In die Minen -1-



So gleichgültig Mr. Pitt gegenüber dem Goldgraben eingestellt war und nur zusah, daß er aus dem benötigten Werkzeug den größtmöglichen Nutzen ziehen konnte, so wild waren die übrigen Bewohner Sydneys darauf erpicht, das edle Metall zu bekommen. Alle erdenklichen Pläne wurden ersponnen, um nicht nur dem bloßen Glück zu vertrauen, sondern die Gewinnung auf eine feste und solide Basis zu stellen.


Eine richtige Hetzjagd begann auf Personen, die schon einmal in Kalifornien waren und die Arbeiten genau kannten. Man traute ihnen von vornherein einen sicheren Blick zu, die reichhaltigen Stellen zu bestimmen. Keiner bedachte dabei, daß sie wohl kaum von Kalifornien zurückgekommen wären, wenn sie da drüben diesen Blick gehabt hätten. Aber das schadete nichts, schon das einfache Wort „Kalifornier“ gab einen sicheren Anhaltspunkt. Wenn diese Leute in die sich rasch bildenden Arbeitsgemeinschaften eintraten, konnten sie sicher sein, die Reise in die Berge völlig kostenfrei und meistens noch unter günstigen Zusatzbedingungen anzutreten.

Außerdem wurden alle Arten von Maschinen konstruiert und zum Verkauf ausgestellt. Selbst das Widersinnigste wurde mit viel Geld bezahlt, mit enormem Aufwand in die Berge geschafft, nur um dann dort oben nach kurzen Versuchen als wertlos beiseite geworfen zu werden.

In dieser Art bildeten sich verschiedene deutsche Vereinigungen, mieteten für viel Geld Wagen, kauften Lebensmittel und rückten in Trupps in die Berge, um sich dann nach wenigen Tagen wieder zu zerstreuen und ihr Glück einzeln oder zu zweit zu versuchen.

In Sydney lebte während dieser Zeit ein deutscher Mechaniker namens Zachäus. Er war außerordentlich geschickt in seinem Geschäft, im normalen Leben aber zu gar nichts zu gebrauchen. Wenn er aber Feile und Zirkel in die Hand nahm, gewann alles unter seinen Händen Form und Gestalt. Er hätte in kurzer Zeit ein reicher Mann werden können, wenn er bei seiner Arbeit geblieben wäre und sich auf die Anfertigung solcher Instrumente beschränkt hätte, die verkäuflich waren und gesucht wurden. Statt dessen experimentierte er aber ständig. Sein Kopf war voller neuer, oft ganz sinnreicher Erfindungen, die ihn aber immer nur Zeit und Geld kosteten. Dabei vernachlässigte er sein übriges Geschäft, denn wenn er an einer neuen Idee saß, waren selbst bestellte Arbeiten von ihm nicht zu bekommen.

Natürlich konstruierte Zachäus sofort nach der Entdeckung des Goldes eine neue Maschine zum Goldwaschen, in der auch unbedeutende, kleine Mengen Gold festgehalten werden sollten. Dabei richtete er sie mit Rädern und Schrauben so gut ein, daß selbst ein Kind sie leicht in Betrieb halten konnte. Zachäus war entschlossen, damit selbst in die Minen zu gehen.

Die einzigen stillen und teilnahmslosen Menschen in diesem wilden Leben waren eine Anzahl Gefangener im Stadtgefängnis. Sie hörten hinter ihren eisernen Gittern wohl den Lärm von draußen und auch von dem Gerücht der Goldfunde, denn keiner der Schließer konnte das verschweigen. Sie waren aber allen Zweifeln enthoben, ob sie gehen sollten oder nicht, und lauschten den Gerüchten deshalb ziemlich teilnahmslos. Was half ihnen das Gold in den Bergen!

Unter ihnen war ein alter Schäfer, seit langer Zeit ein Konvikt, der aber seine Strafe abgebüßt und seinen Entlassungsschein in der Tasche hatte. Natürlich trank und spielte er, wenn er nur ein paar Pfund Sterling besaß, und schien in letzter Zeit mehr auszugeben, als einzunehmen. Mit zwanzig oder fünfundzwanzig Pfund Schulden, die er nicht bezahlen konnte, wurde er dann einfach ins Gefängnis geworfen.

Der Mann hatte den Schließer besonders geärgert. Als der zu ihm kam, um ihm von der wunderbaren Entdeckung des Goldes zu erzählen, und dafür wenigstens grenzenloses Erstaunen ernten wollte, schüttelte der Alte nur den Kopf verächtlich und sagte:

„Holzköpfe! Sind sie jetzt endlich auch dahintergekommen?“

„Na, du hast wohl die Geschichte schon vorher gewußt, nicht wahr?“ erkundigte sich der Schließer entrüstet.

„Habe ich auch“, sagte der Mann störrisch vor sich hin. „Und wenn sie mich hier herausließen, wollte ich ihnen die lumpigen paar Pfund in gelbem Gold bezahlen. Hier freilich ist nichts zu finden - höchstens Flöhe.“

Der Schließer wollte ihn erst verhöhnen, weil er es für Angabe hielt. Als der Alte ihn aber reden ließ, wollte er mehr aus ihm herausbringen. Aber der Schäfer blieb von da an beim Thema Gold stumm, nickte nur manchmal vor sich hin. Das einzige, was er noch äußerte, war: „Wenn ich nur erst wieder hinaus bin!“

Es dauerte dann auch keine drei Tage, da war das Gerücht verbreitet, daß einer im Gefängnis wegen seiner Schulden säße, der die reichsten Stellen in den Bergen kenne und schon viel Gold gefunden und verkauft hätte, ohne daß man wisse, woher er es hatte.

Andere alte Gerüchte tauchten auf. Besonders eine Tatsache wurde von Mund zu Mund erzählt, die sich auf die Entdeckung des Goldes schon in der Zeit bezog, in der Australien noch Sträflingskolonie war.

Damals hatte nämlich ein Konvikt oder Sträfling ein Goldstück von mehreren Unzen Gewicht einem Goldschmied zum Verkauf angeboten. Er wurde sofort festgenommen und befragt, woher er das Gold habe. Er behauptete damals, er hätte es in den Bergen zwischen Steinen gefunden, aber man hielt das für eine Lüge. Der oberste Beamte entschied, daß er irgendwo eine goldene Uhrenkette oder ähnliches gestohlen und wieder eingeschmolzen habe. Weil er nicht zugeben wollte, wo er den Diebstahl begangen hatte, wurde er bis aufs Blut gepeitscht - ja, er soll sogar unter den Schlägen gestorben sein.

Er wäre nicht der einzige Unglückliche gewesen, der unschuldig unter der despotischen Regierung der Gouverneure Bligh und Macquarie gelitten hatte. Besonders Bligh, jener Kapitän, gegen den sich die Mannschaft der „Bounty“ empörte und später die Pitcairninsel besiedelte, zeichnete sich so durch Grausamkeit und Rechtlosigkeit aus, daß die Kolonisten sich gegen ihn erhoben und ihn heimschickten.

Sydney war aber in dieser Zeit besonders empfänglich für die Erneuerung solcher Anekdoten. So wurde der alte Schäfer zu einer wichtigen Persönlichkeit, die nicht lange unbeachtet und vergessen in einer dunklen Zelle liegen mußte. Wie er hieß und wem er verschuldet war, ließ sich sehr leicht herausbekommen. Eines Abends, kurz vor Sonnenuntergang, kam der Schließer in seine Zelle und sagte:

„Na, Smith? Ist vornehmer Besuch draußen, der dich sprechen will. Zieh deinen Frack an, damit du die Herren ordentlich empfangen kannst.“

„Ja, dazu hätte ich gerade Lust“. Der Alte grinste vor sich hin. „Wer mich sprechen will, kann in Hemdsärmeln kommen. Ich bin nicht stolz, und was die ‚Swells‘ betrifft, so mögen sie zum Teufel gehen. Es ist verdammt wenig Gutes, was die einem armen Teufel bringen, wenn sie sich einmal mit ihm einlassen.“

„Ob es nicht wegen des Goldes ist“, meinte der Schließer, der seinen begründeten Verdacht hatte. Der Alte gab aber keine Antwort mehr. Es dauerte nicht lange, und die Tür öffnete sich wieder. Zwei „Swells“ in moderner Kleidung, mit Zylinderhüten und ledernen Stiefeln, kamen herein und sahen sich vergeblich nach Stühlen um, auf die sie sich hätten setzen können.

„Guten Abend, Smith“, sagte der eine.

„Guten Abend“, lautete die lakonische Antwort. Der Alte saß mürrisch auf seiner Pritsche, hatte beide Ellbogen auf die Knie gestützt und sah vor sich nieder. Er veränderte seine Haltung um keine Zollbreite, sondern sah nur finster durch die buschigen Augenbrauen zu den beiden Fremden hinauf. Die schienen sich aber aus dem unfreundlichen Empfang nicht viel zu machen, vielleicht kannten sie auch schon das Wesen derartiger Gesellen, die Vertrauen zu einem schmutzigen, zerrissenen Kittel haben, sich aber scheu wie eine Schnecke in ihr Haus vor sauberer Wäsche zurückziehen. Einer von ihnen nahm die Unterhaltung gleich wieder auf und sagte ohne Umstände:

„Sind Sie der Smith, der lange oben in den Bergen bei Bathurst gelebt hat und eine Zeitlang auch Schäfer bei Mr. Wentwirth war?“ ’

„Und wenn ich es wäre?“ brummte Smith.

„Dann sind Sie es auch, der da oben schon Gold gefunden hat, lange bevor es jetzt wieder entdeckt wurde.“

Smith hielt es nicht für nötig, auf diese halb fragende Bemerkung zu antworten. Er klopfte langsam mit dem einen Fuß auf den Boden.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch