Die Familie Pitt -3-



Holleck war aufgesprungen. Er wurde knallrot, aber es blieb ihm keine Zeit, seinen unterbrochenen Antrag zu vollenden. Im selben Moment ging die Tür auf, und Mrs. Pitt trat mit dem Umschlag in der Hand ein.


„Na, hin ich lange geblieben?“ sagte sie lächelnd, als sie den Brief überreichte. „Ich habe ihm aber auch wirklich kaum zwei Zeilen geschrieben.“

„Sieh mal, Mama, wie mich Onkel William gedrückt hat“, rief Therese, die sich ärgerte, weil sie gar nicht beachtet wurde.

„Der Brief soll pünktlich zugestellt werden“, sagte Holleck und legte ihn in sein Taschenbuch. Er mußte sich gewaltsam beherrschen, um gerade jetzt ruhig und unbefangen zu erscheinen.

„Wollen Sie wirklich schon fort?“

„Es ist gleich zwei Uhr, und ich werde kaum noch eine halbe Stunde für mich Zeit haben.“

„Also, nochmals die allerherzlichsten Grüße für Charley, und er soll gleich schreiben oder am allerbesten gleich selbst kommen, denn sein Vater hat ja auch hier für ihn mehr als genug zu tun.“

„Good bye, mein kleines Schätzchen“, sagte Holleck, nahm die Kleine hoch und küßte sie. „Hast du denn deinem Bruder nichts zu bestellen?“

„Er soll sich vor den bösen Bushrangern in acht nehmen“, rief die Kleine, „und sie alle miteinander totschießen.“

Holleck küßte sie nochmals auf die Stirn und setzte sie wieder auf den Boden.

„Leben Sie wohl, Miß Pauline. Hoffentlich kann ich bald mit guten Aussichten zurückkehren. Leben Sie wohl, Mrs. Pitt.“ Mit den Worten griff er seinen Hut und verließ das Zimmer.

„Mr. Holleck war heute sehr sonderbar“, sagte die Mutter, als er schon eine ganze Weile die Stube verlassen und Pauline wieder ihren Platz am Nähtisch eingenommen hatte. „Kam dir das nicht auch so vor, Kind?“

„Ich weiß nicht, liebe Mutter“, sagte das junge Mädchen und war froh, daß die Mutter in dem Augenblick am Fenster stand und hinaussah. „Es ist mir nichts Besonderes an ihm aufgefallen. Vielleicht war es seine veränderte Kleidung?“

„Das könnte sein“, sagte die Frau. „Aber er war so unruhig, so verstört. Nun sieh nur um Gottes willen, was da wieder für Menschen in die Berge hinaufziehen. Drei, vier, fünf Karren hintereinander und alles mit schwerem Handwerkszeug bedeckt. Wo nur die Leute da oben alle Platz finden? Es wird wieder Mord und Totschlag geben, nur wegen des leidigen Goldes. Ich wollte, Charley wäre hier - mir ist das Herz schon zum Brechen schwer.“

Sie trat vom Fenster zurück, setzte sich auf das Sofa, stützte den Kopf in die Hand und schaute still und gedankenvoll vor sich nieder. Pauline saß ebenfalls schweigend mit ihrer Arbeit beschäftigt am Nähtisch. Nur die kleine Therese hatte sich ihren Gummiball aus der Ecke geholt und rollte ihn fröhlich und behende in der Stube herum. Was wußte das Kind von Sorgen, Plänen oder Träumen!

Noch saßen sie so, als ein schwerer Schritt auf der Treppe gehört wurde und eine fremde Stimme sich draußen erkundigte:

„Mr. Pitt zu Haus?“

Die Mutter fuhr empor, denn nur mit den Gedanken an den Sohn beschäftigt, bezog sie alles auch nur auf ihn. Ehe draußen geantwortet werden konnte, hatte sie schon die Tür geöffnet, aber der Mann brachte ihr keine Nachricht aus den Bergen. Sie kannte ihn, es war der Kapitän der in der Bai ankernden Brigg. Er hatte für ihren Mann eine Ladung Mehl von Valparaiso gebracht und wollte wohl jetzt die Ladung nach Neuseeland mit ihm besprechen.

„Ah, guten Morgen, Mrs. Pitt - Mr. Pitt zu sprechen?“

„Guten Morgen, Kapitän Becker“, sagte die Frau. „Treten Sie nur ein, ich höre meinen Mann eben auf der Treppe, er wird gleich heraufkommen.“

„Hallo, Becker!“ rief Mr. Pitt, der seine Stimme erkannt hatte, schon von der Treppe aus. „Nun, was bringen Sie Gutes?“

„Verdammt wenig, Sir“, sagte der Deutsche, nicht gerade in der Stimmung, sich gewählt auszudrücken. „Die ganze Mannschaft ist zum Teufel!“

„Donnerwetter, alle Mann?“ fragte Pitt und blieb erstaunt an der obersten Stufe stehen.

„Alle Mann!“ bestätigte der Seemann. Er mußte sich zusammennehmen, um nicht noch einen derberen Fluch hinterherzuschicken. „Selbst der lumpige Schiffsjunge und der Koch sind durch die Lappen gegangen. Mit Ausnahme der Ratten sind der Steward und ich jetzt die einzigen lebenden Wesen an Bord. Gott straf mich, es ist zum Halsabschneiden mit der verwünschten Bande.“

Mr. Pitt lachte. „Das habe ich mir wohl gedacht“, sagte er endlich. „Ich weiß auch wirklich nicht, weshalb wir den anderen Schiffen etwas voraus haben sollten! Ich wundere mich nur, daß sie so lange ausgehalten haben. Der ‚Talbot‘, der ‚Boreas‘ und der ‚Delphin‘ haben schon lange keinen Mann mehr an Bord.“

„Soll mich wohl noch bei den Schuften bedanken, daß sie sich die paar Tage, an denen nichts zu tun war, haben füttern lassen!“ brummte der Kapitän. Er war eingetreten und verhalf sich selbst zu einem Glas Sherry, der noch auf dem Tisch stand. „Aber die ganze Wasserpolizei ist hinter ihnen her. Ich bin schon seit Tagesanbruch auf den Beinen und habe nichts versäumt, um sie wieder einzufangen, wenn sie noch zu fassen sind.“

„Wenn sie noch zu fassen sind“, lachte Mr. Pitt. „Daran wird’s aber wohl hapern. Ist denn Ihr erster Maat auch mit?“

„Der lag ja im Hospital“, sagte der Kapitän. „Aber es geht ihm wieder besser. Ich war heute morgen auch schon bei ihm. Er wird heute abend wieder ausgehen können und die Wasserpolizei ein wenig unterstützen. Was fange ich jetzt an, wenn ich meine Mannschaft nicht wiederkriege? Und frische Seeleute anzuheuern ist ganz unmöglich. Wenn überhaupt neue zu bekommen sind, wissen die Lumpen jetzt gar nicht, was sie fordern sollen.“

„Dann bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als auch einmal in die Minen zu gehen und Ihr Glück da oben zu versuchen“, sagte Mr. Pitt. „Der Kapitän vom ‚Delphin‘ ist auch schon mit seinen beiden Steuerleuten hinauf.“

„Hm“, brummte der Kapitän, dem dieser Gedanke neu war, halb verlegen vor sich hin. „Schöne Beschäftigung, nach Gold zu buddeln und inzwischen das Schiff von den Würmern zerfressen lassen.“

„Ich sage ja nicht, daß Sie nach Gold graben sollen“, meinte der Kaufmann. „Aber da oben finden Sie Ihre Mannschaft bestimmt oder können andere, die nichts gefunden haben, anheuern. Aber jetzt wollen wir erst einmal abwarten, was die Wasserpolizei erreicht, obgleich ich da nicht viel Hoffnung habe. Haben Sie eine Belohnung ausgesetzt?“

„Fünf Pfund Sterling pro Kopf, den sie schnappen.“

„Hm, das hilft vielleicht.“

„Und für den Schiffsjungen noch ein Pfund extra.“

„Warum für den mehr?“

„Weil ich mir vorgenommen habe, ihm eine richtige Tracht Prügel zu verabreichen. Das ist mir ein Pfund wert. Ich gäbe auch gleich zwei, wenn ich ihn jetzt an Ort und Stelle hätte.“

Mr. Pitt lachte wieder. Zwar machte ihm die weggelaufene Mannschaft einen Strich durch die Rechnung, aber er hatte es doch vorausgesehen und seine Planung noch nicht zu festgemacht. Er durfte sich nicht darüber ärgern, daß er genauso leiden mußte wie alle anderen Geschäftsleute der Stadt.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Im Busch