Traum und Wirklichkeit.

Von Dem-Gudju aus senkte sich der Weg in südöstlicher Richtung gleichmäßig bis Dem-Bekir hinab, wo sich im stundenweiten Umkreis großartige Niederlassungen von Sklavenhändlern angehäuft haben. In einem der wichtigsten dieser Waffenplätze hat Kutschuk-Ali das Erbe seines Schwiegervaters Bekir angetreten. Die gerade Entfernung betrug 65 Kilometer; unter vielfachen Abweichungen hatten wir zwei Tage lang durch ununterbrochen wasserarme Wildnis zu marschieren.

Nie werde ich die Aufnahme vergessen, die mir Jumma, der Verwalter Kutschuk-Alis, in Dem-Bekir gewährte. Äußerst ermüdet vom anstrengenden Marsch und geschwächt durch das mehrtägige Fasten war ich bei einbrechender Dunkelheit angelangt. Nach vielem Hin- und Herwandern zwischen den weitzerstreuten Gehöften hatten wir Mühe gehabt, den Pfahlbau der Seriba ausfindig zu machen. Alle Hütten lagen in geheimnisvoller Ruhe, und von fast unsichtbaren Händen wurde mir der Kaffee gereicht, nachdem ich in der Empfangshütte Platz genommen hatte. Der Herr der Seriba war abwesend. Sehr im Zweifel über die Art der zu erwartenden Gastfreundschaft warf ich mich, ohne etwas zur Nacht gegessen zu haben, aufs Lager.


Matt und entkräftet, wie ich war, meiner Sinne nicht mehr mächtig, muß ich bald in einen tiefen Schlaf verfallen sein. Ich sah mich in einem großen, vom Glanz der Lampen strahlenden Riesenzelt, auf reichbesetzten Tafeln prangten die auserlesensten Leckerbissen. Es war das Fest der Wettrennen in Kairo, dessen Bilder an meiner Seele vorüberzogen. Ismail-Pascha, der Beherrscher Ägyptens, bewirtete seine Gäste im Stil von Tausendundeiner Nacht. Da dringt glänzender Lichtglanz zu meinen Augen, eine reichgekleidete Sklavenschar naht sich mir mit Schüsseln und glänzenden Schalen, mit Kerzen und Lampen, andere kredenzen in bunten Kristallgläsern und mit goldgestickten Tüchern über dem Arm Scherbet und Limonade. Ich rieb mir die Augen, ich trank, ich schmeckte, es war Wirklichkeit!

Jumma war erst spät am Abend heimgekehrt. Kaum hatte er von meiner Ankunft erfahren, als er auch sofort sein gesamtes Küchenpersonal aus dem Schlaf trommeln ließ, um mich standesgemäß zu bewirten. Alles wurde ausgekramt und für mich hergerichtet, Brot und Weizenmehl, Makkaroni und Reis, Hühner mit Tomaten und ähnliche Köstlichkeiten. Es war Mitternacht geworden; jetzt mußte ich zulangen, ob ich wollte oder nicht. Ich litt Tantalusqualen, denn mein entzündeter Gaumen und das schmerzende Zahnfleisch legten Einspruch ein gegen diese Bewirtung; nur mit Mühe brachte ich einiges über die Lippen. Die verbesserte Kost förderte aber auch bald meine Genesung.

Ich traf in Dem-Bekir eine Anzahl kenntnisreicher Leute an, deren Angaben über die benachbarten Niamniamgebiete ich mit sehr erfreulichem Erfolg miteinander in Vergleich brachte. Die Nachrichten bezogen sich hauptsächlich auf die beiden Niamniamhäuptlinge Mofio und Ssolongo. Mit letzterm befand sich Jumma im Krieg; er sah sich beständig von diesem mächtigen Fürsten bedroht. Ssolongo war erst wenige Tage vor meiner Ankunft zurückgeschlagen worden. Da andauernd ein neuer Angriff drohte, wollte Jumma, daß ich nicht länger in seiner Seriba verblieb. Vergebens suchte ich ihn meinetwegen zu beruhigen.

Dem-Bekir war der südlichste Punkt jenseits des 7. Breitengrades, den ich auf dieser Wanderung erreichte. Von hier wandte ich mich nordöstlich zurück. Zunächst nach der 52 Kilometer entfernten schöngelegenen Niederlassung Dem-Adlan, wo ich drei Tage blieb und trefflich bewirtet wurde. Einige der ansässigen Sklavenhändler, teils Leute aus Darfur, teils Baggara, trieben neben dem Sklavenhandel auch Elefantenjagd, und zwar nach echter Sudanart mit Schwert und Lanze.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Herzen von Afrika