Überraschende Nachrichten aus Europa.

Als ich am 19. Februar 1871 in der Seriba Kutschuk-Ali eintraf, waren seit meiner Abreise von Suez zweieinhalb Jahre verflossen. Was ich mir vorgenommen hatte, war vollendet. Aber noch lange mußte ich warten, ehe ich zur Meschra und von da auf dem Wasserweg nach Chartum zurückkehren konnte. Die nächsten zwei Monate verbrachte ich wieder bei meinem Freund Chalil, dessen Hilfsbereitschaft diesmal der mangelhaften Ernährung nicht abhelfen konnte. Es herrschte allgemeine Not, und Getreide war fast gar nicht zu beschaffen. Es gab Tage, wo ich nicht einmal eine Handvoll Sorghum für meinen eigenen Gebrauch aufzutreiben vermochte, Tage des Hungers, wie ich sie kaum im Mai des Vorjahrs auf dem Rückmarsch aus dem Mangbattulande erlebt hatte. Etwas besser hätte ich es in der Seriba Ghattas haben können, in der es mir früher so gut ergangen war; aber die Erinnerung an das Brandunglück machte mir den Ort verhaßt. Ich war fast ausnahmslos auf Fleischkost angewiesen. Dabei kam mir der Wildreichtum der Gegend gut zustatten. Meine Zeit widmete ich fast ausschließlich der Jagd. 25 Stück größern Wildes, namentlich Antilopen, wurden erlegt, ebenso die massenhaft vorhandenen Rohrratten; fette Tiere von über einem halben Meter Länge; sie lieferten einen vorzüglichen Braten. Auch dem Allgemeinbefinden kam die Jagd zugute, denn die damit verbundene Anstrengung machte meinen nervösen Zustand erträglicher. Kopfweh, Niedergeschlagenheit und Mattigkeit wichen nur beim Marschieren. In meine vier Wände zurückgekehrt, lag ich abgespannt und kraftlos auf dem Lager. Nur ab und zu gewährte mir das Zeichnen von Naturgegenständen Unterhaltung und Abwechslung.

Jagd auf Rohrratten


Von der ganzen zivilisierten Welt völlig abgeschlossen, hatte ich lange Zeit keine Nachrichten aus Europa erhalten. Erst jetzt vermittelte mir das winzige Briefchen eines Chartumer Freundes in telegrammartiger Kürze die erste Kunde von den welterschütternden Begebenheiten des Sommers und Herbstes 1870. Ein halbes Jahr war dieser Brief alt; die übrigen Briefe aber, die aus der Heimat selbst stammten, enthielten nur gleichgültige Dinge. Denn als sie geschrieben wurden, lag Europa noch im tiefsten Frieden, und die Chartumer Sklavenhändler, die ich im Westen angetroffen hatte, wußten noch gar nichts vom Kriege mit Frankreich, von den deutschen Siegen und vom Sturz Napoleons III. In fieberhafter Spannung erwartete ich deshalb die Ankunft Solimans, eines Sohnes von Kutschuk-Ali, der am 20. März 1871 die Seriba besuchte. Aber auch dieser reiche, einigermaßen gebildete Mann wußte mir nichts Neues zu melden, als daß bei seiner Abreise von Chartum im Januar noch keine Friedensnachricht von Europa angelangt war.

Recht ergötzlich war die vollständige Unkenntnis meiner Umgebung in politischen Dingen. Selbst der Verwalter Chalil fragte nicht nur nach dem Namen des Generalgouverneurs in Chartum, sondern schien nicht einmal zu wissen, daß Ägypten ein fast unabhängig regiertes Land sei. Der Name des ägyptischen Vizekönigs war den meisten unbekannt; man wußte nur, daß Abdul-Asis-Chan der Herrscher über alle Gläubigen sei, dem die Könige der Franken als Vasallen dienten. Die einzige Ausnahme machte der Moskow Imperator, der vor einigen Jahren die unerhörte Dreistigkeit gehabt habe, sich unabhängig zu gebärden, nun aber habe er, dank der pflichtgetreuen Unterstützung aller Vasallen des Sultans in Konstantinopel, ebenso zu Kreuz kriechen müssen wie ehedem Bonaparte, der fränkische »Großsultan«.

Als die Leute mich und Soliman über Krieg und Frieden im Land der Franken sprechen hörten, verlangten einige zu wissen, was denn das für ein Volk sei, das man Preußen, die »Borusli«, nannte. Soliman sagte: »Es ist das Land mit den wenigen Leuten.« Er wollte damit sagen, daß Preußen die kleinste der Großmächte sei. »Und diese wenigen Leute haben den großen Kaiser der Franken gefangengenommen, dessen Bildnis auf allen Goldstücken zu sehen ist?« »Ja er war ein Bösewicht, und ihn ereilte die Strafe des Himmels.«

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Herzen von Afrika