatte Nassyr nichts Verdächtiges wahrgenommen. Er war sogar selbst an Bord gewesen, um die Passage für mich zu entrichten, was glücklicherweise nicht meinen Beutel, desto mehr aber mein Herz erleichterte, und hatte auch da nichts bemerkt, was ihm hätte auffallen können. Er behielt seine Ansicht bei, daß meine Vorsicht und Besorgnis ganz überflüssig sei. Ich aber hatte sehr oft erfahren, daß ein Südländer nicht leicht eine Beleidigung verzeiht, und in Beziehung auf Abd el Barak hatte es sich um weit mehr als um eine persönliche Kränkung gehandelt.

Die Sitte des Ostens verbot es mir, Letafa, der „Liebenswürdigen“, lebewohl sagen zu lassen; die haarspendende Fatma ließ ich sehr gern zurück. An der Hausthüre verabschiedete ich mich von Selim mit dem guten Rate:

„Sollte während meiner Abwesenheit der Geist wiederkommen, so wimmere nicht und schlage lieber tüchtig zu. Und halte nicht wieder drei Gespenster für acht! Zu einem ‚größten Helden seines Stammes‘ gehört unbedingt, daß er nicht mehr Feinde erblickt, als wirklich vorhanden sind.“

„Richtig, sehr richtig!“ antwortete er, indem er mir seine lebensgefährlichste Verbeugung machte und dabei meine Hand an seine Lippen zog. Ein arabischer Moslem, der die Hand eines Ungläubigen küßt, wie oft mag das wohl vorkommen! Der Mann schien mich trotz der kurzen Zeit doch schon ein wenig in sein Herz geschlossen zu haben, und ich nahm mir vor, in Zukunft zu seinen Eigentümlichkeiten ein Auge zuzudrücken. – –




18) Fisch.
19) Vogel.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Lande des Mahdi 1. Band