Jack -1-



Etwa zwei englische Meilen vom Strombett des Turon lag auf einem Plateau im Schatten eines niedrigen Wattelgebüsches eine der Rindenhütten, wie sie überall auf dem australischen Kontinent von Schäfern und Hutkeepern errichtet werden. Dicht daneben war noch die Stelle deutlich sichtbar, wo die Hürden gestanden hatten, in die die Schafe abends getrieben wurden. So waren sie unter der Obhut des Hutkeepers sicher vor den Überfällen der Dingos und den nicht weniger hungrigen Eingeborenen.


Der Besitzer hatte aber wohl einen andere Weidegrund für seine Herde gesucht, die ihm in der unmittelbaren Nähe der Minen vielleicht zu sehr gefährdet war. Nur die Rindenhütte blieb stehen, um vielleicht später einmal wieder benutzt zu werden oder einfach um zu vermodern. Versetzt werden konnte sie nicht, und Rinde gab es überall genug, um eine neue viel schneller herzustellen.

Trotzdem war sie bewohnt, denn dünner blauer Rauch stieg aus ihr auf und suchte sich zwischen den Rindenstücken seine Bahn ins Freie. Es war sicher, daß wieder ein Weißer von ihr Besitz genommen hatte, denn die Eingeborenen meiden ängstlich solche verlassenen Wohnungen der Bleichgesichter und würden nicht einmal bei einem starken Sturm in einer solchen Hütte kampieren.

Und doch ließ die jetzt nur halb geöffnete Tür in diesem Augenblick einen Eingeborenen heraus. Er war vollkommen nackt und nur mit ein paar weißen Streifen bemalt. In der rechten Hand trug er einen kurzen Holzspeer und unter dem linken Arm ein großes Stück Damper, das hiesige Brot.

Bevor er das Freie betrat, warf er eine forschenden Blick über den offenen Raum. Dann glitt er wie eine Schlange in die dicht angrenzenden Büsche hinein, in deren Schatten er bald spurlos verschwunden war.

Eine volle Stunde blieb der Platz leer, dann endlich stieg ein Weißer langsam den Hang herauf, hinter dem die Minen des Turon lagen. Als er die Höhe des Plateaus erreichte, wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Mitten in der Bewegung hielt er inne, denn sein Blick war auf die Tür des Hauses gefallen. Er hatte sie an diesem Morgen selbst mit einem Holzpflock verschlossen. Jetzt stand sie halb offen. Irgend jemand hatte den Platz in seiner Abwesenheit betreten - gegen alle Gesetze des Waldes. Er befand sich vielleicht noch jetzt im Innern. Zwar hätte ein Blick in die Hütte jeden überzeugt, daß es fast unmöglich war, etwas daraus zu stehlen, aber der jetzige Bewohner des Platzes schien anders zu denken. Er wurde blaß, riß einen Revolver unter der Jacke hervor und spannte ihn. Im nächsten Moment sprang er mit funkelnden Augen auf die Tür zu.

Ein einziger Blick überzeugte ihn, daß die Hütte leer war. Kein menschliches Wesen hätte sich dort anders verstecken können, als sich flach auf den Boden zu legen. In der einen Ecke lag nur ein alter, abgenutzter Sattel mit ein paar schon lange nicht mehr benutzten Mehlsäcken, die jetzt als Lager dienten. Darüber hing ein mit Rohhautstreifen geflickter Zaum und ein einzelner eiserner Sporn. In der anderen Ecke lagen, mit einem Stück Rinde bedeckt, zwei zusammengerollte Wolldecken. Am Feuerplatz, der ziemlich den Mittelpunkt der Hütte bildete, lehnten eine alte eiserne Bratpfanne und ein umgeworfener Topf. Das war das ganze Mobiliar und ist von dem Eindringling nicht berührt worden.

Der Weiße warf aber zuerst seinen Blick nicht nach Sattel und Decken, sondern in eine vollkommen leere Ecke des Hauses, in dem nur eine alte, halbzerbrochene Brotschüssel lag. Dann erst schweifte sein Augen über die anderen Gegenstände und haftete zuletzt an der Asche des Feuerplatzes, die allerdings durchwühlt und nicht so erschien, wie er sie verlassen hatte. Er zerbiß einen grimmigen, gotteslästerlichen Fluch zwischen den Zähnen, als er sich der Stelle näherte und sie mit der Fußspitze untersuchte.

„War doch das verbrannte Gesindel wieder da“, brach er endlich heraus. „Aber, straf mich Gott, jetzt ist meine Geduld zu Ende. Der erste Schuft, der mir wieder mein Brot aus der Asche holt, soll wenigstens wissen, was er verschluckt hat, wenn er’s im Magen wegträgt.“

Mit diesen Worten schob er seinen Revolver wieder in den Gürtel und blies das schon fast erloschene Feuer zu heller Flamme an. Dann nahm er die Brotschüssel und holte vom Boden der Hütte - einem auf die Balken gelegten Streifen Baumrinde - seinen kleinen Mehlbeutel herunter. Mit dem Topf holte er von draußen Regenwasser, das immer gesammelt wurde. Ohne Rücksicht auf Sauberkeit mischte er schließlich einen Damper, das Brot. Als er fertig war, rührte er aus einer kleinen Flasche noch eine Portion weißes Pulver hinein und grub den Damper in die heiße Asche ein. Mit dem darauf geschürten Feuer wurde das Brot dann durchgebacken.

Als er soweit war, holte er sich seine Decken aus der Ecke, breitete sie aus, schob sich einen Klotz als Kopfkissen heran und streckte sich lang am Feuer aus. Finster brütend starrte er in die Flammen. Hin und wieder rührte er sich, um mit der Spitze seines groben Buschschuhes das durchgebrannte Holz wieder in die Glut zu schieben und frisch anzufachen. Sonst verrieten nur seine blitzenden Augen, daß er lebte.

Plötzlich richtete er sich auf seinen Ellbogen auf und hob horchend den Kopf. Irgendein fremdes Geräusch mußte an sein Ohr gekommen sein - jetzt wieder. Er sprang rasch auf, und fast unwillkürlich suchte seine Hand die Stelle, an der der Revolver steckte, ohne aber die Waffe zu ziehen. Es war auch nicht nötig.

„Hallo! Jemand im Haus?“ rief eine Stimme.

Jack antwortete nicht, ging aber zur Tür, sah durch einen Ritz hinaus und stieß dann die Tür auf.

Draußen stand ein erhitzter junger Mann. Er trug nicht die Minerkleidung, sondern war wie ein Städter gekleidet. Durch den Marsch im Busch und vielleicht auch ein Nachtlager hatte seine Kleidung allerdings gelitten. Sein Halstuch hatte er abgebunden, und das braune, lockige Haar hing ihm wirr unter dem Hut hervor.

„Hallo, Fremder“, sagte Jack, der die Gestalt ruhig von Kopf bis Fuß musterte. „Welcher Wind hat Sie denn auf das Plateau geweht? Doch nicht der Goldstaub?“

„Ich hatte mich verirrt“, sagte der Fremde, „und bin in dem verdammten Busch halb verschmachtet. Gott sei Dank, daß ich Sie und Ihr Haus gefunden habe.“

„Es hört sich so an, als fluchen und beten Sie in einem Atemzug“, lachte Jack trocken. „Aber kommen Sie herein und setzen Sie sich ans Feuer, bis ein Topf Tee fertig ist. So lange müssen Sie mit Ihrer Mahlzeit schon warten.“

Er trat von der Tür zurück, um den Eingang frei zu geben, und sein Besuch folgte ihm, jedoch nicht ohne einen scheuen Blick durch den leeren Raum zu werfen. Hatte er befürchtet, hier noch mehr Gesellschaft zu finden? Als er zum Feuer trat und sich vergeblich nach einem Sitz umsah, sagte er:

„Sie scheinen verwünscht einfach zu leben, Freund. Was Ihre Möblierung betrifft, kann man nicht gerade sagen, daß Sie den Raum überladen haben.“

„Sie sollten froh sein, daß Sie ein Dach über dem Kopf und einen Topf Tee in Aussicht haben“, brummte Jack. „Es gibt Plätze, wo es schlechter ist als hier.“

„Und leben Sie hier ganz allein?“

„Habe ich Sie schon gefragt, ob Sie allein reisen?“

„Hm, nichts für ungut, wußte nicht, daß Ihnen die Frage unbequem war.“

„Die Frage nicht, nur der Frager“, sagte Jack trocken, setzte aber trotzdem seine Vorbereitungen zu der versprochenen Mahlzeit fort. Er kletterte an einem Eckpfahl ein Stück in die Höhe, wo er auf sinnreiche Weise ein Säckchen Tee und ein anderes mit Zucker versteckt hatte, beides ein paar unentbehrliche Lebensmittel im Busch. Unter der Asche sah er nach dem jetzt garen Damper, den er aber wieder mit Asche bedeckte.

Der Fremde wußte nicht, was er mit dem rauhen Wesen seines Wirtes machen sollte, kannte aber derartige Buschleute auch von früher. Er glaubte, es wäre am besten, sich so ungeniert wie möglich zu benehmen und es sich bequem zu machen. Mit einem Stückchen Holz grub er den wieder eingegrabenen Aschekuchen heraus, blies ihn ab, brach ein Stück herunter und sagte lachend:

„Sie müssen schon entschuldigen, Mate, aber ich habe furchtbaren Hunger und in den letzten sechsunddreißig Stunden keinen Bissen mehr über die Lippen gebracht. Werde inzwischen mit dem hier anfangen.“

Jack hatte ihm ruhig zugesehen, bis er das Brot zum Mund hob, dann sagte er trocken:

„Nehmen Sie lieber nichts, was ich Ihnen nicht selber gebe - denn das Brot ist mit Arsen gebacken.“

„Teufel auch!“ rief der Fremde, dessen Zähne schon durch die frische braune Kruste gedrungen waren. Er sprang erschrocken vom Boden auf und ließ das todbringende Brot in die Asche zurückfallen. „Wenn das Ihre Gastfreundschaft ist, mit der Sie einen armen Verirrten aufnehmen, dann danke ich!“

„Ereifern Sie sich nicht, Mate“, sagte aber Jack, ohne sich von der Stelle zu rühren. „Daß ich Sie rechtzeitig gewarnt habe, beweist doch, daß dieses Brot nicht für Sie gebacken wurde. Sie sollen nicht an Weizenbrot sterben, vielleicht eher einmal an - Hanfbrot“, setzte er mit einem trockenen, fast unheimlichen Lachen hinzu.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch