Die Werbung -3-



Holleck hatte gefühlt, wie ihn seine Kräfte verließen, als der erste Verdacht seiner Entdeckung über ihn kam. Jetzt, der Mündung der Pistole gegenüber, als die Gefahr nicht mehr drohte, sondern in ihrer ganzen Furchtbarkeit über ihn hereingebrochen war, gewann er im Nu seine Geistesgegenwart wieder.


Er war entdeckt und Flucht das einzige, was ihn retten konnte.

„Papa, schieß nicht hier im Zimmer!“ rief die kleine Therese, die erstaunt und erschrocken die heftigen Worte gehört hatte, ohne sie zu begreifen.

„Vater, um Gottes willen!“ rief auch seine Frau. Aber der sonst so ruhige Mann war außer sich.

„Zurück da!“ rief er und schob seine Frau zur Seite. „Zurück von mir!“

Das war der letzte günstige Moment für den Verbrecher. Die Tür hatte Mr. Pitt verstellt, aber das Fenster zum kaum zwei Meter tiefer liegenden Hof stand offen. Mit einem verzweifelten Satz sprang Holleck darauf zu. Ehe Pitt nur ahnte, was er eigentlich vorhatte, schwang er sich schon hinaus.

Im gleichen Moment drückte Mr. Pitt ab, und der Schuß dröhnte durch das Haus. Pulverrauch füllte das Zimmer. Als der Kaufmann zum Fenster sprang, erkannte er gerade noch die Gestalt des Flüchtlings. Ehe er ein zweites Mal zielen konnte, verschwand er hinter den Ställen. Von dort floh er durch den Garten, und in dem Gewirr der kleinen Gassen wäre eine Verfolgung unmöglich geworden.

Pauline war neben der Mutter auf die Knie gesunken und Therese schreiend in ihre Arme geflüchtet. Kaum hatte sich Mr. Pitt gesammelt, lief er in den Hof hinunter. Er wollte sehen, ob er den Verbrecher vielleicht doch getroffen hätte und Blutspuren auf dem Boden zu erkennen waren. Unten im Haus waren die Leute zusammengelaufen, aber Mr. Pitt sagte ihnen, daß sie ruhig ihrer Arbeit nachgehen sollten. Blut sah er im Hof nicht - er hatte wahrscheinlich vor Aufregung gefehlt. Langsam ging er wieder zu seiner Familie zurück.

„Ist er tot?“ rief ihm seine Frau zitternd vor Angst entgegen. Auch Pauline sah ihren Vater ängstlich an.

„Er ist diesmal seiner Strafe entwischt“, sagte Pitt ruhig. „Und vielleicht ist es auch besser so, daß ich dem Henker nicht vorgegriffen habe. Aber daß er seiner Strafe nicht entgeht, das schwöre ich bei Gott, dafür will ich sorgen.“

„Und Charley? Martere mich nicht länger, es muß etwas Furchtbares passiert sein...“, bat seine Frau in Todesangst.

„Er lebt und ist auf dem Wege der Besserung“, sagte Mr. Pitt mit einem tiefen Seufzer. „Dafür danke ich Gott und den guten Menschen, die sich um ihn gekümmert haben! Dieser Verbrecher war dabei, als die Mail vor kurzer Zeit überfallen wurde. Charley hatte ihn unter den Räubern erkannt. Um nicht entdeckt zu werden, versuchte er, ihn zu töten. Er muß ihn für tot gehalten haben, sonst hätte er es nie gewagt, unser Haus zu betreten oder sogar in Sydney, in Australien zu bleiben.“

„Großer Gott! Und wo ist mein Sohn, damit ich zu ihm und ihn pflegen kann.“

„Er ist so gut aufgehoben wie bei uns selbst“, beruhigte er sie. „Bei Mr. Sutton in Englisch Bottom!“

„Und kann ich zu ihm?“

„Ja“, antwortete Mr. Pitt. „Der Arzt wollte es zwar zuerst nicht erlauben, weil er befürchtete, daß die Aufregung ihm schaden könne. Aber gestern hat seine Besserung so gute Fortschritte gemacht, daß er unseren Sohn außerhalb jeder Gefahr hält, wenn man entsprechend vorsichtig ist. Wenn du willst, kannst du morgen schon aufbrechen.“

„Erst morgen?“ rief die Mutter wehmütig aus. „Den heutigen Tag willst du mich hier in Schmerz und Angst vergehen lassen?“

„Gut, so geh heute“, sagte Pitt weich. „Ich werde dir einen Wagen besorgen, und Pauline - mein armes Kind“, unterbrach er sich rasch, als er einen Blick auf seine Tochter warf und sie bleich und zitternd sah. „Bist du dadurch unglücklich?“

„Nein, Vater, mir ist ein furchtbares Gewicht von der Seele genommen worden“, rief das Mädchen und lehnte sich an die Brust ihres Vaters. „Ich fühle jetzt, daß ich ihn nie geliebt hätte. Wenn ich seinen Bitten nachgegeben hätte, wäre ich immer unglücklich gewesen.“

„Gott sei Dank“, sagte der Vater. „Dann ist das Unglück nicht so groß, und die Sonne wird wieder für uns scheinen, wenn wir diese tiefe Nacht überwunden haben. Reise mit deiner Mutter, das wird dich vielleicht ablenken. Therese bringe ich heute nachmittag zum Großvater hinaus, bei dem sie ein paar Tage bleiben kann. Er hat es sich ja immer schon einmal gewünscht. Ned kann euch fahren, die beiden Braunen sind ausgeruht, und die Tour schadet ihnen nichts. Bei Russells soll er die Pferde wechseln, damit er euch in einer Fahrt hinbringt. Seid ihr damit einverstanden?“

„Aber ja, lieber Charles!“

„Gut, das ist also abgemacht. Grüßt den Jungen. Jetzt darf ich diesen Holleck nicht zu Atem kommen lassen, deshalb komme ich erst morgen nach. Denn ich muß nach Bathurst, um alles in Ordnung zu bringen, was durch den Überfall zerstört wurde. Auf dem Hinweg komme ich bei euch vorbei.“

Mr. Pitt war nicht der Mann, der einen einmal gefaßten Entschluß halb ausgeführt ließ. Eine Stunde später rollten die beiden Frauen die George Street hinauf über Paramatta nach Suttons Station. Mr. Pitt brachte Therese zu ihrem Großvater und erzählte ihm kurz das Wichtigste. Dann eilte er in die Stadt zurück, um Mr. Beatty, den Polizeileutnant, zu informieren und auf die Fährte des Verbrechers zu bringen.

Zwei Stunden später suchten etwa zwanzig Polizisten den ganzen Distrikt ab, in dem sich der Flüchtling noch vielleicht bis zum Einbruch der Nacht verborgen haben konnte. Gleichzeitig wurden Beamte auf die Straße geschickt, um nach ihm auf dem Weg in die Minen zu fahnden. Aber von William Holleck fanden sie keine Spur, weder in der Stadt noch unterwegs. Der Verbrecher schien vom Erdboden verschwunden zu sein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch