Jack -2-



Im Gesicht des Fremden zuckte es, und mißtrauisch flog sein Blick zu dem anderen hinüber. Was wußte der von ihm? Aber Jack hatte seine alte Beschäftigung wieder aufgenommen und schob den Topf, auf dem sich schon Blasen bildeten, mit dem Buschschuh näher ans Feuer. Mit einem Seitenblick auf den Fremden sagte er lächelnd:


„Daß Sie mich nicht mehr kennen, kann ja kein Grund sein, daß ich Sie nicht mehr kennen sollte. Oder sind Sie gar nicht Bill Holleck, der sich für die Postbeutel von Ihrer Majestät Regierung interessiert?“

Der Fremde stand kaum einen Schritt von seinem Wirt und hatte ihm die rechte Seite zugedreht. Obwohl er sich zusammenriß, wurde er in diesem Moment blaß. Es war aber nur einen Moment, und seine rechte Hand glitt langsam an der Weste hinauf. Im nächsten Augenblick riß sie einen gespannten Revolver heraus. Aber Jack war nicht der Mann, sich so fangen zu lassen. Schnell wie ein Gedanke hatte seine eiserne Hand nicht nur den Arm gefaßt, sondern ihn auch nach oben gebogen und halb aus dem Gelenk gedreht. Holleck sank mit einem Schmerzensschrei auf die Knie.

Jack blieb dabei fast regungslos und nahm nur die Waffe aus der Hand. Dann ließ er den Mann frei und sagte mit einem verächtlichen Lächeln, das über sein wetterbraunes Gesicht zuckte:

„Nur Ruhe, mein Bursche. Solches Spielzeug ist nichts für dich. Und jetzt, Bill Holleck, was hindert mich jetzt, deinen glücklichen Raub mit dir zu teilen oder, noch besser, dir deine freundliche Absicht mit gleicher Münze zurückzuzahlen? Glaubst du, wenn ich dir jetzt eine von deinen eigenen Kugeln durch den Kopf jage und dann das alt Nest über dir in Brand stecke, daß auch nur eine Seele in der ganzen Welt nach dir fragen würde? Aber steh auf, Mann, und lieg da nicht wie ein krankes Weib. Der Flügelknochen wird nicht ganz ausgerenkt sein. Setz’ dich wieder zum Feuer und sei vernünftig. Glaubst du denn, daß ich dich umbringen will? Dann hätte ich dich vorhin das Brot essen lassen. Narr, ich brauche den lebendigen, nicht den toten Bill Holleck. Aber wenn du brauchbar sein willst, mußt du ein anderes Gesicht machen als jetzt. Zum Teufel, ich hatte dir Courage zugetraut!“

Holleck sah in das Gesicht seines Wirtes, als ob er ihm noch immer nicht traute. Aber er schämte sich wegen seines Auftritts, und um gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sagte er, als er mit der linken Hand sein rechtes Schultergelenk drückte und untersuchte:

„Courage? Was hilft die dir, wenn man in ein Maschinenrad gerät und einem die eisernen Walzen über die Knochen fahren? Du mußt Knochen aus Eisen haben, um einen so zu packen und zuzurichten. Ich hatte bis jetzt geglaubt, daß es nur einen Menschen auf der Welt mit solcher Kraft gäbe. Der aber sitzt in Norfolk Island und schleppt Steine und Eisenkugeln. Aber trotzdem - wenn ich dich so ansehe, zum Teufel auch, Mann, bist du Jack Burnett?“

„Pst, Kamerad, wir sind hier oben zwar ziemlich ungestört, aber besser ist besser, und Jack Burnett ist ein so guter Freund von mir, daß ich... selbst seinen Namen hier nicht laut genannt haben möchte.“

„Dann erklär mir aber dein feindseliges Verhalten, das vergiftete Brot, die halb verdeckte Drohung bei meiner Namensnennung.“

„Pah“, sagte Jack verächtlich. „Was du gesehen hast, hast du durch das Vergrößerungsglas des schlechten Gewissens gesehen. Feindseliges Verhalten? Ich habe dir Tee ans Feuer gestellt und dich davon abgehalten, das vergiftete Brot zu essen. War das feindselig? Und was die Drohung betrifft - glaubst du, Mate, ich habe Nutzen davon, wenn ich dich anzeige?“

„Aber weshalb hast du das Brot vergiftet?“

„Weil so ein paar verdammte schwarze Halunken hier in der Nachbarschaft herumschwärmen und mir schon ein paarmal mein Abendbrot vor der Nase weggeschnappt hatten, wenn ich hungrig nach Hause kam. Das will ich ihnen austreiben. Wenn die Kerle für sich selbst nichts haben, dann geht mich das nichts an, aber ich mache ihren Leiden gleich mit einemmal ein Ende und - habe wenigstens meinen Spaß dabei.“

„Ein verdammt gefährliches Experiment“, brummte Holleck. „Wenn ich nun halb verhungert niemand in der Hütte gefunden und unter der warmen Asche nach Brot gesucht und das da gefunden hätte?“

„Wäre dir schlecht bekommen, Kamerad“, sagte Jack trocken. „Aber du kennst auch das alte Buschgesetz: keine Hütte betreten, wenn der Pflock von außen vorgeschoben ist. Aber ich denke, wir verstehen uns jetzt, und als Beweis, daß ich dir vertraue, ist hier dein Revolver zurück. Steck das Ding wieder ein, und wenn du meinem Rat folgen willst, zieh es nie wieder gegen Freunde.“

„Die Sache ist nur die“, sagte Holleck etwas verlegen, „daß man seine Freunde nicht immer gleich an der Jacke oder am Bart erkennen kann.“

„Ich gebe dir vielleicht ein anderes Erkennungszeichen“, sagte Jack und sah ihn fest an. „Wir beide sind Leute, denen eine kleine Seereise bis zum Ostindischen Archipel sehr guttun würde. Vorausgesetzt, sie wird auf der Basis eines erworbenen Vermögens durchgeführt. Leider haben wir beide nicht genug Zeit für den Erwerb, und - wenn sich von einem Baum die Äpfel nicht herunterschütteln oder pflücken lassen, wofür ist dann die Axt da?“

Holleck sah seinen Wirt erstaunt an, denn er begriff noch nicht, was der mit seinen Andeutungen meinte. Jack wühlte die Asche seines Feuerherdes an anderer Stelle auf und fuhr fort:

„Das sind alles Dinge, die wir später genauer besprechen. Jetzt ist es Zeit, daß du satt wirst, denn der Tee ist lange gut. Hier hast du Brot dazu, mehr kann ich im Moment nicht anbieten. Der verdammte Schäfer hat seine Herde über den anderen Berg hinübergetrieben. Es ist ein mühsamer Weg durch die Schlucht nebenan, um sich ein Stück Fleisch zu holen.“

„Und das Brot hier...“

„Kannst du ruhig essen, Mate“, lachte Jack. „’s ist nicht gesalzen wie das andere da, das wir für neue, ungebetene Besuche wieder bereitlegen wollen. Jetzt iß, du hast lange genug gefastet.“

Holleck ließ sich nicht länger nötigen. Erst nachdem er mehr als die Hälfte des Dampers gegessen und auch einen zweiten Topf Tee getrunken hatte - ein trauriges Getränk übrigens, aus Regenwasser und dem sogenannten Stock and rider Tea -, taute er wieder auf. Bei dem zweiten Topf wurde er sogar gesprächig und erzählte jetzt dem neugefundenen Freund, dem er doch nichts Wesentliches mehr zu verheimlichen hatte, die letzten Ereignisse in Sydney, die ihn in die Berge getrieben hatten. Aber selbst hier konnte noch der lange Arm des Gesetzes nach ihm greifen und sein Verderben besiegeln.

Jedenfalls mußte er eine Weile untertauchen, bis die Sache etwas verraucht war. Nirgends konnte er das leichter als hier. Gab es doch Hunderte von Goldgräbern, die einsame Schluchten und Hänge aufsuchten, um da zu arbeiten. Ja, sie kamen sogar heimlich nachts zu den Proviantzelten, um sich Lebensmittel zu kaufen. Dann schlichen sie wieder einzeln zu ihren versteckten Arbeitsplätzen zurück, nur damit niemand erfuhr, wo sie ihre Schätze ausgruben. Wem wäre da ein einzelner Mann aufgefallen, der allein und abgeschieden in den Bergen lebte.

Aber Jack, der entflohene Sträfling von Norfolk Island, hatte andere Pläne. Er wußte, daß man sich zwar einige Zeit hier verbergen konnte, aber dann, durch die lange Sicherheit leichtsinnig, genügte ein einziger unglücklicher Moment, um wieder alles über den Haufen zu werfen. Eine solche Gefahr durfte nicht ruhig erwartet, sie mußte vermieden werden. Nur ein kühner Helfer fehlte dazu, um die Mittel zu einer erfolgreichen Flucht aus Australien zu beschaffen, denn Jack konnte nicht allein weg. Die herrschenden Verhältnisse kamen seinem Plan fast entgegen, ja, er baute immer kühnere Luftschlösser.

Bei der Durchführung seines Planes fehlte ihm jedoch ein entschlossener Mann, der außerdem auch ein Schiff führen konnte. Den hatte er jetzt in Bill Holleck gefunden.

Jack war auch nicht der Mann, eine Idee lange hinauszuschieben. Kaum mit dem Essen fertig, forderte er Holleck auf, ihm zu einer anderen Hütte zu folgen, wo er einen „alten Kameraden“ finden würde. Mehr wollte er ihm nicht mitteilen, und kaum zehn Minuten später waren die beiden Männer unterwegs. Sie stiegen den Hügel hinab einer Felsenschlucht entgegen, durch die ein dünnes Bergwasser seine mühselige Bahn ins Tal suchte.

Schon neigte sich die Sonne den fernen blauen Bergwänden entgegen, die hier den phantastisch ausgezackten und malerischen Horizont bildeten. Da belebte sich das einsame Plateau wieder. Diesmal waren es aber nicht Europäer, sondern ein Trupp der Schwarzen auf der Wanderung. Es waren dieselben, denen wir schon auf Mr. Suttons Station begegneten.

Voran gingen zwei junge nackte Burschen. Nur einer hatte einen Strick um die Taille gebunden und ein dünnes Band um die Stirn. Beide trugen den lagen Speer in der linken, einen kurzen, kräftigen Waddie in der rechten Hand.

Sie schienen als Späher vorauszugehen, denn der Eingeborene betritt wie das Wild nicht gern eine Lichtung, ohne sich überzeugt zu haben, daß alles sicher ist und kein Feind im Hinterhalt lauert. Die beiden jungen Burschen glitten von verschiedenen Seiten auf das Haus zu, immer sprungbereit, beim geringsten Anzeichen von Gefahr in den Busch zu flüchten. Völlig geräuschlos waren sie herangekommen und spähten durch die zahlreichen Spalten der Rindenwände ins Innere der Hütte. Alles lag still und tot, nur der leichte, kaum sichtbare Rauch, der noch von den fast zu Kohle verbrannten Holzstücken aufstieg, verriet, daß überhaupt Menschen den Platz bewohnten. Aber wo waren sie jetzt?

Der harte und rauhe Boden erzählte wenig von den Spuren, die ihm selbst der schwere Buschschuh eindrückt, aber diese Söhne der Wildnis verlangten auch keine deutliche Schrift, wo ihnen ein aus seiner natürlichen Lage geschobener Stein, ein einziger in den Sand gedrückter Nagel so viel verriet, wie sie wissen wollten. Zwei Männer hatten den Platz vor kurzer Zeit verlassen, die Spur führte zum Hang. Dort hatten die Schuhe sich tief in den weichen, nachgebenden Boden eingedrückt, und die Spur führte ins Tal.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch