Im Lager des Verräters.

Tags darauf, am 3. März 1870, langten wir am Wohnsitz des Niamniamhäuptlings Uando an. Mohammed machte diesem Vorwürfe wegen seines verdächtigen Benehmens, und fast wäre es zu einem Zusammenstoß gekommen. Dann aber begann ein lebhafter Handelsverkehr mit den Eingeborenen, die große Elefantenstoßzähne herbeitrugen. Uando selbst erschien in einem langärmeligen Hemd von geblümtem Kattun und tat sehr harmlos; man sah ihn sogar Arm in Arm mit Mohammeds Hauptleuten durch das Lager schlendern. Auch in meinem Zelt machte er Besuch. Von untersetzter Gestalt, riesig entwickelt an Muskelfülle und Fett, nur von wenigen Fellen umgürtet, ließ er sich auf meinem einzigen Stuhl mit einer Würde nieder, deren sich kein Europäer zu schämen gehabt hätte. Seine Gesichtszüge waren regelmäßig und in ihrer Art schön. Vor Erregung schlug ich mit der Faust auf den Tisch und warf ihm seine frühern feindseligen Kundgebungen vor; bitter beklagte ich mich über seinen Mangel an Gastfreundschaft.

Der Erfolg war über Erwarten schrecklich! Uando schickte mir einige magere Hühner und eine Anzahl großer schwarzer Töpfe. Ein abscheulicher Geruch wie von brenzligen Ölen, Schmierseife und verdorbenen Fischen drang aus den Tongefäßen zu der Nase des Neugierigen. Bei näherem Nachsehen gewahrte das Auge Fäden und Faserstränge wie von aufgelöstem Tauwerk, umflossen von einer dunkeln Brühe, dazwischen Lederabfälle und altes verknotetes Riemenzeug. So mögen unsere Vorfahren in den Wäldern der Urzeit Europas Mammutbraten und Rhinozerosfüße zubereitet haben. Die Töpfe waren erfüllt von einem angebrannten, räucherigen Ragout von Kaldaunen eines zweihundertjährigen Elefanten, sehr zähe und mit sehr starkem Wildgeruch. Dieses Ergebnis der Naturforschung wurde mir indes erst von meinen Bongoträgern mitgeteilt, denen ich das Gericht überließ und die auf diesem Gebiet die bessere Erfahrung besaßen. Selbst meine nubischen Diener, die im übrigen in den durch ihre Religion als eßbar erlaubten Dingen durchaus nicht allzu wählerisch waren, hatten diese Speise mit Entrüstung von sich gewiesen.


Als im vergangenen Jahr eine der Ghattasschen Abteilungen durch die Gebiete Uandos zog, waren sechs Nubier auf der Jagd in den benachbarten Wäldern von Niamniam umgebracht worden. Die Eingeborenen hatten ihnen als Führer in den Dickichten gedient. Nachdem die Nubier ihre ganze Munition auf Perlhühner verschossen hatten, waren die Niamniam über sie hergefallen und ihrer leicht Herr geworden, da die Fremden außer Flinten keine andern Waffen mit sich führten. Mohammed forderte nun die sechs Gewehre zurück, die zweifelsohne in Uandos Besitz übergegangen waren. Uando lieferte jetzt dem Drange folgend vier der geraubten Flinten aus, mehr konnte er angeblich nicht herbeischaffen.

Ich blieb vier Tage im Dorf des Uando. Die Waldung der Nachbarschaft war von großartigster Üppigkeit. Ein beispielloser Quellenreichtum ist die Ursache, daß die Bäche das ganze Jahr über fließen. Das Land, dessen Meereshöhe nirgends weniger als 650 Meter beträgt, gleicht einem andauernd gefüllten Schwamm. Die Talsenken und Erdspalten schmücken sich mit der vollen Majestät des Tropenwaldes. Auf den Höhen dagegen bleibt die Zusammensetzung der Pflanzenwelt die gleiche wie seit dem Betreten des Bongolandes: ein offener, parkartiger, großlaubiger Buschwald, der von Steppenstrichen häufig unterbrochen wird. In den Uferwäldern dagegen bilden Bäume mit gewaltigen Stämmen lückenlose Reihen. Man gewahrt Säulengänge, die ägyptischen Tempelhallen ebenbürtig sind und die von aufeinander gelagerten Laubdecken oft dreifach überwölbt werden. Unter den Säulenhallen überall Laubengänge voll murmelnder Quellen und Wasseradern. Die durchschnittliche Höhe des obern Laubdaches beträgt 25-35 Meter. Auf dem Boden füllen Staudenmassen die Lücken in diesem großartigen Blattgewirr. Die mehrere Meter Höhe erreichenden Staudendickichte der vielen ingwerartigen aromatischen Gewächse versperren mit ihren festen Stengeln dem Wanderer oft den Ausweg oder bedrohen den Eindringling mit Versinken in dem lockern Schlamm von Humus, dem sie entsprießen. Und dazu die wunderbare Farnwelt mit riesig entwickelten Wedeln, etliche mit solchen von fünf Meter Länge. Die Stämme erschienen, wo sie nicht mit Farnen dichtbewachsen waren, in den meisten Fällen von einem dichten Geflecht des kletternden rotbeerigen Pfeffers umstrickt. Überall undurchdringliches Grün. Wo schmale Pfade eine Talwand erklimmen, bilden bloßgelegte Baumwurzeln die Stufen. Modernde Stämme, in dichte Moospelze gehüllt, hindern bei jedem Tritt das gemächliche Fortschreiten. Die Luft ist nicht mehr die der sonnenhellen Steppe, nicht die der kühlen Buschlauben, es ist die Treibhausatmosphäre unserer Palmen- und Orchideenhäuser, und bei einer Wärme von 25 bis über 30 Grad Celsius herrscht beständig dumpfe Feuchtigkeit.

Den erhabenen Naturgenuß beeinträchtigt das übermütige Treiben der Insektenwelt, vor allem das erstaunliche Gewimmel von Ameisen der kleinsten Art, die von allen Blättern und Zweigen, die man berührt, wie Regen über den Eindringling herfallen. Schmetterlinge in Menge, von prächtiger Zeichnung, bilden einen schönen Ersatz für den meist mangelnden oder versteckten Blütenschmuck.

Am 6. März verließen wir den Wohnsitz des Uando, begleitet von Führern, die der Häuptling zur Verfügung gestellt hatte. Bei keinem Weiler der Niamniam fehlten die Pfähle, an denen Jagd- oder Kriegstrophäen befestigt waren. Schädel von Antilopen, Wildschweinen, Schimpansen, aber auch Menschenschädel fanden sich bunt durcheinander an den Pfahlästen aufgespießt. Zahlreiche, unzweideutig für den Hang der Bewohner zur Menschenfresserei sprechende Zeugen traten uns im Verlauf der Wanderung vor Augen. In der Nähe der Wohnstätten, auf den Haufen von Küchenabfällen menschliche Gebeine und Bruchstücke von solchen, mit allen Merkmalen, daß sie mit Messern behandelt worden waren.

Am 7. März hatten wir in drei Stunden nicht weniger als fünf wasserreiche Uferwälder zu durchschreiten. Das Gelände blieb eben und bestand zwischen den Bächen aus völlig offenen Steppenstrichen. Längs diesen Bächen dehnten sich hart am Rand der Uferwaldung bebaute Flächen aus; die weit und breit zerstreuten Weiler verrieten große Fruchtbarkeit und eine außergewöhnlich dichte Bevölkerung. Wir befanden uns jetzt bei den A-Bangba, einem Stamm, der von den Niamniam sehr verschieden war. Diese A-Bangba sollen von jenseits der breiten Grenzwildnis stammen, die die Niamniam von den Mangbattu trennt, denen sie in Tracht und Kriegsrüstung nahestehen. Zum erstenmal gewahrt man hier eine Abweichung von der Kegelgestalt der Dächer, die dem größten Teil Zentralafrikas eigen ist; hier fanden sich die ersten Horizontaldächer von mehr europäischer Art, die teils offene von Pfosten getragene Schuppen, teils viereckige Häuser mit geschlossenen, senkrechten Wänden deckten.

Die Haltung der Bevölkerung schlug in Feindseligkeit um. Bei einem der zahlreichen Weiler wurde die Karawane mit Drohungen empfangen. Pfeile kamen aus dem Hinterhalt geflogen, Sklavinnen wurden erstochen oder geraubt. Mohammed ließ dafür einen Kornspeicher niederbrennen, veranstaltete Kriegsspiele, drohte auch mit weiteren Zwangsmaßregeln. Dazwischen wurde verhandelt und wurden Schutz- und Trutzbündnisse geschlossen. Die geraubten Weiber wurden zurückgegeben. Aber später, auf dem Rückmarsch, ist es hier zu sehr ernstlichen Feindseligkeiten gekommen.

Größten Eindruck machten meine Zündhölzchen. Immer unersättlicher wurde die Neugierde, die Wunder der Schnellfeuerei zu schauen. Es war ein ganz neues Schauspiel, denn in allen Ländern, die zum Nilgebiet gehören, ebenso in den benachbarten des Uellesystems, verschaffen sich die Eingeborenen Feuer, indem sie zwei Hölzer, das eine senkrecht auf das andere gestellt, durch quirlartiges Reiben mit den Händen entzünden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Herzen von Afrika